TE Vwgh Erkenntnis 1971/2/11 0093/71

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Veröffentlicht am 11.02.1971
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Index

L10018 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Vorarlberg;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 litb;
BAO §308 Abs1 impl;
B-VG Art119a Abs5 impl;
GdG Vlbg 1965;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Hinterauer, Dr. Knoll, Dr. Zach und Dr. Karlik als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Weinke, über die Beschwerde des J M in F, vertreten durch Dr. Paul F. Renn, Rechtsanwalt in Dornbirn, Eisengasse 10, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 27. November 1970, Zl. PrsA 137/653, betreffend Abfertigung nach dem Gemeindeangestelltengesetz, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit Beschluss der Stadtvertretung von Feldkirch, mitgeteilt mit Bescheid des Bürgermeisters dieser Stadt vom 25. März 1970, Zl. Ic, wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch vom 10. September 1969, Zl. Ic-Dr.Bl./G, betreffend Festsetzung der Abfertigung, nicht Folge gegeben. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Juni 1970, Zl. 852/70, zurück. In der Begründung wurde unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Beschlüsse vom 4. Juli 1966, Slg. N. F. Nr. 6966/A, und vom 16. Dezember 1968, Zl. 1592/68) ausgeführt, dass in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, in den nach § 2 Abs. 1 des Vorarlberger Gesetzes über das Dienstrecht der Gemeindeangestellten der Hoheitsverwaltung, LGBl. Nr. 1/1963, die dienstrechtlichen Angelegenheiten der Gemeindeangestellten fielen, die unmittelbare Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gegen den Bescheid des obersten Gemeindeorgans unzulässig sei.

Nach den Angaben der nunmehr eingebrachten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof brachte der Beschwerdeführer am 30. Juli 1970, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, das Rechtsmittel der "Vorstellung" ein. Der Wiedereinsetzungsantrag habe sich - so die Ausführungen der Beschwerde - darauf gestützt, dass der Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Feldkirch vom 25. März 1970, der auf Grund eines Beschlusses der Stadtvertretung Feldkirch vom 27. November 1969 ergangen sei, eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung enthalten habe (§ 71 Abs. 1 lit. b AVG 1950). In zweiter Linie habe der Beschwerdeführer sich auf § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 berufen, da die Rechtsmittelbelehrung "mindestens" als irreführend angesehen werden müsse und daher das unvorhergesehene und unabwendbare Ereignis der Versäumung der Rechtsmittelfrist nach sich gezogen habe.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung sei weder durch die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch in der ersten Instanz noch im Rechtsmittelverfahren Folge gegeben worden. Der angefochtene Bescheid der belangten Behörde bestätigte jedenfalls die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch die erste Instanz. Aus den Ausführungen der Begründung ist ersichtlich, die erstinstanzliche Behörde habe die gesetzlichen Vorraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1950 nicht als gegeben erachtet, weil die in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides der Stadt Feldkirch vom 25. März 1970 enthaltene Angabe, dass keine Berufung mehr zulässig sei, nicht unrichtig sei. Auch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis könne zufolge dieser Rechtsmittelbelehrung nicht vorliegen. Da damit die Vorstellung verspätet eingebracht worden sei, müsse diese zurückgewiesen werden. In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung sei dargelegt worden, der Begriff "Berufung" in § 71 Abs. 1 lit. b AVG dürfe nicht eng ausgelegt werden. Es sei damit schlechthin ein Rechtsmittel gemeint. Im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 sei grundsätzlich die Rechtsmittelbelehrung zur Pflicht gemacht, die verletzt werde, wenn die Belehrung fehle, unvollständig oder unrichtig sei. Im vorliegenden Fall sei zwar eine Berufung nicht möglich gewesen, wohl aber eine Vorstellung. Die Möglichkeit dieses Rechtsmittels habe aber die belangte Behörde verschwiegen. Die Rechtsmittelbelehrung könne als fälschlich, unvollständig und fehlerhaft bezeichnet werden. Schließlich sei auch das vorgebrachte Argument, dass die in Rede stehende Rechtsmittelbelehrung ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis sei, nicht weit hergeholt und von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch zu Unrecht bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden.

Nach Ansicht der Berufungsbehörde hingegen sei es begrifflich nicht denkbar, unter "Ereignis" im Sinne des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 eine Rechtsmittelbelehrung, wie immer sie beschaffen sein möge, zu verstehen. Ein Ereignis sei ein Vorgang in der Außenwelt, also etwas, was sich außerhalb der behördlichen Tätigkeit abspiele. Als ein unvorhergesehenes Ereignis sei demnach etwa eine plötzliche Krankheit oder ein Katastrophenfall anzusehen. Dass der Gesetzgeber eine Rechtsmittelbelehrung nicht darunter verstanden wissen wollte, könne auch daraus entnommen werden, dass hiefür ein eigener Wiedereinsetzungstatbestand normiert worden sei.

Unter Berufung im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. b AVG 1950 sei das ordentliche, aufschiebende und aufsteigende Rechtsmittel verstanden, das an die im Instanzenzug übergeordnete Behörde gerichtet sei. Eine solche Berufung sei aber gegen den Bescheid der Stadtvertretung Feldkirch vom 25. März 1970 nicht möglich gewesen, weil unbestrittenermaßen durch diesen Bescheid über eine in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallende Angelegenheit abgesprochen worden sei. Derartige Angelegenheiten habe die Gemeinde aber gemäß § 16 Abs. 2 des Gemeindegesetzes in eigener Verantwortung, frei von Weisungen und unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen, wobei allerdings das Aufsichtsmittel der Vorstellung hier eine gewisse Ausnahme bilde. Das Typische des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde sei daher u. a., dass es keinen ordentlichen Rechtszug an eine staatliche Behörde gebe. Betrachte man nun die hier strittige Rechtsmittelbelehrung, so müsse man feststellen, dass nur auf diese rechtliche Tatsache und auf nichts anderes hingewiesen werde. Eine solche Angabe entspreche damit aber der bestehenden Rechtslage und könne aus diesem Grunde nicht als fälschlich bezeichnet werden. Hiedurch sei auch gesagt, dass die nach den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 aufgestellte Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung nicht verletzt worden sei. Auch nach Auffassung der Berufungsbehörde seien damit die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 71 Abs. 1 lit. b AVG 1950 nicht erfüllt. Die Behörde erster Instanz habe zu Recht die Wiedereinsetzung nicht bewilligt und die Vorstellung als verspätet zurückgewiesen.

Ohne Einfluss auf diesen Rechtsstandpunkt sei die Ansicht der belangten Behörde, dass jeder Bescheid einer Gemeindebehörde, gegen den die Vorstellung zulässig sei, eine Belehrung hierüber enthalten sollte. Eine gesetzliche Verpflichtung hiezu bestehe allerdings nicht. Der Mangel der Belehrung könne daher keine rechtlichen Folgen nach sich ziehen. Wenn der Beschwerdeführer ganz allgemein darauf verweise, dass einem Staatsbürger aus formalen Gründen nicht sein Recht versagt werden solle, so müsse dem entgegengehalten werden, dass den Verfahrensvorschriften im Interesse der Rechtsstaatlichkeit dieselbe Beachtung geschenkt werden müsse, wie dies für die materiell-rechtlichen Bestimmungen gelte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde zu Unrecht bestätigt habe, der Bescheid der Stadtvertretung Feldkirch habe rechtmäßigerweise die Rechtsmittelbelehrung enthalten, eine Berufung sei unzulässig. Bei richtiger Anwendung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 hätte dieser Bescheid in der Rechtsmittelbelehrung auch auf die Möglichkeit der Vorstellung hinweisen müssen. Da die Ausnahmebestimmungen des § 58 AVG 1950 im vorliegenden Fall nicht zuträfen, hätte der Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Vorstellung enthalten müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 30. Juni 1969, Zl. 1645/67, ausgesprochen, soweit vor der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1962 zwischen den Gemeindebehörden und den staatlichen Behörden durch das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz eine Verbindung bestanden habe - der eigene Wirkungsbereich der Gemeinden habe sich hier lediglich auf die Zuständigkeit als Behörde der untersten Stufe zu entscheiden, beschränkt - sei sie durch die Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1962 getrennt worden, sodass es nunmehr zwei für sich völlig getrennte Anwendungsbereiche des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 gebe, und zwar einen innerhalb der Gemeinde und einen innerhalb der staatlichen Behörden. In den "AVG-Bereich" der staatlichen Behörden könnten die Gemeinden nicht mehr als Behörden einbezogen gelten, sondern nur mehr als "Partei" (Art. 119 a Abs. 9 B-VG) mit allen sich daraus zufolge § 8 AVG 1950 ergebenden rechtlichen Konsequenzen. Es könne bei keiner Tätigkeit der staatlichen Behörden im Gemeindeaufsichtsverfahren die Gemeinde behördliche Befugnisse ausüben. Dies gelte insbesondere im Rahmen des § 71 AVG 1950. Infolge der durch die Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1962 bewirkten vollständigen Trennung der behördlichen Einheit, einerseits innerhalb des Gemeindebereiches und anderseits innerhalb des staatlichen Bereiches, müsse daher auch im Falle der Geltendmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes nach § 71 AVG 1950 streng auseinander gehalten werden, ob es sich darum handle, dass eine Berufungsfrist versäumt worden sei oder um die Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung im Sinne des Art. 119 a Abs. 5 B-VG. Im Vorstellungsverfahren könne nur die Aufsichtsbehörde entscheiden, ob sie einem Wiedereinsetzungsantrag wegen versäumter Vorstellungsfrist stattgebe. Glaube eine Gemeinde, dass eine von der Vorstellungsbehörde bewilligte Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Vorstellungsfrist in ihre Rechte eingreife, dann stehe ihr zufolge Art. 119 a Abs. 9 B-VG das Recht zu, dagegen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof zu erheben.

Gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

a) die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, oder

b) die Partei die Berufungsfrist versäumt hat, weil der Bescheid fälschlich die Angabe enthält, dass keine Berufung zulässig sei.

Der Beschwerdeführer ist nun der Auffassung, dass der Bescheid der Stadtvertretung Feldkirch fälschlich die Angabe enthielt, dass keine Berufung zulässig sei, und dass dieser Umstand die erstinstanzliche Behörde des Vorstellungsverfahrens hätte veranlassen müssen, die Wiedereinsetzung zu bewilligen.

Er kann aber selbst nicht bestreiten, dass gegen den Bescheid der Stadtvertretung Feldkirch eine Berufung nicht zulässig war. Er meint aber, dass der Begriff der Berufung hier nicht wörtlich zu verstehen sei. Darunter könnten auch andere Rechtsmittel verstanden werden. Darin könnte ihm allenfalls soweit gefolgt werden, als alle Rechtsmittel in einem einheitlichen Instanzenzug ohne Rücksicht auf ihre Benennung unter den Begriff der Berufung im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. b AVG 1950 zu subsumieren sein könnten. Er übersieht aber, dass im Gemeindeverfahren der Instanzenzug im Sinne des Art. 118 Abs. 4 B-VG mit der Entscheidung der Stadtvertretung Feldkirch erschöpft war. Mit der Ergreifung des Rechtsmittels der Vorstellung begann ein anders geartetes Verwaltungsverfahren, das Vorstellungsverfahren vor den Landesbehörden (Bezirkshauptmannschaft und Landesregierung). Die Stadtvertretung Feldkirch, die im Gemeindeverfahren letzte Instanz war, verletzte daher das Gesetz nicht, wenn sie in der Rechtsmittelbelehrung zum Ausdruck brachte, dass eine Berufung nicht zulässig war, d. h. der einheitliche Rechtszug im Gemeindeverfahren nicht fortgesetzt werden konnte. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, so hätte er die letztinstanzliche Gemeindebehörde ausdrücklich verpflichten müssen, in der Rechtsmittelbelehrung auf die Möglichkeit des außerordentlichen Rechtsmittels der Vorstellung hinzuweisen. Von einer solchen Regelung machte jedoch weder der Bundesgesetzgeber auf Grund des Art. II Abs. 2 B-VG noch der Gesetzgeber des Landes Vorarlberg Gebrauch. Weder das Gesetz über die Organisation der Gemeindeverwaltung (Gemeindegesetz - GG.), Vorarlberger LGBl. Nr. 45/1965, noch ein anderes Gesetz des Landes Vorarlberg sehen eine derartige Regelung vor.

Der Verwaltungsgerichtshof weist darauf hin, dass über die Möglichkeit der Einbringung des Rechtsmittels der Vorstellung im Bescheid der Stadtvertretung Feldkirch keine unrichtige Angabe enthalten war. Die Behörde hat in dieser Hinsicht geschwiegen. Das Schweigen über die Möglichkeit eines Rechtsmittels stellt aber keinen Wiedereinsetzungsgrund dar, sofern nicht im konkreten Fall das Gesetz das Gegenteil vorschreibt. Der Beschwerde kommt infolgedessen keine Berechtigung zu, soweit sie sich auf § 71 Abs. 1 lit. b AVG 1950 stützt.

Der Beschwerdeführer ist aber auch nicht im Recht, wenn er vermeint, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 vorlagen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 11. Mai 1950, Slg. N.F. Nr. 1424/A, zum Ausdruck gebracht, dass ein Irrtum über die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu ergreifen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu rechtfertigen vermag. Was der Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschluss für das außerordentliche Rechtsmittel der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, gilt in gleicher Weise auch für die Vorstellung.

Die Beschwerde war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG 1965 ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 11. Februar 1971

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1971:1971000093.X00

Im RIS seit

11.02.1971

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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