Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
N gegen Bundesminister für Inneres vom 7. Februar 1989, Zl. 209.428/8-II/6/86, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 10.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 4. Februar 1986 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Mit diesem war gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126 (AsylG), über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Bundesgesetzes vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes und daher gemäß § 7 Abs. 1 leg. cit. auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist.
Die belangte Behörde ging im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Der Beschwerdeführer sei türkischer Staatsangehöriger und laut seinen Angaben am 9. April 1985 illegal über Jugoslawien nach Österreich gelangt. Am 15. April 1985 habe er durch seinen Rechtsanwalt Asyl beantragt und angegeben, bereits im Jahr 1979 bei Verwandten in Vorarlberg gewesen zu sein. Wegen unerlaubten Aufenthaltes habe man ihn jedoch in die Türkei abgeschoben. Dort habe man ihn unmittelbar nach seiner Abschiebung gefoltert. Nach dem Militärputsch im Jahr 1980 sei er neuerlich für sieben Monate inhaftiert worden. Ursache dafür sei seine offizielle Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft der Bau- und Straßenarbeiter (DOGU YOL-IS SENDIKASI) sowie seine kurdische Abstammung gewesen. Nach seiner Haftentlassung habe man ihn dann neuerlich für zwei Monate inhaftiert und gefoltert.
Nachdem im Frühjahr des Jahres 1985 führende Mitglieder der Organisation verhaftet worden seien, sei der Beschwerdeführer aus Angst vor neuerlicher Verhaftung und Folter geflüchtet. Sein weiterer Aufenthalt in der Türkei sei nicht möglich, weil ihn die Militärjunta als führendes Mitglied der Gewerkschaft verfolge.
Auf den Vorhalt, daß Mitglieder der türkischen Gewerkschaft "DOGU YOL-IS SENDIKASI" nicht verfolgt würden, habe der Beschwerdeführer angegeben, es sei richtig, daß nicht jedes Mitglied dieser Gewerkschaft verfolgt werde, gegen ihn habe man aber konkrete Verfolgungsschritte unternommen.
In seiner niederschriftlichen Befragung am 13. Mai 1985 habe der Beschwerdeführer angegeben, daß ein gegen ihn in Österreich verhängtes Aufenthaltsverbot noch aufrecht sei. Als Grund für seine Folter habe er angegeben, man habe von ihm den Aufenthaltsort des Gewerkschaftssekretärs erfahren wollen und ihn als Unruhestifter hingestellt. Weitere Verfolgungshandlungen habe der Beschwerdeführer auf seine Zugehörigkeit zur kurdischen Minderheit zurückgeführt.
In der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer vorgebracht, aus der Hinrichtung von drei Anführern der Organisation im Jahr 1983 sei ersichtlich, daß auch er mit Verhaftung und Folter rechnen müsse; in der Zeit von Mitte 1982 bis Frühjahr 1985 sei er deshalb nicht in Haft gewesen, weil er sich dem Zugriff der Behörden entzogen hätte. Zum Beweis seines Vorbringens habe der Beschwerdeführer eine angebliche Eingabe des L (richtig wohl: Z) S (eines Mitgliedes der Organisation DEVRIMICI YOL) vom 3. März 1986 in Ablichtung vorgelegt. Der Verfasser dieses Schriftstückes habe angegeben, der Beschwerdeführer sei einige Male verhaftet und gefoltert worden, weil er sich gewerkschaftlich betätigt und für Kurden Propaganda gemacht habe. Er sei wegen seiner politischen Weltanschauung im Gefängnis gewesen und bis zum Jahre 1985 polizeilich gesucht worden.
Die belangte Behörde vertrat die Auffassung, es sei offenkundig und durch amtliche Berichte abgesichert, daß in der Türkei seit dem Jahre 1983 eine gesamttürkische Straßenbaugewerkschaft (TÜRK-YOL-IS) bestehe, die Mitglied des Gewerkschaftsverbandes TÜRK-IS sei. Die frühere DOGU-YOL-IS sei heute die örtliche Vertretung in Elazig. 1985 sei eine Anklage gegen Mitglieder der DOGU-YOL-IS, darunter ihren Vorsitzenden, eingestellt worden. Ein ehemaliger Vorsitzender übe als Vertreter der populistischen Partei (eine der drei zu Wahlen im November 1983 zugelassenen Parteien) die Funktion eines Bürgermeisters aus. Die Gewerkschaft sei auch während der Militärregierung nicht verboten gewesen. Derzeit fänden keine Verfolgungen der Mitglieder statt. Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers seien aus diesem Grund unglaubwürdig. Da S mit der Organisation DEVRIMICI YOL in Verbindung stehe, die als Extremistenorganisation bekannt sei, seien seine Angaben nicht glaubhaft.
Was die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Kurden betreffe, könne von einer Diskriminierung vor allem auf Grund der ethnischen Abstammung nicht gesprochen werden. Türken kurdischer Abstammung seien in den höchsten Kreisen des wirtschaftlichen und politischen Lebens zu finden. Aus diesem Grund erachtete die belangte Behörde auch die beantragte Vernehmung eines Vertreters von Amnesty International für entbehrlich, insbesondere weil die relevanten Verhältnisse "offenkundig und amtsbekannt und durch das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten bestätigt worden seien".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf Asylgewährung und "ein ordentliches, mängelfreies Verfahren, eine gründliche Beweisaufnahme und die Berücksichtigung von Zeugenaussagen" verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 AsylG ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschn. A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschn. C oder F dieser Konvention vorliegt.
Daß in bezug auf die Person des Beschwerdeführers die Voraussetzungen des Art. 1 Abschn. A Z. 1 der Flüchtlingskonvention erfüllt seien, hat weder der Beschwerdeführer behauptet, noch sind im Zuge des Verfahrens Tatsachen hervorgekommen, die in eine solche Richtung wiesen. Da die belangte Behörde auch nicht Ausschließungsgründe nach Art. 1 Abschn. C oder F der Flüchtlingskonvention im angefochtenen Bescheid festgestellt hat (das gegen den Beschwerdeführer auf Grund des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 8. Juli 1981 bis 31. Dezember 1990 bestehende, rechtskräftige Aufenthaltsverbot wegen illegalen Aufenthaltes in Österreich in der Zeit von 28. Juli 1980 bis 1. Juli 1981 steht gemäß § 5 Abs. 2 AsylG in Verbindung mit § 6 Fremdenpolizeigesetz weder einer Anerkennung als Konventionsflüchtling noch der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach § 5 Abs. 1 AsylG entgegen), hatte der Verwaltungsgerichtshof nur zu prüfen, ob sich die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers aus Art. 1 Abschn. A Z. 2 der Flüchtlingskonvention ableiten läßt. Damit eine Person als Flüchtling im Sinne der genannten Bestimmungen angesehen werden kann, ist unter anderem Voraussetzung, daß sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die Beschwerde macht in erster Linie als Verfahrensmangel geltend, daß die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer in seiner Berufung als Zeugen geführten "Mitgewerkschafter" S nicht vernommen hat und auf die der Berufung beiliegende schriftliche Erklärung des genannten Zeugen vom 3. März 1983 nicht weiter eingegangen ist. Die belangte Behörde hätte sich dagegen auf angeblich amtsbekannte, allerdings nicht aktenkundige Tatsachen sowie auf eine Information des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten, die dem Beschwerdeführer nicht zur Stellungnahme vorgelegt worden sei, gestützt. Insbesondere der geführte Zeuge S habe schon schriftlich bestätigt, daß der Beschwerdeführer wegen seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit und seiner Propaganda für die kurdische Volksbewegung inhaftiert, gefoltert und noch im Jahre 1985 polizeilich gesucht worden sei.
Bereits mit dieser Verfahrensrüge ist der Beschwerdeführer im Recht.
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß der belangten Behörde insbesondere ein Schreiben der österreichischen Botschaft in Ankara an das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten vom 21. August 1985 mit auszugsweise folgendem Inhalt vorlag:
"Vor 1983 gab es in der Türkei keine einheitliche Straßenbaugewerkschaft. Die genannte Gewerkschaft vertrat die gewerkschaftlichen Interessen dieser Sparte im Osten des Landes. Seit 1983 besteht eine gesamttürkische Straßenbaugewerkschaft (TÜRK-YOL-IS), die Mitglied des Gewerkschaftsverbandes TÜRK-IS ist. Die frühere DOGU-IS ist heute die örtliche Vertretung in Elazig. 1985 wurde eine Anklage gegen Mitglieder der DOGU-YOL-IS, darunter ihren Vorsitzenden, eingestellt. Ein ehemaliger Vorsitzender übt als Vertreter der populistischen Partei (eine der drei zu Wahlen im November 1983 zugelassenen Parteien) die Funktion eines Bürgermeisters aus. Die Gewerkschaft war auch während der Militärregierung nicht verboten. Laut den ha vorliegenden Informationen dürften derzeit keine Verfolgungen ihrer Mitglieder stattfinden."
Die Verwaltungsbehörde erster Instanz hat dem Rechtsfreund des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 13. Jänner 1986 folgendes mitgeteilt:
"Zu ihrem Ansuchen vom 15. April 1985 für den türkischen Asylwerber O, geboren am 1. Jänner 1955, teilen wir Ihnen mit, daß nach unseren Erkenntnissen Mitglieder der türkischen Gewerkschaft "DOGU-YOL-IS-SENDICASI" weder verfolgt wurden noch verfolgt werden.
Da diese Fakten zur ho Entscheidung herangezogen werden, werden sie ersucht, sich hiezu binnen vierzehn Tagen zu äußern. Sollten sie sich in dieser Zeit nicht dazu äußern, wird ohne ihr Anhören entschieden werden."
Daraufhin hat der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 28. Jänner 1986 u.a. folgendes vorgebracht:
"Wie uns O und seine Kollegen (die mit ihm auch schon in der Türkei zusammengearbeitet hatten) mitteilen, ist es richtig, daß nicht jedes Mitglied der türkischen Gewerkschaft "DOGU-YOL-IS-SENDICASI" verfolgt wurde. Gegen O wurden jedoch konkrete Verfolgungsschritte unternommen. ..."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ähnlich gelagerten Fällen bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. September 1989, Zlen. 89/01/0179, 0180), ist es Aufgabe der belangten Behörde zur Wahrung des Parteiengehörs dem Asylwerber die ihr vorliegenden und von ihr verwerteten Berichte der österreichischen Vertretungsbehörden zur Kenntnis zu bringen und ihm Gelegenheit zu bieten, hiezu Stellung zu nehmen. Diesem Gebot wurde im vorliegenden Fall einerseits schon das bloß in allgemeinen Worten gehaltene und nicht auf den konkreten Bericht der österreichischen Vertretungsbehörde vom 21. August 1985 bezugnehmende Schreiben der Verwaltungsbehörde erster Instanz vom 13. Jänner 1986 nicht gerecht und andererseits hat es die belangte Behörde auch im Berufungsverfahren unterlassen, angesichts der in der Berufung konkret angebotenen mehreren Bescheinigungsmittel dem Beschwerdeführer vorzuhalten, daß ihr bekannt sei, es handle sich bei der Organisation DEVREMICI YOL, der der geführte Zeuge S angehöre, um eine Extremistenorganisation und sei durch das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten bestätigt worden, daß von einer Diskriminierung der Kurden auf Grund ihrer ethnischen Abstammung in der Türkei nicht gesprochen werden könne.
Dazu kommt, daß angesichts der schon vom Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung im Verwaltungsverfahren ersten Instanz konkret behaupteten und im Detail geschilderten Verfolgungshandlungen (Folterungen und Inhaftierungen), die durch die konkreten Angaben in der vorliegenden schriftlichen Bestätigung des S bestätigt wurden, die Beweiswürdigung der belangten Behörde unschlüssig ist. Die belangte Behörde hat nämlich der vorliegenden Bestätigung des S allein mit dem Hinweis die Glaubwürdigkeit versagt, dieser stehe mit der Organisation "DEVREMICI YOL" in Verbindung und sei ihr diese als "Extremistenorganisation" bekannt. Wenn die belangte Behörde schon aus diesen Gründen die Glaubwürdigkeit der vorgelegten schriftlichen Bestätigung des genannten Zeugen bezweifelte, dann wäre es vor allem auf Grund der in den konkreten Fakten übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers mit der vorgelegten Bestätigung des S ihre Aufgabe gewesen, einerseits dazu den Beschwerdeführer nochmals zu befragen und andererseits eine zeugenschaftliche Vernehmung des S zu veranlassen.
Da nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VO mit 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
Schlagworte
Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989010123.X00Im RIS seit
24.01.1990