Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
BDG 1977 §57 Z2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 1322/78 Fortgesetztes Verfahren: 0593/79 B 17. September 1979;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Kirschner, Dr. Liska, Dr. Griesmacher und Mag. Meinl als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberregierungsrat Dr. Antoniolli, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 46 VwGG 1965 wird dem Antrag des AM in F, vertreten durch den gerichtlich bestellten Beistand LM in F, dieser vertreten durch Dr. Heinz Klocker, Rechtsanwalt in Dornbirn, Schulgasse 7/111, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung seiner Beschwerde gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 22. März 1978, Z1. 15/77-DK/Senat 44, ONr. 15, betreffend Wiederaufnahme eines Disziplinarverfahrens, nicht stattgegeben. Gleichzeitig wird die Beschwerde gegen diesen Verwaltungsakt wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG 1965 zurückgewiesen.
Begründung
Nach den Ausführungen des Beschwerdeführers hat die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres mit Beschluss vom 22. März 1978 die gegen den Beschluss der Disziplinarkommission des Landesgendarmeriekommandos für Vorarlberg vom 25. Mai 1977 erhobene Beschwerde "wegen Fristversäumnis abgewiesen".
Die dagegen entsprechend dem Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, wonach "binnen zwei Wochen nach Zustellung die Berufung bei der Disziplinaroberkommission erhoben werden könne", erhobene Berufung wies die beim Bundeskanzleramt eingerichtete Disziplinaroberkommission durch den am 19. Mai 1978 zugestellten Bescheid wegen Unzuständigkeit als unzulässig zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass die Zuständigkeit der Disziplinarbehörden im § 57 des Bundesgesetzes vom 2. Juni 1977, BGBl. Nr. 329, über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienstrechtsgesetz - BDG) taxativ aufgezählt sei. Darnach sei gemäß der Ziffer 3 der zitierten Gesetzesbestimmung die Disziplinaroberkommission nur zur Entscheidung über Berufungen gegen Erkenntnisse und Berufungsentscheidungen der Disziplinarkommissionen sowie über Berufungen gegen Suspendierungen durch die Disziplinarkommission zuständig. Im Gegenstand handle es sich weder um ein Rechtsmittel gegen ein Erkenntnis noch gegen eine Suspendierung. Im Zusammenhalt mit der Z. 2 der genannten Gesetzesstelle ergebe sich, dass es sich bei Berufungsentscheidungen der Disziplinarkommission nur um solche in Disziplinarverfügungsangelegenheiten handeln könne. Daraus ergebe sich eindeutig, dass Entscheidungen im Wiederaufnahmsverfahren bei der Disziplinaroberkommission nicht angefochten werden könnten.
In dem nun vorliegenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand macht der Beschwerdeführer geltend, durch die fälschliche Angabe in der Rechtsmittelbelehrung, dass eine Berufung zulässig sei, an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gehindert gewesen zu sein.
Der Antragsgegnerin wurde der Wiedereinsetzungsantrag zur Kenntnis gebracht und es ihr freigestellt, eine schriftliche Gegenäußerung zu erstatten. Die Antragsgegnerin hat hiezu in ihrer Gegenäußerung ausgeführt, dass sie von der Erwägung ausgegangen sei, aus dem Umstand, dass ein anhängiges Disziplinarverfahren nach der aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage erkennbaren Absicht des Gesetzgebers von den nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz eingerichteten Disziplinarkommissionen nach den Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes weiterzuführen sei, dürfte es wohl in der Absicht des Gesetzgebers gelegen sein, in diesem Fall gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss ein Rechtsmittel an die nächst höhere Instanz einzuräumen, selbst wenn es dadurch in der Übergangszeit zu einem weiteren Instanzenzug kommen sollte. Auch aus der Bestimmung des § 57 Z. 3 BDG, welche sich zwar auf Berufungsentscheidungen bei Disziplinarverfügungen und Suspendierungen beziehe, könnte auf diese Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden. Auch die Bestimmungen der in diesem Fall gemeinsam mit § 76 Abs. 2 BDG anzuwendenden §§ 69 und 70 Abs. 3 AVG 1950 sähen ein Rechtsmittel gegen eine Ablehnung und daher auch gegen eine Zurückweisung des Wiederaufnahmsantrages vor.
Gemäß dem § 46 Abs. 2 VwGG 1965 ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist zu bewilligen, wenn die Beschwerdefrist versäumt wurde, weil der anzufechtende Bescheid fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat. Nach dem Abs. 3 der zitierten Gesetzesbestimmung ist in einem solchen Falle der Antrag spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides zu stellen, der das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat. Da nach den übereinstimmenden Angaben der beiden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens der Bescheid der beim Bundeskanzleramt eingerichteten Disziplinaroberkommission dem Beschwerdeführer am Freitag, dem 19. Mai 1978, zugestellt worden war und sohin die im § 46 Abs. 3 VwGG 1965 normierte zweiwöchige Frist am Freitag, dem 2. Juni 1978, endete, ist der am 1. Juni 1978 nachweislich bei der Post aufgegebene Wiedereinsetzungsantrag zufolge der Bestimmung des § 33 Abs. 3 AVG 1950 als rechtzeitig eingebracht anzusehen.
Es ist daher die Entscheidung über den vorliegenden Antrag einzig und allein davon abhängig, ob die Berufung gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. März 1978 - entsprechend der dort enthaltenen Rechtsmittelbelehrung - zulässig war, oder ob ein solches Rechtsmittel - wie die beim Bundeskanzleramt eingerichtete Disziplinaroberkommission entschieden hat - unzulässig war. Kommt der Verwaltungsgerichtshof zur Überzeugung, dass dieses Rechtsmittel zulässig gewesen ist, so kann selbst dann, wenn eine Berufung von der letztinstanzlichen Behörde als unzulässig zurückgewiesen wurde, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 46 Abs. 2 VwGG 1965 nicht gewährt werden (vgl. hiezu die hg. Beschlüsse vom 14. Jänner 1952, Zl. 2321/51, und vom 13. Juli 1961, Zl. 385/61).
Nach der Anordnung des § 57 Z. 3 BDG ist die Disziplinaroberkommission zur Entscheidung über Berufungen gegen Erkenntnisse und Berufungsentscheidungen der Disziplinarkommissionen sowie über Berufungen gegen Suspendierungen durch die Disziplinarkommission zuständig.
Gemäß § 138 Abs. 1 zweiter Satz BDG sind die nach diesem Bundesgesetz eingerichteten Disziplinarkommissionen u.a. zur Entscheidung über Rechtsmittel gegen Disziplinarerkenntnisse, die vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes von den bisherigen Disziplinarkommissionen erlassen wurden, zuständig. In dieser Bestimmung ist der Disziplinaroberkommission keine Aufgabe gestellt, wohl aber der Disziplinarkommission. Bei ihr hat im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes die Überleitung stattgefunden. Sie hat in der Folge eine Rechtsmittelentscheidung gefällt und diese Entscheidung ist nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes der Berufungsentscheidung im Sinne des § 57 Z. 3 BDG gleichzustellen.
Unter Berufungsentscheidungen sind im Sinne der maßgeblichen Gesetzesstelle nämlich alle behördlichen Akte zu verstehen, die ein verwaltungsbehördliches Rechtsmittelverfahren nach außen erkennbar (gegenüber dem Berufungswerber in Erscheinung tretend) beendigen. Solcherart ist die gemäß dem § 57 Z. 3 BDG rechtserhebliche Tatsache einer Berufungsentscheidung der Disziplinarkommission nicht nur dann gegeben, wenn die Disziplinarkommission im Sinne der Ziffer 2 leg. cit. über Berufungen gegen Disziplinarverfügungen und Suspendierungen entschieden hat. Für die Tatbestandsmäßigkeit eines Sachverhaltes zu der bezogenen Gesetzesstelle ist nach Ansicht des Gerichtshofes nur erforderlich, dass die Disziplinarkommission nach der am 1. Jänner 1978 erfolgten Überleitung ein Rechtsmittelverfahren mit einem individuellen Verwaltungsakt beendet hat. Die Bezeichnung der Prozessform dieses Verwaltungsaktes als Bescheid, Erkenntnis, Beschluss, Verfügung oder Anordnung ist demgegenüber nicht von rechtlicher Relevanz. Die Richtigkeit dieser Lösung ergibt sich auch aus dem folgenden Gedankengang:
Im § 57 Z. 2 BDG sind Agenden angeführt, deren näherer Inhalt aber auch durch § 65 BDG bestimmt sein muss, welcher ausspricht, dass auf das Disziplinarverfahren, soweit in diesem Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 mit Ausnahme der §§ 2, 3, 4, 12, 29, 42 Abs. 1 und 2, 51, 57, 63 Abs. 1, 64 Abs. 2, 68 Abs. 2 und 3, 75, 76, 77, 78, 79 und 80 anzuwenden ist. Da demnach die Institutionen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens bestehen, müssen auch die diesbezüglichen Anträge zuständigerweise behandelt werden können. Dies ist im § 57 BDG nicht ausdrücklich vorgesehen, woraus die Auslegungsbedürftigkeit dieser Norm in einem nicht restriktiven Sinn folgt. Für den vorliegenden Fall kommt hinzu, dass im § 138 Abs. 1 leg. cit. je nach der im Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehenden Verfahrenslage sowohl Erkenntnisse als auch Berufungsentscheidungen der Disziplinarkommissionen Gegenstand der Regelung sind und eine unterschiedliche Behandlung dieser verfahrensbeendenden individuellen Verwaltungsakte aus dem Gesetz weder bei einer normativen noch auch bei einer teleologischen Betrachtung abgeleitet werden kann, weshalb auch im gegenständlichen Fall der Begriff der "Berufungsentscheidung" im Sinne des § 57 Z. 3 BDG nicht losgelöst von der Übergangsbestimmung des § 138 Abs. 1 BDG gesehen werden kann.
In Hinsicht auf den dargestellten Gehalt des streitentscheidenden Tatbestandsmerkmales "Berufungsentscheidung der Disziplinarkommission" erweist sich, dass die Disziplinaroberkommission diesen Begriff entgegen dem Wortlaut und der Zielsetzung des Gesetzes zu eng ausgelegt hat und die Berufung an die Disziplinaroberkommission im gegenständlichen Falle zulässig war.
Demgemäß erweist sich die im Beschluss der Antragsgegnerin vom 22. März 1978 enthaltene Rechtsmittelbelehrung, wonach "gegen diesen Beschluss binnen zwei Wochen nach Zustellung die Berufung bei der Disziplinaroberkommission erhoben werden kann" - entgegen der Ansicht der beim Bundeskanzleramt eingerichteten Disziplinaroberkommission -, als zutreffend und es hat daher die Disziplinaroberkommission zu Unrecht die Berufung des Antragstellers unter Bezugnahme auf § 57 Z. 3 BDG zurückgewiesen. Da sohin die Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Erfüllung des Tatbestandsbildes nach § 46 Abs. 2 VwGG 1965 fehlt, war der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen.
Mit dem Beschluss der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 22. März 1978 ist nach den obigen Darlegungen im gegenständlichen Falle der Instanzenzug nicht erschöpft. Da aber gemäß dem Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nur nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden kann, war die von AM unter einem mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den bezeichneten Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres eingebrachte Beschwerde wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß dem § 34 Abs. 1 und 3 VwGG 1965 zurückzuweisen.
Wien, am 10. November 1978
Schlagworte
Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Besondere Rechtsgebiete DienstrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1978:1978001321.X00Im RIS seit
13.10.2003Zuletzt aktualisiert am
27.10.2008