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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art140a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Närr, Dr. Degischer, Dr. Domittner, Dr. Dorner, Dr. Bernard, DDr. Jakusch und Dr. Kremla als Richter, im Beisein der Schriftführer Landesregierungsrat Dr. Schieferer, Dr. Egger und Kommissär Dr. Renner, über die Beschwerde des Dr. O S in W, vertreten durch Dr. Herbert Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien I, Schubertring 3, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 28. Jänner 1985, Zl. MA 70-IX/St 33/84/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, nach der am 8. November 1985 vor dem Strafsenat (§ 11 Abs. 1 VwGG) durchgeführten mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (das Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 21.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 28. Jänner 1985 (dem angefochtenen Bescheid) wurde der Beschwerdeführer durch Bestätigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 schuldig erkannt, er habe am 24. Oktober 1983 um 15.49 Uhr in Wien IX, Nußdorferstraße 92, Kreuzung Heiligenstädterstraße-Währingergürtel, einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gelenkt und das Rotlicht der Verkehrslichtsignalanlage nicht beachtet und nicht vor der "Anhaltelinie" angehalten. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 38 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; es wurde eine Geld- und Ersatzarreststrafe verhängt.
In der gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Beschwerde wurden folgende Beschwerdegründe ausgeführt:
1. Der Verkehrslichtsignalanlage in Wien IX, Kreuzung Nußdorferstraße-Heiligenstädterstraße-Währinger Gürtel, fehle die "Bestimmung" im Sinne des § 36 Abs. 1 erster Satz StVO, welche z. B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 1981, Zl. 03/3031/80, als eine Voraussetzung für die Strafbarkeit des Nichtbeachtens des Rotlichtes einer Verkehrslichtsignalanlage angesehen habe. Liege eine "Bestimmung" vor, dann sei sie zu "unbestimmt"; ferner sei sie von einer unzuständigen Behörde, sei es dem Gemeinderat der Bundeshauptstadt Wien, sei es der Magistratsabteilung 46 des Magistrates der Stadt Wien, "getätigt" worden.
2. Der Haltelinie an der gegenständlichen Kreuzung fehle eine verordnungsmäßige Grundlage (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1985, Zl. 85/02/0171).
3. Die Feststellung, der Beschwerdeführer habe zur Tatzeit am Tatort die Tat begangen, sei in einem mangelhaften Verwaltungsstrafverfahren gewonnen worden: Die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers sei nicht widerlegt worden, der Meldungsleger müsse sich geirrt haben; eine notwendige Skizze sei nicht angefertigt worden.
4. Insbesondere stelle einen Verfahrensmangel dar, dass das dem Beschwerdeführer nach Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK zustehende Recht, dem Belastungszeugen gegenübergestellt zu werden und an ihn Fragen zu stellen, verletzt worden sei. Der von Österreich erklärte Vorbehalt zur Europäischen Menschenrechtskonvention sei nicht durch eine verfassungsgesetzliche Bestimmung gedeckt; sofern der Verwaltungsgerichtshof diesen Vorbehalt als dem Rechtsbestand angehörig ansehe, möge er an den Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen, den Vorbehalt als verfassungswidrig aufzuheben.
5. Die Strafbemessung sei unter Verletzung der Grundsätze des § 19 VStG 1950 erfolgt; die Strafe sei zu hoch, sie "reduziere" den Beschwerdeführer auf das Existenzminimum.
Die belangte Behörde hat zunächst die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt. Schon mit dieser Gegenschrift legte die belangte Behörde ein Schreiben ihrer Magistratsabteilung 46 vom 17. Mai 1985 über die Frage der "Bestimmung" der Verkehrslichtsignalanlage vor.
Der Verwaltungsgerichtshof führte am 8. November 1985 vor dem Strafsenat (§ 11 Abs. 1 VwGG) eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde durch und vernahm Ing. W S als Zeugen. Die belangte Behörde legte sowohl vor als auch nach der mündlichen Verhandlung Aktenteile vor; dem Beschwerdeführer wurde jeweils Parteiengehör zu den vorgelegten Aktenstücken gewährt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Gerichtshof hält seine im Erkenntnis vom 18. Februar 1981, Zl. 03/3031/80, ausgesprochene Rechtsansicht über den notwendigen Zusammenhang einer "Bestimmung" einer Verkehrslichtsignalanlage im Sinne des § 36 Abs. 1 erster Satz StVO und einer Bestrafung eines Verkehrsteilnehmers, der das von dieser Verkehrslichtsignalanlage ausgestrahlte Rotlicht missachtet, nicht aufrecht.
Gemäß § 36 Abs. 1 StVO hat die Behörde zur Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf Straßen mit öffentlichem Verkehr unter Bedachtnahme auf die Verkehrserfordernisse zu bestimmen, ob und an welcher Stelle der Verkehr durch Armzeichen oder Lichtzeichen zu regeln ist. Die Verkehrsampeln, die die in dieser Vorschrift genannten Lichtzeichen ausstrahlen, gehören zu den Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs im Sinne des § 31 Abs. 1 StVO. Gemäß § 32 Abs. 1 StVO sind solche Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, vom Straßenerhalter auf seine Kosten anzubringen und zu erhalten. Die Kosten der Anbringung und Erhaltung dieser Einrichtung auf und an Kreuzungen sind von den beteiligten Straßenerhaltern entsprechend dem Ausmaß des Verkehrs auf jeder Straße zu tragen. Gemäß § 98 Abs. 3 erster Satz StVO darf der Straßenerhalter auch ohne behördlichen Auftrag Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs (§ 31 Abs. 1) anbringen, dies gilt jedoch nicht für die in § 44 Abs. 1 StVO genannten Straßenverkehrszeichen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 10. Februar 1982, Slg. N. F. Nr. 10.649/A) ist diese Vorschrift verfassungskonform so auszulegen, dass der Straßenerhalter nur jene Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs ohne behördlichen Auftrag anbringen darf, für die es keiner Verordnung gemäß § 43 StVO bedarf, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen handelt.
Nach der nunmehrigen Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine "Bestimmung" im Sinne des § 36 Abs. 1 StVO keine Verordnung im Sinne des § 43 StVO dar, weil die Anordnung, dass an einer Stelle der Verkehr durch Lichtzeichen zu regeln ist, noch nichts über die konkreten Rechte und Pflichten der Verkehrsteilnehmer aussagt. Bringt der Straßenerhalter ohne behördlichen Auftrag eine Verkehrslichtsignalanlage an, so handelt es sich überhaupt um keinen hoheitlichen Akt. Geht aber die Behörde mit "Bestimmung" im Sinne des § 36 Abs. 1 erster Satz StVO mit Wirksamkeit gegenüber dem Straßenerhalter vor oder regelt sie darüber hinaus noch nach § 32 Abs. 1 StVO die Kostentragung für solche Anlagen durch verschiedene Straßenerhalter, so werden nur die Rechte und Pflichten der bestimmten Straßenerhalter mit Bescheid festgesetzt.
Die Rechte und Pflichten der Verkehrsteilnehmer in Bezug auf eine Verkehrslichtsignalanlage oder in Bezug auf eine Regelung durch Armzeichen werden vielmehr durch die §§ 38 und 37 StVO geregelt. Armzeichen eines Verkehrspostens nach § 37 und die Ausstrahlung verschiedenfärbigen Lichtes durch eine Verkehrslichtsignalanlage nach § 38 StVO stellen sich als die unmittelbare Regelung des Verkehrs durch Arm- oder Lichtzeichen dar. Diese unmittelbare Regelung gehört, neben der Überwachung der Einhaltung straßenpolizeilicher Vorschriften, zur Verkehrspolizei. Zu deren Ausübung ist gemäß § 94 b lit. a StVO, sofern der Akt der Vollziehung für den betreffenden politischen Bezirk wirksam werden soll und sich nicht die Zuständigkeit der Gemeinde oder der Bundespolizeibehörde ergibt und sofern es sich nicht um Autobahnen handelt, die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig. Im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde obliegt gemäß § 95 Abs. 1 lit. a StVO dieser die Handhabung der Verkehrspolizei - mithin auch die unmittelbare Regelung des Verkehrs durch Arm- oder Lichtzeichen -, ausgenommen auf Autobahnen.
Daraus ist folgendes abzuleiten:
Mag eine "Bestimmung" im Sinne des § 36 Abs. 1 erster Satz StVO vorliegen oder nicht, so ist das von einem zuständigen Organ (der Bezirksverwaltungsbehörde, allenfalls der Bundespolizeibehörde) gegebene Handzeichen auf einer Kreuzung vom Verkehrsteilnehmer zu befolgen. Auch eine Verkehrslichtsignalanlage mag bestimmt im Sinne des § 36 Abs. 1 erster Satz StVO oder bloß vom Straßenerhalter angebracht sein im Sinne des § 98 Abs. 3 StVO: Sobald sie von einem zuständigen Organ (der Bezirksverwaltungsbehörde, allenfalls der Bundespolizeibehörde) händisch oder automatisch in Betrieb gesetzt wird, sind ihre Lichtzeichen für den Verkehrsteilnehmer verbindlich.
Bei dieser Rechtsansicht erübrigte es sich, die Frage zu prüfen, ob der Verkehrslichtsignalanlage am Tatort eine "Bestimmung" im oben genannten Sinn zu Grunde lag oder nicht. Dass die Verkehrslichtsignalanlage am Tatort zur Tatzeit oder vor der Tatzeit nicht durch Behördenorgane, sondern missbräuchlich durch einen unbefugten Privaten eingeschaltet worden wäre, ist weder nach der Lebenserfahrung wahrscheinlich noch wurde derartiges vom Beschwerdeführer behauptet.
Daher war das zur Tatzeit von der Verkehrslichtsignalanlage ausgestrahlte Rotlicht für den Beschwerdeführer im Sinne des § 38 Abs. 5 StVO verbindlich.
Der Verwaltungsgerichtshof kann aber auch eine andere, in mehreren Erkenntnissen ausgesprochene Rechtsansicht, nicht aufrechterhalten.
Seit dem Erkenntnis vom 25. April 1980, Zl. 3326/79, wurde unter anderem in den Erkenntnissen vom 25. April 1985, Zl. 85/02/0101, vom 26. April 1985, Zl. 85/18/0041, vom 25. November 1985, Zl. 85/02/0171, die Rechtsansicht vertreten, bei einer Übertretung nach § 38 Abs. 5 StVO müsse dem Bescheidspruch entnommen werden können, an welcher der im § 38 Abs. 1 lit. a bis c StVO angeführten Stellen das Fahrzeug nicht angehalten worden sei; die Anführung dieser Stelle bilde ein wesentliches Tatbestandsmerkmal. Bei Unterbleiben der Bezeichnung dieser Stelle werde der Beschuldigte nicht in die Lage versetzt, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten.
Eine grundsätzlich andere Ansicht hat, allerdings nicht zu § 38 Abs. 5, sondern zu § 52 lit. c Z. 24 StVO, das Erkenntnis vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0168, vertreten, welches unter anderem ausgeführt hat:
"Hinsichtlich des Deliktes nach § 52 lit. c Z. 24 StVO vermisst die Beschwerde zu Unrecht die spruchmäßige Angabe jener Stelle, an welcher der Beschwerdeführer vor dem genannten Vorrangzeichen sein Kraftfahrzeug hätte anhalten müssen. Eine solche Angabe könnte unter Umständen dann erforderlich sein, wenn einem Kraftfahrzeuglenker vorgeworfen wird, zwar irgendwo nahe einem solchen Vorrangzeichen angehalten zu haben, aber nicht an den in § 52 lit. c Z. 24 StVO genannten Stellen, also nicht vor einer allfälligen Bodenmarkierung oder nicht an jener Stelle, von der aus gute Übersicht besteht. Solche Feststellungen erübrigen sich aber in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Beschwerdeführer sein Fahrzeug überhaupt nicht anhielt."
Gemäß § 38 Abs. 5 StVO gilt rotes Licht als Zeichen für "Halt". Bei diesem Zeichen haben die Lenker von Fahrzeugen anzuhalten, und zwar, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, an den im Abs. 1 des § 38 bezeichneten Stellen. Für eine Kreuzung kommen somit in Frage nach lit. a) die Haltelinie, wenn diese fehlt, nach lit. b) der Schutzweg, wenn auch dieser fehlt, nach lit. c) die Kreuzung selbst. Das sich aus dem roten Licht ergebende Gebot für den Fahrzeuglenker besteht grundsätzlich darin, vor der Kreuzung an bestimmten Stellen anzuhalten; es ist ihm also verboten, in die Kreuzung einzufahren. An welcher Stelle des näheren anzuhalten ist, ergibt sich aus § 38 Abs. 1 lit. a bis lit. c StVO. Der Fahrzeuglenker, der trotz roten Lichtes in die Kreuzung einfährt, missachtet aber das Gebot des § 38 Abs. 5 StVO, gleichgültig, an welcher der drei in Betracht kommenden Stellen er anzuhalten gehabt hätte.
Beim Einfahren in eine Kreuzung trotz Rotlichtes der Verkehrslichtsignalanlage ist es somit nicht erforderlich, im Spruch des Straferkenntnisses jene Stelle zu bezeichnen, an der der Fahrzeuglenker anzuhalten gehabt hätte.
In einem derartigen Fall ist es allerdings nicht ausgeschlossen, den Tatvorwurf (§ 44a lit. a VStG 1950) auf das Nichtanhalten vor einer der im § 38 Abs. 1 StVO näher bezeichneten Stellen zu beschränken, ohne dass deshalb die Begehung eines anderen Deliktes oder die Wiederholung des gleichen Deliktes vorläge, denn die Nichtbeachtung des Rotlichtes im Sinne des § 38 Abs. 5 StVO stellt, auf eine Kreuzung und auf eine Tatzeit bezogen, nicht verschiedene selbständige Taten im Sinne des § 22 VStG 1950 dar, mag der Beschuldigte nun schlechthin in die Kreuzung eingefahren sein oder vor einer Stelle angehalten haben, die nicht der Reihenfolge des § 38 Abs. 1 lit. a) bis c) StVO entspricht.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, nicht vor der Haltelinie angehalten zu haben.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Mai 1986 (Inkrafttreten des § 55 Abs. 8 StVO idF der 13. Novelle) bedurfte eine durch Bodenmarkierung ausgedrückte Haltelinie, weil sie ein Gebot darstellte, einer Verordnung (vgl. z.B. Erkenntnis vom 25. November 1985, Zl. 85/02/0171; in Slg. N. F. Nr. 11.955/A nur Rechtssatz veröffentlicht).
Im vorliegenden Fall ist eine verordnungsgemäße Grundlage für die gegenständliche Haltelinie nicht zu finden. Der Beschwerdeführer hat eine derartige Grundlage stets bestritten (AS 7, 39, 44). Hingegen hat der Vertreter der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung am 8. November 1985 erklärt, die Haltelinie müsse nicht auf einer Verordnung beruhen; im übrigen wäre eine Verordnung, wäre eine solche geboten, im Sinne des § 44 Abs. 3 StVO an der Amtstafel kundzumachen und hätte nur für Personen Geltung, die im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde ihren Wohnsitz oder eine Betriebsstätte haben. Da der Verwaltungsgerichtshof schon mit Schreiben vom 2. September 1985 die belangte Behörde aufgefordert hatte, die Rechtsgrundlage für die Anbringung der Haltelinie zu nennen, kann das Vorbringen des Behördenvertreters nur so verstanden werden, dass die gegenständliche Haltelinie angebracht worden ist, ohne dass sie auf einer Verordnung beruht.
Daher hat dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden dürfen, diese Haltelinie missachtet zu haben.
Der - nach der Aktenlage zutreffende - Vorwurf, trotz Rotlichtes in die Kreuzung eingefahren zu sein, ist gegen den Beschwerdeführer zwar in der Strafverfügung vom 2. Dezember 1983, zugestellt am 7. Dezember 1983, erhoben worden, doch ist diese Strafverfügung infolge rechtzeitig erhobenen Einspruches außer Kraft getreten. Dieser Vorwurf ist später weder im Straferkenntnis noch im angefochtenen Bescheid wiederholt worden.
Nun muss, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof zu 44a lit. a und b VStG 1950 entsprechend, der Spruch eines Straferkenntnisses so gefasst sein, dass die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die verletzte Verwaltungsvorschrift eindeutig und vollständig erfolgt, also aus der Tathandlung sogleich auf das Vorliegen der bestimmten Verwaltungsübertretung geschlossen werden kann (vgl. z.B. die Erkenntnisse verstärkter Senate vom 13. Juni 1984, Slg. N. F. Nr. 11.466/A, und vom 3. Oktober 1985, Slg. N. F. Nr. 11.894/A). Der Beschuldigte hat ein subjektives Recht, dass ihm einerseits die als erwiesen angenommene Tat, andererseits die verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten wird (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 2. Juli 1979, Slg. N. F. Nr. 9898/A).
Daran mangelte es im vorliegenden Fall. Dem Beschwerdeführer konnte das Nichtanhalten vor der Haltelinie deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil der Haltelinie die verordnungsmäßige Grundlage gefehlt hat. Andererseits ist dem Beschwerdeführer im Spruch des Straferkenntnisses und im Berufungsbescheid nicht vorgeworfen worden, er wäre trotz Rotlichtes in die Kreuzung eingefahren.
Aus diesem Grunde erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie nimmt der Verwaltungsgerichtshof noch zu folgenden in der Beschwerde erhobenen Rügen Stellung:
Die belangte Behörde hat in der Tatfrage ausgeführt, die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei nicht durch die Nußdorferstraße stadtauswärts über den inneren Gürtel, sondern von der Viriotgasse kommend, die Nußdorferstraße stadteinwärts gefahren, sei durch die Zeugenaussage des Meldungslegers widerlegt. Der Beschwerdeführer habe seine Ankündigung, an Stelle seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau andere Zeugen zum Beweise des Umstandes namhaft zu machen, dass er die von ihm behauptete Fahrstrecke gewöhnlich einhalte, nicht verwirklicht. Hinsichtlich der Nichtbeachtung des Rotlichtes durch den Beschwerdeführer zur Tatzeit am Tatort sei der Zeugenaussage des Meldungslegers zu folgen; sage dieser doch unter Strafsanktion aus, der Beschwerdeführer als Beschuldigter jedoch nicht. Die Handskizze des Meldungslegers entspräche den Anforderungen vollauf; durch die beantragte Gegenüberstellung sei für die Wahrheitsfindung kein neuer Aspekt zu erwarten.
Der Verwaltungsgerichtshof kann diese Beweiswürdigung nicht als unschlüssig erkennen; insbesondere vermochte die Beschwerde nicht darzutun, was bei Anfertigung einer maßstabgetreuen Skizze - statt der in den Akten erliegenden Übersichtsskizze - für die Wahrheitsfindung zu gewinnen gewesen wäre.
Das vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner Verfahrensrüge behauptete abstrakte Recht auf Gegenüberstellung mit dem Belastungszeugen besteht nicht.
Der Vorbehalt der Republik Österreich zu Art. 5 MRK hinsichtlich der Verwaltungsverfahrensgesetze schließt für die unter diese Gesetze fallenden Verfahren auch die Anwendung des Art. 6 MRK aus (VfSlg. 7814/1976; 8234/1978; 8685/1979; 9158/1981).
Der Beschwerdeführer stützt sich auf die Ausführungen von Hock, "Hat der österreichische Vorbehalt zu Art. 5 MRK Verfassungsrang?", ÖJZ 1984, 176, wonach diese Frage zu verneinen sei, weshalb der von Österreich zu Art. 5 MRK erklärte Vorbehalt der MRK zwar nicht derogiere, mit ihr aber in Widerspruch stehe; es sei sohin mit Antragstellung nach Art. 140a B-VG vorzugehen.
Die Ansicht von Hock vermag allerdings nicht zu überzeugen (siehe auch die ausdrückliche Ablehnung bei Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verfassungsrechtes 5, S 442):
Die Republik Österreich hat zu Art. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten samt Zusatzprotokoll (MRK) den oben erwähnten Vorbehalt erklärt (BGBl. Nr. 210/1958). Mit Art. II des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, wurde bestimmt, dass nachstehende Staatsverträge und in Staatsverträgen enthaltene Bestimmungen, die vom Nationalrat als verfassungsändernd behandelt und in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen genehmigt worden sind, obwohl sie weder im Beschluss des Nationalrates noch anlässlich ihrer Kundmachung im Bundesgesetzblatt ausdrücklich als verfassungsändernd bezeichnet wurden, gemäß Art. 50 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 44 Abs. 1 B-VG genehmigt werden. Unter Z. 1 dieser Staatsverträge ist die MRK genannt. Die seinerzeitige Beschlussfassung im Jahre 1958 entsprach den Erfordernissen des Art. 44 Abs. 1 B-VG (siehe die Darstellung bei Klecatsky-Morscher, Das österreichische Bundesverfassungsrecht 3, S 1046f).
Da auch der erwähnte Vorbehalt diesem Genehmigungsverfahren unterzogen worden ist, hat auch er Verfassungsrang (vgl. allgemein Walter-Mayer, a.a.O., S 79; speziell zu diesem Vorbehalt VfSlg. 3806/1960 und 9158/1981).
In der Literatur hat sich auch Kopetzki, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1982, S 28 ff, S 51 ff, mit der Zulässigkeit und der Rechtsnatur des von Österreich erklärten Vorbehaltes beschäftigt; er äußerte weder an seiner völkerrechtlichen Zulässigkeit noch an seiner innerstaatlichen Wirksamkeit Zweifel.
Da Verfassungsrecht im allgemeinen (zu den hier nicht vorliegenden Ausnahmen siehe VfSlg. 2455/1952) nicht der Überprüfung im Wege eines Antrages nach Art. 140a B-VG unterliegt, war der diesbezüglichen Anregung des Beschwerdeführers nicht zu folgen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.
Wien, am 8. Mai 1987
Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1Verordnungen Verhältnis Verordnung - Bescheid VwRallg4Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)VerkehrslichtsignalanlageVerkehrsregelungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1987:1985180257.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
09.07.2009