Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §26 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schmelz und die Hofräte Dr. Leibrecht, Dr. Pichler, Dr. Draxler und Dr. Weiss als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesgerichtsrat Dr. Gerhard, über die Beschwerde des RD in M, Niederlande, vertreten durch Dr. Herbert Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien I, Schubertring 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 5. September 1977, Zl. IIb2-V- 3912a/1-77, betreffend Verfall einer Sicherheit wegen einer Übertretung des Kraftfahrgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 3.340,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
In der am 29. Dezember 1976 vom Gendarmeriepostenkommando Axams gegen den Beschwerdeführer erstatteten Anzeige wurde berichtet, dass der Beschwerdeführer am 24. Dezember 1976 um 10.00 Uhr mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagen, der nur mit vier Sommerreifen ausgestattet gewesen sei, auf der durchgehend mit Schnee bedeckten Gemeindestraße von Neugötzens in westlicher Richtung gefahren sei. Dort habe er wegen Verwendung von Sommerreifen und wegen überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall mit Sach- und Personenschaden verursacht.
Laut dieser Anzeige hatte noch am Tattage ein Beamter der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck das genannte Gendarmeriepostenkommando beauftragt, vom Beschwerdeführer wegen Übertretung des Kraftfahrgesetzes, nämlich des Fahrens mit Sommerreifen, den Betrag von S 1.000,-- sicherzustellen und den Beschwerdeführer anzuzeigen. Der Beschwerdeführer erlegte am 24. Dezember 1976 den Betrag von S 1.000,-- als vorläufige Sicherheit, und zwar nach dem verwendeten Quittungsformular "gemäß § 37a VStG" (1950).
Der Beschwerdeführer richtete von seinem Wohnsitz in Maastricht, Niederlande, aus am 4. Jänner 1977 ein Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, welches dort am 10. Jänner 1977 einlangte. In diesem - in mangelhaftem Deutsch abgefassten - Schreiben fragte der Beschwerdeführer, ob es eine Chance gebe, die Anzeige zu widerrufen, ihm sei als Tourist in Österreich das Gesetz nicht bekannt gewesen, die Fahrbahn sei nur auf etwa 150 m Länge glatt gewesen, auch mit Schneeketten wären bessere Fahreigenschaften nicht zu erzielen gewesen; schließlich werde er in der nächsten Saison "gute Reifen" verwenden.
Mit "Schreiben" der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 24. Jänner 1977 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen, widrigenfalls die eingehobene Sicherheitsleistung im Betrag von S 1.000,-- gemäß § 37 VStG 1950 verfalle. In diesem Schreiben war dem Beschwerdeführer auch der angezeigte Sachverhalt vorgehalten worden, ohne dass der Beschwerdeführer hierin als Beschuldigter bezeichnet worden wäre.
Mit Schreiben vom 14. Juni 1977, eingelangt bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck am 17. Juni 1977, legte der österreichische Rechtsanwalt Dr. Herbert Neuhauser zum Nachweis seiner Zustellbevollmächtigung eine Vollmachtsurkunde des Beschwerdeführers vor und beantragte die Rückerstattung der Sicherheit, weil der Sicherstellungsauftrag mangels Erlassung eines Straferkenntnisses oder einer Strafverfügung innerhalb der gesetzlichen Frist außer Kraft getreten sei.
Mit Bescheid vom 23. Juni 1977 wies die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck diesen Antrag ab. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich offensichtlich der Verfolgung entzogen, in dem er nicht rechtzeitig einen österreichischen Zustellungsbevollmächtigten namhaft gemacht habe; dadurch habe er eine Zustellung zu eigenen Handen und die Durchführung eines Strafverfahrens verhindert. Daher sei die Sicherheit gemäß § 37 Abs. 3 VStG 1950 verfallen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er bestritt darin, dass er sich der Verfolgungen entzogen habe. Vielmehr sei er, wie sich aus seinem Schreiben vom 4. Jänner 1977 ergeben habe, an der Fortführung des Verwaltungsstrafverfahrens interessiert gewesen. Schließlich hätte die Behörde ohne weiteres auch ein Straferkenntnis ins Ausland zustellen können. Da aber eine derartige Zustellung innerhalb der gesetzlichen Frist des § 37 Abs. 3 VStG 1950 nicht erfolgt sei, sei der Verfall der Sicherheitsleistung nicht gerechtfertigt. Im übrigen habe es die Behörde unterlassen, dem Beschwerdeführer einen Straftatbestand vorzuwerfen, denn das Fahren mit Sommerreifen im Winter sei grundsätzlich nicht verboten. Es wird daher der in erster Instanz gestellte Antrag wiederholt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde diese Berufung als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Behörde erster Instanz sei nicht berechtigt gewesen, einen Beschuldigten-Ladungsbescheid oder etwa ein Straferkenntnis ins Ausland zuzustellen. Daher sei der Kontakt mit dem Beschwerdeführer überhaupt nur durch einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten möglich gewesen. Weil der Beschwerdeführer auf die Aufforderung zur Namhaftmachung eines solchen nicht fristgerecht reagiert habe, sei die Setzung von behördlichen Maßnahmen gegen ihn auf Grund seines ausländischen Wohnsitzes nicht möglich gewesen und sei auch die Annahme berechtigt gewesen, dass er sich der weiteren Strafverfolgung entziehen habe wollen. Daher sei die Sicherheit gemäß § 37 Abs. 3 VStG 1950 verfallen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. In der Beschwerde wird geltend gemacht, die Aufforderung, einen Zustellbevollmächtigten namhaft zu machen, sei keine Verfolgungshandlung. Dass der Kontakt mit dem Beschwerdeführer auch im Ausland möglich gewesen sei, ergebe sich ja gerade aus der Zustellung dieser Aufforderung. Im übrigen sei die Frist zur Namhaftmachung des Zustellbevollmächtigten für einen Ausländer zu kurz gewesen. Bei Nichtbefolgung einer solchen Aufforderung hätte die Behörde mit Ersatzvornahme vorgehen können. Hingegen entbehre der eingeschlagene Weg, diesen nicht rechtzeitig befolgten Auftrag dadurch zu vollstrecken, dass die Sicherheitsleistung verfallen erklärt wurde, der gesetzlichen Grundlage. Im übrigen hätte die Behörde auch die verspätete Nennung des Zustellbevollmächtigten Dr. Herbert Neuhauser zur Kenntnis nehmen müssen. Schließlich sei die Einhebung der Sicherheitsleistung zur Zeit der Tat gemäß § 37 a VStG 1950 mit S 250,-- limitiert gewesen. Eine Sicherheitsleistung wegen einer Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967 sei zur Zeit der Tat überhaupt nicht vorgesehen gewesen. Das Verlangen nach der Sicherheitsleistung sei auch nicht auf § 100 Abs. 3 der Straßenordnung 1960 gestützt gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 37 Abs. 1 VStG 1950 kann die Behörde, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sich der Beschuldigte der Strafverfolgung oder dem Vollzug der Strafe entziehen will, diesem durch Bescheid auftragen, einen bestimmten Betrag als Sicherheit sofort zu erlegen oder durch Pfandbestellung oder taugliche Bürgen, die sich als Zahler verpflichten, sicherzustellen. Die Sicherheit darf den Betrag von S 10.000,-- nicht übersteigen, keinesfalls aber größer sein, als das Höchstausmaß der angedrohten Geldstrafe. Gegen den Sicherstellungsauftrag ist kein Rechtsmittel zulässig. Nach Absatz 2 dieses Paragraphen tritt der Sicherstellungsauftrag außer Kraft, wenn binnen drei Monaten nach seiner Erlassung kein Straferkenntnis (Strafverfügung) erflossen ist, wenn das Verfahren eingestellt wird oder die gegen den Beschuldigten verhängte Strafe vollzogen ist. Nach Absatz 3 dieses Paragraphen verfällt die Sicherheit, wenn sich der Beschuldigte der Verfolgung oder dem Vollzug der Strafe entzieht oder einer den Verfall androhenden, zu eigenen Handen zugestellten Ladung der Behörde unentschuldigt keine Folge leistet.
Gemäß § 26 Abs. 3 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) kann einer Partei, die außerhalb des Bereiches der in erster Instanz zur Amtshandlung berufenen Behörde wohnt, von dieser aufgetragen werden, innerhalb einer gleichzeitig zu bestimmenden Frist für eine bestimmte oder für alle bei dieser Behörde anhängig werdenden, sie betreffenden Angelegenheiten einen im Bereich der Behörde wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen.
Bei dem Auftrag zur Namhaftmachung eines Zustellungsbevollmächtigten handelt es sich um einen im Instanzenzug anfechtbaren verfahrensrechtlichen Bescheid (so auch Mannlicher-Quell 7, Anmerkung 4 zu § 26 AVG 1950 und Anmerkung 6 zu § 63 AVG 1950; Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I, 200; Schmelz, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, Anmerkung 7 zu § 26 AVG 1950, Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 72). Das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 24. Jänner 1977 an den Beschwerdeführer ist demnach als Bescheid zu betrachten, wenn ihm auch die Bezeichnung als Bescheid, die Trennung in Spruch und Begründung und eine Rechtsmittelbelehrung fehlt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Erkenntnis vom 25. Jänner 1966, Slg. N.F. Nr. 6847/A) kann einer Willensäußerung einer Verwaltungsbehörde, die ihrem Inhalte nach einen Bescheid darstellt, der Bescheidcharakter nicht deshalb abgesprochen werden, weil sie nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet ist. Daher kann auch eine in die Form einer Mitteilung oder Verständigung gekleidete Erledigung einen Bescheid darstellen. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt das vorerwähnte Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck an den Beschwerdeführer, so erkennt man seinen verfügenden Inhalt darin, dass der Beschwerdeführer aufgefordert wird, binnen bestimmter Frist einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland namhaft zu machen, widrigenfalls eine bestimmte Rechtsfolge eintreten werde. Hingegen beinhaltet die sich ebenfalls in diesem Schreiben findende Wiedergabe des Inhaltes der Gendarmerieanzeige weder eine Entscheidung noch eine Verfügung der Behörde, insbesondere wird der Beschwerdeführer nicht zur Rechtfertigung zu dieser Anzeige aufgefordert. Auch mangelt es an jeder Bezeichnung des Beschwerdeführers als Beschuldigter. Es kann daher, vom Inhalt dieses Bescheides ausgehend, darin keine Verfolgungshandlung gegen den Beschwerdeführer, sei es im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG 1950, sei es im Sinne des § 37 Abs. 3 VStG 1950 verstanden werden. So führt Hellbling a.a.O, II, 240 aus, die Behörde müsse klar zum Ausdruck bringen, dass sie eine Partei als Beschuldigten ansehe. In Zweifel werde eine Verfolgungshandlung zu verneinen sein.
Lag aber im Bescheid vom 24. Jänner 1977 keine Verfolgungshandlung, so konnte der Beschwerdeführer einen Zustellungsbevollmächtigten auch nach Ablauf der gesetzten Frist namhaft machen, ohne dass ihn deswegen irgendwelche Sanktionen getroffen hätten (zur Namhaftmachung des Zustellungsbevollmächtigten auch nach Fristablauf siehe Hellbling a. a.O. I, 200).
Hingegen trat der Sicherstellungsauftrag mit Ablauf des 24. März 1977 deshalb außer Kraft, weil bis zu diesem Tage weder ein Straferkenntnis noch eine Strafverfügung erflossen worden ist, aber auch das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht eingestellt wurde (§ 37 Abs. 2 VStG 1950).
Der am 14. Juni 1977 gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Rückerstattung des erlegten Betrages von S 1.000,-- war daher berechtigt, weshalb der diesen Antrag abweisende Bescheid, der im Instanzenzug von der belangten Behörde bestätigt wurde, mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet ist. Der Bescheid der belangten Behörde war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen dieser Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben, ohne dass es erforderlich war, auf die weiteren Beschwerdegründe einzugehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 31. Oktober 1977, BGBl. Nr. 542. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers auf Ersatz von Stempelgebühren war abzuweisen, weil die Beschwerde und der angefochtene Bescheid nur in je dreifacher Ausfertigung vorzulegen waren, hingegen die Vorlage der Berufung als Beilage überflüssig war.
Wien, am 19. Mai 1978
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1978:1977002424.X00Im RIS seit
31.07.2003Zuletzt aktualisiert am
01.01.2009