TE Vfgh Erkenntnis 1987/6/13 B889/86

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Veröffentlicht am 13.06.1987
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
StGG Art5
Europäisches Abkommen über soziale Sicherheit
DSt 1872 §2
RL-BA 1977 §5
MRK Art7

Leitsatz

Schuldspruch wegen einer Berufspflichtenverletzung durch die OBDK; keine Bedenken gegen §5 der "Richtlinien", auch nicht aus dem Blickwinkel der Erwerbsfreiheit oder des Art18 B-VG, unter Hinweis auf VfSlg. 11302/1987; kein Widerspruch dieser Bestimmung zur Europ. Sozialcharta, da diese nur mit Erfüllungsvorbehalt ratifiziert wurde; §5 der "Richtlinien" wurde nicht rückwirkend in Kraft gesetzt; vertretbare Annahme, daß es für einen Rechtsanwalt mit seinen Standespflichten unvereinbar ist, als gewerberechtlicher Hausverwalter tätig zu sein; keine Verletzung im Gleichheits- und im Eigentumsrecht; keine Abtretung der Beschwerde an den VwGH

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit einem im zweiten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 28. Jänner 1985 wurde Rechtsanwalt Dr. G H der Berufspflichtenverletzung für schuldig erkannt, weil er in der Zeit von November 1974 bis Dezember 1982 geschäftsführender Gesellschafter der Firma M Immobiliengesellschaft mbH war, zu deren Betriebsgegenstand und Tätigkeit insbesondere auch die Hausverwaltung gehörte; Dr. G H wurde hiefür zu einer Geldbuße in der Höhe von S 3.000,-- und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

1.2. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) vom 30. Juli 1986, Z Bkd 48/86, wurde der von Dr.G H erhobenen Berufung keine Folge gegeben.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:

         "... Es ist ... unbestritten, daß der Beschuldigte in

der inkriminierten Zeit vom November 1974 bis Dezember 1982

geschäftsführender Gesellschafter der Firma M

Immobiliengesellschaft mit beschränkter Haftung war. ... die

Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (hat) zunächst die Frage geprüft, ob dem Beschuldigten als Disziplinarvergehen sein Verhalten während der gesamten inkriminierten Dauer von November 1974 bis Dezember 1982 anzulasten ist, oder im Hinblick auf das Inkrafttreten der 'Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes' (RL-BA 1977) mit 1. Jänner 1978 unter Bedachtnahme auf §5 RL-BA nur ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der RL-BA 1977. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission schließt sich hier der grundlegenden Entscheidung vom 16. Dezember 1985, Bkd 74/85 an, wonach in einem gleichgelagerten Fall entschieden wurde, daß die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes als Geschäftsführer einer Hausverwaltungs-Ges.m.b.H. unabhängig von der zitierten Bestimmung der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsanwaltsberufes verstößt und daher jedenfalls - auch schon vor dem Inkrafttreten der RL-BA 1977 - disziplinär war. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat in dieser Entscheidung ausgesprochen, daß die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes als Geschäftsführer in einer Hausverwaltungs-Ges.m.b.H. sich als ein Anstellungsverhältnis darstellt und daher schon deshalb - ganz abgesehen davon, daß diese Gesellschaft auch Tätigkeiten zum Gegenstand hat, die zu den befugten Aufgaben des Rechtsanwaltes zählen, - mit der Ausübung des freien Mandates im Sinne der §§8 und 9 RAO unvereinbar ist. Auch schon vor dem Inkrafttreten der RL-BA 1977 bestand in Lehre und Rechtsprechung kein Zweifel an der Unvereinbarkeit der Ausübung des freien Anwaltsberufes mit dem gleichzeitigen Bestand eines derartigen Angestelltenverhältnisses. ...

...

Die Richtlinie des §5 RL-BA 1977 hat demnach keineswegs etwa - auf Verordnungsbasis - neue standesrechtliche Grundlagen geschaffen, sondern diente lediglich auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der §§8 und 9 RAO deren Verdeutlichung. ...

Gemäß §8 RAO ist der Rechtsanwalt befugt, Hausverwaltungen zu übernehmen und durchzuführen, ohne hiefür eine behördliche Bewilligung zu benötigen. Vermögensverwaltungen und Hausverwaltungen haben eine Parteienvertretung zum Inhalt (SZ 26/77) und fallen daher in den Rahmen des §8 RAO (vgl. auch JBl 1980, 275 = AnwBl. 1979, 489).

... Der Schuldspruch des Disziplinarrates war daher auch aus diesen Erwägungen zu bestätigen, abgesehen davon, daß dieser auch in der oben bezeichneten Gesetzeslage volle Deckung findet.

..."

2.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Bf. die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Erwerbsfreiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend macht, die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, für den Fall der Abweisung der Beschwerde deren Abtretung an den VwGH beantragt.

2.2. Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1.1. In weitwendigen Ausführungen wird in der Beschwerde zunächst die Gesetzmäßigkeit des §5 RL-BA 1977 bestritten, weil der Österreichische Rechtsanwaltskammertag "zur Erlassung derartiger, die gesetzl. Bestimmung des §20 RAO weit übersteigenden Unvereinbarkeitsregelungen" nicht befugt sei, durch die Richtlinie eine unzulässige Einschränkung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte erfolge und die in Frage stehende Standesvorschrift im Widerspruch zur Europäischen Sozialcharta stehe. In keiner positiven Norm der Österreichischen Rechtsordnung stehe, daß ein Rechtsanwalt nicht auch eine Konzession nach §263 GewO erwerben und ausüben dürfe. Da die Bestimmung des §5 RL-BA 1977 weit über die gesetzliche Grundlage des §20 RAO hinausgehe, sei sie gesetzwidrig, dort wo sie in Grund- und Freiheitsrechte eingreife, verfassungwidrig. Es dürften "Bestrebungen nicht gesetzlich geschützt werden, die darauf abzielen, den Staatsbürger 'mit eiserner Hand' auf die Ausübung seines einmal gewählten Berufes einzuschränken". Durch §5 RL-BA 1977 sei dem Anwalt auch verwehrt, ein sozialversicherungsrechtlich geschütztes und mit dem Erwerb einer GSPVG- oder ASVG-Pension verbundenes Anstellungsverhältnis in seinem erlernten oder einem verwandten Beruf einzugehen. Dies stehe im Widerspruch zum "verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf soziale Sicherheit". Auch wenn die Europäische Sozialcharta nicht unmittelbar zur Beschwerdeführung berechtige, weil sie "not selfexecuting" sei, seien deren Grundsätze bei der Vollziehung innerstaatlich wirksamen Rechtes als "auslegungssteuernd" höchst beachtlich. Da die in Frage stehende Standesbestimmung Anwälten de facto die Möglichkeit verwehre oder doch sehr stark einschränke, Erwerbstätigkeiten auszuüben, auf Grund derer sie Pensionsansprüche nach dem GSPVG oder dem ASVG erwerben könnten, verstoße sie gegen das Gleichheitsgebot. Dazu komme, daß die Regelung zu unbestimmt sei, sodaß eine Anwendung dieser Bestimmung nicht auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüft werden könne. Was zu den "Tätigkeiten, die zu den befugten Aufgaben eines Rechtsanwaltes zählen" gehöre, sei weder in der RAO noch in den Richtlinien selbst geregelt. Bedenke man, daß ein wiederholter Verstoß gegen §5 RL-BA sogar zur Streichung aus der Anwaltsliste führen könne, obwohl auf Grund der Unbestimmtheit dieses Begriffes in hohem Maße unklar und unvorhersehbar bleibe, wie ein Rechtsanwalt sein Verhalten einzurichten habe, um nicht disziplinär strafbar zu werden, so erweise sich, daß die Regelung auch insoferne verfassungswidrig sei. Schließlich verstoße §5 RL-BA auch gegen das Verbot rückwirkender Pönalisierung.

3.1.2. Zu den die Gesetzmäßigkeit des §5 RL-BA 1977 in Frage stellenden Behauptungen des Bf. genügt es, auf die Ausführungen des Erkenntnisses des VfGH vom 17. März 1987 B402/86 zu verweisen; der VfGH sieht keine Veranlassung, hievon abzugehen. Im eben zitierten Erkenntnis wurde bereits dargelegt, daß gegen diese Regelung keine Bedenken wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsfreiheit bestehen. Das Beschwerdevorbringen, §5 RL-BA 1977 stehe im Widerspruch zur Sozialcharta, ist schon deshalb verfehlt, weil die Europäische Sozialcharta nur mit Erfüllungsvorbehalt ratifiziert wurde. Dem Bf. kann aber auch nicht gefolgt werden, wenn er meint, §5 RL-BA 1977 verstoße gegen das Determinierungsgebot des Art18 B-VG. Daß §5 RL-BA 1977 in den Bestimmungen der RAO Deckung findet, wurde bereits in dem oben zitierten Erkenntnis vom 17. März 1987 B402/86 ausgesagt. Der VfGH hegt auch aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles keinen Zweifel, daß den Bestimmungen der RAO zu entnehmen ist, welche Aufgaben zu den Befugnissen eines Rechtsanwaltes zählen. Der VfGH sieht sich somit nicht veranlaßt, ein Verordnungsprüfungsverfahren hinsichtlich §5 RL-BA 1977 einzuleiten. Sollte der Bf. mit seinen Ausführungen aber darauf abzielen, die Verfassungsmäßigkeit des §2 DSt wegen Verstoßes gegen Art18 B-VG in Frage zu stellen, so genügt es, ihn auf die ständige Rechtsprechung zur Unbedenklichkeit dieser Gesetzesbestimmung zu verweisen (vgl. zB VfSlg. 7494/1975 und die dort angeführte Vorjudikatur, sowie zuletzt VfGH 29.9.1986 B763/84 mit weiteren Hinweisen).

3.2.1. Der Bf. behauptet weiters, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Eigentum und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt zu sein. Bei der Ausübung einer Tätigkeit als Hausverwalter auf Grund einer gewerberechtlichen Konzession handle es sich wesensmäßig um eine Berufsausübung, die mit den "befugten Aufgaben" eines Rechtsanwaltes nichts zu tun hätte. Ein Anwalt sei der berufene Vertreter seiner Partei, was schon begrifflich etwas anderes sei als ein Verwalter. Während ein Anwalt auf Grund einer jederzeit widerruflichen Vollmacht und auf Grund eines bestimmten, durch Weisungen beschränkten Auftrages seine Partei zu vertreten habe, handle der Verwalter überwiegend auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses, weitgehend weisungsfrei und eigenverantwortlich, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Verwalters (Kaufmannes), wobei seine unternehmerische Tätigkeit regelmäßig nur aus wichtigen Gründen widerrufbar sei. Keinesfalls könne diese Tätigkeit als anwaltstypisch bezeichnet werden. Der Sache nach wird damit eine denkunmögiche - und daher willkürliche - Anwendung der Bestimmungen der RAO, bzw. - ab Inkrafttreten der hier maßgeblichen Standesrichtlinie - des §5 RL-BA 1977 geltend gemacht.

3.2.2. Ausgehend von der Unbedenklichkeit der materiell-rechtlich angewendeten Rechtsgrundlagen könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums nur im Falle einer denkunmöglichen Rechtsanwendung (vgl. VfSlg. 9708/1983, 9720/1983), eine Verletzung des Gleichheitsgebotes nur bei Willkür (vgl. VfSlg. 9474/1982) vorliegen. All dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall.

Daß Rechtsanwälte auch zu Vermögensverwaltungen (und damit zu Hausverwaltungen) befugt sind, kann ernsthaft nicht bestritten werden. Gerade der Umstand, daß dann, wenn ein Streit mehrerer Miteigentümer eines Vermögens vorliegt, kollidierende Interessen entstehen können, was für Anwälte auf Grund der ihnen obliegenden Berufspflichten zwangsläufig nach sich ziehen müßte, daß sie die ihnen erteilten Vollmachten zu lösen haben, wohingegen für konzessionierte Hausverwalter keine Notwendigkeit zu einem solchen Schritt besteht, zeigt - was durch das Beschwerdevorbringen geradezu bewiesen wird -, daß es für einen Rechtsanwalt mit seinen Standespflichten unvereinbar ist, als gewerberechtlicher Hausverwalter tätig zu sein. Gerade diese Auffassung liegt dem angefochtenen Bescheid - somit vertretbarerweise - zu Grunde.

Aber auch der Vorwurf, die bel. Beh. gehe zu Unrecht von einem Anstellungsverhältnis des Bf. zur M Immobiliengesellschaft mbH aus, ist - selbst wenn die Beschwerdebehauptung zuträfe - nicht zielführend, weil ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler keinesfalls vorliegt. Wenn sich nämlich die bel. Beh. zu Unrecht auf den ersten Tatbestand des §5 RL-BA 1977 gestützt hätte, würde dies auf dem Boden des außer Streit gestellten Sachverhaltes lediglich dazu führen, daß sich die bel. Beh. richtigerweise auf den zweiten Tatbestand des §5 RL-BA 1977 hätte berufen müssen.

Die behauptete Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt somit nicht vor.

3.3. Abschließend bleibt zu vermerken, daß §5 RL-BA 1977 keineswegs rückwirkend in Kraft gesetzt wurde. Diese Standesvorschrift trifft vielmehr lediglich eine Anordnung, die schon vorher aus dem Gesetz unmittelbar abzuleiten war. Auch von einer Verletzung "des Verbotes rückwirkender Pönalisierung" kann daher keine Rede sein.

3.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen, ohne daß auf die offensichtlich an den VwGH gerichteten - Ausführungen zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides einzugehen war.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Da es sich bei der bel. Beh. um eine Kommission nach Art133 Z4 B-VG handelt - die Mitglieder der OBDK sind in Ausübung dieser Tätigkeit an keine Weisungen gebunden, ihre Entscheidungen unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg (§55e DSt) - und eine Anrufung des VwGH im Gesetz nicht vorgesehen ist, war der Antrag, die Beschwerde gemäß Art144 Abs3 B-VG an den VwGH abzutreten, abzuweisen.

Schlagworte

Berufsrecht Rechtsanwälte, Sozialversicherung, Staatsverträge, Geltung Wirksamkeit, Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B889.1986

Dokumentnummer

JFT_10129387_86B00889_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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