TE Vwgh Erkenntnis 1972/1/25 1567/71

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Veröffentlicht am 25.01.1972
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §38 impl;
AVG §69 Abs1 litb;
AVG §69 Abs1 litc;
AVG §69 Abs1 Z2 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Penzinger und die Hofräte Dr. Kadecka, Dr. Skorjanec, Dr. Jurasek und Dr. Draxler als Richter, im Beisein des Schriftführers Magistratsoberkommissär Dr. Thumb, über die Beschwerde des F K in G, vertreten durch Dr. Robert Lindmayr, Rechtsanwalt in Liezen, Hauptplatz 13, gegen die Bescheide a) der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 20. Juli 1971, Zl. Sd.Pst. 87/1-1971, und b) der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 28. Mai 1971, Zl. 18 F 202/4-1970, betreffend Wiederaufnahme eines Verwaltungsstrafverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird zu a) als unbegründet abgewiesen und zu

b) zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höher von S 390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 23. November 1970 wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG eine Geldstrafe von S 200,-- (Ersatzarreststrafe von drei Tagen) verhängt. Es wurde ihm zur Last gelegt, er habe am 31. Oktober 1970 um ca. 23.00 Uhr im Hof vor dem Gasthaus W in L mit E F gerauft und hiedurch die Ordnung an einem öffentlichen Ort in ärgerniserregender Weise gestört. Gegen diese Strafverfügung erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Einspruch, der aber mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 22. Dezember 1970 wegen verspäteter Einbringung zurückgewiesen wurde.

Am 29. Jänner 1971 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein. Er begründete sein Begehren damit, dass er mit Urteil des Bezirksgerichtes Irdning vom 21. Jänner 1971, U 566/70, von der wider ihn erhobenen Anklage der leichten Körperverletzung im Raufhandel freigesprochen worden sei, weil er sich nur gegen einen Angriff des E F gewehrt habe. Es ergebe sich somit, dass durch das Bezirksgericht in einem wesentlichen Punkt anders entschieden worden und die Strafverfügung somit auf Grund eines unrichtigen Sachverhaltes ergangen sei:

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 28. Mai 1971 wurde der Wiederaufnahmeantrag als unbegründet abgewiesen. Es handle sich bei dem Urteil des Bezirksgerichtes Irdning nicht um die Entscheidung einer Vorfrage, da Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens die Anklage wegen leichter Körperverletzung und Gegenstand des Verwaltungsverfahrens die Störung der öffentlichen Ordnung gewesen sei. Abgesehen davon, dass keine Identität des Rechtsfalles vorliege, sei die Verwaltungsbehörde an ein freisprechendes Gerichtsurteil nicht gebunden. Der Beschwerdeführer bekämpfte in seiner dagegen erhobenen Berufung diese Rechtsansicht und machte geltend, dass in beiden Fällen das Verhalten des Beschwerdeführers zur gleichen Zeit und am gleichen Ort zur Beurteilung gestanden sei, wobei aber in der Strafverfügung die objektiv unwahre Feststellung getroffen worden sei, er habe mit E F gerauft und dadurch die Ordnung gestört. Demgegenüber sei im gerichtlichen Strafverfahren festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer überhaupt nicht gerauft habe, sondern von E F angegriffen worden sei. Somit seien die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 gegeben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Behörde zweiter Instanz wurde der Berufung nicht Folge gegeben. In der Begründung würde auf die §§ 22 und 30 Abs. 1 VStG 1950 Bezug genommen, wonach ein und dieselbe strafbare Handlung grundsätzlich sowohl vom Gericht als auch von der Verwaltungsbehörde bestraft werden könne, es sei denn, dass das Gegenteil im Gesetz ausdrücklich angeordnet werde; ferner wurde darauf verwiesen, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände zu den Tatbestandsfeststellungen gehörten und überhaupt keine präjudizielle Frage bilden könnten, deren Klarstellung in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde falle. Im übrigen seien auch für die Berufungsbehörde die Entscheidungsgründe der Behörde erster Instanz maßgebend.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wird als richtig zugegeben, dass eine Verurteilung wegen § 411 StG seitens des Gerichtes vollkommen unabhängig von einer Verurteilung nach Art. VIII Abs. 1 EGVG durch die Verwaltungsbehörde erfolgen könne. Die belangte Behörde habe jedoch übersehen, dass die Akten U 566/70 des Bezirksgerichtes Irdning nicht nur einen Freispruch des Beschwerdeführers enthielten, sondern ein Geständnis des E F, wonach sich der Beschwerdeführer bei dem inkriminierten Vorfall passiv verhalten habe. Es sei somit ein neues Beweismittel hervorgekommen, das im Verwaltungsstrafverfahren nicht habe berücksichtigt werden können, weil es noch nicht vorgelegen sei.

Über die Beschwerde und die namens der belangten Behörde von der Finanzprokuratur erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Was zunächst die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Beschwerde anlangt, so war sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG 1965 zurückzuweisen, weil gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nur nach Erschöpfung des Instanzenzuges, d. h. also nur gegen letztinstanzliche Bescheide erhoben werden kann.

Gegen die im Bescheid der belangten Behörde zweiter Instanz wiedergegebene Rechtsansicht wird in der Beschwerde unmittelbar nichts vorgebracht. Diese Rechtsansicht ist auch zutreffend, weil es sich bei der im § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 erwähnten Vorfrage nur um eine solche im Sinne des § 38 AVG 1950 handeln kann, somit um eine Frage, zu deren Entscheidung die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zuständig ist, die aber eine notwendige Grundlage für die Bescheiderlassung bildet. Nun steht aber außer jedem Zweifel, dass die Ermittlung und Feststellung eines Sachverhaltes, der der Norm des Art. VIII Abs. 1 EGVG unterstellt werden kann, sehr wohl in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde fällt. Wenn demnach auch das Gericht zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung gekommen sein sollte, so kann darin nicht die Entscheidung einer Vorfrage erblickt werden, die Anlass für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 bieten könnte.

Was in der Beschwerde tatsächlich vorgebracht wird, ist die Geltendmachung eines formell anderen Wiederaufnahmegrundes; der Beschwerdeführer will den Sachverhalt nunmehr nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 beurteilt wissen. Nach dieser Bestimmung ist die Wiederaufnahme zu bewilligen, wenn "neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten". Diese neuen Beweismittel will der Beschwerdeführer in dem angeblichen Geständnis des E F im gerichtlichen Strafverfahren erblicken, wonach sich der Beschwerdeführer beim Raufhandel passiv verhalten habe. Abgesehen davon, dass nach der im Verwaltungsakt erliegenden Fotokopie des Hauptverhandlungsprotokolles E F eine solche Aussage tatsächlich nicht gemacht hat, übersieht der Beschwerdeführer, dass es sich seiner eigenen Darstellung nach nicht um eine neu hervorgekommene, sondern um eine neu entstandene Tatsache handelt (das Verwaltungsstrafverfahren war mit Bescheid vom 22. Dezember 1970 abgeschlossen worden, wogegen die Hauptverhandlung im gerichtlichen Verfahren am 21. Jänner 1971 stattgefunden hat), welche eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach übereinstimmender Meinung von Lehre und Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen vermag.

Da sich die Beschwerde sohin als rechtlich verfehlt erwies, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 Abs. 1, Abs. 2 lit. a, Abs. 5, 48 Abs. 2 lit. a und b, 49 Abs. 2 und 59 VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I lit. B der Verordnung des Bundeskanzleramtes, BGBl. Nr. 4/1965.

Wien, am 25. Jänner 1972

Schlagworte

Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova producta

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1972:1971001567.X00

Im RIS seit

26.08.2002

Zuletzt aktualisiert am

02.01.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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