TE Vwgh Erkenntnis 1981/10/16 0821/80

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Veröffentlicht am 16.10.1981
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §357 Abs1;
ASVG §413 Abs1 Z1;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Wien, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. Februar 1980, Zl. MA 14-F 84/79, betreffend Wiederaufnahme eines Leistungsverfahrens nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (mitbeteiligte Partei: N in X,), nach durchgeführter Verhandlung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid vom 19. Oktober 1979 wurde der Anspruch der mitbeteiligten Partei N auf Invaliditätspension nach § 254 Abs. 1 Z. 1 ASVG von der Beschwerdeführerin, beginnend ab 15. Jänner 1979, anerkannt. Mit Bescheid vom 21. November 1979 nahm die Beschwerdeführerin das Verfahren über die Invaliditätspension der mitbeteiligten Partei "gemäß § 69 AVG 1950" wieder auf, hob ihren Bescheid vom 19. Oktober 1979 auf und wies den Antrag der mitbeteiligten Partei auf Gewährung einer Invaliditätspension ab.

Die Wiederaufnahme wurde mit folgendem Satz begründet:

"Das Verfahren über die Invaliditätspension war gemäß § 69 AVG wiederaufzunehmen, da uns nunmehr vom israelischen Versicherungsträger mitgeteilt wurde, dass Sie keine Versicherungszeiten in der israelischen Rentenversicherung erworben haben."

Die weitere Begründung dieses Bescheides bezieht sich auf die Ablehnung des Pensionsantrages der mitbeteiligten Partei. Während die mitbeteiligte Partei hinsichtlich der Ablehnung des Antrages auf Invaliditätspension Klage beim Schiedsgericht der Sozialversicherung erhob, bekämpfte sie den die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügenden Teil des letztgenannten Bescheides mit einem Einspruch. Es werde nicht angegeben, auf welchen Tatbestand nach § 69 AVG 1950 sich die Wiederaufnahme stütze. Wenn man annehme, dass § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 gemeint sei, so sei zu rügen, dass die Beschwerdeführerin die Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere hinsichtlich der Vorversicherungszeiten in Israel, nicht genügend geprüft habe. Schon dies stelle, ein Verschulden der Beschwerdeführerin dar. Im übrigen widerspreche die Wiederaufnahme des Verfahrens Treu und Glauben, weil die Beschwerdeführerin die mitbeteiligte Partei bereits seit August 1979 dazu gedrängt habe, seine Erwerbstätigkeit aufzugeben. Die Beschwerdeführerin erstattete eine Stellungnahme zum Einspruch, worauf die mitbeteiligte Partei ihrerseits replizierte. Der Landeshauptmann von Wien gab mit Bescheid vom 13. Februar 1980 dem Einspruch Folge und behob den Bescheid der Beschwerdeführerin vom 21. November 1979 insoweit, als damit die Wiederaufnahme des mit Bescheid der Beschwerdeführerin vom 19. Oktober 1979 abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 69 AVG 1950 verfügt wurde. In der Begründung wurde nach Darstellung des Ganges des Verwaltungsverfahrens und nach Zitierung der §§ 69 und 70 AVG 1950 ausgeführt, der vorliegende Einspruch sei zulässig, weil die Schiedsgerichte der Sozialversicherung zur Beurteilung der Frage, ob die Wiederaufnahme zu Recht verfügt wurde, nicht zuständig seien. Daher müsse darüber im Verwaltungsverfahren entschieden werden. Auch stünde § 70 Abs. 3, zweiter Satz AVG 1950 der Wiederaufnahme nicht entgegen, weil es im Verwaltungsverfahren zu gar keiner weiteren Entscheidung kommen könne. Die verfügte Wiederaufnahme entspreche nicht den gesetzlichen Bestimmungen, weil der Bescheid über die Zuerkennung der Invaliditätspension der mitbeteiligten Partei am 22. Oktober 1979 zugestellt worden sei. Die dreimonatige Rechtsmittelfrist für die Einbringung einer Klage beim Schiedsgericht der Sozialversicherung sei somit erst am 22. Jänner 1980 abgelaufen. Der Bescheid vom 21. November 1979 sei somit innerhalb der Rechtsmittelfrist gegen den Bescheid vom 19. Oktober 1979 erlassen worden; dies widerspreche dem § 69 Abs. 1 AVG 1950, in dem die Wiederaufnahme eines Verfahrens hinsichtlich eines noch nicht rechtskräftig gewordenen Bescheides ausgeschlossen werde. Der Bescheid sei daher im Umfang seiner Anfechtung zu beheben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Partei beantragte ebenfalls in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach durchgeführter mündlicher Verhandlung erwogen:

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem den Parteien dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zugestellten Beschluss vom 3o. Mai 1980, Zl. 08/0822/80-8, ausgeführt hat, ist die Beschwerde aus den dort angeführten Gründen zulässig. Dort wurde auch ausgeführt, dass gegen den Bescheid des Sozialversicherungsträgers, mit dem die Wiederaufnahme verfügt wurde, der Einspruch an den Landeshauptmann zulässig ist. Aus diesem Grunde ist die in Richtung der Unzuständigkeit des Landeshauptmannes erhobene Rüge der Beschwerde nicht gerechtfertigt.

Die weitere Rüge der Beschwerde gegen die durch die belangte Behörde dem § 69 Abs. 1 AVG 1950 gegebene Auslegung ist im Ergebnis gerechtfertigt.

Gemäß dem nach § 357 Abs. 1 ASVG auch im Verfahren vor den Versicherungsträgern uneingeschränkt anzuwendenden § 69 Abs. 1 AVG 1950 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und die weiteren, in den Buchstaben a) bis c) dieses Absatzes genannten Voraussetzungen vorliegen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar in seinem Erkenntnis vom 22. September 1969, Slg. N.F. Nr. 7638/A, seine Anschauung dargelegt, dass ein weiterer Begriff des "durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens" als der, von dem die (dortige) Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ausgegangen ist, dem Gesetze zugrundeliege. Nicht nur dann, wenn die Verwaltungssache als solche endgültig abgeschlossen sei, sondern auch dann, wenn ein letztinstanzlicher, rein aufhebender Bescheid vorliege, sei ein Verfahren in dem Sinne abgeschlossen, dass ein der Rechtskraft fähiger verfahrensrechtlicher Bescheid vorliegt. Es würde dem Rechtsschutzinteresse, das als für den Gesetzgeber maßgebend angesehen werden könne, widerstreiten, das wichtige Rechtsmittel der Wiederaufnahme in einem solchen Falle als unzulässig anzusehen. Die (dortige) mitbeteiligte Partei hätte nämlich im Berufungsverfahren gegen den neuen abweislichen erstinstanzlichen Bescheid die kassatorische Entscheidung der Berufungsbehörde nicht mehr mit Erfolg bekämpfen können. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist eine Voraussetzung der Wiederaufnahme, dass für keine der im Hauptverfahren beigezogenen Parteien ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung in diesem Verfahren zulässig ist. Der Begriff des abgeschlossenen Verfahrens, in dem ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist, ist nicht allein schematisch nach dem Ablauf. der Rechtsmittelfrist zu beurteilen, sondern unter anderem auch nach der konkreten Möglichkeit einer Beschwer einer der Parteien des Beschwerdeverfahrens. Im vorliegenden Fall wurde der Bescheid vom 19. Oktober 1979 von der Beschwerdeführerin selbst erlassen, sodass eine Rechtsmittelerhebung der Beschwerdeführerin gegen diesen ihren eigenen Bescheid schon rein begrifflich ausgeschlossen ist. Anders bei der mitbeteiligten Partei. Wohl strebte diese eine Invaliditätspension an und wohl wurde dieser eine solche Pension mit diesem Bescheid zuerkannt, sodass in Ansehung des Grundes des Anspruches keine Beschwer und damit keine Rechtsmittelmöglichkeit seitens der mitbeteiligten Partei gegeben gewesen wäre. Allerdings wäre es denkbar und zulässig gewesen, dass sich die mitbeteiligte Partei gegen die Höhe der ihr zuerkannten Pension mit Klage an das Schiedsgericht der Sozialversicherung gewendet hätte. In einem solchen Fall wäre gemäß § 384 Abs. 1 ASVG der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft getreten. Im schiedsgerichtlichen Verfahren wäre es der Beschwerdeführerin als der dort beklagten Partei möglich gewesen, jene Gründe vorzubringen, die sie zur Wiederaufnahme des Verfahrens veranlasst haben. In Anbetracht dieser Möglichkeit muss demnach die Verfügung der Wiederaufnahme bereits mit Bescheid vom 21. November 1978 als verfrüht und damit als unzulässig im Sinne des § 69 Abs. 1 AVG 1950 erscheinen.

Der Landeshauptmann hatte über den Einspruch gegen diesen Bescheid zu entscheiden und entschied darüber mit seinem Bescheid vom 13. Februar 1980, der Beschwerdeführerin zugestellt am 22. Februar, dem Vertreter des Mitbeteiligten am 25. Februar 1980. Sowohl zur Zeit der Datierung als auch zu den beiden Zeitpunkten der Zustellung dieses Bescheides war die Rechtsmittelfrist gegen den Bescheid im Leistungsverfahren vom 19. Oktober 1979 abgelaufen, dieser Bescheid somit im Sinne des § 69 Abs. 1 AVG 1950 formell rechtskräftig geworden.

Nun hatte der Landeshauptmann im Verfahren über den Einspruch im Sinne des § 413 Abs. 1 Z. 1 ASVG als Rechtsmittelbehörde zu entscheiden und war in dieser Eigenschaft berechtigt und verpflichtet, die für das Berufungsverfahren geltenden Vorschriften, insbesondere auch § 66 AVG 1950, anzuwenden (vgl. Erkenntnisse vom 12. Oktober 1960, Zl. 1682/56, vom 16. Juni 1964, Slg. N.F. Nr. 6379/A, vom 19. April 1967, Zl. 972/66, vom 23. Oktober 1968, Z1. 902/68). Nach §  66 Abs. 4 AVG 1950 hat die Berufungsbehörde, abgesehen von den dort genannten anderen Fällen, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Zufolge § 65 AVG 1950 hat die Berufungsbehörde hiebei auch neue Tatsachen oder neue Beweise zu beachten, somit ihre Entscheidung auf den Sachverhaltsstand zur Zeit eben dieser Entscheidung abzustellen - so wie sie ja auch grundsätzlich das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden hat (zu letzterem vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. N.F. Nr. 9315/A). Das ergibt, dass der Landeshauptmann zur Zeit seiner Entscheidung davon hätte ausgehen müssen, dass der Bescheid der Beschwerdeführerin vom 19. Oktober 1979 nunmehr auch formell rechtskräftig geworden war, weshalb die Wiederaufnahme, allein unter dem Gesichtspunkt des § 69 Abs. 1 am Anfang AVG 1950 betrachtet, zulässig erscheinen muss. Da der Landeshauptmann dies verkannt hat, hat er dadurch seinen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet. Der Landeshauptmann hätte somit über den Einspruch unter Abstandnahme von dem gebrauchten Behebungsgrunde entscheiden müssen. Hiebei hätte er sich auch darüber schlüssig werden müssen, ob die Beschwerdeführerin durch die bloße Zitierung des "§ 69 AVG" schlechthin im Spruch und durch die in einem Satz bestehende Begründung für die Wiederaufnahme ihren gemäß § 357 Abs. 1 ASVG, §§ 58, 59 und 6o AVG 1950 hinsichtlich des Inhaltes und der Form von Bescheiden gegebenen Verpflichtungen nachgekommen ist. Aus dem weiter oben genannten Grunde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1981:1980000821.X00

Im RIS seit

27.01.2004

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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