TE Vwgh Erkenntnis 1977/3/7 2385/76

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Veröffentlicht am 07.03.1977
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Dolp und die Hofräte Dr. Schmelz, Dr. Großmann, Dr. Pichler und Dr. Drexler als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberregierungsrat Dr. Antoniolli, über die Beschwerden des FM in I, vertreten durch Dr. Hansjörg Schiestl, Rechtsanwalt in Innsbruck, Fallmerayerstraße 12, gegen die Bescheide der Tiroler Landesregierung I) vom 26. August 1976, Zl. II b 2-V-627/23-75, und II) vom 27. August 1976, Zl. II b 2-V- 627/24-75, betreffend 1) Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages und 2) Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 1.440,--binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 11. April 1975 wurde über den Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretungen nach §§ 9 Abs. 1, 52 lit. a Z. 14 und 22 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) drei Geldstrafen, für deren Nichteinbringlichkeitsfall Arreststrafen festgesetzt wurden, verhängt. Das Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer zu eigenen Handen am 21. April 1975 zugestellt. Am 7. Mai 1975 (Postaufgabe 6. Mai 1975) brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hansjörg Schiestl, dagegen Berufung und gleichzeitig einen Wiedereinsetzungsantrag ein, in welchem er die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Nach dem Inhalt des Wiedereinsetzungsantrages wurde die Berufungsschrift in der Kanzlei des Rechtsanwaltes am 25. April 1975 in das Tonbandgerät diktiert und am 28. April 1975 geschrieben. Am Abend des 28. April 1975 seien einige Schriftstücke zur Post zu bringen gewesen, unter anderem auch die vorliegende Berufung. Dr. Schiestl habe dann neben anderen Poststücken auch die Berufungsschrift zur Aufgabe bei der Post anlässlich seines Nachhauseweges übernommen. Am 6. Mai 1975 habe Dr. Schiestl nunmehr die sich im Umschlag befindliche Berufungsschrift in einer Ausgabe der Österreichischen Juristenzeitung gefunden, einer Zeitschrift, die er sich zum Studium nach Hause mitgenommen habe. Auf unerklärliche Weise müsse die Berufungsschrift in diese Zeitung gerutscht sein, sodass sie nicht rechtzeitig überreicht wurde. Es habe sich hiebei zweifelsohne um einen vom Verschulden nicht umfassten Zufall gehandelt, der ein solches unvorhergesehenes Ereignis darstelle, welches die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerechtfertigt erscheinen lasse.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 9. Mai 1975 wurde der Wiedereinsetzungsantrag mangels tauglicher Gründe im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 abgewiesen. Der als Wiedereinsetzungsgrund geschilderte Sachverhalt sei möglicherweise wohl ein unvorhergesehenes, nicht aber ein ohne Verschulden eingetretenes Ereignis, weil es einem berufsmäßigen Parteienvertreter bei Aufwendung der erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt ohne weiteres möglich sein müsse, eine Berufungsschrift ihrem Bestimmungsorte zuzuführen. Ein bloßes Versehen des Vertreters stelle somit keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar. Nach ständiger Rechtsprechung gehe ein Verschulden des Vertreters zu Lasten des Auftraggebers und trage dieser das Risiko.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, es habe sich keinesfalls um ein schuldhaftes Verhalten seines Vertreters gehandelt. Ein solches Verschulden, auch in der Form einer Fahrlässigkeit, sei jedoch Voraussetzung für die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages. Die Tatsache, dass die Berufungsschrift in die Zeitung gelangte, sei zweifelsohne ein unverschuldeter Zufall, der, vom Willen des Vertreters unabhängig, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand berechtigt erscheinen lasse. Ein solcher Vorfall, wonach die Berufungsschrift - sie habe sich in einem Briefumschlag von der Größe DIN A 5 befunden - wahrscheinlich durch eine Rüttelbewegung in der Aktentasche von selbst in die Zeitung gerutscht sei, sei ein von außen kommendes Ereignis im Sinne des §71 AVG. Der Vertreter des Beschwerdeführers könne ausschließen, dass dieses Kuvert bereits von ihm versehentlich in die Zeitschrift eingelegt worden sei. Vielmehr müsse das Einrutschen in die Zeitschrift während des Transportes von der Kanzlei zur Post geschehen sein.

Mit den beiden Bescheiden vom 25. September 1975 wurde einerseits die Berufung hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrages als unbegründet abgewiesen, andererseits die Berufung in der Verwaltungsstrafsache selbst als verspätet zurückgewiesen. Infolge erhobener Verwaltungsgerichtshofbeschwerden verfielen beide Bescheide aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde der Aufhebung (Erkenntnisse vom 5. April 1976, Zl. 2041/75, und vom 26. April 1976, Zl. 2043/75).

Nachdem der in der mangelnden Kundmachung der Geschäftsordnung der Tiroler Landesregierung gelegene Fehler durch die Verordnung der Landesregierung vom 18. November 1975, LGBl. Nr. 75, saniert worden war, erließ die belangte Behörde die nunmehr angefochtenen Bescheide vom 26. August 1976, betreffend den Wiedereinsetzungsantrag, und vom 27. August 1976, betreffend die Zurückweisung der Berufung in der Verwaltungsstrafsache selbst. Die Sprüche sind inhaltsgleich mit denen der Bescheide vom 25. September 1975. In der Wiedereinsetzungssache wird begründend folgendes ausgeführt: Abgesehen davon, dass es nach den Erfahrungen des täglichen Lebens unwahrscheinlich sei, dass ein Briefkuvert von der Größe DIN A 5, welches neben einer Zeitschrift in der Aktentasche untergebracht sei, ohne fremdes Zutun, wie etwa durch eine Rüttelbewegung, in die Zeitschrift rutschen könne, wäre in einem solchen Falle das Verschulden des Rechtsvertreters bzw. seines Kanzleipersonales darin zu erblicken, dass die Berufungsschrift in der Aktentasche eben nicht so verwahrt wurde, dass ein Hineinrutschen in eine daneben verstaute Zeitschrift unmöglich gewesen sei. Vielmehr müsse jedoch angenommen werden, dass die Berufung bereits beim Verstauen in der Aktentasche bzw. beim Herausnehmen der dort verwahrten Aktenstücke auf Grund einer Unachtsamkeit zeitweise verloren gegangen sei. Die Berufungsbehörde könne daher ebenso wie die Erstbehörde überdies nicht finden, dass dem Beschwerdeführer, den die Fehler seines Anwaltes in diesem Falle belasteten, keine Fahrlässigkeit unterlaufen sei. Ein unverschuldeter Zufall könne somit nicht angenommen werden. Daher fehle es an einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis im Sinne des § 71 AVG 1950. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei nur ein von außen kommendes, dem Einflussbereich des Antragstellers entzogenes Ereignis ein unvorhergesehenes oder unabwendbares im Sinne des Gesetzes (Erkenntnis vom 8. Jänner 1963, Zl. 236/61).

Hinsichtlich der Zurückweisung der Berufung in der Verwaltungsstrafsache selbst wurde darauf hingewiesen, dass zufolge Zustellung des Straferkenntnisses erster Instanz vom 21. Apri1 1975 die Berufungsfrist zur Zeit der Einbringung der Berufung (Postaufgabe 6. Mai 1975) bereits abgelaufen war.

Gegen diese Bescheide richten sich die beiden vorliegenden, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobenen Beschwerden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges gemeinsam behandelten Beschwerden erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen.

Gemäß § 51 Abs. 3 VStG 1950 betrug im Zeitpunkt der Erhebung der Berufung die Berufungsfrist in Verwaltungsstrafsachen eine Woche.

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) sind verspätete oder unzulässige Berufungen zurückzuweisen.

Wohl ist der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis des verstärkten Senates vom 25. März 1976, Zl. 265/75, von seiner früheren Rechtsprechung, Ereignis könne nur ein Vorgang in der Außenwelt sein, der außerhalb des Machtbereiches des vom Geschehenen Betroffenen eintrete, abgegangen und hat ausgesprochen, Ereignis sei im Sinne jedes Geschehens, also auch innerer Vorgänge, wie z.B. Vergessen, zu verstehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in einem weiteren Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Zl. 1212/76, ausgeführt, dass es ausgeschlossen ist, bei der Prüfung des Verhaltens des Parteibevollmächtigten auf seine Tauglichkeit, einen Wiedereinsetzungsgrund zu bilden, zwischen solchem Verhalten zu unterscheiden, das der Partei zum Vorteil gereicht und solchem, das ihr Schaden bringt. Angesichts der Bestimmung des § 12 AVG 1950 treffe daher ein Verschulden des Vertreters selbst auch die vertretene Partei. Der Verwaltungsgerichtshof verweist unter Hinweis auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes auf die Begründung des zuletzt genannten Erkenntnisses.

Im gesamten Wiedereinsetzungsvorbringen im Verwaltungsverfahren war eindeutig nur die Rede davon, dass dem Rechtsanwalt Dr. Schiestl selbst der Vorfall mit der Berufungsschrift zugestoßen sei. Der Verwaltungsgerichtshof teilt diesbezüglich die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass dann, wenn ein Schriftstück auf die behauptete Weise in einer Aktentasche, wenn auch nur zeitweilig "verschwindet", hiebei ein Verschulden des Trägers oder Benützers der Aktentasche vorliegen muss, sei es beim Verstauen der verschiedenen Schriftstücke in der Aktentasche, sei es durch die Art des Tragens der Aktentasche. Von einem unerklärlichen Zufall kann hiebei nicht gesprochen werden.

Da der Beschwerdeführer sowohl in erster Instanz als auch in der Berufungsschrift Gelegenheit hatte, seinen diesbezüglichen Standpunkt darzutun, ist die erstmals in der Beschwerde dargetane Ansicht, Dr. Schiestl hätte von der belangten Behörde zu dem Vorfall einvernommen werden müssen, nicht geeignet, eine Mangelhaftigkeit des Verwaltungsverfahrens, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen musste, darzutun; die Behörde hat ja, was den objektiven Sachverhalt anlangt, ohnehin all das als erwiesen angenommen, was der Beschwerdeführer behauptete. Zur Lösung der Rechtsfrage hingegen, welcher Grad von Aufmerksamkeit dem Benützer einer Aktentasche, die fristgebundene Schriftstücke enthält, zugesonnen werden kann, wäre die Vernehmung des Dr. Schiestl nicht tauglich gewesen.

Da ein, wenn auch nur geringfügiges, Verschulden eine Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ausschließt, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.

In der zu II.) genanten Beschwerde vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, wohl sei seine Berufung tatsächlich verspätet überreicht worden, jedoch hätte die belangte Behörde von ihrer zurückweisenden Entscheidung das Ergebnis des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof über die zu I.) genannte Beschwerde abwarten müssen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. Mai 1973, Slg. N. F. Nr. 8420/A, ausgesprochen hat, darf die Berufungsbehörde eine mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung solange nicht als verspätet zurückweisen, als der Wiedereinsetzungsantrag nicht abgewiesen wurde. Da im vorliegenden Fall der belangten Behörde am 27. August 1976 eine Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages vorlag, bestand kein Hindernis für ihre Entscheidung über die vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung.

Die unbegründeten Beschwerden waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 19. Dezember 1974, BGBl. Nr. 4/1975.

Wien, am 7. März 1977

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1977:1976002385.X00

Im RIS seit

07.07.2003

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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