Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §357;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident DDr. Heller und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Waldner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Starlinger, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien I, Biberstraße 22/8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes der Steiermark vom 19. Oktober 1983, Zl. 5-220 Bu 8/10-1983, betreffend Wiederaufnahme eines Pensionsbemessungsverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 (mitbeteiligte Partei: FB in M), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Verwaltung) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid der beschwerdeführenden Anstalt vom 25. Juli 1980 wurde dem Mitbeteiligten die vorzeitige Alterspension gemäß § 131 GSVG ab 1. April 1980 in der Höhe von S 7.181,50 zuerkannt. Hiebei wurden im Bemessungszeitraum zwecks Ermittlung der Pensionshöhe Versicherungszeiten nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz lediglich für die Zeit vom 1. Jänner 1978 bis 30. November 1978 berücksichtigt, während die übrigen in die Bemessungszeit (1. Jänner 1970 bis 31. Dezember 1979) fallenden Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz erworben wurden. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.
1.2. Mit Bescheid der beschwerdeführenden Anstalt vom 29. Jänner 1981 wurde gemäß § 194 GSVG in Verbindung mit § 410 ASVG festgestellt, dass der Mitbeteiligte vom 1. Juli 1977 bis 31. Dezember 1979 von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 3 Z. 2 GSVG ausgenommen war. Nach der Begründung dieses Bescheides habe die beschwerdeführende Anstalt erfahren, dass der Mitbeteiligte im genannten Zeitraum nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz pflichtversichert gewesen sei. Dieser Bescheid blieb nach der Aktenlage unbekämpft.
1.3. Mit Bescheid vom 31. März 1981 hat die beschwerdeführende Anstalt hierauf gemäß § 194 GSVG ausgesprochen, dass die vorzeitige Alterspension vom 1. April 1980 bis 31. Dezember 1980 in der monatlichen Höhe von S 5.999,80 und ab 1. Jänner 1981 in der Höhe von monatlich S 6.305,80 gebühre; diese Entscheidung, so heißt es im Spruch weiter, beruhe auf der gemäß § 69 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 AVG 1950 amtswegig verfügten Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 25. Juli 1980 abgeschlossenen Verfahrens. Nach der Begründung dieses Bescheides sei die Wiederaufnahme des Verfahrens zu verfügen gewesen, weil Tatsachen bekannt geworden seien, die bei früherem Hervorkommen im ursprünglichen Verfahren einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Gegen diesen Bescheid hat der Mitbeteiligte Einspruch erhoben.
1.4. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1983 hat der Landeshauptmann der Steiermark diesem Einspruch Folge gegeben und den Bescheid der beschwerdeführenden Anstalt vom 31. März 1981 behoben.
Nach der Begründung dieses Bescheides liege der Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 nur dann vor, wenn die Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde in wesentlichen Punkten anders entschieden worden sei. Von einer anderen Behörde könne aber nur dann gesprochen werden, wenn es sich nicht bloß um verschiedene Abteilungen einer Behörde handle. Die beschwerdeführende Anstalt trete nach außen als ein einheitliches Ganzes, also als eine Institution bzw. als eine Behörde in Erscheinung. Unbestritten sei, dass die beschwerdeführende Anstalt sowohl den Bescheid vom 29. Jänner 1981 als auch jenen vom 31. März 1981 erlassen habe; daher könne von einer anderen Behörde im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Abs. 3 AVG nicht gesprochen werden. Unter dem Gesichtspunkt des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 werde vorgebracht, dass im Ermittlungsverfahren der beschwerdeführenden Anstalt eklatante Fehler unterlaufen seien und es ihr schon vor der Mitteilung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger und vor Erlassung des wieder aufgenommenen Pensionsbemessungsbescheides möglich gewesen wäre, den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend zu klären. Dieser Verfahrensmangel stelle ein Verschulden der Behörde im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 3 AVG 1950 dar.
1.5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Die beschwerdeführende Anstalt erachtet sich in ihrem Recht verletzt, das mit Bescheid vom 25. Juli 1980 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 wieder aufzunehmen und die Höhe der vorzeitigen Alterspension des Mitbeteiligten im gesetzlichen Ausmaß festzustellen. Nach dem Spruch des Wiederaufnahmebescheides habe die Behörde die Wiederaufnahme auf § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 gestützt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei § 38 AVG 1950 analog anzuwenden, wenn im Ermittlungsverfahren eine Vorfrage auftauche, über die als Hauptfrage die Behörde zwar selbst, aber in einem anderen Verfahren zu entscheiden hätte.
1.5. Der Landeshauptmann der Steiermark hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Gegen die Verfügung der Wiederaufnahme in einer Leistungssache (§ 354 Z. 1 ASVG) durch den Sozialversicherungsträger steht gemäß § 194 GSVG und § 357 Abs. 1 ASVG in Verbindung mit § 70 Abs. 3 AVG 1950 der Einspruch an den Landeshauptmann nach § 412 ASVG offen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Mai 1981, Zl. 3177/79 = ZfVB 1982/4/1411, vom 10. September 1982, Zl. 82/08/0095, 0096 = ZfVB 1983/4/1777 und 1978, und vom 26. November 1982, Zl. 82/08/0127, 0128 = ZfVB/1983/5/2524).
Aus § 194 GSVG in Verbindung mit § 415 und § 413 ASVG ergibt sich, dass der Instanzenzug erschöpft ist. Die Beschwerde ist zulässig.
2.2. Gemäß § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde. Nach § 69 Abs. 3 AVG 1950 kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden.
2.3.1. Der Wiederaufnahmsbescheid der beschwerdeführenden Anstalt trägt dem Gebot Rechnung, dass erkennbar sein muss, auf welchen der Tatbestände der lit. a bis c des § 69 Abs. 1 AVG 1950 sich die Wiederaufnahme stützt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. Oktober 1982, Zl. 82/08/0117, 0118 = ZfVB 1983/5/2522, und vom 26. November 1982, Zl. 82/08/0127, 0128 = ZfVB 1983/5/2524). Maßgebend ist dabei der Spruch des Wiederaufnahmsbescheides der Anstalt vom 31. März 1981, in welchem die lit. c im § 69 Abs. 1 AVG 1950 genannt wird, mag auch die sich auf den Wortlaut der lit. b beziehende Begründung dazu in Widerspruch stehen.
2.3.2. Der Spruch des Wiederaufnahmsbescheides vom 31. März 1981 ist auch zu Recht auf § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 gegründet.
Nach § 38 AVG 1950 ist eine Vorfrage eine solche, die als Hauptfrage von einer anderen Behörde zu entscheiden wäre; daraus folge, so hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 5. Juli 1962, Slg. N. F. Nr. 5838/A, ausgesprochen, dass es sich, betrachte man das Vorfragenproblem für den Bereich der die Frage als Hauptfrage entscheidenden Behörde, nur um eine Frage handeln könne, die Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch diese Behörde sei. Schon in seinem Erkenntnis vom 17. Juni 1927, Slg. Nr. 14854/A, hat der Verwaltungsgerichtshof nun die analoge Anwendung des § 38 AVG 1950 für zulässig und geboten erachtet, wenn im Ermittlungsverfahren eine Vorfrage auftaucht, über die als Hauptfrage die Behörde zwar selbst, aber in einem anderen Verfahren zu entscheiden hätte (vgl. ebenso das hg. Erkenntnis vom 26. Oktober 1954, Slg. N. F. Nr. 3537/A). Diesen Standpunkt hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. November 1978, Slg. N. F. Nr. 9689/A = ZfVB 1979/4/1566, unter Hinweis auf Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren8, I, S. 244, Anm. 1 zu S 38 AVG 1950, aufrechterhalten und bekräftigt. Auch in seinem Erkenntnis vom 26. Februar 1981, Z1. 2878/79 = ZfVB 1982/3/991, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, die Vorfrage müsse möglicher Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltenden Abspruches, der als Hauptfrage einer anderen Behörde (oder derselben Behörde in einem anderen Verfahren) zur Entscheidung aufgetragen sei, sein.
Hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Frage der Versicherungspflicht eines Dienstnehmers als Vorfrage in dem vor derselben Behörde stattfindenden Verfahren über eine Beitragsnachverrechnung im Sinne des § 38 AVG 1950 gewertet, also die beiden Verwaltungsverfahren über die Versicherungspflicht einerseits und die Beitragspflicht andererseits als verschiedene Verfahren vor derselben Behörde behandelt (vgl. das oben zitierte Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. November 1978), so trifft dies auch auf den vorliegenden Fall eines Verfahrens betreffend die Feststellung über die Ausnahme einer Person von der Pflichtversicherung einerseits und das Leistungsverfahren andererseits zu. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob die Frage der Versicherungspflicht bzw. der Ausnahme von der Versicherungspflicht im Hinblick auf § 413 Abs. 4 ASVG in einem Leistungsverfahren zulässiger Gegenstand einer bescheidförmigen Entscheidung des Versicherungsträgers sein kann, ob dies auch für eine Entscheidung nach rechtskräftigem Abschluss eines Leistungsverfahrens gilt und ob schließlich diese Bestimmung überhaupt auf die Frage der Versicherungszugehörigkeit einer Person nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz Anwendung findet. Im vorliegenden Fall geht es ja nicht um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des die Ausnahme von der Versicherungspflicht feststellenden rechtskräftig gewordenen Anstaltsbescheides vom 29. Jänner 1981. Dieser ist vielmehr - nach der Aktenlage unbekämpft - jedenfalls im Leistungsverfahren zu beachten gewesen, hat er doch auch dort zu berücksichtigende Rechtswirkungen entfaltet. Im Hinblick auf diesen bescheidförmigen Abspruch im Verwaltungsverfahren geht es nicht um die bloße Neubeurteilung eines unselbstständigen Tatbestandselementes, sondern um eine Verfahrenssituation, auf die § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 Anwendung findet.
Der Bescheid der beschwerdeführenden Anstalt vom 29. Jänner 1981, betreffend die zeitweise Ausnahme des Mitbeteiligten von der Pflichtversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, durfte somit zum Anlass der Durchbrechung der Rechtskraft des Pensionsfeststellungsbescheides dieser Anstalt vom 25. Juli 1980 auf Grund des Wiederaufnahmstatbestandes nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 genommen werden, ohne dass die beschwerdeführende Anstalt ihren Wiederaufnahmsbescheid vom 31. März 1981 mit Rechtswidrigkeit belastet hätte.
2.3.3. Bemerkt wird, dass § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950, anders als die lit. b, weder darauf abstellt, dass die Behörde nach Bewilligung der Wiederaufnahme zu einem anderen Bescheid kommen kann oder nicht (hg. Erkenntnis vom 26. Oktober 1954, Slg. N. F. Nr. 3537/A) noch darauf, ob die eine Wiederaufnahme von Amts wegen verfügende Behörde ein Verschulden daran trifft, dass sie zunächst zu einer vorfrageweisen Beurteilung gekommen ist, die sich angesichts des nachher in einem anderen Verfahren erlassenen, diese Frage als Hauptfrage entscheidenden Bescheides als rechtsirrig erweist.
2.4. Aus diesen Erwägungen folgt, dass der belangte Landeshauptmann der Steiermark den im Spruch auf § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 gestützten Wiederaufnahmsbescheid der beschwerdeführenden Anstalt zu Unrecht aufgehoben hat; es wäre der Einspruchsbehörde vielmehr lediglich oblegen, die verfehlte, auf § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 Bezug nehmende Begründung durch eine den Spruch tragende Begründung zu ersetzen. Die belangte Behörde hat somit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.
2.6. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 29. März 1984
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1984:1983080321.X00Im RIS seit
03.11.2004Zuletzt aktualisiert am
10.03.2016