Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art15 Abs2Leitsatz
Eine präjudizielle Bestimmung kann in jeder Hinsicht (lostgelöst von Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden; Art118 Abs2 B-VG verbietet, daß Gemeinden im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches Hoheitsakte bei Vorhaben setzen, die sich (örtlich) auch auf das Gebiet einer anderen Gemeinde erstrecken; nach dem Konzept der gemeindlichen Selbstverwaltung nach Art118 B-VG ist es ausgeschlossen, daß innerhalb des eigenen Wirkungsbereiches mehrere Gemeinden iSd. §4 AVG 1950 gleichzeitig örtlich zuständig sind; dadurch, daß infolge §117 Nö. BauO auch ein die Gemeindegrenzen überschreitendes Bauwerk in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt, Verstoß des §117 gegen Art118 Abs2 bzw. Abs3 Z9 B-VG - Sitz der Verfassungswidrigkeit ausschließlich in dieser Bestimmung, weil sie keine entsprechende Ausnahme von der Bezeichnung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vorsiehtSpruch
§117 der Nö. Bauordnung, LGBl. 8200 idF der ersten Nov. 100/81, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 29. Februar 1988 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Niederösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Schreiben vom 22. Juni 1985 zeigte die Österreichische Donaukraftwerke AG - die Bf. der Anlaßverfahren - den Bürgermeistern der Stadtgemeinde Schwechat, der Marktgemeinde Orth/Donau, der Marktgemeinde Petronell-Carnuntum, der Stadtgemeinde Groß-Enzersdorf und der Marktgemeinde Eckartsau gemäß §94 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200, die Ausführung von Staudämmen des Donaukraftwerkes Hainburg im jeweiligen Gemeindegebiet an.
Mit - jeweils im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Gemeinderäte dieser Gemeinden wurde mit geringfügig differierendem Wortlaut die bewilligungslose Ausführung der Dammbauten im jeweiligen Gemeindegebiet bis zur Rechtskraft der erforderlichen Baubewilligung gemäß §94 Abs2 Nö Bauordnung 1976 untersagt.
Den gegen diese Bescheide erhobenen Vorstellungen hat die Niederösterreichische Landesregierung mit (fünf) Bescheiden vom 21., 18., 24. und 25. Februar 1986 keine Folge gegeben.
Gegen diese Bescheide wenden sich die auf Art144 B-VG, beim VfGH zu B299-301/86, B325,326/86 protokollierten Beschwerden, in denen sich die Bf. im verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt erachtet und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide beantragt.
2. Der VfGH hat aus Anlaß dieser Beschwerden am 13. Oktober 1986 beschlossen, gemäß Art140 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des §117 der Nö. Bauordnung 1976, LGBl. 8200 idF der ersten Nov. 100/81, von Amts wegen zu prüfen.
Diese, mit "Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde" überschriebene Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"Die Aufgaben, die von der Gemeinde nach den Abschnitten II bis VIII und IX zu besorgen sind, fallen - mit Ausnahme der im §116 Abs5 genannten Fälle - in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde."
§116 Abs5 Nö. BauO weist die Vollziehung der Nö. BauO bei bundeseigenen, öffentlichen Zwecken dienenden Gebäuden in erster Instanz der Bezirkshauptmannschaft, in Städten mit eigenem Statut dem Magistrat und in zweiter Instanz dem Landeshauptmann zu.
Im übrigen bestimmt §116 Abs3 Nö. BauO für Gemeindegrenzen überschreitende Bauvorhaben:
"Wenn sich ein Vorhaben auf das Gebiet zweier oder mehrerer Gemeinden erstreckt, bedarf eine Bewilligung nach den Abschnitten III oder VII vor ihrer Erlassung der Genehmigung der Landesregierung. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn (diese Bewilligung)
. . .
4. die Bescheide verschiedener Gemeinden einander widersprechen, so daß die Ausführung des Vorhabens ganz oder teilweise undurchführbar wäre."
3. Zur Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung ist der VfGH in seinem Prüfungsbeschluß von folgenden Annahmen ausgegangen:
"a) Die bf. Gesellschaft bringt zunächst im wesentlichen vor, die bel. Beh. habe eine Befugnis zur Sachentscheidung zu Unrecht wahrgenommen, da es überhaupt an der Anwendbarkeit der Niederösterreichischen Bauordnung fehle. Zwar konzediere die Bf., daß die Baumaßnahmen nach Arten und Umfang die in §92 Abs1 Z2 NÖ BauO 1976 beschriebenen Merkmale aufwiesen, doch handle es sich bei den gegenständlichen Bauführungen in Wahrheit um Wasserbauten, deren Regelung in Gesetzgebung und Vollziehung nach Art10 Abs1 Z10 B-VG Bundessache sei. Die bel. Beh. stützt ihre gegenteilige Rechtsansicht auf die Judikatur des VwGH (Hinweis auf VwGH 12.10.1982 Z82/05/0127, 25.5.1983 Z83/10/0092).
Welche dieser Rechtsansichten die zutreffende ist, wird gegebenenfalls im fortgesetzten Beschwerdeverfahren zu prüfen sein. Gleich, welche Entscheidung von der Behörde rechtmäßigerweise zu treffen war, hat die bf. Gesellschaft einen Anspruch darauf, daß diese Entscheidung von der zuständigen Behörde getroffen wird (siehe hiezu VfSlg. 7355/1974, S 35). Der VfGH geht daher vorläufig davon aus, daß sowohl die bel. Beh. als auch er selbst alle die Zuständigkeit der letztinstanzlichen Gemeindebehörde begründenden Normen anzuwenden haben.
b) Voraussetzung für die Zuständigkeit des Gemeinderates zur Erlassung der mit Vorstellung bekämpften Bescheide war, daß die erstinstanzlichen Bescheide im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde ergingen. Nach §117 NÖ BauO 1976 fallen alle Aufgaben, die von der Gemeinde nach den Abschnitten II bis VIII und IX der NÖ Bauordnung 1976 zu besorgen sind, - mit Ausnahme der im §116 Abs5 der genannten Fälle - in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, folglich auch die Erlassung eines Bescheides nach §94 NÖ BauO (im Abschnitt VII). Der VfGH geht daher vorläufig davon aus, daß sowohl die bel. Beh. als auch er §117 NÖ Bauordnung anzuwenden haben. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen dürften, scheint das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig zu sein."
4. Seine Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung hat der VfGH folgendermaßen begründet:
"Das als bewilligungspflichtig erklärte Bauvorhaben der Bf. erstreckt sich über das Gebiet mehrerer Gemeinden. Für einen solchen Fall sieht die NÖ Bauordnung in §116 Abs3 lediglich vor, daß eine Bewilligung nach den Abschnitten III oder VII der NÖ Bauordnung 1976 vor ihrer Erlassung der Genehmigung der Landesregierung bedarf. Da §117 NÖ Bauordnung 1976 diesen Fall aber nicht von seinem Anwendungsbereich ausnimmt, scheint auch die Bewilligung bzw. Untersagung eines solchen, die Gemeindegrenzen überschreitenden Bauwerkes in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu fallen.
Dies dürfte im Widerspruch zu Art118 Abs3 Z9 B-VG, wonach der Gemeinde die örtliche Baupolizei zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet ist, und Art118 Abs2 B-VG, wonach der eigene Wirkungsbereich neben den im Art116 Abs2 angeführten Angelegenheiten alle Angelegenheiten umfaßt, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden, stehen.
Für die Auslegung des Begriffs "örtlich" im Art118 Abs3 Z9 B-VG sind nach der Rechtsprechung des VfGH nur baupolizeiliche Gründe maßgebend (VfSlg. 5647/1967, S 735, VfSlg. 9811/1983, S 181). Die Ausübung der Baupolizei für ein Bauwerk, das über die Grenzen einer Gemeinde hinausreicht und als Ganzes zu beurteilen ist, scheint schon begrifflich über die "örtliche", also innerhalb der Grenzen der Gemeinde zu besorgende Baupolizei hinauszugehen, sodaß dieser Fall von Art118 Abs3 Z9 nicht umfaßt sein dürfte.
Auch unmittelbar aus Art118 Abs2 B-VG scheint nicht die Zuordnung in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu folgen. Eine Angelegenheit ist nur dann dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zuzuordnen, wenn sie - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden, wobei der Begriff "örtlich" in gleicher Weise wie in Art15 Abs2 B-VG zu verstehen ist (vgl. hiezu VfSlg. 5823/1968, S 692). Diese Voraussetzung dürfte offenkundig fehlen, sobald ein Bauwerk die Grenzen der Gemeinde überschreitet (vgl. auch in diesem Zusammenhang VfSlg. 5823/1968).
Von dieser Rechtslage ist der VfGH auch in VfSlg. 7355/1974 ausgegangen, indem er gegen §118 Abs5
Burgenländische Bauordnung, der als Baubehörde erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde bzw. die Landesregierung vorsah, wenn sich Bauplätze, Bauvorhaben oder Bauten auf das Gebiet von zwei oder mehreren Gemeinden bzw. Bezirken erstreckten, keine Bedenken im Hinblick auf Art118 Abs2 und 3 B-VG äußerte.
§117 NÖ Bauordnung scheint also wegen Verstoßes gegen Art118 Abs2 bzw. Abs3 Z9 B-VG verfassungswidrig zu sein. Der Sitz der Verfassungswidrigkeit dürfte - ungeachtet des Umstandes, daß die Verfassungswidrigkeit offenbar aus dem der NÖ Bauordnung diesbezüglich zugrunde gelegten System herrührt in dieser Vorschrift zu suchen sein, weil sie keine entsprechende Ausnahme von der Bezeichnung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vorsieht (vgl. VfSlg. 9811/1983, S 181)."
5. Die Niederösterreichische Landesregierung verteidigt in einer Äußerung, auf deren Begründung in der Folge einzugehen sein wird, die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung und beantragt für den Fall der Aufhebung, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Im ersten Teil ihrer Äußerung führt die Niederösterreichische Landesregierung aus, den Anlaßbeschwerdeverfahren lägen nicht Ansuchen um Erteilung der Baubewilligung zugrunde, sondern Anzeigen gemäß §94 Abs1 NÖ Bauordnung. Diese Bestimmung verpflichtet zur Anzeige nicht bewilligungspflichtiger Bauvorhaben und sieht in Abs2 die Untersagung der bewilligungslosen Ausführung des angezeigten Bauvorhabens vor, wenn es einer Bewilligung bedarf. Nach einer Darlegung der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung bringt die Niederösterreichische Landesregierung vor, daß für das Verfahren über eine Bauanzeige nach §94 NÖ BauO §116 Abs3 leg. cit. nicht gelte, da diese Bestimmung lediglich die Bewilligung eines Bauvorhabens, das sich auf das Gebiet zweier oder mehrerer Gemeinden erstreckt, einer Genehmigung der Landesregierung unterwerfe. Daher treffe nach Meinung der Niederösterreichischen Landesregierung "der Hinweis im Unterbrechungsbeschluß auf §116 Abs3 NÖ BauO nicht zu", in weiterer Folge geht die Niederösterreichische Landesregierung davon aus, daß diese Bestimmung nicht präjudiziell sei.
Im Gesetzesprüfungsverfahren ist nichts vorgebracht worden und auch nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung des §117 der NÖ BauO zweifeln ließe.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Die aus dem Blickwinkel des §116 Abs3 NÖ BauO vorgebrachten Argumente der Niederösterreichischen Landesregierung spielen bei der - hier allein zu entscheidenden Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des §117 des genannten Gesetzes keine Rolle. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH kann eine präjudizielle Bestimmung vom VfGH in jeder Hinsicht (losgelöst von Aspekten des Anlaßfalles) auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden (vgl. VfSlg. 9755/1983, S 611, VfGH 10. 12. 1986 G167/86 ua. mit weiteren Judikaturnachweisen).
3.a) Zur Verfassungsmäßigkeit des §117 NÖ BauO führt die Niederösterreichische Landesregierung dem Inhalt nach - wenn sie dies auch verfehlterweise auf §116 Abs3 NÖ BauO bezieht folgendes aus:
"Vorsichtshalber geht die NÖ Landesregierung auch auf die Ausführungen zur Zuständigkeitsbestimmung des §116 Abs3 der NÖ Bauordnung ein, obwohl sie - wie oben dargestellt - der Meinung ist, daß diese Bestimmung in den Anlaßbeschwerdeverfahren nicht präjudiziell sein kann, da es sich um jeweils ein Verfahren aufgrund einer Bauanzeige und nicht aufgrund eines Antrages um Erteilung der Baubewilligung handelte.
Dazu darf zunächst auf die geschichtliche Entwicklung dieser Bestimmung näher eingegangen werden. Die Regierungsvorlage vom 15. März 1967, GZ. I/6-30/4-1967 hatte im §143 Abs3 des Entwurfes folgende Regelung vorgesehen:
"In allen Verfahren, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes durchgeführt werden, ist die Bezirksverwaltungsbehörde Baubehörde erster Instanz, die Landesregierung Baubehörde zweiter Instanz, wenn sich das Vorhaben auf das Gebiet zweier oder mehrerer Gemeinden erstreckt. Die Landesregierung ist Baubehörde, wenn sich das Bauvorhaben auf das Gebiet zweier oder mehrerer politischer Bezirke oder eines politischen Bezirkes und einer Stadt mit eigenem Statut erstreckt."
In den Erläuterungen hieß es dazu: "Für die im Abs3 genannten Verfahren kommt mangels örtlicher Zuständigkeit kein Gemeindeorgan in Betracht, die Gemeinden sind in diesen Fällen im Sinn des Art118 Abs1 B-VG nicht in der Lage, die betreffenden Angelegenheiten selbst zu besorgen."
Der Entwurf hielt sich an die Ergebnisse der im Rahmen der Verbindungsstelle der Bundesländer stattgefundenen Besprechungen über die Anpassung des landesgesetzlichen Gemeinderechtes an die Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1962.
In der Regierungsvorlage (2. Fassung) vom 18. November 1968, GZ I/6-36/13-1968, war die heute geltende Fassung des Art116 Abs3 enthalten.
In den Erläuterungen heißt es dazu:
"Da für Bauvorhaben, welche sich über die Gebiete mehrerer Gemeinden erstrecken (z.B. Wasserversorgungsanlage) nach der Verfassungslage keine anderen Behörden zuständig gemacht werden dürfen, war vom Genehmigungsvorbehalt des Art119a Abs8 B-VG Gebrauch zu machen, weil nur dadurch die jedenfalls betroffenen überörtlichen Interessen gewahrt werden können und eine Koordinierung der einzelnen baubehördlichen Entscheidungen erzielt wird."
Gegen den Gesetzesbeschluß des Niederösterreichischen Landtages vom 13. Dezember 1968, mit dem eine Bauordnung für Niederösterreich erlassen wird, hat die Bundesregierung am 4. Februar 1969 gemäß Art98 Abs2 B-VG Einspruch erhoben, und in diesem Einspruch insbesondere darauf hingewiesen, daß §116 Abs3 des Gesetzesbeschlusses eine typische Angelegenheit der überörtlichen Baupolizei regle, aber gleichwohl im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehandhabt werden solle.
Im Motivenbericht vom 4. März 1969, GZ I/6-36/18-1969, der den Antrag enthielt, einen Beharrungsbeschluß zu fassen, wurde dazu ausgeführt:
"Weder die Zweckwidmung einer Baulichkeit noch folgerichtig ihre Lage vermag die Zuordnung zur örtlichen Baupolizei und somit zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu verhindern (VwGH 3. November 1967, Zl. 1985/66, VfGH B329/67 vom 15. Dezember 1967).
Die Materie der Baupolizei kann für die Zwecke der Ermittlung der örtlichen Baupolizei nicht so gegliedert werden, daß die Zuständigkeiten sich nach den im Einzelfall in Betracht kommenden Entscheidungsmotiven bestimmen (VwGH 13. Mai 1968, Zl. 307/67). Demnach wird vielmehr die Auffassung vertreten, daß ein Bauvorhaben, welches sich über die Gebiete mehrerer Gemeinden erstreckt, im eigenen Wirkungsbereich der betroffenen Gemeinden behandelt werden muß, und daß wegen der Berührung überörtlicher Interessen nur vom Genehmigungsvorbehalt des Art119a Abs8 B-VG Gebrauch gemacht werden kann, was vor allem im Interesse der Koordinierung geschehen ist. Als überörtliche Baupolizei werden nämlich nur jene Angelegenheiten aufgefaßt, welche allgemein und ohne Bindung an eine bestimmte Örtlichkeit geregelt werden können (z.B. Zulassung eines Baustoffes). Damit ergibt sich, daß §117 ausschließlich Aufgaben der örtlichen Baupolizei dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugewiesen hat."
Ergänzend zu diesen Ausführungen sei auf die Meinung Stassers, Überörtliche Baupolizei, ÖGZ 11/1970 S. 256 verwiesen:
"Der Ausdruck "Örtliche Baupolizei" müßte daher in topographischer, technischer Betrachtung sein Gegenstück finden, welches man vorwiegend - wohl analog zur örtlichen und überörtlichen Raumordnung - als "Überörtliche Baupolizei" zu bezeichnen geneigt ist. Während jedoch bei der Raumordnung der Rahmen des betroffenen Gebietes zu beurteilen ist, geht es bei der Baupolizei um die Bindung an eine Örtlichkeit überhaupt. Exakter, aber ungewohnt wäre diese andere Art von Agenden der Baupolizei kontradiktorisch als "nicht örtliche" oder "ortsungebundene" Baupolizei zu bezeichnen."
Prüft man die Frage, ob die Erteilung einer Baubewilligung für einen Bau, der über das Gebiet einer Gemeinde hinausreicht zur örtlichen Baupolizei gehört oder zur überörtlichen Baupolizei, so ist darauf abzustellen, ob das Interesse an der Prüfung der Übereinstimmung des Vorhabens mit den Bestimmungen der Bauordnung zumindest im überwiegenden Interesse, der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und auch geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer Grenzen besorgt zu werden.
Die Ausführungen im Unterbrechungsbeschluß, daß ein Bauwerk im Rahmen der Baupolizei als Ganzes beurteilt werden müsse, gehen davon aus, daß die Gemeinde nur jenen Teil baurechtlich beurteilen könne, der sich auf dem Gebiet ihrer Gemeinde befindet, daß es ihr also verwehrt ist, jenen Teil des Baues, der sich nicht auf dem Gebiet der Gemeinde befindet zu beurteilen.
Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit ist im Baurecht die Lage des Gutes (§3 lita AVG 1950). Wenn das Bauvorhaben auf dem Gebiet mehrerer Gemeinden geplant ist, dann ist die örtliche Zuständigkeit mehrerer Behörden und zwar mehrerer Gemeindebehörden gegeben. Begründen die im §3 lita angeführten Umstände die örtliche Zuständigkeit mehrerer Behörden, so haben diese Behörden gemäß §4 AVG 1950 einvernehmlich vorzugehen, wobei einvernehmliches Vorgehen in der Erlassung inhaltlich gleicher - aufeinander abgestimmter Bescheide besteht (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 3. Auflage, Wien 1984, S. 32). Unter Einvernehmen ist die Übereinstimmung der Meinungen beider Behörden über die Entscheidung zu verstehen (VfSlg. 4395/1963, 6097/1969). Es besteht kein Grund zur Annahme, weshalb die Bestimmung des §4 Abs1 AVG über die Zuständigkeitskonkurrenz nicht auch für die Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich anwendbar sein soll. Lediglich die Bestimmung des §4 Abs2 AVG 1950 ist nicht anwendbar, da es ausgeschlossen ist, daß in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde ein Verwaltungsorgan außerhalb der Gemeinde als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde fungiert (VfSlg. 5823/1968 und VwGH 28.6.1966 Zl. 486/66 zu §73 Abs2 AVG 1950). Damit fehlt also die Möglichkeit, doch noch zu einer Entscheidung zu kommen, wenn mehrere örtlich zuständige Behörden in der Sache zu keinem Einvernehmen gelangen. Diese im §4 Abs2 AVG 1950 vorgesehene Koordinationsfunktion der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde wird nach Meinung der NÖ Landesregierung durch die im §116 Abs3 der NÖ Bauordnung 1976 vorgesehene Koordinationsfunktion der Aufsichtsbehörde ersetzt. Ganz deutlich wird diese Koordinationsfunktion bei der Bestimmung des §116 Abs3 Z4 leg.cit., wonach die aufsichtsbehördliche Genehmigung versagt werden darf, wenn die Bescheide verschiedener Gemeinden einander widersprechen, so daß die Ausführung des Vorhabens ganz oder teilweise undurchführbar wäre.
Die NÖ Landesregierung ist daher der Meinung, daß die Erteilung oder Versagung der Baubewilligung für ein Bauwerk, das über das Gebiet einer Gemeinde hinausreicht im Hinblick auf die Verpflichtung zur Herstellung des Einvernehmens gemäß §4 AVG 1950 eine Angelegenheit darstellt, die von der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft besorgt werden kann.
Was das zweite Kriterium für die örtliche Baupolizei betrifft, daß die Erteilung der Baubewilligung zumindest im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen sein muß, so ist das Zutreffen dieser Bedingung gerade am Beispiel des Anlaßfalles durchaus zu bejahen.
Bei den Abgrabungen und Anschüttungen gem. §93 Z. 2 NÖ Bauordnung 1979 handelt es sich nicht um Baulichkeiten im Sinne des §2 Z. 5 leg.cit. Daher kommen die materiellen Bestimmungen der NÖ Bauordnung, die sich auf Baulichkeiten beziehen, bei der Beurteilung der Bewilligungsfähigkeit des Vorhabens nicht in Betracht. Selbst die umfassende Umweltschutzbestimmung des §62 Abs2 leg.cit. bezieht sich nur auf Baulichkeiten. Der übergeordnete Begriff "Vorhaben" ist abgesehen von den Vorschriften über die Baulandgestaltung und den sonstigen Beschränkungen des Eigentumsrechtes (§§16 - 18, 21 Abs12, 25 Abs1) und den Verfahrensbestimmungen (§§96 - 116) in einer einzigen Vorschrift aus dem Abschnitt V, "Technische Bauvorschriften", enthalten, nämlich in jener des §61. Diese Bestimmung regelt den Schutz des Orts- und Landschaftsbildes. Daher hat sich die Baubehörde bei der Beurteilung der Bewilligungsfähigkeit der Staudämme des Donaukraftwerkes lediglich auf die Frage zu beschränken, ob diese Staudämme das Orts- und Landschaftsbild stören oder nicht. Die Beurteilung eines Bauvorhabens unter dem Gesichtspunkt der Störung des Ortsund Landschaftsbildes ist jedoch - wie der VfGH im Erkenntnis VfSlg. 8944/1980 ausgeführt hat - unbestrittenermaßen im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen. Daran ändert die Tatsache nichts, wenn eine Anlage über das Gemeindegebiet hinausreicht. Denn die Wirkung einer Anlage kann immer nur im Hinblick auf ein konkretes Ortsbild geprüft werden. Ist eine Anlage geeignet, das Ortsbild mehrerer Gemeinden zu stören, so muß diese Störung für jede Gemeinde gesondert geprüft werden. Die Wirkung eines Bauvorhabens auf die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles bzw. der Einfluß auf die Wechselwirkung zwischen dem Ortsbild und Landschaftsbild ist daher nur aus der Sicht der betroffenen Gemeinde und nicht aus überörtlicher Sicht möglich.
Zu den Erkenntnissen VfSlg. 5823/1968 und 7355/1974:
Schließlich erlaubt sich die NÖ Landesregierung noch darauf hinzuweisen, daß die in den zitierten Erkenntnissen enthaltenen Ausführungen aus folgenden Gründen nicht zwingend zur Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung führen müssen.
Hauptfrage im Erkenntnis VfSlg. 5823/1968 war jene, ob die Schaffung von Bauplätzen oder Teilen davon, eine Angelegenheit der Baupolizei ist. Die Aussage, daß die Merkmale des Art15 Abs2 B-VG auf die Bauplatzschaffung deshalb zutreffen, weil diese "innerhalb der Grenzen eines Gemeindegebietes" geschaffen werden, schließt die Argumentation der NÖ Landesregierung nicht aus.
Im Erkenntnis VfSlg. 7355/1974 hatte der VfGH keine Bedenken gegen §108 Abs5 der Burgenländischen Bauordnung mit folgendem Wortlaut:
"Wenn sich Bauplätze, Bauvorhaben oder Bauten auf das Gebiet zweier oder mehrerer Gemeinden erstrecken, hat die Bezirksverwaltungsbehörde, wenn sie sich auf Gebiet zweier Bezirke erstrecken, hat die Landesregierung die Zuständigkeit der Baubehörde erster Instanz wahrzunehmen. Das gleiche gilt für jene Fälle, in welchen bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens benachbarte Grundflächen einzubeziehen sind, die in einer oder mehreren anderen Gemeinden gelegen sind."
Allerdings scheint sich aus diesem Erkenntnis zu ergeben, daß das Hauptaugenmerk des VfGH auf den letzten Satz des §118 Abs5 leg.cit. gerichtet war, wenn es in der Begründung heißt:
"Gegen die Verfassungsmäßigkeit des §108 Abs5 der Burgenländischen Bauordnung im Hinblick auf Art118 Abs2 und 3 B-VG bestehen aus der Sicht dieses Beschwerdefalles keine Bedenken. Dies gilt insbesondere für den zweiten Satz dieser Gesetzesstelle, der auch jene Fälle erfaßt, in denen von der Baubehörde subjektive Rechte der in einer anderen Gemeinde gelegenen Nachbarn zu wahren sind."
Die NÖ Landesregierung vertritt daher aus den ... dargestellten Überlegungen die Meinung, daß die Bezeichnung des eigenen Wirkungsbereiches im §117 der NÖ Bauordnung nicht entgegen Art118 Abs2 und Abs3 Z9 B-VG normiert wurde."
b) Nach der Rechtsprechung des VfGH zum Umfang der örtlichen Veranstaltungspolizei (s. VfSlg. 5415/1966) und der örtlichen Gesundheitspolizei (s. VfSlg. 6463/1971) ist darunter in analoger Anwendung der für die örtliche Sicherheitspolizei geltenden Legaldefinition des Art15 Abs2 B-VG (nur) jener Teil der Gefahrenabwehr zu verstehen, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden (vgl. hiezu auch VfSlg. 5823/1968, S 692).
Selbst wenn die Auffassung der Niederösterreichischen Landesregierung zutrifft, daß die Beurteilung von Bauvorhaben, die sich auf das Gebiet von zwei oder mehreren Gemeinden erstrecken, zumindest im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen ist und es sich insofern um einen Akt der örtlichen Gefahrenabwehr handelt, ist damit nur eine der Voraussetzungen für die Zuweisung einer Angelegenheit in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gegeben. Art118 Abs2 B-VG verlangt als weitere Voraussetzung, daß die Angelegenheit geeignet ist, "durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden". Abgesehen davon, daß aus dieser Bestimmung folgt, daß die Angelegenheit abstrakt geeignet sein muß, von Gemeindeorganen besorgt zu werden, folgt aus ihr weiters, daß sie mit Maßnahmen innerhalb des Gebietes einer Gemeinde geordnet können werden muß. Hiebei besteht kein Unterschied zwischen der Untersagung einer Bauführung und der Bewilligung eines Bauwerkes, das über die Gemeindegrenzen reicht, weil in beiden Fällen das Bauwerk als ganzes zu beurteilen ist. Das bedeutet, daß Art118 Abs2 B-VG es verbietet, daß Gemeinden im Rahmen des eigenen Wirkungsbereiches Hoheitsakte bei Vorhaben setzen, die sich (örtlich) auch auf das Gebiet einer anderen Gemeinde erstrecken (vgl. hiezu VfSlg. 5430/1966, S 829, zu Maßnahmen der örtlichen Straßenpolizei).
Mit dieser Auffassung weiß sich der VfGH auch im Einklang mit dem überwiegenden Teil der Lehre (vgl. die Zusammenfassung bei Fröhler/Oberndorfer in Fröhler/Oberndorfer,
Das Österreichische Gemeinderecht, 1983, Abschnitt 3.1, S 9f). Davon ist der VfGH auch in seiner bisherigen Rechtsprechung zum Begriff "örtliche Baupolizei" ausgegangen, wie etwa das (von der Niederösterreichischen Landesregierung zur Stützung ihrer gegenteiligen Rechtsansicht herangezogene) Erkenntnis VfSlg. 5823/1968 (Schaffung von Bauplätzen gehört zur örtlichen Baupolizei, weil sie unter anderem "innerhalb der Grenzen eines Gemeindegebietes" zu besorgen ist) oder VfSlg. 7355/1974, S 35f, zeigt, wonach nicht nur Verfahren betreffend Bauvorhaben, die sich auf das Gebiet zweier oder mehrerer Gemeinden erstrecken, vom eigenen Wirkungsbereich ausgenommen sind, sondern auch jene Fälle, in welchen bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens benachbarte Grundflächen einzubeziehen sind, die in einer oder mehreren anderen Gemeinden gelegen sind.
Damit stellt sich aber die weitere von der Niederösterreichischen Landesregierung aufgeworfene Frage nicht, inwiefern in solchen Fällen die Behörden mehrerer Gemeinden nach §4 AVG einvernehmlich vorzugehen hätten. Nach dem Konzept der in Art118 B-VG näher geregelten gemeindlichen Selbstverwaltung ist es ausgeschlossen, daß innerhalb des eigenen Wirkungsbereiches mehrere Gemeinden im Sinne des §4 AVG gleichzeitig örtlich zuständig sind. Dies zeigt sich auch darin, daß - worauf die Niederösterreichische Landesregierung selbst hinweist - das in §4 AVG vorausgesetzte Bestehen einer sachlich in Betracht kommenden gemeinsamen Oberbehörde über dem Selbstverwaltungskörper Gemeinde schon begrifflich ausgeschlossen ist.
4. Die Bedenken des VfGH, §117 NÖ BauO sei wegen Verstoßes gegen Art118 Abs2 bzw. Abs3 Z9 B-VG verfassungswidrig, treffen daher zu. Weiters hat sich die Annahme bestätigt, daß der Sitz dieser Verfassungswidrigkeit (ausschließlich) in dieser Vorschrift zu suchen ist, weil sie (ebenso wie in VfSlg. 9811/1983, S 181) keine entsprechende Ausnahme von der Bezeichnung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vorsieht.
Diese Bestimmung ist daher als verfassungswidrig aufzuheben. Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.
Schlagworte
Gemeinderecht, Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit örtliche, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G16.1987Dokumentnummer
JFT_10129682_87G00016_00