Index
20 Privatrecht allgemeinNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Bescheid der nach der UrhG-Nov. 1980 beim BMfJ eingerichteten Schiedsstelle; Schiedsstelle ist eine Kollegialbehörde "mit richterlichem Einschlag "iSd. Art20 Abs2 B-VG; Erschöpfung des Instanzenzuges; Kollegialbehörden iSd. Art133 Z4 B-VG (Art20 Abs2 B-VG) sind angesichts ihrer gerichtsähnlichen Stellung hinsichtlich der Zusammensetzung zur Durchführung fortgesetzter Verhandlungen denselben strengen Regeln unterworfen wie kollegial besetzte Gerichte: in diesem Verfahrensstadium dürfen ihre Mitglieder nicht mehr ausgewechselt werden; zur (Sach-)Entscheidung sind jene Kommissionsmitglieder berufen, die an der letzten Verhandlung teilgenommen haben; Entzug des gesetzlichen Richters dadurch, daß die Beratung und Beschlußfassung nach Schluß der (letzten) Verhandlung in geänderter Zusammensetzung stattfandSpruch
Die bf. Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, der Bf. zu Handen ihres Vertreters die mit 11.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Die - gemäß ArtIII §1 Abs1 des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1980 (Urheberrechtsgesetznovelle 1980 UrhGNov. 1980), BGBl. 321/1980 - beim Bundesministerium für Justiz eingerichtete Schiedsstelle erließ durch Hon.Prof. DDr. R D als Vorsitzenden, Dr. J F und Prof. F S als weitere Mitglieder sowie Mag. F P, Dr. W D, Mag.Dr. K K, DDr. H K, Mag.Dr. O F und Dr. W R, Hofrat des Obersten Gerichtshofes, als Ersatzmitglieder am 17. Oktober 1986 im Verfahren 5/47-Schied/84 über den Antrag der ... Gesellschaft mbH (A GesmbH) gegen die M Einkaufsgesellschaft mbH wegen Rechnungslegung und Zahlung einer angemessenen Vergütung nach §42 Abs5 iVm §§69 Abs3, 76 Abs4 UrhG folgenden Bescheid:
"1. Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin den Betrag von 74.925 S (darin 5.550 S an 8 % Umsatzsteuer) zuzüglich 4 % Zinsen aus 12.960 S seit dem 10.5.1981, aus 19.440 S seit dem 10.8.1981, aus 27.337,50 S seit dem 10.4.1982 und aus 15.187,50 S seit dem 10.8.1982 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
2. Die Antragsgegnerin ist schuldig, die mit 12.000 S bestimmte Gebühr für die Inanspruchnahme der Schiedsstelle binnen 14 Tagen mit dem beiliegenden Erlagschein unter der Bezeichnung 'Gebühr für die Inanspruchnahme der Schiedsstelle im Verfahren 5-Schied/84' an das Bundesministerium für Justiz zu Handen des Oberlandesgerichtspräsidiums Wien auf das Postscheckkonto Nr. 5.460.009 zu bezahlen."
1.2.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde der M Einkaufsgesellschaft mbH an den VfGH; darin werden die Verletzung von Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm und die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt.
1.2.2. Die Schiedsstelle beim Bundesministerium für Justiz als bel. Beh. und die A GesmbH als Beteiligte des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens erstatteten - und zwar die Behörde unter Vorlage der Administrativakten - je eine Gegenschrift und beantragten die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Die Schiedsstelle beim Bundesministerium für Justiz iS der UrhGNov. 1980 besteht aus neun Mitgliedern, von denen eines dem Richterstand angehören muß (ArtIII §4 Abs1 UrhGNov. 1980). Alle Mitglieder des Kollegiums, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung für die Dauer von fünf Jahren bestellt werden, sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen und Aufträge gebunden (ArtIII §§4 Abs2, 5 Abs1 UrhGNov. 1980). Die Schiedsstelle wurde folglich vom Bundesgesetzgeber als Kollegialbehörde iS des Art20 Abs2 B-VG eingerichtet. Ihre Entscheidungen unterliegen kraft ArtIII §11 Abs1 UrhGNov. 1980 nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg, können jedoch mit Beschwerde an den VwGH bekämpft werden (vgl. VfGH 28.11.1986 B670/86).
Der administrative Instanzenzug ist darum erschöpft.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art83 Abs2 B-VG erachtet sich die bf. Gesellschaft in erster Linie deswegen verletzt, weil die belangte Behörde (in mehreren Tagsatzungen) in "regellos und willkürlich" geänderter personeller Besetzung verhandelt und entschieden habe.
2.2.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG (auch) durch unrichtige Zusammensetzung einer an sich zuständigen Kollegialbehörde verletzt (VfSlg. 3406/1958, 3752/1960 uam.). Daran anknüpfend sprach der VfGH bereits wiederholt aus, daß sog. "Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag" iSd Art133 Z4 B-VG (Art20 Abs2 B-VG) angesichts ihrer gerichtsähnlichen Stellung in der Frage der Zusammensetzung zur Durchführung fortgesetzter Verhandlungen denselben strengen Regeln wie kollegial besetzte Gerichte unterworfen sind (VfSlg. 4664/1964, 4728/1964; VfGH 28.11.1986 B670/86): Ihre Mitglieder dürfen also jedenfalls in diesem Verfahrensstadium nicht mehr ausgewechselt werden. Das bedeutet zugleich, daß zur (Sach-)Entscheidung (nur) jene Kommissionsmitglieder berufen sind, die an der letzten Verhandlung teilgenommen haben. Eine Auswechslung des einen oder anderen Mitglieds nach Schluß der Verhandlung - bloß zur Mitwirkung an der Entscheidungsfindung - ist jedenfalls unzulässig, also auch dann, wenn nicht in der Verhandlung (s. §44 Abs3 AVG 1950 iVm ArtIII §11 Abs2 UrhGNov. 1980) oder im Anschluß daran, sondern erst in einer späteren nichtöffentlichen Sitzung entschieden wird (s. VfSlg. 4728/1964).
Die bel. Beh. räumte nun in ihrer Gegenschrift - in voller Übereinstimmung mit der Aktenlage - selbst ein, daß sie im vorliegenden Administrativverfahren zuletzt am 13. August 1986 (in Anwesenheit der Parteienvertreter) verhandelt und (erst) am 17. Oktober 1986 in nichtöffentlicher Sitzung, und zwar in geänderter Zusammensetzung - an die Stelle des Ersatzmitgliedes Dkfm. I N war das Ersatzmitglied DDr. H K getreten - , entschieden habe (s. Verhandlungsschrift vom 13.8.1986 und Beratungsprotokoll vom 17.10.1986): Demnach steht fest, daß die Beratung und die Beschlußfassung nach Schluß der (letzten) Verhandlung in - unzulässig - geänderter Zusammensetzung stattfanden. Daran vermag - da am 13. August 1986 unter Mitwirkung der Parteien verhandelt wurde - entgegen der Rechtsauffassung der Schiedskommission auch nichts zu ändern, daß die Entscheidung (nach Darstellung in der Gegenschrift) bloß "auf Grund der Aktenlage" ergangen sein soll.
2.2.2.2. Daraus folgt, daß die hier entscheidende Kollegialbehörde - die (aus der Sicht dieser Beschwerdesache) auf verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzlichen Grundlagen beruht (vgl. VfSlg. 9887/1983, 9888/1983; VfGH 28.11.1986 B670/86) - in unrichtiger personeller Besetzung einschritt. Die bf. Gesellschaft wurde darum im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, ohne daß der VfGH - darüber hinaus - in die Prüfung der Frage eintreten mußte, ob und inwieweit der Vorsitzende der Schiedsstelle bei Einberufung (Ladung) der übrigen Kommissionsmitglieder zu den Verhandlungen (Beratungen) die streng-formalen Voraussetzungen des ArtIII §10 UrhGNov. 1980 eingehalten hatte (VfSlg. 8845/1980; VfGH 24.11.1983 B471/82 und B112/83).
Der angefochtene Bescheid war - allein schon aus diesem Grund - als verfassungswidrig aufzuheben.
2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.
2.4. Da die in dieser Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits genügend klargestellt sind, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Urheberrecht, KollegialbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:B1288.1986Dokumentnummer
JFT_10129388_86B01288_00