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L1 GemeinderechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Statut der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130, idF LGBl. 11/1985; untrennabre Einheit des §39b Abs1 (betreffend "Politikerbezüge"); zur Funktion derartiger Ruhebezüge; diese bsteht ua. darin, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen; Eingriff in "wohlerworbene Rechte" desjenigen Amtssträgers, der sein öffentliches Amt langjährig im Vertrauen auf diese Anwartschaft ausübt, durch strenge Ruhebezugskürzungen sachlich nicht gerechtfertigt; Aufhebung des §39 Abs1 als verfassungswidrigSpruch
§39b Abs1 des Statutes der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. Nr. 130, in der Fassung des Gesetzes LGBl. Nr. 11/1985 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Nov. LGBl. 11/1985 zum Statut der Landeshauptstadt Graz 1967, LGBl. 130, änderte das Stadtstatut ua. durch die Einfügung von Bestimmungen über Ruhebezüge und Versorgungsgenüsse der im §39 Abs2 genannten Stadtsenatsmitglieder (d.s. der Bürgermeister, die Bürgermeisterstellvertreter sowie die Stadträte). Die im gegebenen Zusammenhang in Betracht zu ziehenden Bestimmungen in den neugefaßten §§39a und 39b haben folgenden Wortlaut:
"§39a. (1) Den in §39 Abs2 genannten Stadtsenatsmitgliedern, ihren Witwen und Waisen gebühren als Ruhebezug bzw. Versorgungsgenuß Zuwendungen aus Gemeindemitteln. Für die Gewährung, Bemessung und Flüssigstellung der als Ruhebezug bzw. Versorgungsgenuß gebührenden Zuwendungen aus Gemeindemitteln gelten folgende Bestimmungen:
a)
Für die Gewährung des Ruhebezuges ist eine ruhebezugsfähige Gesamtzeit von mindestens 8 Jahren erforderlich. Diese setzt sich aus einer mindestens fünfjährigen oder einer Funktionsperiode umfassenden Zeit als Mitglied des Stadtsenates und den nach Abs2 anrechenbaren Zeiten zusammen.
b)
Der Ruhebezug beträgt bei einer ruhebezugsfähigen Gesamtzeit von acht Jahren 50 v.H. und steigt für jedes weitere Jahr der Funktionsausübung um 4,5 v.H. bis zu 80 v.H. des jeweiligen Funktionsbezuges, der der höchsten vom betreffenden Mandatar in der Stadt Graz ausgeübten Funktion entspricht. Kürzungen des Funktionsbezuges gemäß §39 Abs8 sind bei der Bemessung des Ruhebezuges außer Betracht zu lassen.
c)
Die Flüssigstellung des Ruhebezuges erfolgt, sofern nicht litd anzuwenden ist, erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres.
d)
Wird eines der in §39 Abs2 genannten Stadtsenatsmitglieder während der Ausübung seiner Funktion durch Krankheit oder Unfall zur weiteren Ausübung des Mandates unfähig und beträgt die Funktionsdauer unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Abs2 noch nicht 8 Jahre, dann ist es so zu behandeln, als ob es eine Funktionsdauer von 8 Jahren aufzuweisen hätte. Die Bestimmungen des §31 Abs2 des Steiermärkischen Bezügegesetzes, LGBl. Nr. 28/1973, in der geltenden Fassung, sind mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß an die Stelle der Steiermärkischen Landesregierung der Stadtsenat zu treten hat.
e)
Wird ein ehemaliges Stadtsenatsmitglied vor Vollendung des 55. Lebensjahres durch Krankheit oder Unfall dienstunfähig, gelten die Bestimmungen nach litd sinngemäß.
................................................................
§39b. (1) Besteht neben dem Anspruch auf Ruhebezug oder Versorgungsgenuß nach §39a ein Anspruch auf:
a)
Funktionsbezüge nach §39 Abs4 oder 5;
b)
eine Entschädigung oder einen Ruhebezug nach dem Verfassungsgerichtshof-Gesetz 1953, BGBl. Nr. 85;
c)
Zuwendungen nach dem Bezügegesetz des Bundes, BGBl. Nr. 273/1972, Bezüge oder Ruhebezüge nach dem Steiermärkischen Bezügegesetz, LGBl. Nr. 28/1973, Aufwandsentschädigungen nach der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967, LGBl. Nr. 115, Ruhe- und Versorgungsbezüge nach dem Gesetz über die Ruhebezüge
der Bürgermeister der steirischen Gemeinden, mit Ausnahme der Städte mit eigenem Statut, LGBl. Nr. 16/1976, oder gleichartiger landesgesetzlicher Regelungen;
d)
ein Diensteinkommen oder einen Ruhe(Versorgungs-)- bezug (ausgenommen eine Hilflosenzulage) aus einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft, zu einem Fonds, zu einer Stiftung oder zu einer Anstalt,
die von Organen einer Gebietskörperschaft oder von Personen (Personengemeinschaften) verwaltet werden, die hiezu von Organen dieser Körperschaft bestellt sind;
e)
ein Einkommen oder einen Ruhegenuß aus der Tätigkeit als Mitglied des Vorstandes, als Geschäftsführer
oder
Bediensteter von Unternehmungen, die Gesellschaften,
Unternehmungen oder Betriebe zum Gegenstand haben, die vom Verstaatlichungsgesetz, BGBl. Nr. 168/1946, oder vom zweiten Verstaatlichungsgesetz, BGBl. Nr. 81/1947, erfaßt sind, oder von sonstigen Unternehmungen, bei denen oberste Organe der Vollziehung des Bundes einschließlich der Bundesregierung oder der Landesregierung hinsichtlich von Gesellschaftsorganen ein Bestellungs- oder Bestätigungsrecht ausüben oder an denen die Beteiligungsrechte des Bundes, des Landes oder der Stadt Graz allein, oder mehrerer dieser genannten Gebietskörperschaften zusammen wenigstens 50 v.H. betragen, sowie aus der Tätigkeit als Mitglied des Generalrates der Österreichischen Nationalbank;
f)
Vergütungen aus der Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates von Unternehmungen der in lite genannten Art, wobei jedoch die Mitgliedschaft zu zwei Aufsichtsräten außer Betracht bleibt;
g)
wiederkehrende Geldleistungen aus der gesetzlichen Pensions- und Unfallversicherung (ausgenommen ein Hilflosenzuschuß und Pensionsleistungen auf Grund einer freiwilligen Weiter- oder Höherversicherung);
so ist der Ruhebezug nur in dem Ausmaß auszubezahlen, um das die Summe der in lita bis g genannten Beträge hinter dem Bezug zurückbleibt, der der Bemessung des Ruhebezuges zugrundezulegen ist. Für die erforderlichen Berechnungen sind die Bruttobezüge heranzuziehen.
..............................................................."
(Bei den in lita erwähnten Funktionsgebühren handelt es sich um solche von Mitgliedern des Gemeinderates, die nicht dem Stadtsenat angehören, sowie von Bezirksvorstehern).
2. Mit Bescheid vom 26. April 1985 stellte der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz unter Bezugnahme auf die dargestellte Gesetzeslage den Ruhebezug des Bf. zu B881/85 als ehemaligen Stadtrates mit 56.767,20 S monatlich ab 1. November 1984 und 59.435,80 S monatlich ab 1. Jänner 1985 fest sowie für die Zeit vom 1. November 1984 bis 31. März 1985 einen Überbezug von 185.328,70 S. Im einzelnen wurde der Ruhebezug unter Bedachtnahme auf einen Ruhebezug des Bf. als Hauptschuldirektors folgendermaßen errechnet:
"ab 1.11.1984 ab 1.1.1985
Bemessungsgrundlage =
Funktionsbezug eines Stadtrates S 83.615,-- S 87.544,-
Prozentausmaß des Ruhebezuges =
80 v.H. des Funktionsbezuges
§39 a (1) litb) S 66.892,-- S 70.035,20
Ruhebezug Land Steiermark
§39 b (1) litd) S 26.847,80 S 28.108,20
Auszuzahlender Ruhebezug (mtl.
brutto)
(=Diff.v.83.615 min.26.847,80) S 56.767,20
(=Diff.v.87.544 min.28.108,20) S 59.435,80"
Die dagegen ergriffene Berufung wies der Gemeinderat der
Landeshauptstadt Graz mit einem ohne Datum ausgefertigten Bescheid ab. Dieser Bescheid des Gemeinderates ist Gegenstand der unter B881/85 eingetragenen Verfassungsgerichtshofbeschwerde.
3. In gleicher Weise entschied der Gemeinderat mit im Instanzenzug erlassenen Bescheiden, die von den Beschwerdeführern zu
B882/85 (ehemaliger Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz; Kürzung wegen eines Diensteinkommens als Bediensteter der Landeshauptstadt Graz),
B883/85 (ehemaliger Vizebürgermeister der Landeshauptstadt Graz; Kürzung wegen eines Ruhebezugs vom Land Steiermark sowie einer Pension von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten),
B884/85 (ehemaliger Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz; Kürzung wegen eines Ruhebezugs als Bediensteter der Landeshauptstadt Graz),
B885/85 (ehemaliger Vizebürgermeister der Landeshauptstadt Graz; Kürzung wegen einer Pension von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten und einer Zuwendung nach dem BezügeG),
B886/85 (ehemaliger Vizebürgermeister der Landeshauptstadt Graz; Kürzung wegen einer Pension von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten und eines Ruhebezugs von der Grazer Stadtwerke
AG),
B888/85 (ehemaliger Stadtrat der Landeshauptstadt Graz; Kürzung wegen eines vom Land Steiermark zufließenden Ruhebezugs) und
B889/85 (ehemaliger Stadtrat der Landeshauptstadt Graz; Kürzung wegen eines Ruhebezugs als Bediensteter der Österreichischen Bundesbahnen)
mit Verfassungsgerichtshofbeschwerde angefochten werden.
II. Aus Anlaß dieser Beschwerdefälle beschloß der VfGH gemäß Art140 Abs1 B-VG, von Amts wegen Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §39b Abs1 des Statutes der Landeshauptstadt Graz 1967 idF der Nov. LGBl. 11/1985 einzuleiten. Er wies darauf hin, daß diese Vorschrift anscheinend eine nicht trennbare Einheit bilde, und legte seine Bedenken (vom Beschwerdefall B881/85 ausgehend) folgendermaßen dar:
"Aus der Sicht des Beschwerdefalles geht der Gerichtshof vorläufig davon aus, daß gegen eine Ruhensbestimmung der vorliegenden Art, welche insbesondere das Zusammentreffen des aus einer politischen Amtstätigkeit resultierenden Ruhebezuges mit einem Ruhebezug aus einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft erfaßt und im Hinblick auf eine festgelegte Höchstgrenze die teilweise oder gänzliche Stillegung des Ruhebezugs verfügt, im grundsätzlichen keine verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes bestehen. (Siehe zu vergleichbaren Regelungen VfSlg. 7453/1974, betreffend das Kärntner Bezügegesetz, und VfSlg. 9292/1981, betreffend das (Bundes-)Bezügegesetz.) Auch der Umstand, daß der Gesetzgeber durch die Neueinführung von Ruhensbestimmungen nicht bloß die Lage künftiger Empfänger von Ruhebezügen gestaltet, sondern darüber hinaus in Rechte eingreift, die schon längst und auf eine einwandfreie Weise erworben wurden, führt aus der Sicht der vorliegenden Beschwerdesache zu keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gerichtshof hat in der Frage der sogenannten wohlerworbenen Rechte in ständiger Rechtsprechung (s. etwa Erk. VfSlg. 3836/1960) daran festgehalten, daß der Gesetzgeber solche Rechte verändern kann, hat aber in diesem Zusammenhang ebenfalls stets betont, daß der Gesetzgeber hiebei im besonderen das Gleichheitsgebot zu beachten hat. Zu den Beweggründen des Gesetzgebers, auch in bereits entstandene Rechtspositionen rechtsmindernd einzugreifen, zählt gewiß das Bestreben, gleiche sachliche Voraussetzungen aufweisende Anspruchsberechtigte gleich zu behandeln. Daß dieses Motiv unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes ins Gewicht fällt, ist wohl nicht zu bezweifeln, doch vermag es - wie der Gerichtshof vorläufig annimmt - nicht, die Minderung wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich zu begründen.
Der Anspruch auf Ruhebezüge, die von der durch §39b vorgesehenen Kürzung betroffen sind, wird durch eine langjährige Amtstätigkeit erworben. Bei gebotener Durchschnittsbetrachtung ist nun anzunehmen, daß die Aussicht auf einen aus der Amtstätigkeit resultierenden Ruhebezug (der mit die Funktion hat, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen) - wenngleich keineswegs ein ausschlaggebendes, so doch - ein mitbestimmendes Moment für den Willensentschluß bildet, sich für die öffentliche Funktion zur Verfügung zu stellen und sie längerwährend auszuüben. Vergleicht man nun die Situation desjenigen Amtsträgers, der - wenn auch nicht mit allen erst künftig in Erscheinung tretenden Details, aber doch in den wesentlichen Umrissen - Kenntnis davon hat, daß ein späterer Ruhebezug einem verhältnismäßig strengen Kürzungssystem unterworfen ist, mit demjenigen, der dieses (sein Verhalten mitbestimmende) Wissen nicht haben konnte, so werden gravierende Unterschiede im Tatsachenbereich deutlich, die anscheinend einer schematischen Gleichbehandlung der Betroffenen entgegenstehen. Der VfGH neigt daher zur Meinung, daß die durch §39b des Statutes der Landeshauptstadt Graz 1967 idF der Nov. LGBl. 11/1985 herbeigeführte undifferenzierte Behandlung von Ruhebezugsempfängern ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf Modalitäten des Anspruchserwerbs mit dem Gleichheitsssatz nicht vereinbar ist, der bei einer solchen Lage wohl eine Übergangsregelung im Gesetz erfordert hätte."
III. Die Steiermärkische Landesregierung erstattete (im esentlichen gleichlautende) Äußerungen, in denen sie die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung verteidigte und insbesondere ausführte:
"Zweifellos trifft es zu, daß für die Entscheidung, sich um ein 'politisches' Amt zu bewerben, im allgemeinen auch die Aussicht auf das mit der Funktion verbundene Einkommen bzw. den zu erwartenden Ruhegenuß maßgeblich ist. Es wäre völlig unrealistisch anzunehmen, daß Träger von politischen Ämtern ausschließlich für die Politik und nicht auch von der Politik leben wollten. Tatsächlich hat in den letzten Jahrzehnten eine weitgehende Angleichung der bezugsrechtlichen Stellung von Trägern politischer Ämter an jene der Beamten stattgefunden.
Es sei auch außer Streit gestellt, daß ein Unterschied zwischen der Situation desjenigen Amtsträgers, der im Zeitpunkt seiner Bewerbung um ein Amt in wesentlichen Umrissen davon Kenntnis hat, daß sein späterer Ruhebezug einem verhältnismäßig strengen Kürzungssystem unterworfen ist, und jener eines Amtsträgers, der im Zeitpunkt seiner Entscheidung dieses Wissen nicht haben konnte, besteht.
Nach Ansicht der Steiermärkischen Landesregierung ist dieser Unterschied jedoch nicht so gravierend, daß aus einer rechtlichen Gleichstellung dieser beiden Situationen eine Verletzung des Gleichheitssatzes folgen würde. Jeder Träger eines politischen Amtes muß sich nämlich dessen bewußt sein, daß er dieses Amt rechtlich gesehen jederzeit verlieren kann, wenn ihm der allgemeine Vertretungskörper, dem er politisch verantwortlich ist, das Vertrauen entzieht. Der Umstand, daß es in Österreich relativ selten zu einer derartigen Abberufung eines Trägers einer politischen Funktion kommt, ändert nichts an der Tatsache, daß ein Amtsträger diese Möglichkeit in Rechnung stellen muß. Es kann daher kein Träger eines politischen Amtes bei seiner Entscheidung für die Bewerbung um das Amt darauf vertrauen, daß er einmal einen Ruhegenußanspruch erwerben werde. Dadurch unterscheidet sich trotz aller Annäherung die rechtliche Stellung des Politikers noch immer fundamental von jener des Beamten.
Zudem muß sich ein Bewerber um eine politische Funktion des Umstandes bewußt sein, daß seine Rechtsstellung in besonders hohem Maß von der Haltung der breiten Öffentlichkeit gegenüber Trägern politischer Funktionen im allgemeinen bestimmt wird. Er kann daher nicht davon ausgehen, daß Regelungen über das Einkommen von Politikern, die in einem bestimmten Zeitpunkt durchsetzbar waren, weil die Entscheidungsträger damit rechnen konnten, daß diese Regelung in der Öffentlichkeit hingenommen werden würde, mit diesem Inhalt für ihn jedenfalls bis an sein Lebensende gelten werde. Nach Ansicht der Steiermärkischen Landesregierung darf unter dem Aspekt des aus dem Gleichheitssatz der Bundesverfassung folgenden Sachlichkeitsgebotes auch ein Träger einer politischen Funktion wohl darauf vertrauen, daß jene rechtliche Situation, die für ihn bei der Entscheidung für die Bewerbung um sein Amt mit maßgeblich gewesen ist, nicht in radikaler Weise, etwa im Sinne eines Verlustes sämtlicher Versorgungsansprüche, verändert werde. Er muß aber in gewissem Umfang das Risiko einer Veränderung dieser rechtlichen Position zu seinen Ungunsten tragen, weil er sich eben bewußt sein muß, daß seine rechtliche Stellung in besonders hohem Maße von der politisch wirksamen öffentlichen Meinung abhängig ist.
Die durch §39b des Statutes der Landeshauptstadt Graz, in der Fassung der Nov. LGBl. Nr. 11/1985, angeordneten Kürzungen sind nach Ansicht der Steiermärkischen Landesregierung nicht so gravierend, daß gesagt werden könnte, ein Wissen um sie hätte - bei gebotener Durchschnittsbetrachtung - die Entscheidung eines Betroffenen für die Bewerbung um ein politisches Amt beeinträchtigen können. In allen Fällen ist nämlich der dem ehemaligen Amtsträger gebührende Ruhebezug so hoch, daß er die Funktion erfüllt, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen."
IV. Der VfGH hat - nach Verbindung der Gesetzesprüfungsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung - erwogen:
1. In sämtlichen Anlaßbeschwerdefällen hätte der Gerichtshof meritorisch zu entscheiden und hiebei die in Prüfung genommene Gesetzesstelle anzuwenden, welche - wie insbesondere aus der im letzten Satzteil ihres ersten Satzes enthaltenen Vorschrift über die Bildung einer Summe folgt - eine nicht trennbare Einheit bildet. Außer der Präjudizialität sind - was von der Steiermärkischen Landesregierung nicht in Zweifel gezogen wurde - auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen der eingeleiteten Prüfungsverfahren gegeben.
2. Die Bedenken des VfGH erweisen sich als gerechtfertigt.
Nach Maßgabe der Einleitungsbeschlüsse hat sich der Gerichtshof nicht damit auseinanderzusetzen, ob eine (gänzliche oder teilweise) Bezugskürzung im allgemeinen (etwa unter dem Aspekt der früheren Leistung von Ruhebezugsbeiträgen) zulässig erscheint, sondern ausschließlich mit der Frage, ob der in den Prüfungsbeschlüssen beschriebene Eingriff in wohlerworbene Rechte im Sinne der ständigen, auch hier beizubehaltenden Rechtsprechung des VfGH (s. zB das schon in den Einleitungsbeschlüssen angeführte Erkenntnis VfSlg. 3836/1960) vor dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot bestehen kann. Entgegen der von der Landesregierung verfochtenen Ansicht trifft dies aber nicht zu.
Wie der Gerichtshof schon im Prüfungsbeschluß (- das Vorliegen mehrerer - inhaltsgleicher - Prüfungsbeschlüsse wird hier und im folgenden sprachlich außer Betracht gelassen -) hervorgehoben hat, zählt zu den Beweggründen des Gesetzgebers, auch in bereits entstandene Rechtspositionen rechtsmindernd einzugreifen, gewiß das Bestreben, gleiche sachliche Voraussetzungen aufweisende Anspruchsberechtigte gleich zu behandeln. Dieses unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes ins Gewicht fallende Motiv vermag aber in der Tat nicht, die Minderung wohlerworbener Rechte jedweder Art in jedweder Intensität sachlich zu begründen.
Die Ansprüche auf Ruhebezug, welche von dem im §39b leg.cit. vorgesehenen Kürzungssystem betroffen sind, werden durch eine langjährige Amtstätigkeit in der zuletzt innegehabten (sowie allenfalls in einer vorhergehenden, vergleichbaren) Funktion erworben. Das Gesetz erfordert für den Erwerb des Anspruchs in der vollen Höhe eine 15jährige Funktionsausübung und es zeigen die - für die gebotene Durchschnittsbetrachtung durchaus aussagekräftigen, zahlreichen - Anlaßfälle insgesamt eine langwährende, häufig sogar erheblich über den erwähnten Zeitraum hinausreichende Amtstätigkeit des politischen Funktionärs. Der VfGH bleibt bei der nicht widerlegten Annahme des Einleitungsbeschlusses, daß die Aussicht auf einen aus der Amtstätigkeit resultierenden Ruhebezug - wenngleich keineswegs ein ausschlaggebendes, so doch - ein mitbestimmendes Moment für den Willensentschluß des Amtsträgers bildet, sich für die öffentliche Funktion zur Verfügung zu stellen und sie längerwährend auszuüben, und hält auch grundsätzlich an der Ansicht fest, daß dem Ruhebezug in noch zu erörtender Weise die Funktion zukommt, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen. Die entgegenstehende - verbreitete - Auffassung, Ruhebezüge hätten bloß eine wirtschaftliche Ausgleichsfunktion wegen einer zukünftigen Einbuße im beruflichen Fortkommen des öffentlichen Amtsträgers, hebt nur einen - bei gebotener Durchschnittsbetrachtung - minder bedeutsamen Umstand hervor und ist daher nicht geeignet, als Prämisse daran geknüpfte Überlegungen über die Zulässigkeit von Ruhebezugskürzungen zu tragen. Einerseits hat nämlich (- was hier und im folgenden ebenfalls aufgrund von Durchschnittsbetrachtungen gesagt sei -) bereits das Amtseinkommen teilweise diese Ausgleichsfunktion und andererseits ist im Hinblick auf das Durchschnittsalter bei (ruhebezugsberechtigtem) Ausscheiden aus dem öffentlichen Amt die Möglichkeit einer zukünftigen Einbuße im beruflichen Fortkommen lediglich unter der minder wahrscheinlichen Voraussetzung anzunehmen, daß der Amtsträger trotz seines vorgeschrittenen Lebensalters in seine Berufstätigkeit wieder eintritt. Was die weitere, schon angeschnittene Frage nach der Funktion des Ruhebezugs betrifft, ist festzuhalten, daß dessen Bedeutung sogar vorrangig darin zu erblicken ist, ein erhebliches Absinken unter einen einmal erzielten, durch das hohe kommunalpolitische Amt charakterisierten Standard der Lebensführung nicht eintreten zu lassen; es ergibt sich dies zwanglos aus der im Prinzipiellen der Beamtenpension gleichartigen Konstruktion.
Von den eben dargelegten Voraussetzungen her ist es aber sachlich nicht begründbar, denjenigen Amtsträger, der sein öffentliches Amt langjährig im Vertrauen darauf ausübt, daß er die Anwartschaft auf einen an seinem Amtseinkommen orientierten Ruhebezug erwirbt und diesbezüglich insbesondere nicht durch die zu gewärtigende Berufspension (zB eine Beamtenpension oder eine Pension aus der gesetzlichen Sozialversicherung) eine Schmälerung erfährt, plötzlich einem strengen, im wirtschaftlichen Effekt auf die Berufspension greifenden Kürzungssystem zu unterwerfen. Er würde dadurch nämlich einem solchen Amtsträger völlig gleichgestellt, der entweder überhaupt schon im vorhinein oder zumindest während eines nicht unbeträchtlichen Zeitraums seiner Amtsausübung (wenn auch nicht mit allen erst künftig in Erscheinung tretenden Details, aber doch in den wesentlichen Umrissen) Kenntnis davon hat, daß sein späterer Ruhebezug einem rigorosen Kürzungssystem unterliegen wird. Der eben gezogene Vergleich erweist, daß der Unterschied im Tatsachenbereich derart schwer wiegt, daß er einer - im Gesetz allerdings vorgesehenen schematischen Gleichbehandlung der Betroffenen entgegensteht. Hiezu ist noch anzumerken, daß der Hinweis der Steiermärkischen Landesregierung auf eine jederzeit mögliche Abberufung des politischen Amtsträgers im gegebenen Zusammenhang nicht aussagekräftig ist, weil eine Durchschnittsbetrachtung - wie schon erwähnt wurde - im allgemeinen eine längerwährende, die zeitlichen Anspruchsvoraussetzungen verwirklichende Amtsausübung zeigt. Vollends unzutreffend ist ihre Überlegung für jene hauptsächlich betroffenen ehemaligen Stadtsenatsmitglieder, die bereits bei Inkrafttreten der Nov. LGBl. 11/1985 aus dem Amt geschieden waren. Auch der weitere Einwand der Landesregierung, die Ruhebezugskürzung sei nicht gravierend, geht fehl; in dieser Hinsicht macht der Gerichtshof zB auf die Beschwerdesache B882/85 aufmerksam, in der sich - von der Bemessungsgrundlage ausgehend - eine Kürzung von rund 38 vH errechnet.
3. Die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung war sohin als verfassungswidrig aufzuheben.
Von einer Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung war abzusehen, weil die verfügten Kürzungen nicht bloß in Ansehung bereits aus dem Amt geschiedener öffentlicher Funktionäre unzulässig sind.
Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG sowie auf Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.
Schlagworte
Bezüge, Rechte wohlerworbene, Gemeinderecht, Organe, Gemeindevorstand, MandatareEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:G255.1986Dokumentnummer
JFT_10129682_86G00255_00