TE Vwgh Erkenntnis 1971/11/30 0904/71

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Veröffentlicht am 30.11.1971
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §198 Abs2;
BAO §273 Abs1 lita;
BAO §289 Abs1;
BAO §295 Abs1;
BAO §303 Abs4;
BAO §93 Abs2;
BAO §93 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schimetschek und die Hofräte Dr. Kaupp, Hofstätter, DDr. Heller und Dr. Simon als Richter, im Beisein des Schriftführers Finanzkommissär Dr. Leitner über die Beschwerde des Dr. HP in W, vertreten durch Dr. Gottfried Peloschek, Rechtsanwalt in Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat) vom 20. April 1971, Zl. VI-2893/2/70, betreffend Einkommensteuer 1965 bis 1967 und Umsatzsteuer 1964 bis 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit mit ihm über die Einkommensteuer 1965 bis 1967 und die Umsatzsteuer betreffend 1964, 1966 und 1967 entschieden worden ist, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Beschwerde wird betreffend Umsatzsteuer 1965 zurückgewiesen.

Der Bund (Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 1.090,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Röntgenfacharzt und wird beim Finanzamt für den VIII., XVI. und XVII. Bezirk in Wien (im folgenden als Finanzamt bezeichnet) zur Einkommen- und Umsatzsteuer veranlagt. 1964 erwarb er im Erbweg einen Drittelanteil eines Wohnhauses in Wien, D.-gasse 4. Ab 1965 ist er Alleineigentümer dieses Gebäudes.

Am 7. Juli 1969 erließ das Finanzamt nachstehende Bescheide, in denen es sich hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf den vorerwähnten Feststellungsbescheid des Finanzamtes für den XII., XIII., XIV. und XXIII. Bezirk stütze:

1. Für 1964: Einen gemäß § 295 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid, mit welchem die AfA von dem Objekt D.- gasse 4 wie im Feststellungsbescheid mit S 4.039,-- berechnet wurde. Gleichzeitig erließ das Finanzamt eine Berufungsvorentscheidung, mit der es die offene Berufung gegen den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1964 mit der Begründung abwies, dass dieser mit dem genannten Berichtigungsbescheid entsprochen worden sei.

2. Für 1965: Eine Berufungsvorentscheidung über die Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid; wobei die AfA für das gegenständliche Gebäude mit S 16.156,-- angesetzt wurde.

3. Für 1966 und 1967: Erstbescheide, mit denen betreffend die Umsatzsteuer - wie für die Jahre 1964 und 1965 - der Erklärung gefolgt wurde. Bei der Einkommensteuerfestsetzung für diese beiden Jahre wurde die AfA vom Gebäude D.-gasse 4 - wie für 1965 - mit jeweils S 16.156,-- berücksichtigt.

Sämtliche vorstehend genannten Bescheide vom 7. Juli 1969 erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.

In den Akten befindet sich eine Ablichtung der Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes für den XII., XIII., XIV. und XXIII. Bezirk vom 24. Oktober 1969 betreffend die Feststellung der Einkünfte der Hausgemeinschaft D.-gasse 4 für 1964. Im Spruch dieses Bescheides heißt es, dass der Berufung stattgegeben werde.

Die Begründung lautet wie folgt:

"Für den im Erbwege erworbenen, Anteil (1/3) wurde die AfA von den Herstellungskosten und für den durch Kauf erworbenen (2/3) Anteil die AfA von den Anschaffungskosten gem. § 9 Abs. 1 Z. 6 EStG errechnet. Die fiktiven Anschaffungskosten zum 1. 1. 1963 wurden einvernehmlich mit S 400.000,-- ermittelt u. hievon ein Anteil für Grund u. Boden von S 80.000,-- (20 %) ausgeschieden, sodass für das Gebäude S 320.000,-- verbleiben. Die Restnutzungsdauer wurde einvernehmlich auf Grund der objektiven baulichen Beschaffenheit des Gebäudes zum 1. 1. 1963 mit 40 Jahren angenommen. Die AfA wurde daher mit 2,5 % von S 320.000,-- = S

8.000,-- berechnet, jedoch nur aliquot für 9/12 = S 6.000,-- und

nur für den 2/3 Anteil = S 4.000,-- als Werbungskosten anerkannt.

Die Neuherstellungskosten wurden mit S 2,035.724,-- anerkannt. Es wurde jedoch die seit der Erbauung im Jahre 1903 eingetretene Abnutzung, die sich in der nach § 7 EStG zu ermittelnden AfA darstellt, im Betrage von S 1,241.779,-- (bisherige Nutzung 61 Jahre) von den Neuherstellungskosten in Abzug gebracht. Der verbleibende Betrag von S 793.945,-- wurde auf die Restnutzungsdauer von 39 Jahren verteilt. Die AfA wurde daher mit 1/39 von S 793.945,-- = S 20.357,-- errechnet, jedoch nur aliquot = S 15.268,-- und nur für den 1/3 Anteil mit S 5.089,-- als Werbungskosten anerkannt."

Diese Berufungsvorentscheidung nahm das Finanzamt zum Anlass, am 16. Juni 1970 neuerlich Bescheide betreffend die Jahre 1964 bis 1967 hinauszugeben. Es handelt sich dabei betreffend die Jahre 1964, 1966 und 1967 um Bescheidvordrucke mit der Überschrift "Umsatz- und Einkommensteuerbescheid" und dem darüber befindlichen handschriftlichen Vermerk "Änderung gem. § 295 BAO". Jene Teile der Vordrucke, die sich auf die Berechnung und Festsetzung der Umsatzsteuer beziehen, sind jeweils durchgestrichen und es findet sich dort der handschriftliche Vermerk "unverändert!". Für das Jahr 1965 erging ein Bescheid auf einem mit Berufungsvorentscheidung überschriebenen Vordruck, der entsprechende Spalten für die Berechnung und Festsetzung von Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer enthält. Einleitend heißt es in diesem Bescheid: "Über die Berufung ...... gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1965 wird auf Grund des § 276 BAO entschieden", der für die Gewerbesteuerberechnung und - festsetzung vorgesehene Raum ist durchstrichen. Die für die Umsatzsteuer vorgesehenen Abschnitte tragen den handschriftlichen Vermerk "unverändert!" Bei der Einkommensteuerberechnung für sämtliche Jahre wurde von einer AfA für das Gebäude D.-gasse 4 von S 8.000,-- (für 1964 aliquot S 6.000,--) ausgegangen.

Am 25. Juni 1970 erhob der Beschwerdeführer gegen die vorgenannten Bescheide Berufung, die er ausdrücklich als Berufung gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 1964 bis 1967 bezeichnete. In der Anführung der angefochtenen Bescheide wurden folgende Bescheide aufgezählt: 1. Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 1964, 2. Berufungsvorentscheidung, Einkommensteuerbescheid 1965, 3. Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 1966, 4. Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 1967. In der Ausführung dieses Schriftsatzes wurde allerdings nur begehrt, die AfA des mehrfach erwähnten Hauses mit jährlich S 20.357,-- (für 1964 mit S 5.089,-- ) zu berücksichtigen.

Auf Grund dieser Berufung erließ das Finanzamt am 16. September 1970 für jedes der Jahre 1964 bis 1967 eine Berufungsvorentscheidung. Für jeden dieser vier Bescheide wurde der Vordruck "Berufungsvorentscheidung" verwendet, wobei ebenfalls jeweils der für die Gewerbesteuerberechnung und -festsetzung vorgesehene Raum durchstrichen ist und die für die Umsatzsteuer vorgesehenen Abschnitte den handschriftlichen Vermerk "unverändert!" tragen. Alle vier Berufungsvorentscheidungen enthalten im Spruch die Feststellung, dass der Berufung stattgegeben werde. Die AfA des Gebäudes D.-gasse 4 wurde entsprechend dem Begehren in der Berufung vom 25. Juni 1970 in Ansatz gebracht.

In einem als Ergänzung der Berufung vom 25. Juni 1970 bezeichneten Schriftsatz vom 17. September 1970 bezog sich der Beschwerdeführer auf das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1970, Zl. 221/70, demzufolge Wahlarzthonorare umsatzsteuerfrei seien. In einer Beilage gliederte der Beschwerdeführer die Einnahmen für seine Wahlarzttätigkeit in den Jahren 1964 bis 1967 auf. Er stellte den Antrag, die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1964 bis 1967 derart abzuändern, dass die obenangeführten Wahlarzthonorare als gem. § 4 (1) Z. 11 lit. a UStG umsatzsteuerbefreit sind, und die Umsatzsteuer in den einzelnen Jahren um die wie oben berechneten Umsatzsteuerbeträge reduziert wird. In diesem Sinne werden auch die Einkommensteuerbescheide abzuändern sein".

Mit einem weiteren Schriftsatz vom 18. September 1970, der als "Berichtigung der Eingabe vom 17. 9. 1970 hinsichtlich Berufung vom 25. 6. 1970" bezeichnet ist, führte der Beschwerdeführer aus, dass die Umsatz- und Einkommensteuer 1965 mit Berufungsvorentscheidung vom 16. Juni 1970 festgesetzt worden sei. Der Beschwerdeführer habe mit Eingabe vom 25. Juni 1970 die "Beschwerde" gegen diese Berufungsvorentscheidung als Berufung bezeichnet. Tatsächlich handle es sich um einen Antrag auf Vorlage an die Finanzlandesdirektion in offener Frist.

Schließlich stellt der Beschwerdeführer am 24. September 1970 den Antrag, seine Berufungen vom 25. Juni 1970 gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 1964 bis 1967 samt den Ergänzungen vom 17. September 1970 und vom 18. September 1970 der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde über die Einkommensteuer 1964 bis 1967 und die Umsatzsteuer 1964, 1966 und 1967, wie folgt, entschieden:

a) Der Berufung betreffend Einkommensteuer 1964 wurde im Umfang der Berufungsvorentscheidung vom 16. September 1970 vollinhaltlich Folge gegeben und die Einkommensteuer entsprechend festgesetzt.

b) Die übrigen angefochtenen Bescheide des Finanzamtes wurden aufgehoben.

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung wie folgt begründet:

1. Zur Umsatzsteuer 1964, 1966 und 1967:

Die Umsatzsteuer für diese Jahre sei mit den Umsatzsteuerbescheiden vom 21. April 1966 (1964) und vom 7. Juli 1969 (1966 und 1967) veranlagt worden. Diese Bescheide seien innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht angefochten und somit rechtskräftig geworden. Ungeachtet dessen habe das Finanzamt unter Berufung auf § 295 BAO am 16. Juni 1970 neuerlich Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1964, 1966 und 1967, in denen es allerdings lediglich feststellte, dass die Bemessungsgrundlagen und Abgaben unverändert bleiben, erlassen. Für den Senat habe sich zunächst die Frage erhoben, ob in den unter Berufung auf § 295 BAO erlassenen, als Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 1964, 1966 und 1967 bezeichneten Bescheiden überhaupt Umsatzsteuerbescheide enthalten seien, oder ob es sich bei den die Umsatzsteuer betreffenden Stellen dieser Bescheide nur um nicht rechtsmittelfähige Mitteilungen darüber handelte, dass die Umsatzsteuer unverändert bleibe. Nun spreche zwar der Umstand, dass durch die Feststellung, dass der Umsatz und die Umsatzsteuer unverändert bleiben, Rechte des Abgabepflichtigen weder begründet noch geändert worden seien, gegen den Bescheidcharakter der als "Umsatzsteuerbescheid" bezeichneten Stellen der angefochtenen Erledigungen. Da aber die angefochtenen Bescheide ausdrücklich als "Umsatz- und Einkommensteuerbescheide" bezeichnet worden seien und sie mit der Feststellung, dass die Umsätze und die vorgeschriebene Umsatzsteuer unverändert bleiben, auch Aussagen über die Art sind Höhe der Abgaben und die Grundlagen der Abgabenfestsetzung enthielten, habe sich der Senat jedoch dazu entschieden, die angefochtenen "Umsatzsteuerbescheide" als Bescheid zu behandeln. Für den Beschwerdeführer sei damit allerdings nichts gewonnen; denn die angefochtenen "Umsatzsteuerbescheide 1964, 1966 und 1967" stützten sich auf eine Gesetzesbestimmung, deren Anwendung zur Erlassung neuer, an die Stelle der rechtskräftigen Vorbescheide tretender Umsatzsteuerbescheide jeder Rechtsgrundlage entbehre. Nach der vom Finanzamt bezogenen Gesetzesstelle (§ 295 BAO) könnten nämlich nur solche Bescheide geändert werden, die von einem Feststellungsbescheid abzuleiten seien. Diese Voraussetzung liege aber hinsichtlich der angefochtenen "Umsatzsteuerbescheide" nicht vor. Da auch keine andere gesetzliche Grundlage für die Erlassung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1964, 1966 und 1967 vorgelegen sei, seien diese aufzuheben gewesen. Die Vorbescheide würden dadurch wieder in Kraft treten.

2. Zur Einkommensteuer 1966 und 1967:

Die Einkommensteuerbescheide für 1966 und 1967 vom 7. Juli 1969 seien rechtskräftig geworden. Die Voraussetzungen für eine Änderung dieser Bescheide gemäß § 295 BAO seien nicht gegeben gewesen; denn weder seien die Einkommensteuerbescheide 1966 und 1967, in welchen Jahren der Beschwerdeführer bereits Alleineigentümer gewesen sei, von einem Feststellungsbescheid abzuleiten gewesen, noch seien diese Jahre betreffende Feststellungsbescheide geändert oder nachträglich erlassen worden. Da auch kein anderer Grund für die Ersetzung der rechtskräftigen Einkommensteuerbescheide 1966 und 1967 vom 7.  Juli 1969 durch neue Bescheide vorliege, entbehrten die angefochtenen Bescheide jeder Rechtsgrundlage. Sie seien daher aufzuheben gewesen. Die Vorbescheide würden dadurch wieder in Kraft treten.

3. Betreffend 1965:

Für dieses Jahr bestehe insofern eine Besonderheit, als das Finanzamt, obwohl es eine Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 1965 vom 12. Juni 1967 bereits im Juli 1969 mit einer Berufungsvorentscheidung rechtskräftig entschieden hätte, am 16. Juni 1970 eine weitere "gemäß § 295 BAO geänderte" Berufungsvorentscheidung erlassen habe, in der es festgestellt habe, dass die Umsatzsteuer unverändert bleibe, während es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in anderer Höhe als im Vorbescheid festgesetzt habe. Wollte man diesen Bescheid tatsächlich als Berufungsvorentscheidung ansehen, so erübrigten sich alle weiteren Überlegungen, denn diese "Berufungsvorentscheidung" wäre durch die in einem solchen Fall als Antrag gem § 276 BAO aufzufassende Erklärung vom 25. Juni 1970, dass "2.) die Berufungsvorentscheidung - Einkommensteuerbescheid 1965 vom 16. Juni 1970" angefochten werde, außer Kraft gesetzt worden und die Berufungsvorentscheidung vom 7. Juli 1969 damit wieder in Kraft getreten. Nun sei jedoch die Erlassung einer "gemäß § 295 BAO geänderten Berufungsvorentscheidung" nach dem Eintritt der Rechtskraft so "ungewöhnlich", dass die Verwendung des für Berufungsvorentscheidungen vorgesehenen Formulares nur auf einem Irrtum beruhen könne und angenommen werden müsse, dass das Finanzamt auch für dieses Jahr - wie für die Jahre 1966 und 1967 einen gemäß § 295 BAO geänderten Bescheid erlassen habe wollen. Dieser aber erweise sich - soweit er die Einkommensteuer betreffe -

aus den unter Punkt 2 angeführten Gründen als rechtlich nicht begründet und sei daher aufzuheben gewesen. Dadurch trete die Berufungsvorentscheidung vom 7. Juli 1969 wieder in Kraft. Die die Umsatzsteuer betreffenden Feststellungen des als geänderte Berufungsvorentscheidung 1965 bezeichneten Bescheides seien - da sich die Berufung hinsichtlich 1965 ausdrücklich nur gegen die Einkommensteuer gerichtet habe, und die Erweiterung des Berufungsbegehrens auf die Umsatzsteuer erst nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgt sei - rechtskräftig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich mit Ausnahme der Entscheidung betreffend die Einkommensteuer 1964 die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Umsatzsteuer 1964, 1966 und 1967:

Die belangte Behörde geht von der Annahme aus, dass die auf § 295 BAO gegründeten Bescheide des Finanzamtes vom 16. Juni 1970 auch über die Umsatzsteuer abgesprochen hätten. Sie meint, dies daraus ableiten zu müssen, dass das Finanzamt bei der Neufestsetzung der Einkommensteuer Formulare verwendete, die an sich auch für die Umsatzsteuerfestsetzung gedacht (so genannte kombinierte Bescheide) sind und dementsprechend in der Überschrift auch die Bezeichnung "Umsatzsteuer.......bescheid" aufweisen. Das Finanzamt habe mit der Feststellung, dass die Umsätze und die Umsatzsteuer unverändert blieben, auch Aussagen über die Art und Höhe der Abgaben und die Grundlagen der Abgabenfestsetzung gemacht. Da diese "Bescheide" auf § 295 BAO gestützt seien, welche Gesetzesvorschrift für die Umsatzsteuer überhaupt nicht anwendbar sei, seien sie aufzuheben gewesen. Hingegen ist der Beschwerdeführer der Meinung, eine Aufhebung der Bescheide hätte nicht erfolgen dürfen, weil die Abgabenbehörde zweiter lnstanz gemäß § 239 BAO grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden habe. Die gegenständlichen Bescheide seien "ohne gesetzliche Deckung, mithin rechtswidrig", aufgehoben worden.

Der Verwaltungsgerichtshbf vermag der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde, die Bescheide des Finanzamtes vom 16. Juni 1970 enthielten einen der Rechtskraft fähigen Ausspruch über die Umsatzsteuer der Streitjahre, nicht zu folgen. Für die Entscheidung, ob eine behördliche Erledigung als Bescheid anzusehen ist, kommt es im Sinne der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts wohl in erster Linie auf die äußere Form der behördlichen Erledigung an. Es sind in Zweifelsfällen aber auch alle Umstände zu beachten, aus denen auf die Absicht der Behörde geschlossen werden kann, überhaupt in rechtskräftiger Weise über Ansprüche abzusprechen. Bedenkt man, dass gemäß § 93 Abs. 2 BAO jeder Bescheid u. a. als solcher zu bezeichnen ist, dass gemäß Abs. 3 leg. cit eine Begründung und eine Rechtsmittelbelehrung beizugeben ist und dass im Grunde des § 198 Abs. 2 BAO Abgabenbescheide darüberhinaus im Spruch die Art und Höhe der Abgaben, den Zeitpunkt ihrer Fälligkeit und die Bemessungsgrundlagen zu enthalten haben, so fehlt es den Abgabenbescheiden vom 16. Juni 1970 in Bezug auf die Umsatzsteuer jedenfalls an dem essenziellen Merkmal der Abgabenfestsetzung. Die fehlende Abgabenfestsetzung hat aber im Beschwerdefall für die verfahrensrechtliche Beurteilung schon deswegen entscheidende Bedeutung, weil nach dem oben wiedergegebenen Verwaltungsgeschehen das Finanzamt nicht den geringsten Anlass hatte, die rechtskräftig. gewordenen Umsatzsteuerfestsetzungen zu korrigieren. Weder ist den Akten nämlich zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer diese Abgabenfestsetzungen bis zum 16. Juni 1970 jemals angefochten hat, noch ergibt sich der geringste Anhaltspunkt, dass das Finanzamt an diesem Tag etwa im Weg einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens die bisherigen Umsatzsteuerbescheide durch neue Sachbescheide ersetzen wollte. Vielmehr ist durch die Beisetzung des Wortes "unverändert" in den für die Umsatzsteuer vorgesehenen Teilen der Bescheidformulare und durch die entsprechenden Streichungen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes deutlich der Wille des Finanzamtes zum Ausdruck gebracht worden, an den rechtskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen keine Änderung vorzunehmen. Dass der Veranlagungsreferent übersehen hat, auch in der Überschrift das Wort Umsatzsteuer ...." zu streichen, kann bei dieser Sachlage nur als rechtlich unbeachtlicher Flüchtigkeitsfehler angesehen werden. Maßgebend ist vielmehr, dass der Beschwerdeführer als Adressat des "kombinierten Bescheides" aus diesem im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Verwaltungsgeschehen nicht mit Recht annehmen konnte, das Finanzamt hätte in der Umsatzsteuersache neuerlich entschieden (vgl. diesbezüglich auch Reeger Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, Aufl. 1966, S. 325, und die dort bezogene Literaturstelle von Spanner). Eine neuerliche "unveränderte" Umsatzsteuerveranlagung wäre übrigens auch völlig sinnlos gewesen. Wenn die belangte Behörde zur Stützung ihres Rechtsstandpunktes das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1952, Zl. 2240/51, Slg. Nr. 593 (F), zitiert, so ist darauf zu verweisen, dass es sich im Falle jenes Erkenntnisses um einen völlig anderen Sachverhalt handelte, denn dort ist strittig gewesen, ob die Entscheidung über einen Antrag auf Rückerstattung eines Zolles als bescheidmäßige Abweisung oder als Verweigerung der Rückerstattung im Gnadenweg anzusehen war.

Somit ergibt sich, dass die belangte Behörde den Sachverhalt aktenwidrig angenommen hat, wenn sie "Bescheide" aufhob, die gar nicht ergangen sind. Da die der belangten Behörde zur Entscheidung vorliegende Berufung aber ausdrücklich auch gegen die Umsatzsteuerbescheide gerichtet war, diese aber längst rechtskräftig geworden waren, hätte die belangte Behörde vielmehr, statt mit Aufhebung von ''Nichtbescheiden" vorzugehen, die Berufung in diesem Umfang gemäß § 273 Abs. 1 BAO zurückzuweisen gehabt. Da sie das nicht getan hat, leidet der angefochtene Bescheid betreffend die Umsatzsteuer 1964, 1966 und 1967 an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 1 VwGG 1965.

2. Umsatzsteuer 1965:

Der angefochtene Bescheid enthält in seinem Spruch keine Entscheidung über diese Abgabe. Begründend erklärte die belangte Behörde dazu, dass sich "die Berufung hinsichtlich 1965 ausdrücklich nur gegen die Einkommensteuer" gerichtet habe. Dazu ist zu sagen, dass die Berufung vom 25. Juni 1970 in der einzelweisen Aufzählung der angefochtenen Bescheide den Umsatzsteuerbescheid 1965 tatsächlich nicht anführt, dass aber die Überschrift des bezüglichen Schriftsatzes sich ausdrücklich als Berufung gegen die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 1964 bis 1967 bezeichnet. Wenn es auch dahingestellt bleiben kann, ob durch diese widersprüchliche Formulierung im selben Schriftsatz der vermeintliche Umsatzsteuerbescheid 1965 mit Berufung bekämpft worden ist, so erweist sich jedenfalls die vorliegende Beschwerde in diesem Punkt mangels Erschöpfung des Instanzenzuges als unzulässig, weil der angefochtene Bescheid - wie oben dargelegt - im Spruch keine Entscheidung betreffend die Umsatzsteuer 1965 enthält. Die Beschwerde war daher in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 VwGG 1965 zurückzuweisen.

3. Einkommensteuer 1965 bis 1967:

Die belangte Behörde hat auch die auf § 295 BAO gestützten Einkommensteuerbescheide für diese Jahre aufgehoben. Dies mit der Begründung, dass - da der Beschwerdeführer ab 1965 Alleineigentümer des Hauses D.-gasse 4 geworden sei - eine Feststellung der Einkünfte der Hausgemeinschaft nicht stattzufinden gehabt habe, sodass auch keine Rechtsgrundlage für eine so genannte Folgeänderung gemäß § 295 BAO gegeben gewesen sei. Für das Jahr 1965 begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung auch damit, dass die Erlassung einer "gemäß § 295 BAO geänderten Berufungsvorentscheidung" nach Eintritt der Rechtskraft so "ungewöhnlich" sei, dass die Verwendung des für Berufungsvorentscheidungen vorgesehenen Formulars nur auf einem Irrtum beruhen habe können und angenommen werden müsse, dass das Finanzamt auch für dieses Jahr einen gemäß § 295 BAO geänderten Bescheid habe erlassen wollen. Es sei daher auch der Bescheid vom 16. Juni 1970 betreffend die Einkommensteuer 1965 aufzuheben gewesen. Die Beschwerde bekämpft nicht, dass der Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes vom 16. Juni 1970 auch bezüglich der Einkommensteuer für 1965 als abgeleiteter Bescheid im Sinne des § 295 BAO behandelt worden ist und somit keine andere Beurteilung erfahren kann, wie die Einkommensteuerbescheide für 1966 und 1967. Auch der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, dass die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid zutreffen. Die Beschwerde ist jedoch der Ansicht, dass es der belangten Behörde verwehrt gewesen sei, statt in der Sache selbst zu entscheiden, die mit Berufung bekämpften Bescheide des Finanzamtes aufzuheben.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 11. Februar 1970, Zl. 819/69, ausgesprochen und näher begründet hat, gibt es ungeachtet der grundsätzlichen Bestimmung des § 289 BAO, wonach die Abgabenbehörde zweiter Instanz im Berufungsverfahren immer in der Sache selbst zu entscheiden hat und zur kassatorischen Berufungserledigung nicht befugt ist, Fälle, in denen diesem Verfahrensgebot nicht gefolgt werden kann, soll der gesetzliche Zustand hergestellt werden. Als einen dieser Fälle sah der Gerichtshof in jenem Erkenntnis die Erlassung eines Feststellungsbescheides an, wenn ein solcher nach den einschlägigen Vorschriften nicht zu erlassen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das zitierte Erkenntnis verwiesen. Ebenso liegen aber die Dinge auch, wenn das Finanzamt einen Bescheid auf § 295 BAO stützt, obwohl hiefür die Voraussetzungen fehlen, weil ein Grundlagenbescheid weder erlassen oder geändert worden ist und auch gar nicht zu erlassen oder zu ändern war. Die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen sind daher nicht zielführend.

Die Beschwerde bringt aber weiters vor, dass, wenn schon eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 1965 bis 1967 gemäß § 295 BAO nicht möglich gewesen sein sollte, entscheidend sei, dass geänderte Bescheide erlassen worden seien. Die Änderung dieser Bescheide hätte aber insbesondere gemäß § 303 Abs. 4 BAO erfolgen können. Diesem Beschwerdevorbringen kommt Berechtigung zu:

Gemäß § 295 Abs. 1 BAO in der Fassung BGBl. Nr. 134/1969, ist, wenn ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten ist, im Falle der Änderung oder der nachträglichen Erlassung des Feststellungsbescheides der Bescheid von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen. § 303 Abs. 4 BAO erklärt die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u. a. in allen Fällen für zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, wenn die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Beide gesetzlichen Vorschriften sind im 7. Abschnitt der Bundesabgabenordnung über den Rechtsschutz und dort im Teil B über die "Sonstige Abänderung von Bescheiden" enthalten. Bei beiden gesetzlichen Vorschriften handelt es sich um die Zulässigkeit, bereits rechtskräftige Bescheide durch neue Sachbescheide zu ersetzen. Unterschiedlich sind lediglich die Voraussetzungen für den einen oder den anderen Änderungstatbestand. Die belangte Behörde hat zu Recht zunächst geprüft, ob das Finanzamt berechtigt war, seine bisher rechtskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheide für 1965 bis 1967 am 16. Juni 1970 durch neue Bescheide zu ersetzen. Wenn sie dabei zu dem Ergebnis kam, dass dies keinesfalls unter Berufung auf § 295 BAO geschehen durfte, so ist ihr - wie oben dargelegt - durchaus beizupflichten und wird dies auch von der Beschwerde nicht bestritten. Prüfte die belangte Behörde zunächst die Frage der Abänderbarkeit oder früheren Bescheide, so durfte Sie dies jedoch nicht allein aus dem Gesichtswinkel des § 295 BAO tun. Sie wäre vielmehr im Grunde der ihr gemäß § 115 und 279 BAO auferlegten Pflichten verhalten gewesen, zu prüfen, ob nicht - wenn schon die Anwendbarkeit des § 295 BAO ausgeschlossen ist - eine andere Verfahrensvorschrift in Betracht gekommen wäre, die es dem Finanzamt erlaubt hätte, die seinerzeitigen Abgabenbescheide durch neue Sachbescheide zu ersetzen. Dass das Finanzamt sich nur auf die nicht zielführende Bestimmung des § 295 berief, änderte an der amtswegigen Ermittlungspflicht der Abgabenbehörde zweiter Instanz nichts, denn die Bescheide des Finanzamtes wären trotz Unterstellung unter eine falsche Berichtigungsvorschrift dennoch gesetzlich zulässig, wenn ein anderer tauglicher Rechtsgrund für die Aufrollung der rechtskräftig veranlagten Steuern vorgelegen wäre. In dieser Hinsicht hätte die belangte Behörde daher zu untersuchen gehabt, ob nicht zutrifft, was der Beschwerdeführer nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof vorbringt, dass nämlich das Finanzamt berechtigt gewesen sei, die gegenständlichen Bescheide vom 16. Juni 1970 auf § 303 Abs. 4 BAO zu stützen. Dadurch, dass die belangte Behörde keinerlei Erhebungen darüber anstellte, ob das Finanzamt nicht zu einer amtswegigen Wiederaufnahme der Einkommensteuerveranlagungen 1965 bis 1967 die verfahrensrechtliche Handhabe hatte, ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben, was auch in diesem Umfang zur Bescheidaufhebung infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führen musste, und zwar auf Grund des § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965.

Es war daher wie im Spruch des Erkenntnisses zu entscheiden.

Der Beschwerdeführer hat die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Davon konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. c VwGG 1965 Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom 4. Jänner 1965, BGBl. Nr. 4. Das Mehrbegehren war auf Grund dieser Vorschriften abzuweisen, weil der Pauschalersatz für den Schriftsatzaufwand S 1.000,-- und nicht wie vom Beschwerdeführer begehrt S 1.500,-- beträgt.

Wien, am 30. November 1971

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1971:1971000904.X00

Im RIS seit

30.11.1971

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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