TE Vwgh Erkenntnis 1990/1/16 89/08/0075

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Veröffentlicht am 16.01.1990
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §500 idF 1987/609;
ASVG §502 Abs1 idF 1987/609;
ASVG §502 Abs4 idF 1987/609;
ASVG §502 Abs6 idF 1987/609;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte

Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Sauberer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin

Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. November 1988, Zl. MA 14 - D 13/88, betreffend Begünstigung gemäß den §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: P), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- und an die mitbeteiligte Partei Aufwendungen in der Höhe S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. April 1988 sprach die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten aus, daß der Beschwerdeführerin die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 26. Juni 1941 gemäß § 502 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 6 ASVG als Pflichtbeitragszeit mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage beitragsfrei angerechnet werde; eine weiterreichende Begünstigung für die Zeit vom 4. März 1933 bis 30. Juni 1940 und vom 27. Juni 1941 bis 31. März 1959 werde abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, daß die am 22. März 1926 geborene Beschwerdeführerin glaubhaft dargetan habe, aus den in § 500 ASVG angeführten Gründen in der Zeit vom 1. Juli 1940 bis 26. Juni 1941 im Ausland arbeitslos und vom 27. Juni 1939 bis "über den 31.3.1959" ausgewandert gewesen zu sein. Zwar lägen weder vor noch nach der Auswanderung Beitrags- oder Ersatzzeiten vor, die Beschwerdeführerin habe aber vor der Schädigung aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, keine Beitrags- oder Ersatzzeiten erwerben können. Am 12. März 1938 habe sie zwar ihren Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich gehabt, sei aber zu diesem Zeitpunkt jünger als 14 Jahre gewesen. Demgemäß seien hinsichtlich der Zeiten, für die im letzten Satz des Bescheidspruches eine Ablehnung ausgesprochen worden sei. die Voraussetzungen für die Anwendung der §§ 500 ff ASVG nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch mit dem Antrag, "in Zusatz zu der darin anerkannten Zeit auch die Zeit vom 27.6.1941 bis 26.6.1942 als Pflichtbeitragszeit mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage anzurechnen, u.z. beitragsfrei". Es sei eine mehr als zweijährige Arbeitslosigkeit im Ausland nachgewiesen worden. Diesbezüglich werde auf die Begünstigungsbescheinigung verwiesen. Der bekämpfte Bescheid nenne möglicherweise nur irrtümlich den 26. Juni 1941 statt des 26. Juni 1942. Sonst sehe die Beschwerdeführerin keinen Grund, warum der Bescheinigung in diesem Fall nicht gefolgt worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde von der belangten Behörde der Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen und "der angefochtene Bescheid auf Grund von § 502 ASVG bestätigt". In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Spruches des bekämpften Bescheides und des Einspruchsantrages sowie der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei laut der vom österreichischen Konsulat Haifa ausgestellten Bescheinigung gemäß § 506 Abs. 3 ASVG in der Zeit von Juni 1939 bis Dezember 1942 in England arbeitslos sowie in der Zeit von Juni 1939 bis Mai 1956 in England und in der Zeit von Mai 1956 bis nach dem gesetzlichen Stichtag des 31. März 1959 in Israel emigriert gewesen. Vor dem 1. Juni 1940 sei keine begünstigungsfähige Zeit der Arbeitslosigkeit vorgelegen, da nach der Rechtsauffassung der belangten Behörde Arbeitslosigkeit frühestens nach Beendigung der Schulpflicht vorliegen könne. Das bedeute, daß Arbeitslosigkeit frühestens ab Schulschluß des Jahres eintreten könne, in dem der Begünstigungswerber das 14. Lebensjahr vollendet habe, weil schulpflichtige Kinder in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen keinen Nachteil erleiden könnten. Im konkreten Fall habe die Beschwerdeführerin das 14. Lebensjahr am 22. März 1940 vollendet. Der Beginn der Arbeitslosigkeit sei daher mit 1. Juli 1940 anzunehmen gewesen. Allfällige nach dem 26. Juni 1941 gelegene Zeiten der Arbeitslosigkeit könnten deshalb nicht begünstigt angerechnet werden, da nach den Bestimmungen des § 502 Abs. 1 ASVG Zeiten der Arbeitslosigkeit im Ausland nur bis zum 1. Antritt einer Beschäftigung im Ausland, soweit sie nicht das Ausmaß von zwei Jahren überstiegen, begünstigt angerechnet werden könnten. Ausgehend vom Emigrationszeitpunkt (27. Juni 1939) endeten diese zwei Jahre im gegenständlichen Fall mit dem 26. Juni 1941. Einen anderen begünstigungsfähigen Tatbestand im Sinne von § 502 Abs. 1 ASVG habe die Beschwerdeführerin nach der Aktenlage nicht aufzuweisen. Die Zeit der Auswanderung bis 31. März 1959 könne im vorliegenden Fall deswegen nicht begünstigt angerechnet werden, da die Beschwerdeführerin am 12. März 1938 noch nicht älter als 14 Jahre gewesen sei und den Zeiten der Auswanderung weder Beitrags- oder Ersatzzeiten vorangingen noch nachfolgten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde, nach der sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf begünstigte Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit im Ausland im Ausmaß von zwei Jahren im Zeitraum vom 26. Juni 1939 bis

Dezember 1942, in den die bereits rechtskräftig anerkannte Zeit der Arbeitslosigkeit vom 1. Juli 1940 bis 26. Juni 1941 einzurechnen sei, verletzt. Die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit im Ausland vom 27. Juni 1939 bis 30. Juni 1940 könne nicht zugleich als nicht versicherungsrelevant, weil noch im schulpflichtigen Alter liegend, übergangen und als Zeit der Arbeitslosigkeit in die Zwei-Jahres-Frist des § 502 Abs. 1 ASVG eingerechnet werden. Schulpflichtigkeit setze voraus, daß der Schulbesuch offenstehe. Dieser sei aber wegen der als notorisch vorauszusetzenden systematischen Verweisung der Schüler jüdischer Abstammung aus den öffentlichen Schulen nicht mehr gegeben gewesen, was einen Verfolgungstatbestand sui generis darstelle. Die Beschwerdeführerin sei daher darauf angewiesen gewesen, eine Arbeit zu suchen. Sie sei daher der Auffassung, daß auch die genannte Zeit als Zeit der Arbeitslosigkeit begünstigt anrechenbar sei. Die Zeit ihrer Arbeitslosigkeit hätte aber auch dann, wenn man der Auffassung der belangten Behörde folge, daß nämlich die Schulpflichtigkeit die Arbeitslosigkeit ausschließe, jedenfalls über den 26. Juni 1941 hinaus bis 30. Juni 1942 gezählt und begünstigt angerechnet werden müssen. Die Ansicht der belangten Behörde, daß die Zwei-Jahres-Frist der Arbeitslosigkeit im Ausland mit ihrem bescheinigten Beginn zu zählen sei, sei dem § 502 Abs. 1 ASVG nicht zu entnehmen. Gerade im Falle des Ausschlusses der Anrechenbarkeit wegen Schulpflichtigkeit hätte die Zählung der Zwei-Jahres-Frist mit dem 1. Juli 1940 beginnen müssen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen der §§ 500 ff ASVG in der Fassung der 44. Novelle, BGBl. Nr. 609/1987, lauten:

"§ 500. Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, werden nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.

§ 502. (1) Zeiten einer aus den Gründen des § 500 veranlaßten Untersuchungshaft, Verbüßung einer Freiheitsstrafe, Anhaltung oder Arbeitslosigkeit, ferner Zeiten der Ausbürgerung (§ 501 Abs. 1) gelten für Personen, die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226, Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz, BGBl. Nr. 290/1961, erworben haben, als Pflichtbeitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage, ... Als Zeiten der Arbeitslosigkeit gelten auch Zeiten einer nachweisbaren Arbeitslosigkeit im Ausland bis zum ersten Antritt einer Beschäftigung im Ausland, soweit sie nicht das Ausmaß von zwei Jahren übersteigen. Solche als Pflichtbeitragszeiten geltende Zeiten sind beitragsfrei zu berücksichtigen ...

(6) Abs. 1 und 4 gelten auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, zu diesem Zeitpunkt älter als 14 Jahre war ...."

Da die Beschwerdeführerin den Bescheid der mitbeteiligten Partei nur insoweit beeinsprucht hat, als nicht auch die Zeit vom 27. Juni 1941 bis 26. Juni 1942 als Pflichtbeitragszeit mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage beitragsfrei angerechnet wurde, ist der Bescheid im übrigen in Rechtskraft erwachsen (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 10. November 1988, Zlen. 87/08/0160, AW 87/08/0021). "Sache" des Einspruchsverfahrens im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 war daher nur die begehrte weitere Begünstigung für die Zeit vom 27. Juni 1941 bis 26. Juni 1942. Selbst wenn der Spruch des angefochtenen Bescheides wegen des zweiten Spruchteiles ("der angefochtene Bescheid auf Grund von § 502 ASVG bestätigt") so zu verstehen wäre, daß die belangte Behörde damit nicht nur den bekämpften Spruchteil des Bescheides der mitbeteiligten Partei, sondern dessen gesamten Ausspruch als eigenen Spruch übernommen hat, wäre die Beschwerdeführerin durch den dann außerhalb der "Sache" liegenden, aber den bereits in Rechtskraft erwachsenen Ausspruch des Bescheides der mitbeteiligten Partei übernehmenden Spruch in keinem Recht verletzt. Soweit sich daher die Beschwerde gegen die Nichtbegünstigung der Zeit der Arbeitslosigkeit im Ausland vom 27. Juni 1939 bis 30. Juni 1940 und vom 27. Juni 1942 bis 30. November 1942 bzw. Dezember 1942 richtet, ist sie unbegründet.

Der Beschwerde kommt aber auch insoweit keine Berechtigung zu, als sie sich gegen die Ablehnung einer beitragsfreien Begünstigung der Zeiten der Arbeitslosigkeit im Ausland vom 27. Juni 1941 bis 26. Juni 1942 wendet. Denn mit den Begünstigungen nach § 502 Abs. 1 erster Satz und § 502 Abs. 4 sowie nach § 502 Abs. 6 in Verbindung mit § 502 Abs. 1 erster Satz und § 502 Abs. 4 ASVG soll für Personen, die durch die in diesen Bestimmungen angeführte, aus den Gründen des § 500 veranlaßte Ereignisse gehindert wurden, weitere Versicherungszeiten (§ 502 Abs. 1 erster Satz und § 502 Abs. 4 ASVG; vgl. das Erkenntnis vom 10. September 1969, Zl. 217/69) oder erstmals Versicherungszeiten (§ 502 Abs. 6 ASVG) zu erwerben, dieser (nicht konkret zu prüfende, sondern unwiderleglich angenommene) Nachteil in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen in einer näher genannten Weise pauschal ausgeglichen werden. Demgemäß liegen "Zeiten einer nachweisbaren Arbeitslosigkeit im Ausland" im Sinne des zweiten Satzes des § 502 Abs. 1 ASVG, die als aus den Gründen des § 500 veranlaßte "Zeiten der Arbeitslosigkeit" im Sinne des ersten Satzes gelten, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn sie mit einer einen Begünstigungstatbestand bildenden (also aus den Gründen des § 500 veranlaßten) Auswanderung im unmittelbaren Zusammenhang stehen (vgl. die Erkenntnisse vom 5. November 1958, Zl. 255/56, vom 17. November 1971, Zl. 471/71, vom 11. Jänner 1980, Zl. 2043/76, vom 4. Juli 1985, Zl. 82/08/0024, und vom 16. Jänner 1986, Zl. 84/08/0260). Wegen dieses Erfordernisses eines unmittelbaren Zusammenhanges zwischen dem Begünstigungstatbestand der Auswanderung und jenem der Arbeitslosigkeit im Ausland muß aber auch die Wendung "bis zum ersten Antritt einer Beschäftigung im Ausland, soweit sie nicht das Ausmaß von zwei Jahren übersteigen" so verstanden werden, daß nur die im unmittelbaren Anschluß an die einen Begünstigungstatbestand bildende Auswanderung liegende Zeit der Arbeitslosigkeit bis zum Höchstausmaß von zwei Jahren und nicht ein beliebiger Zeitraum während der Zeit der Auswanderung begünstigungsfähig ist. Das bedeutet im Beschwerdefall, daß jedenfalls die nach Ablauf des ab dem Auswanderungszeitpunkt zu berechnenden Zwei-Jahres-Zeitraumes liegenden Zeiten der Arbeitslosigkeit der Beschwerdeführerin im Ausland nicht zu begünstigen sind.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Hinsichtlich der zitierten, nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989080075.X00

Im RIS seit

16.01.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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