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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ARÜG 1961 §1 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Sauberer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. November 1988, Zl. MA 14 - M 42/88, betreffend Begünstigung nach den §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten) zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1.0. Aus der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich nachstehender Sachverhalt:
1.1. Mit Bescheid vom 13. April 1987 lehnte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten die begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten im Zeitraum vom 4. März 1933 bis 31. März 1959 für die Beschwerdeführerin mangels Vorliegens der erforderlichen Voraussetzungen ab.
Die Beschwerdeführerin erhob unter Hinweis auf § 502 Abs. 6 ASVG und unter anderem darauf, daß sie in Shanghai, China, interniert gewesen sei, Einspruch.
1.2. Mit Bescheid vom 9. November 1988 wies der Landeshauptmann von Wien diesen Einspruch als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid "auf Grund von § 502 ASVG". Die Zeit der Auswanderung bis 31. März 1959 könne deswegen nicht begünstigt angerechnet werden, weil die Beschwerdeführerin am 12. März 1938 noch nicht älter als 14 Jahre gewesen sei und den Zeiten der Auswanderung Beitrags- oder Ersatzzeiten weder vorangingen noch nachfolgten. Die Internierung im Ghetto Shanghai habe nicht durch die nationalsozialistischen Machthaber veranlaßt sein können und falle daher nicht unter § 502 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 6 ASVG.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf begünstigte Anrechnung der Zeit ihrer Anhaltung im Ghetto Shanghai vom 18. Mai 1943 bis 9. Mai 1945 gemäß § 502 Abs. 1 erster Satz in Verbindung mit Abs. 6 ASVG in der Fassung der 41. Novelle als verletzt.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Wie aus dem wiedergegebenen Beschwerdepunkt ersichtlich, ist ausschließlich die Zeit der (als Anhaltung im Sinne des § 502 Abs. 1 qualifizierten) Internierung der Beschwerdeführerin im Ghetto Shanghai Gegenstand dieser Beschwerde.
§ 502 Abs. 1 erster Satz ASVG in der Fassung der (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden)
44. Novelle lautet:
"§ 502. (1) Zeiten einer aus den Gründen des § 500 veranlaßte Untersuchungshaft, Verbüßung einer Freiheitsstrafe, Anhaltung oder Arbeitslosigkeit, ferner Zeiten der Ausbürgerung (§ 501 Abs. 1) gelten für Personen, die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226, Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz, BGBl. Nr. 290/1961, erworben haben, als Pflichtbeitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage, und zwar in der Pensions(Renten)versicherung, in der der Versicherte vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit oder Ausbürgerung zuletzt Beitrags- oder Ersatzzeiten nachweist; lassen sich auf Grund dieser Bestimmung die Pflichtbeitragszeiten keinem Zweig der Pensionsversicherung zuordnen, gelten sie als Beitragszeiten der Pensionsversicherung der Angestellten.
..."
§ 502 Abs. 6 erster Satz ASVG in der Fassung der 44. Novelle bestimmt:
"(6) Abs. 1 und 4 gelten auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, zu diesem Zeitpunkt älter als 14 Jahre war. ....."
2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, ist unter "Anhaltung" im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG eine volle Freiheitsentziehung zu verstehen; eine mit Meldezwang verbundene Konfinierung kann daher nicht als "Anhaltung" gewertet werden (vgl. z.B. zu § 114 SV-ÜG das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1952, Zl. 2613/50, Slg. Nr. 2590/A, und zu § 502 Abs. 1 ASVG die hg. Erkenntnisse vom 21. April 1977, Zlen. 1662/76, 1722/76 = ZfVB 1977/5/1905, und vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0318).
2.3.1. Die Beschwerdeführerin vermeint nun, es müsse zur weiteren Klärung des Begriffes der Anhaltung im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG auf die Regelung des § 14 leg. cit. Abs. 2 OFG gegriffen werden. Durch die 12. Novelle zum OFG seien im § 14 ausdrücklich die Voraussetzungen für die Gewährung einer Entschädigung für erlittene Freiheitsbeschränkungen geregelt worden. Nach § 14 Abs. 2 OFG sei die Entschädigung allen jenen Personen zu gewähren, die, um Verfolgungen zu entgehen, unter anderem ausgewandert seien und in der Zeit vom 1. September 1939 bis 9. Mai 1945 von Behörden eines mit Deutschland im Kriege verbündeten Staates in ihrer Freiheit durch Zwangsaufenthalt in einem Ghetto oder an einem zur Anhaltung bestimmten Ort beschränkt worden seien. Durch diese Formulierung des OFG, die im Beschwerdefall zwangsläufig zur Interpretation des Begriffes "Anhaltung" herangezogen werden müsse, sei geklärt, daß die Internierung im Ghetto Shanghai als "Anhaltung" im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG zu qualifizieren sei.
Diese Überlegung der Beschwerdeführerin ist unzutreffend.
Wie insbesondere der Tatbestand des § 14 Abs. 2 lit. a OFG zeigt, unterscheidet das OFG zwischen der Internierung einer ausgewanderten Person durch eine der mit Deutschland im Kriege gestandenen Mächte einerseits und der Beschränkung der Freiheit einer Person durch Behörden eines mit Deutschland im Kriege verbündeten Staates durch Zwangsaufenthalt in einem Ghetto oder an einem zur Anhaltung bestimmten Ort andererseits. Im letzteren Fall wird somit dem Zwangsaufenthalt in einem Ghetto (das ist die behördliche Zuweisung eines Aufenhaltes in einem bestimmten abgeschlossenen Wohngebiet) die Freiheitsbeschränkung in einem zur Anhaltung bestimmten Ort gegenübergestellt. Der Begriff der Anhaltung im Sinne des OFG umfaßt daher den Zwangsaufenthalt in einem Ghetto nicht. Die Regelung des OFG bietet daher - schon deshalb (d.h. ungeachtet der Relevanz des OFG an sich ) - keinen Anhaltspunkt dafür, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete "Internierung" im Ghetto Shanghai unter den Begriff der "Anhaltung" im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG subsumiert werden könnte.
2.3.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 1966, Zl. 1791/65, ausgesprochen hat, trifft es nicht zu, daß eine aus Gründen des § 500 ASVG VERANLASSTE Anhaltung (eine solche war damals unbestritten vorgelegen) nur dann einen sozialversicherungsrechtlichen Begünstigungstatbestand darstellen könne, wenn sie in Österreich erfolgt oder wenn zumindest die Anhaltung in einem der im § 1 Abs. 3 ARÜG genannten Staaten vorgenommen worden sei und beim Begünstigungswerber die Voraussetzungen für die Anwendung des ARÜG in persönlicher Hinsicht gegeben seien. Vielmehr müsse in diesem Zusammenhang dem Sinne der Begünstigungsbestimmungen der §§ 500 ff ASVG entsprechend ausschlaggebend sein, ob eine im Ausland durchgeführte Anhaltung der damals in Rede stehenden Art geeignet sei, für die davon betroffene Person einen Nachteil in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen im Bereich der österreichischen Sozialversicherung zu bedeuten.
Sachverhaltsbezogen handelte es sich im genannten Vorerkenntnis um Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung nach Einmarsch der deutschen Truppen in Ungarn.
Es kommt somit entscheidend auf den im § 502 Abs. 1 ASVG normierten Umstand an, daß die Anhaltung als eine aus den Gründen des § 500 ASVG veranlaßte Anhaltung anzusehen ist.
Eine Veranlassung in diesem Sinne wurde nun vom Verwaltungsgerichtshof etwa bei einer Internierung in England nicht angenommen. Vielmehr sei der Begriff der Schädigung als politischen Gründen im Sinne des damals anzuwendenden SV-ÜG auf Vorgänge beschränkt, die veranlaßt worden seien, um den Zwecken der nationalsozialistischen Machthaber zu dienen. Die nach den Regeln des Wirtschaftskrieges jedoch gegen die Zivilbevölkerung des Gegners gehandhabten Maßnahmen, denen der Beschwerdeführer durch seine Internierung in England ausgesetzt gewesen sei, könnten daher nicht Ansprüche auf Begünstigungen nach § 114 SV-ÜG begründen (hg. Erkenntnis vom 12. November 1952, Zl. 2905/50).
Der Begriff der Veranlassung von Anhaltungsmaßnahmen ist aber auch hinsichtlich der mit Deutschland im Kriege verbündeten Staaten - mangels einer dem zitierten § 14 Abs. 2 OFG entsprechenden Norm im ASVG - auf den Machtbereich der nationalsozialistischen Herrschaft eingeschränkt zu sehen - etwa auch nach Besetzung bestimmter Gebiete von Jugoslawien, Ungarn oder Italien (insofern steht das oben zitierte hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1966, betreffend Anhaltungsmaßnahmen in Ungarn, mit den hier angestellten Erwägungen nicht im Widerspruch).
Maßnahmen der "Internierung" (dieser Begriff wird von der Beschwerdeführerin sachverhaltsbezogen in der Beschwerde verwendet) oder des "Zwangsaufenthaltes" (diesen Begriff verwendet § 14 OFG) im Ghetto Shanghai durch Japan von 1943 bis 1945 sind daher keine aus den Gründen des § 500 ASVG veranlaßte Anhaltung im Sinne des § 502 Abs. 1 ASVG.
2.3. Da somit der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
2.4. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1988080314.X00Im RIS seit
16.01.1990