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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des WL in W, vertreten durch Dr. Friedrich Flendrovsky, Rechtsanwalt in Wien IX, Garnisongasse 10, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 7. Dezember 1988, Zl. MA 70-10/2606/87/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Landstraße, vom 25. November 1987 bestätigenden Teil wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren hinsichtlich der Stempelgebühren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 7. Dezember 1988 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung nach § 8 Abs. 4 StVO 1960 schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am 10. Februar 1987 um 15.17 Uhr in Wien 8, Laudongasse 36, mit einem dem Kennzeichen nach näher bestimmten Pkw mit 2 Rädern auf dem dort befindlichen Gehsteig "gehalten" und diesen somit vorschriftswidrig benützt habe.
Gegen diesen Bescheid, und zwar erkennbar nur hinsichtlich seines bestätigenden Teiles (mit dem angefochtenen Bescheid wurde auch das Verwaltungsstrafverfahren wegen einer Übertretung nach § 23 Abs. 2 StVO 1960 eingestellt), richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer am Tatort zur Tatzeit - entgegen der Bestimmung des § 8 Abs. 4 StVO 1960 - den Gehsteig benützt und damit objektiv gegen diese Vorschrift verstoßen hat. Er hat sich aber schon im Verwaltungsstrafverfahren damit verantwortet, dass sein Verhalten auf einen (bei winterlichen Verhältnissen) eingetretenen Defekt in der elektrischen Anlage seines Fahrzeuges zurückzuführen gewesen sei, den er so rasch wie möglich (nach Besorgung eines Satzes Sicherungen) behoben habe. Er berief sich dabei auf eine Notstandssituation, deren Vorliegen die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zusammenfassend deshalb verneint hat, weil sie dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der aufgetretenen Panne (und deren Behebung) keinen Glauben geschenkt hat. Erst in der Gegenschrift verweist die belangte Behörde darauf, dass auch bei Richtigkeit dieses Vorbringens von einem Notstand nicht gesprochen werden könne. Damit ist die belangte Behörde zwar im Recht, weil unter einem Notstand im Sinne des § 6 VStG 1950 nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden kann, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht, wobei es sich um eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen handeln muss (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1987, Zl. 87/03/0112, und die dort angeführte Judikatur); der Beschwerdeführer hat keine solche Gefahr behauptet und es besteht auch sonst kein Anhaltspunkt dafür, dass sie gegeben gewesen sei. Dies schließt aber nicht die Anwendung des § 5 Abs. 1 VStG 1950, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 516/1987, aus.
Nach dieser Gesetzesstelle ist Fahrlässigkeit - die im gegenständlichen Fall zur Strafbarkeit genügt - bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung - wie dies bei jener nach § 8 Abs. 4 StVO 1960 zutrifft - der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Es besteht daher in solchen Fällen von vornherein die Vermutung eines Verschuldens (in Form fahrlässigen Verhaltens) des Täters, welche aber von ihm widerlegt werden kann.
Dazu bedarf es nicht mehr, wie auf Grund der Rechtslage vor der bereits erwähnten VStG-Novelle 1987, eines Entlastungsbeweises durch den Beschuldigten, sondern es ist hiefür die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens ausreichend, weshalb es in diesem Zusammenhang nur (mehr) erforderlich ist, die Behörde von der Wahrscheinlichkeit und nicht von der Richtigkeit des Vorliegens einer bestimmten Tatsache zu überzeugen. Dies ändert aber nichts daran, dass es (weiterhin) Sache des Beschuldigten ist, initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht (vgl. zur früheren Rechtslage u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1976, Zl. 1497/75). Dies hat in erster Linie durch ein geeignetes Tatsachenvorbringen zu geschehen, worin aber gewöhnlich noch keine hinreichende Glaubhaftmachung der damit behaupteten Tatsache erblickt werden kann. Es ist daher ein solches Vorbringen - von Ausnahmefällen, wie etwa hinsichtlich notorischer Tatsachen, abgesehen - durch die Beibringung von Beweismitteln bzw. Stellung konkreter Beweisanträge entsprechend zu untermauern (vgl. das ebenfalls zur früheren Rechtslage ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. September 1985, Zl. 84/04/0237). Zu diesem Zweck hat die Behörde dem Beschuldigten (faktisch) Gelegenheit zu geben; ist er dazu - egal aus welchen Gründen - nicht in der Lage, so geht dies zu seinen Lasten. Ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt schließlich ebenso wie der Umstand, ob sie als erwiesen anzunehmen ist, der freien Beweiswürdigung der Behörde gemäß § 45 Abs. 2 AVG 1950 (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 1966, Zl. 1140/65, und vom 4. Juni 1976, Zl. 555/76). Diesbezüglich erstreckt sich die nachprüfende Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes - wie auch sonst (vgl. u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) - lediglich darauf, ob die von der Behörde angestellten Erwägungen schlüssig sind und ob der Sachverhalt genügend ermittelt worden ist, letzteres allerdings unter Beachtung des (sich aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergebenden) Umstandes, dass die Ermittlungspflicht der Behörde durch das Tatsachenvorbringen einschließlich der Beweisanbote des Beschuldigten eingeschränkt ist.
Überträgt man diese Gedanken auf den vorliegenden Beschwerdefall, so ist zunächst davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ein zur Glaubhaftmachung seines mangelnden Verschuldens geeignetes Tatsachenvorbringen erstattet und sich überdies darauf nicht beschränkt, sondern eine Reihe von Beweisanträgen gestellt hat. Wenn der Beschwerdeführer "vorweg anmerkt", dass für ihn "nach den Umständen die Beweissituation ungeheuer schwierig war" und die belangte Behörde "mit umsomehr Berücksichtigung dieses Umstandes hätte zu Werke gehen müssen", so ist ihm - und zwar unabhängig davon, ob ihm der Vorwurf gemacht werden könnte, dass er sich diese Schwierigkeiten selbst zuzuschreiben habe, weil er es unterlassen hat, bereits anlässlich des gegenständlichen Vorfalles, insbesondere an Ort und Stelle, für entsprechende Beweismittel vorzusorgen - darauf zu erwidern, dass er seine Behauptung über den an seinem Fahrzeug aufgetretenen Defekt, die dadurch bedingte Notwendigkeit, das Fahrzeug an der betreffenden Stelle abzustellen, und die umgehende Behebung des Defektes glaubhaft zu machen hatte und die belangte Behörde deshalb, weil sich für den Beschwerdeführer diese Glaubhaftmachung als schwierig herausstellte, nicht zu einer erhöhten Ermittlungspflicht verhalten war. Es sind aber auch alle Ausführungen des Beschwerdeführers, die seine Anträge auf Ausforschung unbekannter Zeugen betreffen, verfehlt. Im Verwaltungsstrafverfahren wurden in dieser Richtung umfangreiche Erhebungen vorgenommen, die nicht den vom Beschwerdeführer gewünschten Erfolg erbracht haben. Bei seiner Rüge, diese Erhebungen seien in Bezug auf die Ausforschung des Straßenbahnfahrers der Linie 5 bzw. 31/5, der durch die behauptete Panne zwischenzeitig an der Weiterfahrt gehindert gewesen sei, und des Taxilenkers, der ihn zu einem bestimmten Unternehmen zwecks Besorgung eines Satzes Sicherungen und wieder zum Tatort zurückgebracht habe, mangelhaft geblieben, übersieht der Beschwerdeführer, dass für die belangte Behörde überhaupt keine Verpflichtung bestand, diesbezüglich Ermittlungen durchzuführen, oblag es doch ausschließlich ihm als Beschuldigtem, für die erforderliche Glaubhaftmachung in Betracht kommende Zeugen zu eruieren und diese namhaft zu machen, um ihre Befragung zu gewährleisten. Es braucht aus diesem Grunde auch nicht mehr näher darauf eingegangen zu werden.
Was die mit Schriftsatz vom 5. August 1987 vorgenommene "Zeugenbekanntgabe" "zum Beweise dafür, dass ich an der gegenständlichen Stelle mein Fahrzeug defektbedingt abstellen musste", anlangt, so steht sie im Zusammenhang mit der vorangegangenen schriftlichen Äußerung des Beschwerdeführers vom 27. Juli 1987, in der darauf hingewiesen wurde, dass "durch das Blockieren der Laudongasse durch mein hängen gebliebenes Fahrzeug ziemliches Aufsehen erregt" worden und "anzunehmen" sei, "dass einige Geschäftsinhaber in der Nähe des Vorfalles sich an diesen erinnern können", und die Namhaftmachung "einiger dieser Geschäftsinhaber" als Zeugen in Aussicht gestellt wurde. Von den acht auf diese Weise beantragten Zeugen wurde lediglich einer als Zeuge vernommen (der hiebei erklärt hat, über den vom Beschwerdeführer behaupteten Vorfall keine Wahrnehmungen gemacht zu haben, und es sei ihm unerklärlich, wieso er überhaupt als Zeuge genannt werde). Mit den anderen Personen wurde seitens der Erstbehörde eine telefonische Kontaktnahme versucht, um auf diesem Wege in Erfahrung zu bringen, ob sie zum gegenständlichen Sachverhalt irgendwelche Angaben machen können. In allen diesen Fällen (wobei überdies zum Teil eine unrichtige Namensnennung durch den Beschwerdeführer hervorgekommen ist) wurde die darauf gerichtete Frage, teilweise mit dem Bemerken, dass sie sich zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht in Wien aufgehalten hätten, ebenfalls verneint. Dass sich die belangte Behörde damit begnügt und daher hinsichtlich dieser Personen nicht noch zusätzlich eine förmliche Zeugenvernehmung veranlasst hat, ist nicht als Verfahrensmangel anzusehen, stellen doch auch die dadurch gewonnenen (jeweils in einem Aktenvermerk festgehaltenen) Angaben (bezüglich derer kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass sie nicht auf Grund entsprechender Befragung erfolgt sind) an sich, auch wenn sie nicht unter Wahrheitspflicht gemacht worden sind, ein taugliches Beweismittel im Sinne des § 46 AVG 1950 dar und hat der Beschwerdeführer selbst nicht zum Ausdruck gebracht, dass er sicher sei, dass diese Personen zweckdienliche Angaben machen können. So enthält seine schriftliche Stellungnahme vom 5. November 1987 den Passus, dass die "in der Eingabe vom 5.8.1987 genannten Zeugen mir von umliegenden Geschäftsleuten als Zeugen genannt wurden" und "einige davon auch beim Beiseiteschieben des Pkw geholfen haben sollen", und heißt es in seiner Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis vom 25. November 1987, dass er die von ihm "in diesem Verfahren namhaft gemachten Zeugen nachträglich mühsam ausfindig gemacht habe, wobei ich zum Teil auf Hinweise dritter Personen sowie Vermutungen angewiesen war". Der Beschwerdeführer hat (auch in der Beschwerde) nicht hinreichend dargetan, dass diese Personen, wären sie als Zeugen vernommen worden, andere, für ihn günstigere Angaben gemacht hätten.
Allerdings wurde der Beschwerdeführer dadurch in seinen Rechten verletzt, dass die von ihm in der Berufung abschließend "zu meinem Vorbringen" beantragte Vernehmung des JK unterblieben ist. Die für die Ablehnung dieses Beweisantrages im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung, es sei den Angaben des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen gewesen, zu welcher konkreten Frage dieser Zeuge vernommen werden solle, trifft nicht zu, kann doch nicht zweifelhaft sein, dass der Beschwerdeführer auch damit als Beweisthema das Vorliegen des von ihm behaupteten Defektes (einschließlich der dadurch verursachten Verkehrsbeeinträchtigung und des erforderlichen Beiseiteschiebens seines Fahrzeuges in die später beanstandete Position) im Auge hatte. Die belangte Behörde hat sich aber mit dieser Person überhaupt nicht in Verbindung gesetzt, sodass darin ein wesentlicher Verfahrensmangel erblickt werden muss. Anders verhält es sich in Ansehung der erst mit Schriftsatz vom 18. November 1988 - mit dem Hinweis, dass es dem Beschwerdeführer "gelungen ist, 2 Personen auszuforschen, die den Vorfall gesehen haben" - gestellten Anträge auf Einvernahme der Zeugen LJ und HF. Hinsichtlich des Beweisthemas gilt zwar das bereits vorhin Gesagte. Die belangte Behörde war aber deshalb nicht verpflichtet, auf diese Beweisanträge (im Gegensatz zu dem auf Vernehmung des Zeugen K) Bedacht zu nehmen, weil es ihr sonst nicht möglich gewesen wäre, die im § 51 Abs. 5 VStG 1950 für die Erledigung der Berufung normierte Frist von einem Jahr einzuhalten, und der Beschwerdeführer nicht aufgezeigt hat, dass er objektiv nicht früher in der Lage gewesen wäre, diese Zeugen namhaft zu machen. Im Hinblick darauf, dass durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Einjahresfrist neu zu laufen beginnt, wird jedoch die belangte Behörde auch diese Beweisanträge im fortzusetzenden Verfahren nicht übergehen dürfen.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebühren für die (in zweifacher Ausfertigung eingebrachte) Beschwerde, unabhängig von der Anzahl ihrer Bögen, jeweils nur S 120,-- zu entrichten waren und der angefochtene Bescheid (mit den darauf entfallenden Stempelgebühren von S 90,--) lediglich in einer einzigen Ausfertigung anzuschließen war.
Wien, am 24. Mai 1989
Schlagworte
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ECLI:AT:VWGH:1989:1989020017.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
07.08.2018