TE Vwgh BeschlussVS 1969/9/22 0945/68

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Veröffentlicht am 22.09.1969
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

VwGG §13 Z3;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z2 impl;
VwGG §42 Abs4 impl;
VwGG §42 Abs4;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 0946/68 B VS 22. September 1969; Siehe: 0945/68 B VS 25. Mai 1970 = Abgesonderter Kostenbeschluß.

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kaniak und die Hofräte Dr. Schimetschek, Dr. Eichler, Dr. Kaupp, Dr. Kadecka, Dr. Frühwald, Hofstätter, Kobzina und Dr. Reichel, als Richter im Beisein des Schriftführers Dr. Beran, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Die Beschwerde der Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, vertreten durch Dr. 0, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die gemäß § 35 Abs. 2 des Tiroler Fremdenverkehregesetzes beim Amt der Tiroler Landesregierung eingerichtete Berufungskommission wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGG 1965 als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung von Aufwandersatz bleibt gemäß § 59 Abs. 3 VwGG, 1965 einem abgesonderten Beschluß vorbehalten.

Begründung

Der Obmann des Fremdenverkehrsverbandes St. Jakob im Defreggental hatte der Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte mit Bescheid vom 24. Oktober 1966 und mit Bescheid vom 16. Oktober 1967 gemäß §§ 5 und 7 des Tiroler Landesgesetzes vorn 29. November 1962 , LGBl. Nr. 9/1963, über die Erhebung der Aufenthaltsabgabe (Aufenthaltsabgabegesetz) Aufenthaltsabgaben vorgeschrieben.

Gegen den Bescheid vom 24. Oktober 1966 hatte die Kärntner Gebietskrankenkasse für. Arbeiter und Angestellte mit Eingabe vom 7. November 1 9 66, gegen den Bescheid vom 16. Oktober 1967 mit Eingabe vom 30. Oktober 1967 Berufung erhoben.

Da die gemäß 35 Abs. 2 des Gesetzes vom 28. November 1962, LGBl. Nr. 8/1963, über die Förderung des Fremdenverkehrs (Tiroler Fremdenverkehrsgesetz) beim Amt der Bandesregierung eingerichtete Berufungskommission über, diese Berufungen nicht entschied, erhob die Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte gegen diese die vorliegende, am 1. Juli 1968 zur Post gegebene Säumnisbeschwerde.

Über diese Beschwerde leitete der Berichter mit Verfügung vom 28 . August 1968 das Vorverfahren ein und stellte der Berufungskommission als der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG 1965 frei, innerhalb der mit acht Wochen bemessenen Frist den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen. Diese Verfügung wurde der belangten Behörde am 5. September 1968 zugestellt.

Mit Bescheid vom 31. Oktober 1968 gab die belangte Behörde den Berufungen folge und hob die angefochtenen Bescheide vom 24. Oktober 1966 und vom 16. Oktober 1967 auf. Die Ausfertigung des Bescheides übersendete sie dem Fremdenverkehrsverband St. Jakob im Defreggental mit dem Auftrag, ihn dem Rechtsfreund der Beschwerdeführerin zuzustellen. Da der Bescheid beim Fremdenverkehrsverband St. Jakob im Defreggental erst am 5. November 1968 eintraf, ist er„ wiewohl er mit dem letzten Tag der gemäß § 36 Abs m 2 VwGG 1965 gesetzten. Frist datiert ist; nach Ablauf dieser Frist nach außen mitgeteilt und somit nicht fristgerecht erlassen worden.

Das Verfahren konnte daher gemäß § 36 Abs. 2 VwGG 1965 nicht eingestellt -werden. Wenn der verspätet nachgeholte Bescheid von dei:, Beschwerdeführerin nicht hingenommen worden wäre, hätte ihr, der Verwaltungsgerichtshof nach seiner Rechtsprechung im Zuge der gegen ihn erhobenen Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 lit. b VwGG 1965 aufzuheben und über die Säumnisbeschwerde In der Sache selbst zu entscheiden (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Oktober 1964, Zl. 759/64, und vom 9. November 1965, Zl. 1965/63). Da die Beschwerdeführerin eine Beschwerdeführung unterließ, wäre das Tierfahren in der Säumnisbeschwerde gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG 1965 (Klaglosstellung) einzustellen (vgl. etwa den Beschluß vom 21. September 1956, Zl. 1392/65)0

Nun ist aber keiner gesetzlichen Bestimmung zu. entnehmen daß das Offenbarwerden des verfahrensrechtlichen Sachverhaltes der Klaglosstellung davon abhängig wäre. ob ein Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof (oder allenfalls beim Verfassungsgerichtshof) bekämpft wird oder nicht. Der Fünfersenat VIII des Verwaltungsgerichtshofes konnte sich daher nicht entschließen, die Bahn der Einstellurig nacht § 33 VwGG 1965 ohne nähere Prüfung zu beschreiten, und stellte sich die Frage, ob dem Gesetze dadurch besser entsprochen würde, wenn er gemäß § 42 Abs. 4 VwGG 1965 in der Sache selbst entschiede. Bei der nachfolgenden Beschlußfassung ließ er sich von folgenden Erwägungen leiten:

Gegen die Untätigkeit der sachlich in Betracht kommenden "obersten" Behörde gewährte erst die Verfassung 1934 einen Schutz. Sie bestimmte im Art. 154 Abs. 1, daß der Bundesgerichtshof über. die Rechtsmäßigkeit t von Bescheiden der Verwaltungsbehörden zu erkennen habe, und enthielt im Abs. 3 als Neuerung folgenden Satz:

"Einem abweisenden Bescheid der :letzten Instanz ist es gleichzuhalten, wenn die oberste Instanz, die der Beschwerdeführer anzurufen rechtlich in der Zage wart nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat."

In der Säumnisbeschwerde sah man vorerst also nichts anderes als die Negation einer Bescheidbeschwerde. Als man im Jahre 1945 auf die Verfassung des Jahres 1920 (in der Fassung von 1929 ) zurückgriff, ging die verfassungsrechtliche Einrichtung der Säumnisbeschwerde zwar verloren, die Säumnisbeschwerde, als solche feierte aber ihre - wenn auch vorerst verfassungswidrige - Auferstehung im Gesetz, vom 12. Oktober 1945, BGBl. Nr. 208, über den Verwaltungsgerichtshof, dessen § 36 Abs. 2 lautete:

"Bei Säumnisbeschwerden nach § 19 Abs. 2 ist der belangten Behörde freizustellen, statt der Einbringung einer Gegenschrift innerhalb der hiefür bestimmten Frist den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dein Verwaltungsgerichtshof vorzulegen. ...

Lautet der Bescheid abweisend, so gilt er als bereits angefochten; der Beschwerdeführer hat jedoch das Recht, binnen sechs Wochen nach Zustellung des Bescheides die Beschwerde zu ergänzen. Die belangte Behörde ist dann berechtigt, .zu der Ergänzung der Beschwerde binnen einer mit längstens sechs Wochen festzusetzen den Frist eine Gegenäußerung zu erstatten."

Hier (im § 19 Abs. 2 ) und im § 27 VwGG 1945 findet sich zum ersten Male das Wort Säumnisbeschwerde. Da der abweisende Bescheid kraft Gesetzes angefochten galt, kam eine Einstellung des Verfahrens wegen Klaglosstellung durch Nachhollang des versäumten Bescheides nicht in Betracht. Lautete der Bescheid nicht abweisend, gab er dem Begehren statt, war die Beschwerde - wie der Rechtssatt des Erkenntnisses vom 8. Dezember 1950, Slg. Nr. 1813/A, sagt - zurückzuweisen und das Verfahren über die Klaglosstellung (also nicht über die Säumnisbeschwerde) einzustellen. Wurde der ausständige Bescheid von der mit Säumnisbeschwerde belangten Behörde erst nach Ablauf der hiefür eingeräumten Frist erlassen, dann war er unzuständigerweise erlassen, weil die Entscheidungszuständigkeit mittlerweile auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen war (Erkenntnis vom 8. Juli 1950; Slg. Nr. 1605/A).

Mit der Novelle 1952 erhielt der § 36 Abs. 2 VwGG die im wesentlichen noch heute geltende Fassung, wonach das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen ist, wenn der Bescheid fristgerecht erlassen wird.

Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof, Seite 195, sagt hiezu:

"Bis zur VwGG-Novelle 1952 bewirkte die Erlassuung des versäumten Bescheides sogar dann Klaglosstellung, wenn sie nach Ablauf der hierfür gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist, also unzuständigerweise erfolgte.

Heute wird man diese Ansicht allerdings nicht mehr vertreten können, denn gemäß § 36 Abs. 2 neuer Fassung ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde nur einzustellen, wenn der Bescheid fristgerecht erlassen wird. Diese Bestimmung wäre unverständlich wenn auch die nicht fristgerechte Behebung der Säumnis Klaglosstellung bewirken würde, mithin auch in diesem Falle das Verfahren einzustellen wäre."

Diese Ausführungen sind beachtlich.

Die Säumnisbeschwerde nach der Novelle 1952 ist nicht mehr die .Legation der Bescheidbeschwerde Denn während die belangte Behörde bei eine Bescheidbeschwerde `IM Verlauf des ganzen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof zuständig bleibt, den angefochtenen Bescheid. je nach den ihr durch das Gesetz gegebenen Möglichkeiten zu beseitigen bleibt bei der. Säumnisbeschwerde die belangte Behörde zur Nachholung des versäumten Bescheides nur bis zum Ablauf, der Frist des § 36 Abs. 2 VwGG zuständig. Nach Ablauf der Frist ist sie nicht mehr zuständig, den versäumten Bescheid - sei es stattgebend, sei es abweisend - nachzuholen (vgl. z. B, die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Juli 1953, Slg. Nr. 3077/A, vorn 9. November 1960 Zl. 870/60, vom 12. Oktober 1964, Zl. 759/64-, den Beschluß eines verstärkten Senates vom 1. Juli 1963, Zl. 2656/59, und, das :Erkenntnis vom 22. September 1966, Zl. 1566/65). Auch kann bei einer Bescheidbeschwerde der angefochtene Bescheid nach besonderen Vorschriften von. einer anderen als der belangten Behörde gesetzmäßig zurückgenommen werden (vgl. etwa den § 300 Bundesabgabenordnung), während bei einer Säumnisbeschwerde nur die belangte Behörde zur Nachholung des versäumten Bescheides zuständig ist. Wäre die von einem Beschwerdeführer als belangte Behörde bezeichnete Behörde zur Erlassung des 'gegehrten Bescheides in Wahrheit nicht zuständig, dann wäre dies; Behörde gar nicht säumig und die Beschwerde daher gemäß § 34 VwGG 1965 zurückzuweisen. Der Bescheid einer unzuständigen Behörde leidet an der im § 42 Abs. 2 lit. b VwGG 1965 bezeichneten Rechtswidrigkeit. Wird ein verspätet nachgeholter Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft„ dann ist er gemäß dieser Gesetzesstelle aufzuheben. Keiner gesetzlichen Bestimmung ist zu entnehmen, daß die Beendigung des Verfahrens über. die Säumnisbeschwerde durch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache selbst .nach § 42 Abs. 4 VwGG 1965 von der Aufhebung des verspätet erlassenen Bescheides wegen Unzuständigkeit abhängt.

Aus diesen Erwägungen. kam der Fünfersenat VIII zu der Auffassung, daß im vorliegenden Falle die Einstellung nach § 33 VwGG 1965 nicht gesetzmäßig wäre: und die Beschwerdeführerin auch nicht darüber einzuvernehmen ist, ob sie sich ausdrücklich oder stillschweigend klaglos gestellt erachtet.

In Verwirklichung dieses Ergebnisses der Beratung hätte im vorliegender, Falle der Gerichtshof nicht nach § 33 Abs. 1 VwGG 1965 das Verfahren einzustellen, sondern gemäß § 42 Abs. 4. VwGG 1965 in der Sache selbst durch Zurückweisung der Berufung zu entscheiden gehabt.

Da ein solches Ergebnis ein Abgehen von der bisherigen einleitend dargestellten Rechtsprechung bedeutet hätte, wurde der Fünfersenat gemäß. § 13 Abs. 1 VwGG 1965 verstärkt. Der so verstärkte Senat kam zu der Auffassung, daß die belangte Behörde der. nachgeholten Bescheid zwar als unzuständige Behörde erlassen hat, daß aber ungeachtet dessen das Verfahren. gemäß § 33 VwGG 1965 einzustellen ist, weil diese Bestimmung auch für die Säumnisbeschwerde gelte, gleichgültig, ob der nachgeholte Bescheid abweisend. oder stattgebend lautet , sofern nicht der § 39 Abs. 2 VwGG 1965 zur Anwendung kommt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 33 Abs. 1 VwGG 1965 als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Da die Beschwerdeführerin in der Beschwerde einen. Antrag auf Zuerkennung Von Aufwandersatz bestellt hatte, war auch über diesen durch den verstärkten Senat zu erkennen. Da sich aber der Senat wegen verfassungsrechtliche Bedenket. gegen § 56 VwGG 1965 zu einer Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 B.-VG. veranlaßt sah, bleibt die Entscheidung über diesen Antrag einem abgesonderten Beschluß vorbehalten.

Wien, am 22. September 1969

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1969:1968000945.X00

Im RIS seit

10.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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