TE Vwgh Beschluss 1969/11/20 0778/69

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Veröffentlicht am 20.11.1969
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
72/02 Studienrecht allgemein;

Norm

B-VG Art132;
DisziplinarO Hochschüler 1945 §18;
VwGG §27;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 0903/69 - 0917/69

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Donner und die Hofräte Dr. Naderer, Dr. Hinterauer, Dr. Knoll und Dr. Zach als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bily, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Beschwerde des Disziplinaranwaltes der Universität Wien gegen die Disziplinarkommission für Studierende an der Universität Wien wegen Verletzung der Entscheidungspflicht, betreffend Erledigung von Disziplinarangelegenheiten, wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach den Angaben des Beschwerdeführers hat die Disziplinarkommission für Studierende an der Universität Wien (vermutlich durch einen Disziplinarsenat) am 17. Juni 1968 den Beschluß gefaßt, gegen den Studierenden HH ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Einen gleichen Beschluß faßte die Kommission am 25. April 1967 hinsichtlich des Studierenden OV, am 17. Juni 1968 hinsichtlich des Studierenden AA, am 14. Oktober 1965 hinsichtlich des Studierenden WE und am 24. Juni 1968 hinsichtlich 12 weiteren Studierenden. Die Disziplinarkommission habe es unterlassen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und eine Entscheidung zu treffen, da eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes dies in anarchischer Vermessenheit verweigere. Die Frist zur Einbringung der Säumnisbeschwerde sei gemäß Art. 132 B-VG in Verbindung mit § 27 VwGG 1965 gewahrt. Die Disziplinarfälle seien nicht in mündlicher Verhandlung behandelt worden, weil die Österreichische Hochschülerschaft entgegen ihrer sich aus § 2 Abs. 2 des Hochschülerschaftsgesetzes, BGBl. Nr. 174/1950, ergebenden Verpflichtung sich geweigert habe, ihre Vertreter in die Disziplinarkommission zu entsenden. Das Bundesministerium für Unterricht habe keine entsprechende Aufsichtshandlung gesetzt. Die Disziplinarkommission, sei daher nicht so zusammengesetzt, wie es die Hochschüler-Disziplinarordnung (Verordnung des Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten vom 3. September 1945 über die Disziplinarordnung für Hochschüler, Prüfungskandidaten und Bewerber um akademische Grade sowie Benützer der Hochschuleinrichtungen, StGBl. Nr. 169, die auf Grund des damals noch in Geltung gestandenen § 1, Punkt D, Z. 2 des Hochschulermächtigungsgesetzes, BGBl. Nr. 266/1935, erlassen wurde) fordere, um ein gesetzmäßiges Disziplinarverfahren zu gewährleisten. Wenn die Disziplinarkommission außer Stand gesetzt wird, die Hochschul-Disziplinarordnung zu vollziehen, so dürfe darunter die Wahrnehmung berechtigter Interessen der Hochschule und derjenigen, gegen die ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, nicht leiden. Der Disziplinaranwalt sei gemäß § 18 Hochschul-Disziplinarordnung hiezu berufen, die akademischen Interessen zu vertreten. Das Mittel der Disziplinarbeschwerde gebe ihm die Möglichkeit, seiner ihm nach der Hochschul-Disziplinarordnung übertragenen Pflicht nachzukommen. Er stelle daher den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge anstelle der Disziplinarkommission für Studierende an der Universität Wien in den oben angeführten Disziplinarfällen die Entscheidungen gemäß der Hochschul-Disziplinarordnung fällen, nachdem er eine mündliche Verhandlung durchgeführt habe.

Schon aus den Ausführungen der Beschwerde ist ersichtlich, daß die zunächst maßgebende Rechtsfrage darin besteht, ob der Disziplinaranwalt für Studierende der Universität Wien erster Instanz berechtigt ist, eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einem Disziplinarverfahren gegen Hochschüler, Prüfungskandidaten und Bewerber um akademische Grade sowie Benützer von Hochschuleinrichtungen gegen die Disziplinarkommission (den zuständigen Disziplinarsenat) zu erheben. Der Beschwerdeführer hält sich hiefür legitimiert, weil ihm im Disziplinarverfahren gegen Studierende zufolge der rechtlichen Interessen, die er gemäß § 18 der Hochschüler-Disziplinarordnung zu vertreten hat, Parteistellung zukomme. Die Disziplinarordnung gebe ihm darüber hinaus das Recht, Berufung gegen die Ablehnung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens einzubringen; dasselbe gelte für die Einstellung des Verfahrens und die Anfechtung eines Disziplinarerkenntnisses. Diese Berufungsrechte deuten nach Ansicht des Beschwerdeführers auf seine Stellung als Partei im Disziplinarverfahren hin. Dazu komme; daß sich der Disziplinaranwalt für Studierende gemäß § 23 Abs. 2 VwGG 1965 als vertretungsbefugtes Organ des Bundes erachte. Das leite er aus seiner Stellung gemäß der Hochschüler-Disziplinarordnung ab.

Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.

§ 27 VwGG 1965 bestimmt ergänzend, daß die Säumnisbeschwerde nach Art. 132 B-VG erhoben werden kann, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Mithin hängt die Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde im vorliegenden Fall von der Frage ab, ob der Beschwerdeführer berechtigt war, im Verwaltungsverfahren als Partei die Entscheidungspflicht der belangten Behörde geltend zu machen (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 12. Juli 1950, Slg. N. F. Nr. 1622/A). Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 17. September 1959, Slg. N. F. Nr. 5049/A, ausgesprochen hat, hat die Rechtseinrichtung der Säumnisbeschwerde mit der Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG gemeinsam, daß mit ihr nicht jede objektive Rechtswidrigkeit geltend gemacht werden kann, sondern daß eine qualifizierte Rechtswidrigkeit, nämlich die Verletzung eines subjektiven Rechtes des Beschwerdeführers (im Falle der Säumnisbeschwerde seines Anspruches auf eine Sachentscheidung) vorliegen muß, um ihn zur Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes zu legitimieren. Ein Einschreiten der Behörde kann nur dann erzwungen werden, wenn die Rechtsordnung einen Anspruch auf die behördliche Entscheidung zuerkennt (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 1969, Zl. 1756/67). Der Verwaltungsgerichtshof hat des weiteren zum Ausdruck gebracht, daß ein Anrainer, obwohl Partei, die Verletzung der Entscheidungspflicht nicht geltend machen könne, solange kein Eingriff in seine Rechtssphäre stattgefunden habe (vgl. den hg. Beschluß vom 16. April 1958, Slg. N. F. Nr. 4640/A, und das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 1964, Slg. N. F. Nr. 6446/A). Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob der beschwerdeführende Disziplinaranwalt durch die Hochschüler-Disziplinarordnung in seinen Rechten geschützt ist. Der von ihm angeführte § 18 der Hochschüler-Disziplinarordnung bietet hiefür keinen Anhaltspunkt. Sein Abs. 1 besagt, daß zur Vertretung der durch Pflichtwidrigkeiten von Studierenden verletzten akademischen Interessen für jede Disziplinarkommission erster Instanz und für die Disziplinaroberkommission ein Disziplinaranwalt und die erforderliche Zahl von Stellvertretern zu berufen ist. Hieraus geht hervor, daß der Disziplinaranwalt im Disziplinarverfahren gegen Studierende nicht seine rechtlichen Interessen vertritt, sondern im Verfahren der ersten Instanz die Interessen der Hochschule zu vertreten hat. Er ist daher nicht Partei des Disziplinarverfahrens, sondern ein mit in der Hochschul-Disziplinarordnung abschließend aufgezählten Rechten ausgestatteter Vertreter öffentlicher Interessen, im konkreten Fall eben der akademischen Interessen. Daß der Disziplinaranwalt erster Instanz ebenso wie der zweiter Instanz nicht Partei des Disziplinarverfahrens ist, geht im übrigen auch daraus hervor, daß er nicht hiezu legitimiert ist, in beiden Instanzen aufzutreten. Demnach scheidet die Möglichkeit der Verletzung subjektiver Rechte des beschwerdeführenden Disziplinaranwaltes durch eine Entscheidung der Disziplinarkommission aus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. April 1966, Zl. 303/66, und vom 17. September 1968, Zl. 187/68, und den hg. Beschluß vom 27. März 1968, Zl. 218/68). Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 26. November 1953, Slg. N. F. Nr. 3216/A, ausgesprochen, die Befugnis, Berufung zu ergreifen, wenn der Bescheid dem Antrag oder, der abgegebenen Stellungnahme nicht entspricht, vermöge wohl kraft positiver gesetzlicher Vorschrift im Verwaltungsverfahren eine der Parteistellung nachgebildete Position zu verschaffen, nicht aber die Beschwerdeberechtigung vor dem Verwaltungsgerichtshof. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof auch in diesem Falle (einer Bescheidbeschwerde) zum Ausdruck gebracht, daß die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung ausscheidet. Es handelte sich hiebei darum, daß dem Arbeitsinspektorat (einer staatlichen Dienststelle, die auch als Behörde tätig wird) das Recht der Berufung eingeräumt wurde. Dem Beschwerdeführer wurde indes durch die in Betracht kommende auf Gesetzesstufe stehende Norm (die Hochschüler-Disziplinarordnung) nicht die Stellung einer Partei eingeräumt, wie dies etwa hinsichtlich des Kammeranwaltes in § 6 zweiter Satz der Wirtschaftstreuhänder-Disziplinarordnung, BGBl. Nr. 63/1962, allerdings in einer gesetzestechnisch unbefriedigenden Form der Fall ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 1968, Zl. 138/66). Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß dem Beschwerdeführer Parteistellung im Disziplinarverfahren gegen Studierende deshalb nicht zukommt, weil er durch das Gesetz weder in seinen Rechten geschützt ist noch die Rechtsordnung ihm die formale Stellung einer Partei einräumt. Der Verwaltungsgerichtshof kann es im gegenständlichen Fall dahingestellt sein lassen, ob die Stellung einer formalen Partei in jedem Fall die Berechtigung gibt, die Verletzung der Entscheidungspflicht vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend zu machen, weil dem Disziplinaranwalt diese Stellung nicht eingeräumt ist. Seine Rechte und rechtlichen Interessen sind jedenfalls durch die Säumigkeit der Disziplinarkommission nicht berührt.

Dies räumt der Beschwerdeführer im übrigen selbst ein, indem er sich auf § 23 Abs. 2 VwGG 1965 beruft. Dort ist die Vertretung des Bundes, der Länder, der Gemeinden und anderen Selbstverwaltungskörper durch ihre vertretungsbefugten oder bevollmächtigten Organe vor dem Verwaltungsgerichtshof geregelt. Damit gibt aber der beschwerdeführende Disziplinaranwalt zu, daß er nicht seine von der Rechtsordnung geschützten Interessen, sondern die des Bundes verficht. Wie oben schon ausgeführt wurde, kommt ihm damit nicht die Stellung einer Partei zu, die gemäß Art. 132 B-VG und § 27 VwGG 1965 berechtigt wäre, vor dem Verwaltungsgerichtshof die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde geltend zu machen.

Die Beschwerde war aus den angegebenen Gründen mangels der Berechtigung des Disziplinaranwaltes zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG 1965 zurückzuweisen.

Dem Beschwerdeführer ist indes zuzugestehen, daß durch die Lahmlegung der Disziplinarbehörden für Studierende die öffentlichen Interessen geschädigt werden. In Anbetracht der geltenden Rechtslage ist es aber Sache des Bundesgesetzgebers, geeignete Abhilfe zu schaffen.

Wien, am 20.11.1969

Schlagworte

Anspruch auf Sachentscheidung Besondere Rechtsgebiete Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten Anspruch auf Sachentscheidung Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1969:1969000778.X00

Im RIS seit

11.06.2002

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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