TE Vwgh Erkenntnis 1990/1/10 89/01/0266

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Veröffentlicht am 10.01.1990
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Index

L40017 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung
Polizeistrafen Tirol;
L40057 Prostitution Sittlichkeitspolizei Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §59 Abs1;
LPolG Tir 1976 §6 Abs1;
LPolG Tir 1976 §6 Abs6;

Betreff

N gegen Tiroler Landesregierung vom 1. Juni 1989, Zl. Präs. III 1413/100, betreffend Leinen- und Maulkorbzwang gemäß § 6 Abs. 6 Tiroler Landespolizeigesetz.

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.870,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde A vom 28. April 1989 erhobene Vorstellung gemäß § 112 Abs. 5 Tiroler Gemeindeordnung 1966 als unbegründet ab. Der zitierte Gemeindevorstandsbescheid hatte (im zweiten Rechtsgang) die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters von A vom 25. August 1988 (womit angeordnet worden war, daß "die Hunde" der Beschwerdeführerin von dieser außerhalb von Gebäuden und ausreichend eingefriedeten Grundstücken an der Leine zu führen oder mit einem Maulkorb zu versehen wären) als unbegründet abgewiesen.

Die belangte Behörde ging bei ihrem Bescheid im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Es lägen sieben konkrete Fälle vor, in denen es zu Bissen, Gefährdungen und unzumutbaren Belästigungen durch Hunde der Beschwerdeführerin, die von dieser nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt und verwahrt worden seien, gekommen sei. Wiederholte Anzeigen ließen darauf schließen, daß die Hunde der Beschwerdeführerin freilaufend eine Gefahr für Menschen oder Sachen darstellten. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft B vom 9. März 1989 sei über die Beschwerdeführerin wegen Übertretung nach § 8 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Tiroler Landespolizeigesetz (LPG) gemäß § 8 Abs. 1 lit. a leg. cit eine Geldstrafe von S 400,-- (im NEF 20 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt worden, weil sie es am 31. Jänner 1988 gegen 16.10 Uhr unterlassen habe, ihre Hündin "Heike" so zu beaufsichtigen bzw. zu verwahren, daß Dritte durch sie nicht gefährdet oder über das zumutbare Maß hinaus belästigt werden, wodurch es dem Tier möglich gewesen sei, auf dem Weg vor dem "XY" in A den H anzuspringen und zu verletzen. Die Strafe sei rechtskräftig, weil die dagegen erhobene Berufung von der Berufungsbehörde als verspätet zurückgewiesen worden sei.

Rechtlich gelangte die belangte Behörde nach Wiedergabe des § 6 Abs. 6 LPG und des hg. Erkenntnisses vom 10. November 1982, Zl. 82/01/0235, zu dem Ergebnis, daß eine Gefährdung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle ohne weiteres erwiesen sei, wenn eine rechtskräftige Bestrafung des Halters wegen ungenügender Tierhaltung vorliege. Die Verhängung des Maulkorb- bzw. Leinenzwanges sei daher bereits auf Grund der oben zitierten Bestrafung der Beschwerdeführerin gerechtfertigt.

Einen von der Beschwerdeführerin in ihrer Vorstellung geltend gemachten Verfahrensmangel zufolge unzureichend durchgeführter Ermittlungen hielt die belangte Behörde für nicht gegeben, weil eine ausstehende Zeugeneinvernahme insbesondere wegen der rechtskräftigen Bestrafung der Vorstellungswerberin nur einen unwesentlichen Mangel darstellte. Auch die von der Beschwerdeführerin in ihrer Vorstellung gerügte Befangenheit des Bürgermeisters von A und des Gemeindevorstandes verneinte die belangte Behörde insbesondere mit dem Argument, der Bürgermeister sei bei der Sitzung des Gemeindevorstandes vom 28. April 1989 gar nicht anwesend gewesen und werde die Mitwirkung eines befangenen Organes bei der Entscheidung erster Instanz durch eine unbefangene Berufungsentscheidung gegenstandslos.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem "gesetzlichen Recht auf Abwicklung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahrens auf Grund der Vorschriften des AVG und in den materiellrechtlichen Bestimmungen des Tiroler Landespolizeigesetzes, insbesondere in demjenigen des § 6 Abs. 6 ebenso verletzt wie in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art. 2 Staatsgrundgesetz".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 Abs. 1 des Tiroler Gesetzes vom 6. Juli 1976 zur Regelung bestimmter polizeilicher Angelegenheiten (Landes-Polizeigesetz), LGBl. für Tirol Nr. 60/1976 (im Folgenden: LPG), bestimmt:

"Tiere sind so zu beaufsichtigen oder zu verwahren, daß durch sie Dritte nicht gefährdet oder über das zumutbare Maß hinaus belästigt werden."

Gemäß Abs. 6 leg. cit. kann die Gemeinde, soweit dies zur Vermeidung von Gefahren für Menschen oder Sachen erforderlich ist, allgemein oder im Einzelfall anordnen, daß Hunde außerhalb von Gebäuden und von ausreichend eingefriedeten Grundstücken an der Leine geführt werden und (oder) mit einem Maulkorb versehen sein müssen.

Die Beschwerde rügt in erster Linie den Umstand, daß im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides den Erfordernissen des § 59 AVG 1950 widersprechend nicht klar ausgedrückt sei, welcher individuelle Hund der Beschwerdeführerin vom Leinen- bzw. Maulkorbzwang betroffen sei. Der Bescheid sei deshalb einerseits nicht vollstreckbar und andererseits werde im Wege der unbestimmten und zu weiten Fassung des Bescheidspruches nicht berücksichtigt, daß zumindest einer der drei Hunde, die die Beschwerdeführerin zur Zeit der Bescheiderlassung am 25. August 1988 besessen habe, an den ihr zur Last gelegten Vorfällen nicht beteiligt gewesen sei. Außerdem werde nicht darauf Bedacht genommen, daß die Beschwerdeführerin in nächster Zeit andere Hunde halten könnte als diejenigen, die angeblich Anlaß für den erstinstanzlichen Bescheid gewesen wären. Der erstinstanzliche Bescheid bedeute, daß einerseits die zu erwartende Nachkommenschaft der derzeit existierenden Hunde und andererseits auch ein neu erworbener Hund, der unter Umständen nur die Größe einer Katze hätte, an die Leine zu nehmen bzw. mit einem Maulkorb zu versehen wäre. Der Bürgermeister von A hätte nach § 6 Abs. 6 leg. cit. die Möglichkeit gehabt, die Hundehaltung in der Gemeinde allgemein im Sinne eines Leinen- bzw. Maulkorbzwanges zu regeln, davon aber keinen Gebrauch gemacht. Die gegen die Beschwerdeführerin verhängte Maßnahme sei eine gemäß der zitierten Gesetzesstelle im Einzelfall angeordnete und eine solche hätte sich auf individuell bezeichnete Tiere beziehen müssen.

Bereits mit diesen Ausführungen ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Die Fassung des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides hindert - anders als es die Beschwerdeführerin sieht - eine allfällige Vollstreckung nicht, weil von einer solchen (im Wege des § 5 VVG) dann eben alle Hunde erfaßt wären, die der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Bescheiderlassung gehörten. Die belangte Behörde hat aber weder im Spruch noch in der Begründung ihres Bescheides noch durch Bezugnahme auf die Bescheide der Unterinstanzen (welche diesbezüglich auch nichts Konkretes enthalten) dargestellt, von wie vielen und welchen individuell bestimmten Hunden der Beschwerdeführerin jene Gefährdungen bzw. Belästigungen ausgegangen sind, die Anlaß für die im Einzelfall gemäß § 6 Abs. 6 LPG getroffene Anordnung des Bürgermeisters von A gewesen sind. Damit hat aber die belangte Behörde ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG belastet, weil nicht auszuschließen ist, daß sie dann, wenn jeweils konkret festgestellt worden wäre, welcher Hund der Beschwerdeführerin Gefährdungen oder Belästigungen Dritter im Sinn des § 6 Abs. 1 LPG veranlaßte, zumindest hinsichtlich einzelner Hunde der Beschwerdeführerin zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ein Eingehen auf die übrigen Beschwerdeargumente war daher entbehrlich.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO vom 17. April 1989 BGBl. Nr. 206. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft über das gesetzlich erforderliche Ausmaß hinaus entrichtete Stempelgebühren.

Schlagworte

Inhalt des Spruches Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989010266.X00

Im RIS seit

10.01.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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