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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Hinterauer, Dr. Zach, Dr. Karlik und Dr. Seiler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Hochschulassistent Dr. Stadler, über die Beschwerde des MO in W, vertreten durch Dr. Augustin Fritz, Rechtsanwalt in Wien I, Riemergasse 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 21. September 1975, Zl. 177.291-7/1973, betreffend Gewährung eines Begabtenstipendiums, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Augustin Fritz und des Vertreters der belangten Behörde, Ministerialrat Dr. RM, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 1.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte als Student der Rechts- und Staatswissenschaften an der juridischen Fakultät an der Universität Wien am 21. Dezember 1972 einen Antrag auf Gewährung eines Begabtenstipendiums nach dem Studienförderungsgesetz. Das Wintersemester 1972/73 war nach seinen eigenen Angaben das 12. Semester seines oben angeführten Studiums. Im Zuge dieses Studiums habe er bis zum Antragstag die rechtshistorische Staatsprüfung am 3. Oktober 1966 mit Auszeichnung in allen Fächern, die judizielle Staatsprüfung am 3. Oktober 1972 mit mehrstimmig gutem und das judizielle Rigorosum am 24. Oktober 1972 gleichfalls mit mehrstimmig gutem Erfolg abgelegt.
Die Kommission für Begabtenförderung an der zuständigen Fakultät wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 19. April 1973 ab und begründete dies damit, der Beschwerdeführer habe den in § 24 Abs. 2 lit. a StudFG in Verbindung mit der Verordnung des Professorenkollegiums der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien vom 2. Dezember 1970, § 3 lit. b, geforderten besonders günstigen Studienerfolg nicht nachgewiesen.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer im wesentlichen aus, der zeitliche Abstand zwischen erster und zweiter Staatsprüfung sei bei ihm deshalb so lang gewesen, weil er von Herbst 1967 bis Mai 1971 an führender Stelle mit offizieller österreichischer Hochschulpolitik beschäftigt gewesen sei, nämlich als Referent für Hochschulreform bzw. als Vorsitzender des Zentralausschusses der Österreichischen Hochschülerschaft. Anschließend habe er sich bis Mai 1972 in Californien aufgehalten. Die Funktion eines Vorsitzenden des Zentralausschusses der Österreichischen Hochschülerschaft und etwaige gleichwertige Funktionen seien mit einem ordentlichen zeitlichen Studienerfolg incompatibel. Werde deshalb im Zuge der Beendigung des Studiums ein Stipendium versagt, obwohl sonst alle Voraussetzungen erfüllt seien, diskriminiere dies nicht nur ehemalige oberste Repräsentanten einer Körperschaft öffentlichen Rechts, sondern bedeute praktisch, dass derartige Funktionen in Zukunft nur mehr für sozialprivilegierte, von vornherein auf ein Stipendium nicht angewiesene Studenten zugänglich seien, oder Funktionsträger nur mehr ehemalige oder absolvierte Studierende werden könnten. Dies könne nicht - wenn auch nur implizit - Zweck und Sinn eines Begabtenförderungsgesetzes sein.
In einem (undatierten) Anhang zu seiner Berufungsschrift wies der Beschwerdeführer darauf hin, Studenten mit schlechteren Prüfungserfolgen als den seinen hätten Begabtenstipendien erhalten. Er selbst habe unter Anrechnung eines Semesters inzwischen den dritten Studienabschnitt mit Staatsprüfung und Rigorosum mit jeweils ausgezeichnetem Erfolg beendet.
Die belangte Behörde gab der Berufung mit Bescheid vom 21. September 1973 keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid der Kommission für Begabtenförderung mit der Maßgabe, dass er zu lauten habe, der Antrag des Beschwerdeführers vom 21. Dezember 1972 auf Gewährung eines Begabtenstipendiums für das Studienjahr 1972/73 werde gemäß § 25 Abs. 2 StudFG abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach der eben zitierten Gesetzesstelle sei die Bewilligung eines Begabtenstipendiums über die gesetzlich vorgesehene Studienzeit hinaus nicht zulässig, soweit die Verzögerung nicht auf einen der im § 2 Abs. 3 StudFG genannten Gründe zurückzuführen sei. Unter Mitberücksichtigung eines angerechneten Semesters Volkswirtschaftslehre habe sich der Beschwerdeführer zur Zeit der Einreichung seines Antrages bereits im 13. Semester befunden. Die durchschnittliche Studienzeit zur Absolvierung des rechts- und staatswissenschaftlichen Studiums betrage aber nach der Verordnung des zuständigen Professorenkollegiums neun Semester. Eine nach § 2 Abs. 3 StudFG zu tolerierende Studienzeitüberschreitung liege nicht vor, weil keiner der dort angeführten Gründe (Krankheit, Schwangerschaft, unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das der Studierende nicht selbst verschuldet hat und das geeignet ist, den Studienerfolg zu beeinträchtigen) gegeben gewesen sei. Denn aus der Gleichstellung des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses mit Krankheit oder Schwangerschaft sei abzuleiten, dass es sich um Umstände handeln müsse, welche die Dispositionsfreiheit des Studierenden hinsichtlich der Überschreitung der vorgesehenen Studienzeit ausschalten. Die Annahme eines Mandates in der österreichischen Hochschülerschaft sei aber eine persönliche Entscheidung, die einem "unabwendbaren oder unvorhergesehenen Ereignis" nicht gleichgestellt werden könne. Besondere soziale Umstände im Einzelfall durften schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil im Hinblick auf die einer Fakultät zugewiesene Zahl von Begabtenstipendien im allgemeinen die Bewilligung eines solchen Stipendiums zur Abweisung eines anderen Antrages führe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit dem Antrage, den angefochtenen Bescheid in dem Sinn abzuändern, dass dem Beschwerdeführer das Begabtenstipendium für das Studienjahr 1972/73 zuerkannt werde. In eventu wird beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben und (die Sache) zur Verfahrensergänzung an die Unterbehörden zurückzuverweisen. Für den Fall, als der Verwaltungsgerichtshof zur Auffassung gelangen sollte, der angefochtene Bescheid sei auf Grund einer Gesetzesbestimmung erlassen worden, welche den Bestimmungen der Bundesverfassung widerspricht, wird angeregt, das Verfahren zu unterbrechen und beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Bestimmung des § 2 Abs. 3 letzter Satz StudFG zu beantragen.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift mit Gegenanträgen erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 25 Abs. 2 zweiter Satz StudFG, BGBl. Nr. 421/1969, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 330/1971, ist eine Bewilligung eines Begabtenstipendiums über die gesetzlich vorgeschriebene Studienzeit hinaus nicht zulässig, soweit die Verzögerung nicht auf einen der im § 2 Abs. 3 genannten Gründe zurückzuführen ist. Die in der letztgenannten Vorschrift angeführten "Gründe" sind: Krankheit, Schwangerschaft sowie ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das der Studierende nicht selbst verschuldet hat und das geeignet ist, den Studienerfolg zu beeinträchtigen.
Welche Zeit bis zur Erlassung besonderer Studiengesetze, Studienordnungen und Studienpläne für das rechts- und staatswissenschaftliche Studium als angemessen zur Absolvierung der Staatsprüfungen und Rigorosen dieses Studiums anzusehen ist, bestimmt nach § 33 Abs. 2 StudFG die zuständige akademische Behörde. Diese Behörde, nämlich das Professorenkollegium der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, hat in § 1 Abs. 1 ihrer am 13. April 1973 durch Anschlag an der Amtstafel des Dekanates im Sinne des § 25 Abs. 10 HochschulOrganisationsgesetz ordnungsgemäß kundgemachten Verordnung vom 31. Jänner 1973 in der Fassung vom 11. April 1973 bestimmt, dass die angemessene Studienzeit für die Ablegung der rechtshistorischen Staatsprüfung (den ersten Studienabschnitt) zwei Semester beträgt, für die Ablegung der judiziellen Staatsprüfung (den zweiten Studienabschnitt) drei Semesters für die Ablegung der staatswissenschaftlichen Staatsprüfung (den dritten Studienabschnitt) drei Semester und für die Ablegung des rechtshistorischen Rigorosums ein Semester, gerechnet ab der Ablegung der staatswissenschaftlichen Staatsprüfung.
Dass der Beschwerdeführer diese angemessene Studienzeit um ein erhebliches überschritten hat, steht nach der Aktenlage außer Frage und wird vom Beschwerdeführer auch zugegeben. Er wendet sich aber gegen die Rechtsauffassung der belangten Behörde zunächst insofern, als seiner Meinung nach die Aufzählung der für den Anspruch auf Begabtenstipendium unschädlichen Gründe einer Studienverzögerung in § 2 Abs. 3 letzter Satz StudFG keine taxative sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach der hier in erster Linie in Betracht kommenden Vorschrift des § 25 Abs. 2 zweiter Satz StudFG die Bewilligung eines Begabtenstipendiums über die gesetzlich vorgeschriebene Studienzeit hinaus schlechtweg für unzulässig erklärt ist, soweit die Verzögerung nicht auf einen der im § 2 Abs. 3 genannten Gründe zurückzuführen ist. Liegt also ein Sachverhalt vor, der unter keinen Grund eingeordnet werden kann, der in § 2 Abs. 3 leg. cit. genannt, das heißt dort ausdrücklich angeführt ist, dann ist eine Bewilligung eines Begabtenstipendiums über die vorgeschriebene Studienzeit hinaus unzulässig. Ein ausdrücklicher Hinweis auf den taxativen Charakter der Aufzählung in § 2 Abs. 3 leg.cit. selbst ist schon im Hinblick auf diese sich zwingend aus der Fassung des § 25 Abs. 2 zweiter Satz StudFG ergebende Schlussfolgerung nicht vonnöten.
Da Krankheit oder Schwangerschaft unbestrittenermaßen nicht die Gründe der beim Beschwerdeführer eingetretenen Studienverzögerung waren, ist für den gegebenen Fall die einzig entscheidende Frage, ob Annahme und Ausübung von Funktionen innerhalb der Österreichischen Hochschülerschaft als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu qualifizieren sind, das der Studierende nicht selbst verschuldet hat und das geeignet ist, den Studienerfolg zu beeinträchtigen. Ereignis ist, wie sich aus der Wortbildung ergibt, zunächst immer und ausschließlich nur ein Geschehen in der Außenwelt und niemals ein bloß dem Innenleben des vom "Ereignis" Betroffenen angehöriger Vorgang (vgl. Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Mai 1949, Zl. 1402/48, S1g. N. F. Nr. 810/A). In diesem Sinne waren gewiss Übernahme und Ausübung der Funktion in der Österreichischen Hochschülerschaft ein "Ereignis" für den Beschwerdeführer. Das "Ereignis" musste aber, um ein für den Anspruch auf Begabtenstipendium nicht schädlicher Grund der Studienverzögerung zu sein, darüber hinaus entweder "unvorhergesehen" oder "unabwendbar" gewesen sein. Die erstgenannte Qualifikation kommt keinesfalls in Betracht, weil der Übernahme und Ausübung der Funktion wenn schon nicht eine Bewerbung, so doch in jedem Fall eine dem Beschwerdeführer freigestandene Annahme der angebotenen Funktion vorausging. Spätestens bei dieser Annahme aber hat der Beschwerdeführer die damit verbundene zusätzliche Tätigkeit vorhergesehen oder sie (was rechtlich gleichbedeutend ist) bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt vorhersehen müssen. Letztlich entscheidend ist also nur noch, ob das "Ereignis" unabwendbar im Sinne des § 2 Abs. 3 StudFG war oder ihm diese Qualifikation nicht zukam.
Unabwendbar ist ein Ereignis jedenfalls dann, wenn sein Eintritt vom Willen des Betroffenen nicht verhindert werden kann. Dem gleichzustellen sind alle jene Fälle, in denen der physisch möglichen Ausübung eines auf den Nichteintritt des Ereignisses gerichteten Willens ein Rechtsgebot entgegensteht. Ob die Unabwendbarkeit eines Ereignisses über diese Fälle hinaus dann bejaht werden kann, wenn dem Betroffenen die physisch mögliche Ausübung eines den Nichteintritt des Ereignisses nach sich ziehenden Willensaktes aus anderen als im Bestehen eines Rechtsgebotes liegenden Gründen nicht zugemutet werden kann, ist nach der Lage des Einzelfalles und nach dem Zweck des Gesetzes, das an das Vorliegen des unabwendbaren Ereignisses eine Rechtsfolge knüpft, zu entscheiden.
Im gegebenen Fall konnte der Beschwerdeführer das Ereignis, das seine Studienzeit über die vorgeschriebene hinaus verzögert hat, dadurch abwenden, dass er sich um Funktionen bei der Österreichischen Hochschülerschaft nicht bewerben oder die Übernahme solcher Funktionen nicht annehmen musste. Ein derartiger Willensakt war ihm im Sinne der vorstehenden Ausführungen auch zumutbar. Denn das Studienförderungsgesetz geht davon aus, dass der Studierende alles seiner Dispositionsfähigkeit Übertragene in erster Linie so gestaltet, dass er sein Studium innerhalb der vorgeschriebenen Zeit vollendet. Andere Interessen, insbesondere das Interesse an der Tätigkeit innerhalb einer Körperschaft auch des öffentlichen Rechts hat er diesem Interesse hintanzustellen. Tut er dies nicht, dann kann das dadurch bedingte, das Studium verzögernde Ereignis nicht als "unabwendbar" im Sinne des § 2 Abs. 3 StudfG angesehen werden.
Diese Auslegung des Gesetzes verstößt - im Gegensatz zu der in der Beschwerde vertretenen Meinung - auch keineswegs gegen das verfassungsgesetzlich verankerte Gleichheitsgebot. Denn dieses Gebot (Art. 7 B-VG, Art. 2 StGG) beinhaltet nur die Verpflichtung des Gesetzgebers, sich bei der rechtlichen Behandlung der Staatsbürger von sachlich gerechtfertigten Unterscheidungsmerkmalen leiten zu lassen. Der Gesetzgeber ist also durch den Gleichheitssatz insoweit gebunden, als die Abgrenzung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Tatbeständen nach sachlichen Gesichtspunkten vorzunehmen ist. Wenn nun der Gesetzgeber des Studienförderungsgesetzes eine Differenzierung dahin vorgenommen hat, ob Studienverzögerungen durch einen andere lnteressen (z.B auch das Interesse, im Rahmen einer gesetzlich vorgesehenen Interessenvertretung tätig zu sein) hintanstellenden Willensakt des Studierenden zu verhindern sind oder nicht, kann darin eine den Gleichheitssatz verletzende Unsachlichkeit dieser Regelung nicht erblickt werden. Deshalb sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu der von der Beschwerde angeregten Stellung eines Antrages an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung des § 3 Abs. 2 StudFG nicht veranlasst.
Die Beschwerde aber war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz an den Bund als den Rechtsträger, in dessen Namen die belangte Behörde in der vorliegenden Beschwerdesache gehandelt hat, beruht auf den §§ 47 Abs. 1, Abs. 2 lit. b, Abs. 5, 43 Abs. 2 lit. a, b und d VwGG 1965 und auf Art. I Z. 4 bis 6 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 14. November 1972, BGBl. Nr. 427.
Wien, am 28. Februar 1974
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1974:1973001700.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
23.08.2013