Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ASVG §44;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Sauberer und Dr. Giendl als
Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär
Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der T-GmbH gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 27. April 1988, Zl. SV-292/2-1988, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Punkt 2 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenbegehren für Barauslagen wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der mitbeteiligten Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 14. Jänner 1987 wurde die Beschwerdeführerin als Dienstgeber verpflichtet, für die in der angeschlossenen Beitragsrechung (8 Blätter) namentlich angeführten Versicherten und bezeichneten Zeiträume allgemeine Beiträge in der Höhe von S 1,330.896,80 sowie Sonderbeiträge in der Höhe von S 125.340,20 zu entrichten. Begründend wurde ausgeführt, anläßlich einer am 14. November 1986 vorgenommenen Beitragsprüfung sei festgestellt worden, daß Pflichtversicherte während der in der angeschlossenen Beitragsrechnung angeführten Zeiträume nicht oder unrichtig bzw. mit einem zu geringen Entgelt zur Sozialversicherung gemeldet gewesen seien. Zur Behebung dieser Differenzen seien Sozialversicherungsbeiträge nachzuverrechnen, worüber die angeschlossene Beitragsrechnung im einzelnen Aufschluß gebe. Die von den in der angeschlossenen Beitragsrechnung angeführten Fernfahrern geleisteten Überstunden seien vom Dienstgeber bei der Meldung des Entgeltes unberücksichtigt geblieben. Durch die mangelhafte Führung bzw. durch die Nichtvorlage von Arbeits- bzw. Wochenberichten seitens des Dienstgebers hätten aufgenommene Niederschriften bzw. vorgelegte Stundenaufzeichnungen der erreichbaren Fernfahrer sowie bereits ergangene Arbeitsgerichtsurteile für die Ermittlung der Überstunden herangezogen werden müssen. Diesen Unterlagen sei - bis auf eine Ausnahme (ein Arbeitnehmer habe als Mindestwochenarbeitszeit 50 bis 60 Stunden angegeben) - zu entnehmen, daß die Arbeitszeit der übrigen Fernfahrer deutlich über 60 Wochenstunden liege. Zur Bildung der Beitragsgrundlage für sämtliche im Prüfzeitraum (April 1982 bis September 1986) beschäftigte Fernfahrer seien - dem Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe entsprechend - 65 Wochenstunden angesetzt worden, wobei 20 Stunden mit einem 50 %igen Überstundenzuschlag und 5 Stunden mit einem 100 %igen Überstundenzuschlag zu berechnen gewesen seien. Des weiteren sei festzustellen gewesen, daß für die in der angeschlossenen Beitragsrechnung unter bestimmten Symbolen ausgewiesenen Versicherten laut Kollektivvertrag gebührenden bzw. laut Lohnkonto gewährten Sonderzahlungen (Urlaubszuschuß, Weihnachtsremuneration) in zu geringem Ausmaß der Kasse gemeldet worden seien. Nach Zitierung des § 68 Abs. 1 ASVG (Verjährungsfrist) wurde ausgeführt, daß von der Verhängung eines Beitragszuschlages unter Bedachtnahme auf die schlechte wirtschaftliche Lage des Betriebes Abstand genommen worden sei.
In dem gegen diesen Bescheid eingebrachten Einspruch bestritt die Beschwerdeführerin ausdrücklich die Feststellung hinsichtlich des Beschäftigungszeitraumes von drei Fernfahrern. Arbeitsgerichtsurteile für die Ermittlung der Überstundenanzahl lägen nicht vor, solchen Urteilen könne daher auch gar keine Feststellung entnommen werden, daß die Arbeitszeit der Fernfahrer deutlich über 60 Wochenstunden liege. Aus allfälligen Aufzeichnungen eines einzelnen Fernfahrers könne aber auch nicht geschlossen werden, daß auch andere Fernfahrer gleiche Wochenstundenleistungen erbracht hätten, weil jeder Fernfahrer, sofern er nicht mit einem bestimmten anderen gleichzeitig unterwegs sei, eine eigene Route fahre, eigene Fahrgewohnheiten habe und individuelle Dispositionen treffe. Der Ansatz von 65 Wochenstunden bei sämtlichen bei der Beschwerdeführerin beschäftigten Fernfahrern entbehre daher jeder Beweisgrundlage. Überdies seien die effektiv bezahlten Pauschalentgelte über den kollektivvertraglich zustehenden Löhnen gelegen, sodaß ohnedies bereits für höhere Entgelte Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden seien, als den jeweiligen Dienstnehmern nach dem Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe zugestanden wäre. Es könne auch nicht von einer Verletzung der gehörigen Sorgfalt gesprochen werden, sodaß Verjährung hinsichtlich sämtlicher Beträge eingewendet werde, die vor dem 14. November 1984 fällig geworden seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde unter Punkt 1 bezüglich der Dienstnehmer J. B. (S 94.542,70), H. F. (S 121.291,80) und W. S. (S 128.884,90), somit hinsichtlich eines Gesamtbetrages von S 344.519,40 das Verfahren ausgesetzt. Bezüglich des verbleibenden Betrages wurde unter Punkt 2 dem Einspruch teilweise Folge gegeben und in Abänderung des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse
ausgesprochen, daß die Beschwerdeführerin verpflichtet sei, Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt S 1,107.851,20 zu bezahlen. Begründend wurde ausgeführt, hinsichtlich zweier Dienstnehmer habe eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit während der Zeit des Mitfahrens nicht nachgewiesen werden können. Zu dieser Ansicht sei auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse gelangt, sodaß sie ihre Nachverrechnung in diesen beiden Punkten eingeschränkt habe, und zwar um S 2.069,80 und S 1.769,60. Bezüglich der Frage nach dem aufrechten Dienstverhältnis des F für den Zeitraum 28. Juli 1084 bis 31. Juli 1984 müsse der Ansicht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse beigepflichtet werden, wonach sich aus den vorliegenden Aufzeichnungen ergebe, daß der Genannte am Montag, dem 30. Juli 1984, und am Dienstag, dem 31. Juli 1984, in der Werkstätte der Beschwerdeführerin seinen Dienst verrichtet habe. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, die Stundenaufstellung sei nachträglich zusammengestellt worden, habe nicht bewiesen werden können. Mangels anderweitiger Unterlagen habe sich die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auf diese Aufzeichnungen sowie auf die niederschriftliche Aussage des F stützen müssen. Im Auftrag der belangten Behörde sei der Kassenprüfer nochmals zu einer Aussprache bei der Beschwerde- führerin im Beisein ihres Rechtsvertreters gekommen. Anläßlich dieser Besprechung habe die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt, Kenntnis von allen Beweisaufnahmen zu erlangen. In einer abschließenden Stellungnahme des Vertreters der Beschwerdeführerin an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse vom 13. Jänner 1988 sei auf die oben dargelegten Punkte eingegangen worden. Nach Kenntnisnahme der Einspruchsbeantwortung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse seien bezüglich der restlichen Nachverrechnungspunkte keine weiteren Stellungnahmen mehr abgegeben und diese widerspruchslos zur Kennntis genommen worden. Auf Grund der vorliegenden Meldeverstöße sei auch erwiesen, daß bezüglich der restlichen Nachverrechnungspunkte unrichtige Angaben von der Beschwerdeführerin gemacht worden seien, sodaß auch hier die längere Verjährungsfrist anzuwenden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird u.a. gerügt, die Feststellung im angefochtenen Bescheid hinsichtlich des Endes des Dienstverhältnisses des Dienstnehmers F allein auf die Niederschrift dieses Dienstnehmers zu stützen gehe deshalb nicht an, weil ein Vertreter der Beschwerdeführerin dazu überhaupt nicht gehört worden sei und der Dienstnehmer unbestrittenermaßen irgendwelche Entgeltansprüche für den Zeitraum vom 28. Juli bis 31. Juli 1984 niemals geltend gemacht habe. Dieses Vorbringen sei insofern aktenwidrig, als aus dem Schreiben des Vertreters der Beschwerdeführerin vom 13. Jänner 1988 hervorgehe, daß ihm die mit F aufgenommene Niederschrift samt Kalendervermerken und Stundenaufstellungen übermittelt worden sei.
Was die von der Beschwerdeführerin bekämpfte
Beweiswürdigung der belangten Behörde hinsichtlich des Endes des Dienstverhältnisses des F betrifft, so schließt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG 1950 eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, das heißt ob sie u.a. den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, weshalb wesentliche Mängel der Sachverhaltsdarstellung einschließlich der Beweiswürdigung zur Aufhebung des Bescheides führen. Ob aber der Akt einer Beweiswürdigung richtig in dem Sinne ist, daß z. B. eine von der Darstellung des Beschwerdeführers abweichende Darlegung den Tatsachen entspricht, kann der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner (dargestellten eingeschränkten) Prüfungsbefugnis in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht überprüfen.
Auf dem Boden dieser Rechtslage hält aber der angefochtene Bescheid bezüglich des Endes des Dienstverhältnisses einer Überprüfung auf seine Rechtmäßigkeit stand; erscheint es doch nicht unschlüssig, den Widerspruch, daß anläßlich der am 16. August 1984 seitens der Beschwerdeführerin erstatteten Abmeldung des genannten Dienstnehmers als Grund der Lösung des Dienstverhältnisses eine Kündigung durch den Dienstnehmer angegeben und während des Verwaltungsverfahrens eine fristlose Entlassung durch den Dienstgeber behauptet wurde, bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Wenn die belangte Behörde auf Grund dieses Umstandes davon ausging, daß den Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Endes des Dienstverhältnisses kein Glaube geschenkt werden könne, kann ihr nicht entgegengetreten werden. Daß irgendwelche Entgeltansprüche für den Zeitraum vom 28. Juli bis 31. Juli 1984 nicht geltend gemacht worden seien, läßt nicht zwingend schließen, daß das Dienstverhältnis nicht doch erst am 31. Juli 1984 geendet habe. Ausgehend von der unrichtigen Meldung des Endes des Dienstverhältnisses durch die Beschwerdeführerin war auch die Zugrundelegung einer fünfjährigen Verjährungsfrist gemäß § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG berechtigt.
Zu allen übrigen im Einspruch sowie in der Stellungnahme zur Einspruchsbeantwortung von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumenten enthält jedoch der angefochtene Bescheid keine Ausführungen. Die aus der Aussetzung des Verfahrens bezüglich der Dienstnehmer B, V und S und der Einschränkung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse betreffend die Nachverrechnung für die Dienstnehmer A und D resultierende Nachtragsvorschreibung von S 1,107.851,20 wurde lediglich mit dem Hinweis bestätigt, die Beschwerdeführerin habe nach Kenntnisnahme der Einspruchsbeantwortung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bezüglich der restlichen Nachverrechnungspunkte keine weitere Stellungnahme mehr abgegeben und diese widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Der Umstand, daß in einer abschließenden Stellungnahme des Vertreters der Beschwerdeführerin an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nur mehr auf einzelne Punkte eingegangen wurde, enthob aber die belangte Behörde nicht der Verpflichtung, auf das Einspruchsvorbringen und das Vorbringen in der Stellungnahme zur Einspruchsbeantwortung einzugehen, wurde doch das Einspruchsbegehren nicht eingeschränkt.
Durch diese in der Begründung zum Ausdruck kommende unrichtige Rechtsansicht belastete aber die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb der angefochtene Bescheid in seinem Punkt 2) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Zu der unter Punkt 1) des angefochtenen Bescheides vorgenommenen Verfahrensaussetzung enthält die Beschwerde keinerlei Ausführungen. Auch der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, inwieweit durch diese Aussetzung des Verfahrens eine Rechtsverletzung der Beschwerdeführerin vorliegt. Die Beschwerde, die auf Aufhebung des gesamten Bescheides gerichtet ist, war daher hinsichtlich des Punktes 1) des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Begehren für "Barauslagen" war schon im Hinblick auf die Abgabenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.
Schlagworte
Sachverhalt Beweiswürdigung freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1988080189.X00Im RIS seit
16.01.1990