TE Vwgh Erkenntnis 1967/6/19 0818/67

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Veröffentlicht am 19.06.1967
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

BauO Wr §129 Abs4;
BauRallg;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §35 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Borotha, und die Hofräte Dr. Krzizek, Dr. Lehne, Dr. Rath und Dr. Leibrecht als Richter, im Beisein des Schriftführers Wetzelsberger, über die Beschwerde des WE in W, vertreten durch Dr. Gerhard Hermann, Rechtsanwalt in Wien I, Wipplingerstraße 12/7 a, gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Wiener Magistrates vom 19. April 1967, Zl. MDR-B XV- 5/67) betreffend die Bemessung der Erfüllungsfristen zur Räumung und Abtragung eines Wohn- und Geschäftshauses, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach der durch den Beschwerdeführer gegebenen Darstellung des Verwaltungsgeschehens sowie nach dem Inhalt der dem Gerichtshof vorliegenden Ausfertigung des angefochtenen Bescheides hatte der Magistrat der Stadt Wien dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 24. Februar 1967 aufgetragen, die im Vorder-, Hinter- und Seitentrakt des ihm gehörigen Hauses Wien XV, X-gasse n gelegenen Wohnungen und Geschäftslokale binnen einer Frist von vier Monaten zu räumen und die betreffenden Gebäudeteile sodann, und zwar binnen einer Frist von fünf Monaten abtragen zu lassen. Die Verpflichtung zur Räumung und Abtragung sollte unter der Voraussetzung entfallen, dass binnen vier Monaten mit der Instandsetzung begonnen und diese in einem Zuge durchgeführt würde. Gegen die in diesem Bescheid festgesetzten Erfüllungsfristen brachte der Beschwerdeführer Berufung ein, die die Bauoberbehörde für Wien mit Sitzungsbeschluss vom 19. April 1967 abwies. In der Begründung des in Ausfertigung dieses Sitzungsbeschlusses ergangenen Magistratsbescheides vom selben Tag ist im wesentlichen folgendes ausgeführt: Der Beschwerdeführer bestreite das Vorliegen schwerer Baugebrechen nicht, weise aber darauf hin, dass die nötigen Pölzungen bereits vorgenommen worden seien. Da eine Verschlechterung des Bauzustandes nicht festgestellt sei, so bringe der Beschwerdeführer in Ausführung seines Rechtsmittels weiter vor, bestehe keinerlei Gefahr mehr. Demgegenüber habe der Magistrat berichtet, dass Pfeiler und Decken wohl gepölzt seien, dass aber infolge des schlechten Bauzustandes mit einer ständigen Verringerung der Tragfähigkeit, insbesondere durch die Erschütterungen des Verkehrs in der Mariahilferstraße, zu rechnen sei. Mit Rücksicht auf die Sicherheit der Bewohner des Hauses und der Straßenpassanten habe daher die Bemessung der Frist wie geschehen erfolgen müssen. Auf der Grundlage dieses Berichtes ist sodann weiter ausgeführt, dass es zwar richtig sei, dass bei der Bemessung der Erfüllungsfristen sowohl auf technische als auch auf wirtschaftliche Gesichtspunkte Bedacht zu nehmen sei. Mit Rücksicht auf die Gefährdung der Bewohner des Hauses und der Straßenpassanten sei indes im Interesse der öffentlichen Sicherheit eine Erstreckung der Fristen nicht in Betracht zu ziehen gewesen.

Über die dagegen unter den Gesichtspunkten der inhaltlichen Rechtswidrigkeit sowie auch der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die geltend gemachte inhaltliche Rechtswidrigkeit erblickt der Beschwerdeführer darin, dass die belangte Behörde auf der Grundlage einer irrigen Rechtsmeinung die Erfüllungsfristen in Übereinstimmung mit dem Magistrat und daher unzureichend bemessen habe. Der der belangten Behörde zur Last fallende Rechtsirrtum ist nach Auffassung des Beschwerdeführers darin gelegen, dass eine angemessene Frist auch die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Bewohner und Benützer des Hauses - wozu neben diesen Mietern auch der Beschwerdeführer selbst zählt - an der Erhaltung ihrer Wohnungen und Geschäftslokale zumindest während eines solchen Zeitraumes voraussetze, innerhalb dessen diesen Personen die Beschaffung von Ersatzräumlichkeiten möglich sei. Nur dann, wenn eine Verschlechterung des Bauzustandes nach Durchführung der Pölzung konkret festgestellt worden wäre, hätte die belangte Behörde diese Interessen außer acht lassen dürfen. Im Fehlen derartiger Feststellungen sei auch ein Verfahrensmangel gelegen.

Hiezu ist folgendes zu sagen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 27. Februar 1962, Zl. 1162/61) ist ein Auftrag zur Beseitigung eines Baugebrechens auch dann inhaltlich rechtswidrig, wenn bei der Bemessung der Erfüllungsfrist die Berücksichtigung wirtschaftlicher Umstände unterblieben ist, obwohl die Bedachtnahme auf die rechtzeitige Gefahrenabwehr eine solche Berücksichtigung gestattet hätte. Hätte sich daher die belangte Behörde schlechthin geweigert auf wirtschaftliche Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen und diese Weigerung damit begründet, dass es nur auf die technische Durchführbarkeit der Räumung und Abtragung anzukommen habe, so wäre der angefochtene Bescheid in der Tat mit der geltend gemachten inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet. Eine solche Rechtsmeinung hat indes die belangte Behörde ihrer Entscheidung nicht zu Grunde gelegt. Vielmehr lässt die oben inhaltlich wiedergegebene Bescheidbegründung erkennen, dass die belangte Behörde, gestützt auf den schon erwähnten Magistratsbericht, davon ausging, dass die bestehende Gefahr eine Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Gesichtspunkte im öffentlichen Interesse nicht zulasse. Die Bemessung der Erfüllungsfrist beruht demnach nicht auf jener Rechtsmeinung, die der Beschwerdeführer zutreffend als rechtswidrig bekämpft, woraus folgt, dass der angefochtene Bescheid frei von der behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit ist.

Für die Erörterung der Verfahrensrüge ist es zunächst erforderlich, den Inhalt des Begriffes der Gefahr klarzustellen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes liegt Gefahr nicht, wie der Beschwerdeführer meint, erst dann vor, wenn an einem mit erheblichen Baugebrechen behafteten Gebäude eine konkret feststellbare (weitere) Verschlechterung des Bauzustandes eingetreten ist. Der in Rede stehende Begriff ist vielmehr im gegebenen Zusammenhang als ein Zustand zu umschreiben, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er nach dem durch eine sachkundige Person voraussehbaren Ablauf der Dinge früher oder später zu einem Schaden am Leben oder an der Gesundheit von Menschen führen muss. Der genaue Zeitpunkt, in dem dieser Schaden tatsächlich eintritt, kann auch durch einen Sachverständigen kaum jemals mit Sicherheit vorhergesehen werden; vielmehr wird es dem Sachverständigen in aller Regel nur möglich sein, jenen Zeitraum festzustellen, innerhalb dessen mit dem Eintritt des Schadens zu rechnen ist. Die Möglichkeit einer solchen Vorhersehbarkeit gehört daher nicht zu dem erörterten Begriff. Wohl aber ist es möglich, ein sachverständiges Urteil darüber zu fällen, ob die Gebrechen an einem Gebäude ungeachtet vorangeganger Pölzung ein solches Ausmaß und eine solche Beschaffenheit aufweisen, dass sie mit einer Gefahr im oben umschriebenen Sinne verbunden sind.

Im vorliegenden Beschwerdefall lag der belangten Behörde ein solches Urteil in Gestalt des - seiner Natur nach nur in theoretischen Erwägungen bestehenden - Magistratsberichtes vor. Da ferner, wie schon gesagt worden ist, die Feststellung einer Verschlechterung des Bauzustandes nicht Voraussetzung dafür war, dass die belangte Behörde auf die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Hausbewohner verzichten durfte, belastet auch der geltend gemachte Verfahrensmangel den angefochtenen Bescheid nicht.

Da der Gerichtshof sohin schon aus dem Inhalt der Beschwerde erkennen musste, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG 1965 ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Der Antrag des Beschwerdeführers, sein Ansuchen um Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an die belangte Behörde zu leiten, war bei dieser Situation gegenstandslos, da ein solcher Vorgang zufolge § 30 Abs. 2 letzter Satz VwGG 1965 nur im Rahmen des - hier entfallenden - Vorverfahrens stattzufinden hat.

Wien, am 19. Juni 1967

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1967:1967000818.X00

Im RIS seit

31.01.2002

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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