TE Vfgh Erkenntnis 1987/6/15 B332/86

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Veröffentlicht am 15.06.1987
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Index

91 Post-und Fernmeldewesen
91/02 Post

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art10
PostG §19
PostG §19 zweiter Satz
PostO §212

Leitsatz

Amtliche Öffnung eines fehlerhaft adressierten Briefes ohne Absenderangabe zur Ermittlung der Absenderadresse - Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gegen den bf. Absender des Briefes; gegen "bestimmte" Peron gerichteter Zwangsakt, auch wenn deren Name erst durch Öfnnen des Briefes bekannt wurde; zum Schutzumfang des Art10 StGG; keine Bedenken gegen §19 PostG und §212 PostO unter dem Blickwinkel des Briefgeheimnisses - Bestimmungen stellen nicht auf Öffnung eines Briefes um seines Inhalts willen ab, sondern auf die Verwirklichung des Briefzweckes, nämlich seine Zustellung; der Absender, dem §212 PostO als Beförderungsbedingung bekannt ist, hat es in der Hand, durch Angabe des Absenders auf dem Briefumschlag eine Öffnung des Briefes wegen Unzustellbarkeit hintanzuhalten; die Bestimmungen haben ua. das Ziel, Fehlzustellungen hintanzuhalten und dienen insgesamt dem Briefgeheimnis; durch den Zwangsakt keine Rechtsverletzung, auch nicht des Rechtes auf Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses oder auf Gleichheit

Spruch

Der Bf. ist durch die von der Post- und Telegraphendirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vorgenommene Öffnung eines von ihm abgesandten Briefes weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.       1.a) Der Bf. schrieb Anfang Februar 1986 einen Brief,

dessen Umschlag er wie folgt adressierte: "Arch. Walter J,

N-Gasse 12-16, ... Wien". Er gab den Brief mit dem so adressierten

Umschlag, ohne auf diesem einen Absender anzugeben, zur Post.

Da an der auf dem Briefumschlag angegebenen Adresse ein Arch. Walter J nicht wohnhaft war, konnte der Brief nicht zugestellt werden.

b) Im amtlichen Telefonbuch 1985/86 und 1986/87 finden sich folgende in Frage kommende Eintragungen:

-

J Ernst (Irene), ..., N-Gasse ...

-

J Walter, ..., N-Gasse ...

Eine Berufsbezeichnung fehlt in beiden Fällen.

Im zuletzt 1979 erschienenen Herold-Adreßbuch für Wien und in der Ausgabe 1985 des Herold-Adreßbuches für Industrie, Handel, Gewerbe, Ämter, Behörden finden sich keine einschlägigen Eintragungen.

c) Auf Grund dieser Sachlage war die belangte Postbehörde der Ansicht, daß eine eindeutige Feststellung des Empfängers des fehlerhaft adressierten Briefes nicht möglich war; weitere Schritte zur Ermittlung des Empfängers wurden nicht unternommen.

Angesichts dieser Situation öffnete die Post- und Telegraphendirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland den Brief, stellte die Absender-Adresse fest und sandte das geöffnete Kuvert samt Briefinhalt an den Absender zurück, wobei das Kuvert durch einen Aufkleber mit folgendem Text verschlossen war: "Zur Ermittlung des Empfängers/Absenders amtlich geöffnet durch die Postu. Tel.-Direktion Wien, NÖ. und Bgld.".

2. Gegen die von der Post- und Telegraphendirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vorgenommene "amtliche Öffnung" des von ihm abgesandten Briefes erhob der Bf. unter Berufung auf Art144 Abs1 B-VG Beschwerde an den VfGH. Der Bf. sieht in der Öffnung des Briefes einen Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und erachtet sich durch diesen Akt in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Wahrung des Briefgeheimnisses verletzt. Er beantragt, diese Grundrechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

in eventu die Beschwerde an den VwGH abzutreten.

3. Die Post- und Telegraphendirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland erstattete als bel. Beh. eine Gegenschrift, in der sie dem Vorbringen des Bf. in sachverhaltsmäßiger Hinsicht nicht entgegentrat, die Auffassung vertrat, daß ihr Vorgehen durch die - ihrer Ansicht nach nicht verfassungswidrigen - Bestimmungen des §19 PostG und des §212 PostO gedeckt gewesen sei, und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. 1. Der VfGH nimmt den unter Pkt. I.1. geschilderten Sachverhalt aufgrund des Inhaltes des vorgelegten Verwaltungsaktes und der einander nicht widersprechenden Parteienvorbringen als erwiesen an und beurteilt ihn folgendermaßen:

2. Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der VfGH u.a. über Beschwerden gegen die Anwendung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen bestimmte Personen, soweit der Bf. durch den bekämpften Akt in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Der VfGH geht mit dem Bf. davon aus, daß die amtliche Eröffnung eines Briefes durch die Post ohne Zustimmung des Absenders einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt. Von dieser Qualifikation geht auch §19 PostG aus, der u.a. bestimmt, daß die Post berechtigt ist, "Postsendungen zu öffnen, wenn ihre Abgabe oder sonstige ordnungsgemäße Behandlung nur dadurch möglich ist" und der unter der Rubrik "Zwangsmaßnahmen" steht.

Der bekämpfte Zwangsakt der Post richtete sich auch gegen eine "bestimmte Person" iSd Art144 Abs1 B-VG, nämlich gegen den bf. Absender des Briefs. Der allfällige Einwand, das Eröffnen eines fehlerhaft adressierten Briefumschlages ohne Absenderangabe sei voraussetzungsgemäß nicht gegen eine "bestimmte" Person gerichtet, weil diese zum Zeitpunkt des behördlichen Vorgehens überhaupt nicht feststehe, sondern erst hiedurch ermittelt werde, wäre verfehlt. Das Eröffnen eines Briefs greift nämlich von vornherein in die Rechtssphäre des Absenders als einer durch das Briefgeheimnis geschützten Person ein; diese Person steht kraft ihrer Eigenschaft als Absender schon bei Beginn der behördlichen Maßnahme als diejenige fest, auf welche sich die Tätigkeit der Behörde bezieht. Es ist daher für die Qualifikation als gegen eine "bestimmte" Person gerichteten Zwangsakt nicht von Belang, daß der Betroffene der Behörde (zumindest vorerst) nicht namentlich bekannt ist.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen des Beschwerdeverfahrens vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

3. Sie ist aber nicht begründet:

a) Der Bf. ist der Auffassung, daß die Postbehörde durch die im Sachverhalt geschilderte Öffnung des Briefes das ihm gemäß Art10 StGG zustehende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses verletzt habe. Die Behörde habe sich zu Unrecht auf §19 PostG gestützt. Durch sorgfältigere Vorgangsweise der Post wäre es ihr mit zumutbarem Aufwand - etwa durch Anfrage bei der Ingenieurkammer oder durch Telefonanruf bei den in Frage kommenden, im Telefonbuch angeführten Adressaten - möglich gewesen, den Adressaten zu ermitteln. Im übrigen sei §19 PostG als nicht zulässige Einschränkung des Briefgeheimnisses verfassungswidrig.

b) Die bel. Beh. rechtfertigte ihr Vorgehen unter Berufung auf §19 PostG und §212 PostO. Wegen der fehlerhaften Adressierung und der abweichenden Schreibung des Namens habe der Empfänger nicht eindeutig festgestellt werden können:

"Die Abgabe der Sendung war somit nur nach amtlicher Öffnung möglich. Die Öffnung der Sendung erfolgte einzig und allein zur Ermittlung des Absenders bzw. Empfängers, nicht zur Wahrnehmung des sonstigen Inhaltes. Mit der Abgabe an eine nicht eindeutig als Empfänger feststehende Person wäre die Gefahr einer Verletzung sowohl des Postgeheimnisses (durch den Postbediensteten) als auch des Briefgeheimnisses (durch Öffnen des Briefes durch eine Person, für die er nicht bestimmt ist; §118 StGB) verbunden gewesen."

Auf die Behauptung, §19 PostG sei verfassungswidrig, erwiderte die bel. Beh. - unter Berufung auf ein zur Regierungsvorlage zum PostG, 711 BlgNR VII. GP, erstattetes Gutachten von Dr. E L -, daß es sich bei einer amtlichen Öffnung zum Zweck der Abgabe oder sonstigen ordnungsgemäßen Behandlung einer Postsendung nicht um eine Beschlagnahme handle, und meint, ohne die Möglichkeit einer amtlichen Öffnung wäre die Weitergabe von unanbringlichen Postsendungen an einen zur Übernahme Berechtigten in vielen Fällen ausgeschlossen. Es liege beim Absender, durch eine entsprechende Absenderangabe auf der Sendung die amtliche Öffnung eines Briefes, der an den Empfänger nicht abgegeben werden kann, zur Feststellung eines Berechtigten zu vermeiden.

c) §19 zweiter Satz PostG lautet:

"Die Post ist berechtigt, Postsendungen zu öffnen, wenn ihre Abgabe oder sonstige ordnungsgemäße Behandlung nur dadurch möglich ist."

§212 der PostO, einer V des zuständigen Bundesministers, steht unter der Rubrik "Behandlung der unanbringlichen Postsendungen" und lautet:

"Verschlossene Postsendungen, die nach den Bestimmungen der Postordnung als unanbringlich zu behandeln sind oder deren Abgabe an den Absender unmöglich oder unzulässig ist, sind von der für das Aufgabepostamt örtlich zuständigen Post- und Telegraphendirektion zu öffnen. Wenn auf diese Weise der Empfänger oder Absender ermittelt wird, ist die Postsendung zur postordnungsmäßigen Abgabe weiterzuleiten. In allen übrigen Fällen sind nichtbescheinigte Briefe ohne Werteinschluß drei Monate, sonstige verschlossene Postsendungen ein Jahr aufzubewahren."

d) Der VfGH hat keine Bedenken ob der Verfassungsbzw. Gesetzmäßigkeit der wiedergegebenen Bestimmungen. Er ist der Auffassung, daß es sich bei der Öffnung eines fehlerhaft adressierten Briefes ohne Absenderangabe zum Zweck der ordnungsgemäßen Abgabe an den Empfänger oder Absender nicht um einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Briefgeheimnis handelt:

Art10 StGG enthält einen umfassenden Schutz des Briefgeheimnisses, verbietet also jedermann, den Inhalt eines Briefes ohne dazu ermächtigenden Willensakt des Absenders dem "Zustand des Geheimseins" zu entreissen (vgl. H. Weiler, JBl. 1958, 225), sofern nicht gesetzliche Bestimmungen aufgrund des Gesetzesvorbehalts in Art10 StGG zu einer Beschlagnahme und Ermittlung des Inhalts ermächtigen. Die in Rede stehenden Bestimmungen des PostG und der PostO greifen nun aus verschiedenen - in ihrer Kombination beachtlichen - Gründen nicht in den Schutzbereich des Art10 StGG ein:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmungen - worauf schon Ermacora (Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, 1963, 262, 274) zutreffend hinweist - nicht auf die Eröffnung eines Briefes um seines Inhaltes willen abgestellt sind, sondern der Bestimmung eines Briefes, der Verwirklichung des Briefzwecks, nämlich seiner Zustellung dienen.

Dazu kommt, daß es der Absender, dem §212 PostO materiell gesehen wie eine lex contractus - als eine Beförderungsbedingung der Post bekannt ist, in der Hand hat, etwa durch Angabe des Absenders auf dem Briefumschlag eine Eröffnung des Briefes wegen Unzustellbarkeit hintanzuhalten. Schon Köstler (ZöR 1922/23, 352, 394) hat darauf hingewiesen, daß ein derartiges Einverständnis eine Rechtswidrigkeit der Eröffnung ausschließt, zumal es in der Macht des Absenders steht, durch

Angabe seines Namens und seiner Adresse auf der Außenseite des Briefes diese Ermächtigung auszuschließen.

Schließlich ist zu bedenken, daß die in Rede stehenden Vorschriften u.a. das Ziel haben, Fehlzustellungen hintanzuhalten und damit insgesamt als dem Briefgeheimnis, das seit jeher als gegenüber jedermann wirkend angesehen wurde (vgl. zB Köstler, aaO 387; Ermacora, aaO 266; Lehne, JBl. 1986, 341f) dienende Rechtsvorschriften zu qualifizieren sind.

Unter diesen Umständen vermag der VfGH in den §§19 PostG und 212 PostO keine das Briefgeheimnis beeinträchtigende und damit Art10 StGG verletzende Rechtsvorschrift zu erblicken.

e) Da die belangte Postbehörde die oben geschilderte Vorgangsweise auf die verfassungsrechtlich unbedenklichen Bestimmungen des §19 PostG und des §212 PostO stützen konnte, diese Vorschriften auch keineswegs denkunmöglich oder willkürlich gehandhabt hat und ihnen auch keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat, wurde der Bf. durch den angefochtenen Zwangsakt weder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten, noch in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses oder auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Auch eine andere Grundrechtsverletzung kam im Verfahren nicht hervor, weshalb die Beschwerde abzuweisen war.

Schlagworte

Post- und Fernmelderecht, Briefgeheimnis, Grundrechte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B332.1986

Dokumentnummer

JFT_10129385_86B00332_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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