TE Vwgh Erkenntnis 1978/5/23 0001/76

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Veröffentlicht am 23.05.1978
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Index

L10018 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Vorarlberg;
10/13 Amtshaftung Organhaftpflicht Polizeibefugnis-Entschädigung;

Norm

AHG 1949 §11 Abs1;
GdO Vlbg 1935 §58;

Beachte

Siehe: 0750/74 E 25. Februar 1975

Spruch

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Loebenstein und die Hofräte Dr. Jurasek, Dr. Draxler, Dr. Großmann und Dr. Hoffmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Finanzoberkommissär Rosenmayr, über den Antrag des Landesgerichtes Feldkirch vom 10. Dezember 1976, GZ 1 Cg 5/75, betreffend Klage der Firma G., B, vertreten durch Dr. Ernst Stolz, Rechtsanwalt in Bregenz, Römerstraße 19, wider die beklagten Parteien 1) Marktgemeinde Hohenems, vertreten durch Dr. Ernst Hagen, Dr. Günther Hagen, Rechtsanwälte in Dornbirn, Goethestraße 5, 2) Land Vorarlberg, vertreten durch Dr. Hans Mandl, Rechtsanwalt in Feldkirch, Sparkassenplatz 1, gemäß § 11 Abs. 1 des Amtshaftungsgesetzes, BGBl. Nr. 20/1949, folgende Bescheide zu überprüfen und zur Frage der Rechtswidrigkeit derselben zu erkennen:

1) Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 26. Mai 1971, Zl. 003-7, betreffend eine einstweilige Verfügung gemäß § 58 Vorarlberger Gemeindeordnung 1935, LGBl. Nr. 25;

2) Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971, Zl. 003-7, betreffend Aufträge gemäß § 58 der Vorarlberger Gemeindeordnung 1935 in Verbindung mit § 92 Abs. 2 lit. c des Vorarlberger Gemeindegesetztes 1965, LGBl. Nr. 45;

3) Bescheid der Marktgemeinde Hohenems vom 20. April 1972, mit dem die Berufung gegen den unter 2) genannten Bescheid erledigt wurde;

4) Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 11. Juli 1972, Zl. II-17/72, betreffend Erledigung einer Vorstellung gegen den unter 3) genannten Bescheid gemäß § 79 des Vorarlberger Gemeindegesetzes 1965, LGBl. Nr. 45.

Gemäß § 67 VwGG 1965 wird die Rechtswidrigkeit der unter Punkt 1) bis 4) angeführten Bescheide festgestellt.

Begründung

1.1. Am 7. Mai 1971 ereignete sich in X im Gebiet der Marktgemeinde Hohenems ein Felssturz. Im Zusammenhang mit diesem Felssturz wurde eine Reihe von Bescheiden erlassen. In der Folge erhob die Firma G., der im Zusammenhang mit diesem Felssturz mit verschiedenen Bescheiden Verpflichtungen auferlegt worden sind, beim Landesgericht Feldkirch Klage gegen 1) die Marktgemeinde Hohenems, 2) das Land Vorarlberg (GZ 1 Cg 5/75). Im Rahmen dieses Prozesses stellte das Landesgericht Feldkirch mit Schriftsatz vom 10. Dezember 1976 unter Hinweis auf § 11 Abs. 1 des Amtshaftungsgesetzes, BGBl. Nr. 20/1949 in der Fassung des Bundesgesetzes vom 31. März 1952, BGBl. Nr. 60 (AHG), den "Antrag" (Beschwerde), nachstehende Bescheide zu überprüfen und über deren Rechtswidrigkeit zu erkennen:

1) Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 26. Mai 1971, Zl. 003-7;

2) Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971, Z1. 003-7;

3) Bescheid der Marktgemeinde Hohenems (richtig der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hohenems) vom 20. April 1972;

4) Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 11. Juli 1972, Zl. II-17/72.

Begründet wurde dieser Antrag damit, dass von der Frage der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide die Entscheidung im vorgenannten Rechtsstreit betreffend einen Schadenersatz von S 603.255,-- abhängig sei. Mit Beschluss vom 10. Mai 1976 habe das Gericht das Verfahren gemäß § 11 Abs. 1 AHG unterbrochen. Dieser Unterbrechungsbeschluss sei in Rechtskraft erwachsen.

1.2. Da der Verwaltungsgerichtshof im Zuge der Beratungen über diesen Antrag Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der von ihm anzuwendenden Bestimmungen des § 11 Abs. 1 AHG hatte, stellte er unter anderem mit Beschluss vom 17. Mai 1977, Zl. A 6/77, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 11 Abs. 1 AHG als verfassungswidrig aufzuheben. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1977, Zl. G 17/77, G 32/77, diesem Antrag keine Folge gegeben.

2.1. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Hohenems hat mit Bescheid vom 26. Mai 1971, Zl. 003-7, gemäß § 58 der Vorarlberger Gemeindeordnung 1935, LGBl. Nr. 25 (Vlbg. GdO 1935), welche Bestimmung damals noch in Kraft war, in Verbindung mit § 92 Abs. 2 lit. c des Vorarlberger Gemeindegesetzes 1965, LGBl. Nr. 45 (Vlbg. GdG 1965) - in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 49/1975 - auf Grund der Bestimmungen des § 57 AVG 1950 eine "einstweilige Verfügung" erlassen, in der der Klägerin aufgetragen worden ist, auf ihre Kosten zu veranlassen:

"1) Anbringung je eines elektrischen Felsspions an drei in der südwestlichen Ausbruchswand nach Südwest verlaufenden dezimeterbreit klaffenden Felsrissen.

2) Die Anbringung je eines elektrischen Felsspions an drei weiteren Klüften außerhalb der Ausbruchswand an der Südseite."

2.1.2. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Vorstellung gemäß § 57 Abs. 2 AVG 1950, in der sie rügte, sie sei nicht "Einwohner" im Sinne der Bestimmungen des § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935. Sie hätte daher nicht zur unentgeltlichen Hilfeleistung herangezogen werden dürfen.

2.2.1. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Hohenems erließ nach Einholung verschiedener geologischer Gutachten den zweitgenannten Bescheid vom 12. August 1971, Zl. 003-7. Mit diesem Bescheid wurde der Klägerin gemäß § 58 Vlbg GdO 1935 in Verbindung mit § 92 Abs. 2 lit. c Vlbg GdG 1965 aufgetragen, auf ihre Kosten in und außerhalb der Ausbruchswand sieben elektrische Spione anzubringen und diese bis auf weiteres in einem funktionsfähigen Zustand zu erhalten. Hiebei seien folgende 10 Punkte zu beachten:

"1) Alle Felsspione sind so anzubringen, dass sie vor Witterungseinflüssen, Steinschlag, Eisfall, Lawinen- und Schneeabgang und Regen sicher geschützt sind.

2) Es sind Maßnahmen zu treffen, dass die elektrischen Spione auch nicht von Tieren z.B. von Vögeln, berührt werden können.

3) An allen sieben Stellen; an denen elektrische Geräte angebracht sind oder werden, sind auch mechanische Kontrollspione so anzubringen, dass sie die gleiche Bewegungszone (Kluft) wie die elektrischen Geräte kontrollieren. Der sachgemäße Einbau der mechanischen Kontrollspione ist daher sehr wesentlich. Es ist sicherzustellen, dass die Spionteile im jeweiligen Felskörper auf Dauer vollkommen starr verankert, zueinander aber gut beweglich sind und dass sich die Kontrollkerben zur Zeit der Anbringung vollkommen decken.

4) Jeder elektrische Felsspion soll so eingestellt werden, dass die automatische Alarmschaltung einsetzt, wenn eine Felsbewegung von 1 Millimeter stattgefunden hat.

5) Die Firma I hat die gesamte Anlage nach Fertigstellung genauestens zu überprüfen und sicherzustellen, dass die Auslösung von Fehlalarm ausgeschlossen wird. Überprüfungen sind in regelmäßigen Abständen vorzunehmen. Welche Zeitabstände notwendig sind, hängt von den Erfahrungen der Firma mit den von ihr eingebauten Geräten ab und ist nach diesem Gesichtspunkt mit der Firma I zu vereinbaren.

6) Im Falle der Auslösung eines Alarmes ist die sofortige Beiziehung eines Experten der Firma I zur Überprüfung der Anlage und eines geologischen Sachverständigen zur Feststellung der Alarmursache erforderlich. Gleichfalls ist die örtliche Sicherheitsbehörde zu verständigen.

7) Die beiden Maßpunkte an Felskörpern, welche durch OBB Dipl.Ing. M und Dr. O festgelegt und der Bauführung der Firma G. bekannt sind, müssen im Falle einer Alarmauslösung ebenfalls überprüft werden.

8) Sollte es trotz angewendeter Vorsicht zur Auslösung eines Fehlalarms kommen, so sind dessen Ursachen aufzuspüren, umgehend zu beseitigen und sicherzustellen, dass die Anlage wieder auf das vorgeschriebene Bewegungsmaß von 1 mm eingestellt wird und voll funktionsfähig ist.

9) Die elektrische Anzeigeanlage ist täglich abzufragen und die gemessenen Werte in ein Messprotokoll einzutragen. In diesem Messprotokoll sind außer den Messwerten auch Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit und allgemeine Wettercharakteristika, wie Regen, Sturm, Gewitter, Schneefall usw.) zu verzeichnen.

10) Zeigen sich bei den täglichen routinemäßigen Messungen Unregelmäßigkeiten oder außergewöhnliche Werte an, so ist vom Beobachter die örtliche Sicherheitsbehörde umgehend zu verständigen, die ihrerseits die nötigen Maßnahmen zur Klärung der Situation trifft."

In der Begründung wurde ausgeführt, § 58 Vlbg GdO 1935 gebe dem Bürgermeister die Ermächtigung, in Handhabung der Ortspolizei die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, er dürfe auch andere als nur Ortsbewohner zur Leistung heranziehen. § 58 Abs. 3 Vlbg GdO stelle nur eine Sonderbestimmung dar, wonach notfalls bei Elementarereignissen selbst die Ortsbewohner zur unentgeltlichen Hilfeleistung aufgeboten werden könnten und Eingriffe in das Privateigentum möglich wären. Der Bürgermeister sei daher sachlich zuständig gewesen. Der Grundeigentümer sei verpflichtet, Immissionen, die von seinem Besitz aus drohten, hintanzuhalten; er habe daher auch die Kosten für eventuelle erforderliche Maßnahmen zu tragen. In dem Kaufvertrag vom 8. Dezember 1969, mit dem die Klägerin zumindest einen Großteil der Liegenschaft erworben habe, aus der Gefahr drohe, sei Besitz- und Gefahrübergang mit 1. Februar 1968 festgelegt worden.

2.2.2. In der dagegen erhobenen Berufung vom 27. Jänner 1972 focht die Klägerin den vorgenannten Bescheid des Bürgermeisters insoweit an, als ihr außer der Anbringung von sechs Felsspionen noch die Anbringung eines siebenten elektrischen Felsspions und die Erhaltung dieser Felsspione bis auf weiteres im funktionsfähigen Zustand aufgetragen worden ist. Weiters würde dieser Bescheid hinsichtlich der Punkte 2), 3), 5) zweiter Satz, 6), 8) und 9) angefochten. Die K1ägerin wendet sieh in diesem Rechtsmittel im wesentlichen dagegen, ihr Kosten für eventuelle erforderliche Maßnahmen aufzuerlegen.

2.3.1. Mit dem drittgenannten Bescheid der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hohenems vom 20. April 1972 wurde der Klägerin zur Kenntnis gebracht, dass die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hohenems in ihrer Sitzung vom 14. April 1972 gemäß § 45 Abs. 1 lit. a Z. 14 Vlbg GdG 1965 in Verbindung mit § 58 Vlbg GdO 1935 die Berufung der Klägerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 abgewiesen und den Bescheid des Bürgermeisters vom 12. August 1971 bestätigt habe. In der Begründung wird zunächst ausgeführt, dass gemäß § 58 Vlbg GdO 1935, welche Bestimmung noch aufrecht sei, dem Bürgermeister die Handhabung der örtlichen Sicherheitspolizei, soweit nicht eine besondere verwaltungspolizeiliche Zuständigkeit gegeben sei, zufalle. Es sei daher der Bürgermeister zur Erlassung des bekämpften Bescheides zuständig gewesen. Die von der Klägerin bekämpften Maßnahmen seien ihr auf Grund von Empfehlungen von Sachverständigen auferlegt worden und hätten im Interesse des öffentlichen Wohles sofort nach dem Felssturz getroffen werden müssen.

2.3.2. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin das Rechtsmittel der Vorstellung gemäß § 79 Vlbg GdG 1965. In dieser Vorstellung focht die Klägerin den vorgenannten Bescheid nur insoweit an, als ihr außer der Anbringung von sechs Felsspionen noch die Anbringung eines siebenten Felsspions und die Erhaltung dieser Felsspione im funktionsfähigen Zustand aufgetragen worden ist; weiters wurde dieser Bescheid noch hinsichtlich der Punkte 2), 3), 5) zweiter Satz, 6), 8) und 9) angefochten.

2.4. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn hat mit dem (viertgenannten) Bescheid vom 11. Juli 1972 die Vorstellung der Klägerin gemäß § 79 Vlbg GdG 1965 mit der Begründung abgewiesen, die Sicherung eines Ortschaftsteiles vor Gefahren gegen Leben und Gut vor einem allenfalls drohenden Felssturz gehöre unzweifelhaft in den Bereich der örtlichen Sicherheitspolizei. Eine der wesentlichsten Aufgaben des Bürgermeisters sei gemäß § 58 Vlbg GdO 1935, der noch in Kraft sei, die Handhabung der Ortspolizei; der Bürgermeister sei daher zuständig gewesen. Die Notwendigkeit der der Klägerin aufgetragenen Leistungen sei durch Sachverständigengutachten begründet. Vom Begriff "Einwohner" seien nicht nur natürliche Personen erfasst, die ihren Besitz in der betreffenden Gemeinde hätten. Die Klägerin habe durch Jahre und auch im Zeitpunkt des Ereignisses in der Marktgemeinde Hohenems "im Bereich des sich als Gefahr erweisenden Ereignisses" eine Baustelle unterhalten, sie könne daher als "tauglicher Einwohner" im Sinne der Bestimmungen des § 58 Vlbg GdO 1935 angesehen und zur unentgeltlichen Hilfeleistung aufgerufen werden.

3.1. Auch gegen diesen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn erhob die Klägerin Berufung. Die Vorarlberger Landesregierung hat mit Bescheid vom 29. Jänner 1973, Zl. Ia- 48/13, der Berufung stattgegeben und die Bescheide der Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hohenems vom 20. April 1972 und der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 11. Juli 1972 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 mit der Begründung aufgehoben, die der Klägerin aufgetragenen Maßnahmen seien zwar auf Grund der Sachverständigengutachten notwendig und zweckmäßig gewesen. Es hätten jedoch die für die Anwendung des § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935 tatbestandsmäßigen Voraussetzungen gefehlt, da die Klägerin nicht als "Einwohner" der Gemeinde Hohenems angesprochen werden könne. Auch wäre es rechtlich außerordentlich problematisch, bei Elementarereignissen in Fällen außerordentlicher Gefahr aus der Vielzahl der Einwohner einen einzelnen herauszugreifen und diesen allein zur unentgeltlichen Hilfeleistung im Sinne des § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935 zu verpflichten.

3.2. Da die Gemeindevertretung von Hohenems über die infolge der unter 3.1. erwähnten Aufhebung ihres Bescheides vom 20. April 1972 (siehe 2.3.) noch offene Berufung der Klägerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971 (siehe 2.2.) nicht innerhalb der im § 27 VwGG 1965 festgesetzten Frist von sechs Monaten entschieden hat, erhob die Klägerin im Sinne der Bestimmungen des Art. 132 B-VG Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung der Entscheidungspflicht. Sie stellte den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971, Zl. 003-7, dahingehend abändern, dass die Worte "... und diese bis auf weiters in einem funktionsfähigen Zustand zu erhalten" und die Punkte 2), 3), 5) zweiter Satz, 6), 8) und 9) dieses Bescheides ersatzlos gestrichen würden.

3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 25. Februar 1975, Zl. 750/74, gemäß §§ 42 Abs. 4 und 62 VwGG 1965 in Verbindung mit § 79 Abs. 6 zweiter Satz Vlbg GdG 1965 sowie in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG 1950 der Berufung der Klägerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971, Zl. 003-7, stattgegeben und diesen Bescheid insoweit aufgehoben, als der Klägerin die Erhaltung von Felsspionen bis auf weiters in einem funktionsfähigen Zustand aufgetragen worden ist. Weiters wurden die Punkte 2), 3), 5) zweiter und dritter Satz, 6), 8), 9) und 10) dieses Bescheides aufgehoben. In der Begründung dieses Erkenntnisses verwies der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die im § 79 Abs. 6 zweiter Satz Vlbg GdG 1965 normierte Bindung der Gemeinde an die im aufhebenden Vorstellungsbescheid zum Ausdruck gekommene Rechtsansicht der Vorstellungsbehörde auf die im Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 29. Jänner 1973 (siehe 3.1.) zum Ausdruck gekommene Rechtsansicht. Über den Antrag der Klägerin hinaus habe noch der dritte Satz des Punktes 5) und Punkt 10) des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971 (siehe 2.2.) aufgehoben werden müssen, da diese Punkte unmittelbar mit dem im Berufungsantrag genannten und daher aufzuhebenden Teil des Bescheides zusammenhängen. Im übrigen wird gemäß Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, auf die Begründung dieses Bescheides verwiesen.

4.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4.1.1. Der (erstgenannte) Bescheid ("einstweilige Verfügung") des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 26. Mai 1971 - erlassen auf Grund der Bestimmungen des § 57 Abs. 1 AVG 1950 als unaufschiebbare Maßnahme bei Gefahr im Verzug - trägt der Klägerin "zum Schutze der Parzelle X" die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen auf ihre Kosten auf. Dieser Bescheid erging zwar unter Bezugnahme auf § 58 Vlbg GdO 1935, enthielt aber keine nähere Bezeichnung des Absatzes dieses Paragraphen. Er wird im wesentlichen nur mit dem Recht des Bürgermeisters begründet, auf Grund der Bestimmungen des § 58 Vlbg GdO 1935 "bei gegebener Veranlassung" die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Aus dieser Begründung ist im Zusammenhang mit dem gegebenen Sachverhalt zu schließen, dass die im § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935 dem Bürgermeister eingeräumten Befugnisse im Falle außerordentlicher Gefahr als Rechtsquelle für die Erlassung dieses Bescheides angesehen worden sind. Dieser Auffassung war auch die Klägerin, wie aus ihrer Vorstellung vom 11. Juni 1971 hervorgeht, in der sie sich ausführlich mit dem Begriff "Einwohner" im Sinne des § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935 auseinander setzt.

4.1.2. Auch im zweitgenannten Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971 wird der Klägerin die Tragung von Kosten für die durch den Felssturz erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen aufgetragen, und zwar unter Bezugnahme auf § 58 Vlbg GdO 1935, ohne dass auch in diesem Bescheid ein Absatz des § 58 Vlbg GdO 1935 zitiert wurde. Zu dem Vorbringen der Klägerin, nur Ortsbewohner dürften zu Leistungen herangezogen werden, wird nur ganz allgemein ausgeführt, § 58 Abs. 3 VIbg GdO 1935 stelle eine Sonderbestimmung für Elementarereignisse dar. Die Auferlegung der Kosten an die Klägerin wird in diesem Bescheid damit begründet, der Grundeigentümer sei verpflichtet, Immissionen, die von seinem Besitz aus drohten, hintanzuhalten. Auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmung den Grundeigentümer diese Pflicht treffe, wurde nicht ausgeführt.

4.1.3. In ihrem Bescheid vom 20. April 1972, dem drittgenannten Bescheid, ist die Gemeindevertretung der Marktgemeinde Hohenems, wie sich aus der Begründung (Seite 3) ergibt, zur Frage der Kostenpflicht der Klägerin anderer Rechtsansicht, als der Bürgermeister in seinem Bescheid vom 12. August 1971. Der Klägerin seien die Kosten der Maßnahme nicht als Anrainer, sondern in Wahrnehmung der örtlichen Sicherheitspolizei zum Schutze der Parzelle X vorgeschrieben worden. Wieder wird nur § 58 Vlbg GdO 1935 ohne nähere Absatzbezeichnung zitiert.

4.1.4. Auch die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn hatte in dem viertgenannten Bescheid vom 11. Juli 1972 nicht angegeben, auf welchen Absatz des § 58 Vlbg GdO 1935 sie ihren Bescheid stützt. Sie setzt sich jedoch in der Begründung ihres Bescheides (Seite 4) mit dem Begriff "tauglicher Einwohner" auseinander, woraus entnommen werden kann, dass sie der Erlassung ihres Bescheides die Bestimmungen des § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935 zu Grunde gelegt hat. Sie ist der Rechtsansicht, die Klägerin könne deshalb als "tauglicher Einwohner" angesehen werden, weil sie Jahre hindurch und auch zum Zeitpunkt des Erdrutsches im Bereich der Marktgemeinde Hohenems, und zwar an der Unfallstelle, eine Baustelle unterhalten habe.

4.2.1. § 58 Vlbg GdO 1935, der gemäß § 92 Abs. 2 lit. c Vlbg GdG 1965 trotz des Inkrafttretens dieses Gesetzes weiter in Geltung blieb und daher zum Zeitpunkt der Erlassung aller hier angefochtenen Bescheide noch dem Rechtsbestand angehörte - erst durch § 36 lit. a des Vorarlberger Landesgesetzes vom 22. Dezember 1975, LGBl. Nr. 49/1975, wurde auch § 58 Vlbg GdO 1935 aufgehoben - lautete:

" (1) Eine der wesentlichsten Aufgaben des Bürgermeisters ist die Handhabung der Ortspolizei, insofern nicht einzelne Geschäfte derselben besonderen staatlichen Organen übertragen sind.

(2) Er hat sich hiebei an die bestehenden Gesetze und Vorschriften zu halten und ist verpflichtet, die zur Handhabung der Ortspolizei erforderlichen Maßnahmen und Verfügungen rechtzeitig zu treffen und für die Aufbringung der hiezu nötigen Geldmittel zu sorgen.

(3) Bei Elementarereignissen ist der Bürgermeister in Fällen außerordentlicher Gefahr, unbeschadet der ihm nach anderen Gesetzen zustehenden Befugnisse berechtigt, die gesamten tauglichen Einwohner zur unentgeltlichen Hilfeleistung aufzubieten und erforderlichenfalls auch die unumgänglich notwendigen Eingriffe in das Privateigentum vorzunehmen. Bei Eingriffen in das Privateigentum sowie bei Beistellung von Pferden, Kraftwagen und dergleichen gebührt dem Besitzer eine angemessene Entschädigung, die unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des Gesetzes vom 18. Februar 1878 RGBl. Nr. 30 zu bemessen ist.

(4) In allen Fällen, wo zum Schutze des öffentlichen Wohles ortspolizeiliche Vorkehrungen der Gemeinde nicht ausreichen oder wo zur Abwendung von Gefahren die Kräfte der Gemeinde nicht auslangen, hat der Bürgermeister auch die Nachbargemeinden zur Hilfeleistung aufzurufen und unverzüglich die Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft zu erstatten."

4.2.2. § 58 Absatz 1 enthält nur Zuständigkeitsvorschriften, Absatz 4 gibt dem Bürgermeister die Möglichkeit, falls in Katastrophenfällen die Kräfte der Gemeinde nicht ausreichen, von den Nachbargemeinden Hilfe anzufordern. § 58 Abs. 2 Vlbg GdO 1935 verpflichtet zwar den Bürgermeister, für die Aufbringung der Geldmittel zu sorgen, die zur Handhabung der Ortspolizei erforderlich sind. Diese Pflicht konnte sich jedoch nur auf die Bestimmungen des 6. Hauptstückes der Vlbg GdO 1935 bzw. des V. Hauptstückes des Vlbg GdG 1965 beziehen. Weder aus Absatz 1 noch aus Absatz 2 oder Absatz 4 des § 58. Vlbg GdO 1935 konnte unmittelbar ein Auftrag an Personen gestützt werden, für Kosten einer eventuell erforderlichen Maßnahme aufzukommen. Da der zweitangefochtene Bescheid (vom 12. August 1971) ausdrücklich darauf hinwies, dass § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935 nur eine Sonderbestimmung für Elementarereignisse darstelle, und die Auferlegung der Kosten an die Klägerin ohne Anführung von gesetzlichen Bestimmungen nur damit begründete, vom Grund der Klägerin seien die Immissionen ausgegangen (siehe 4.2.2.), entbehrte jedenfalls die Vorschreibung der Kosten an die Klägerin in dem Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Hohenems vom 12. August 1971 (siehe 2.2.) der Rechtsgrundlage und war daher rechtswidrig.

4.3.1. Wenngleich sich nur der viertgenannte Bescheid (der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 11. Juli 1972) ausdrücklich mit dem Begriff "tauglichen Einwohner" auseinander gesetzt hat, also offenbar sich auf die Bestimmungen des § 58 Abs. 3 Vlbg GdO 1935 stützt, ist, wie unter 4.1. ausgeführt, auch bei dem erstgenannten Bescheid (des Bürgermeisters vom 26. Mai 1971) und dem drittgenannten Bescheid (der Gemeindevertretung vom 20. April 1972) auf Grund vor allem der Begründung anzunehmen, dass sie sich auch auf den dritten Absatz des § 58 Vlbg GdO 1935 stützten. Wäre dies nicht der Fall, so wären diese Bescheide bereits aus den 4.2.2 genannten Gründen rechtswidrig.

4.3.2. Keiner der Absätze des § 58 Vlbg GdO 1935 gibt die Möglichkeit, Personen für allfällige Notstandsmaßnahmen Kosten aufzuerlegen, da der Begriff "Kostentragung" in § 58 Vlbg GdO nirgends vorkommt, ebenso wenig, wie eine ausdrückliche oder erschließbare Norm über die Zulässigkeit der Auferlegung von Kosten einer Notstandsmaßnahme an die davon Betroffenen.

Schon aus diesem Grund waren alle vier genannten Bescheide rechtswidrig. Bei dieser Sachlage war es nicht mehr erforderlich, sich mit der Frage zu befassen, was unter "tauglicher Einwohner" zu verstehen ist.

Wien, am 23. Mai 1978

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1978:1976000001.X00

Im RIS seit

28.05.2003

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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