TE Vwgh Erkenntnis 1990/2/20 89/01/0372

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Veröffentlicht am 20.02.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
FlKonv Art1 AbschnA;
VwRallg;

Betreff

1) A u 2) B gegen Bundesminister für Inneres vom 19. Mai 1989, Zlen. 235.271/5-II/9/89 und 235.271/4-II/9/89, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 460,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 9. Jänner 1989 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab und stellte fest, daß die Beschwerdeführer nicht Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes sind.

Begründend wurde hinsichtlich beider Beschwerdeführer festgestellt, sie seien afghanische Staatsangehörige und am 10. Jänner 1988 in das Bundesgebiet eingereist.

Der Zweitbeschwerdeführer habe am 13. Jänner 1988 beantragt, ihm Asyl zu gewähren und sei am gleichen Tag bei der Bundespolizeidirektion Salzburg und am 21. Jänner 1988 von der Behörde erster Instanz niederschriftlich befragt worden. Bei seiner ersten Befragung habe er angegeben, er habe wegen der Besetzung seines Heimatlandes durch "die Russen" und der dort herrschenden Verhältnisse bereits im Jänner 1986 Afghanistan mit seiner Familie ohne gültiges Reisedokument verlassen und sei nach Iran geflüchtet. Einige Monate später sei er illegal nach Pakistan gelangt. Er habe beabsichtigt, nach Deutschland zu kommen, weil sich dort einige seiner Geschwister aufhielten. Er habe in Deutschland nicht Asyl beantragt, sondern nur bis zum Abzug "der Russen" aus seiner Heimat Aufenthalt nehmen und dann wieder in seine Heimat zurückkehren wollen. In Pakistan habe er gefälschte pakistanische Reisepässe erhalten, mit denen er bis Istanbul gelangt sei. Dort sei ihm von Landsleuten ein österreichischer Sichtvermerk besorgt worden. Bei der Paßkontrolle durch Beamte der bayerischen Grenzpolizei sei ihm am 11. Jänner 1988 die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verweigert und er den österreichischen Behörden übergeben worden. In Österreich wolle er kein politisches Asyl erbitten, sondern lediglich bis zum Abzug "der Russen" aus Afghanistan verbleiben.

Bei seiner niederschriftlichen Befragung vom 21. Jänner 1988 habe er angegeben, er hätte nicht zum Militär einrücken wollen, weil er nicht gegen seine Landsleute habe kämpfen wollen. Durch Bezahlung von "Schmiergeld" sei ihm ein Aufschub vom Militärdienst gewährt worden, dann sei er aus Afghanistan geflüchtet. Sein Vater sei 1984 verschleppt und getötet worden. Der Zweitbeschwerdeführer habe in Afghanistan keiner politischen Organisation angehört. Er wolle nach Kanada auswandern. Dies deshalb weil "die Lage" in Afghanistan schlecht sei, er hätte dort sein gesamtes Vermögen verloren.

Die Erstbeschwerdeführerin habe am 12. Jänner 1988 Asylantrag gestellt und sei am 21. Jänner 1988 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich niederschriftlich befragt worden. Sie habe im wesentlichen angegeben, daß sie in Afghanistan keiner politischen Organisation angehört hätte. Da sie bei ihrem Gatten, dem Zweitbeschwerdeführer, bleiben habe wollen, seien beide nach Österreich gekommen, möchten jedoch nach Kanada auswandern, weil sie dort Verwandte hätten. Nach der Besetzung Afghanistans durch "die Russen" 1979 sei das Leben in ihrer Heimat "sehr schwer" gewesen. Die Beschwerdeführerin sei als Lehrerin ständig zum Beitritt zu einer Organisation des "Jungen Volkes" aufgefordert worden, doch habe sie keine "Zuneigung für den Kommunismus" empfunden und deshalb die Schule verlassen und geheiratet. Ihrem Gatten habe eine Haftstrafe und der Militärdienst gedroht, weshalb er Afghanistan verlassen habe. Die Erstbeschwerdeführerin sei ihm gefolgt, weil sie nicht allein mit ihrem Kind zurückbleiben habe wollen. Dies sei ihr eigentlicher Fluchtgrund. Ihr Schwiegervater sei verhaftet worden und es habe weder "Ruhe noch Sicherheit" gegeben.

Gegen diese Bescheide hätten die Beschwerdeführer übereinstimmende Berufungen erhoben, wonach ihr Vater (offenbar der Vater des Zweitbeschwerdeführers) bereits im Jahr 1984 als Regimekritiker getötet worden sei. Der Großvater sei der "König von B" gewesen und hätte in Afghanistan Asyl gefunden. Die Beschwerdeführer seien inzwischen eingebürgert und afghanische Staatsbürger geworden. Nachdem der Vater des Zweitbeschwerdeführers getötet worden sei, hätte der Zweitbeschwerdeführer seine Tätigkeit in der Bank aufgegeben und sei nach Persien geflohen. Dann sei er in Pakistan mit seiner Familie zusammengetroffen. Dort seien die Beschwerdeführer nicht "freundlich" behandelt worden. In der Zwischenzeit hätten sie erfahren, daß ein Schwager des Zweitbeschwerdeführers in Afghanistan getötet worden sei.

Zur Beweiswürdigung wurde hinsichtlich beider Beschwerdeführer im wesentlichen übereinstimmend in der Begründung beider Bescheide ausgeführt, daß die Angaben der Beschwerdeführer durchaus glaubhaft seien, jedoch keine konkreten und individuellen Verfolgungen aus Gründen der Konvention, ausgehend von den Behörden des Heimatlandes, glaubhaft gemacht hätten.

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers wurde festgestellt, daß er sich dem Militärdienst entzogen hätte, weshalb eine aus diesem Grund drohende Bestrafung nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention angesehen werden könne. Der Zweitbeschwerdeführer habe auch wiederholt erklärt, lediglich bis zum Abzug "der Russen" aus Afghanistan Aufenthalt im Ausland nehmen zu wollen. Die politische Situation im Heimatland der beiden Beschwerdeführer habe sich inzwischen grundlegend geändert. Die Einheiten der Sowjetunion seien weitgehend abgezogen, sodaß nunmehr kein Hinderungsgrund für eine allfällige Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Heimat bestehe. Außerdem werde festgestellt, daß sich die Beschwerdeführer bereits längere Zeit in Pakistan aufgehalten hätten. Bei Vorliegen schwerwiegender Eingriffe in ihre Grundrechte hätten sie sich dort an das Büro der "UNHCR" wenden können, welches für die Beschwerdeführer weitere Maßnahmen in die Wege hätte leiten können. Auch in der Türkei, einem Mitgliedsstaat der Genfer Konvention, hätten die Beschwerdeführer es unterlassen, Asyl zu beantragen. In Österreich hätten sie erst nach Zurückweisung durch die deutschen Grenzbehörden Asyl beantragt. Überdies hätten die Beschwerdeführer erklärt, nach Kanada auswandern zu wollen und erst zuletzt "Schutz vor Verfolgung" begehrt. Die behauptete Furcht vor Verfolgung sei daher nicht glaubwürdig.

Die belangte Behörde sei daher der Ansicht, daß die Beschwerdeführer ihre Heimat nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten, weshalb ihren Asylansuchen nicht habe stattgegeben werden können. Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge sei gemäß § 9 Abs. 3 AsylG gehört worden und habe der in Aussicht genommenen Abweisung zugestimmt.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, mit welchen Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges der Beschwerden diese zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden und erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle, BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

In den vorliegenden Beschwerdefällen hat die belangte Behörde die Beweiswürdigung auf das im wesentlichen übereinstimmende Vorbringen der Beschwerdeführer gestützt, weil dieses Vorbringen nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das wichtigste Erkenntnismittel des Asylverfahrens ist. Da die daraus gewonnenen Feststellungen dem Akteninhalt entsprechen und auch von den Beschwerdeführern Verfahrensmängel nicht behauptet werden, ist im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof von den Tatsachenfeststellungen der belangten Behörde auszugehen. Danach waren aber die Beschwerdeführer in ihrem Heimatland keinen konkreten und individuellen Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Dazu kommt, daß die Beschwerdeführer nach ihrem eigenen Vorbringen keineswegs sofort nach ihrer Ankunft im Ausland um politisches Asyl angesucht haben, sondern erst etwa zwei Jahre danach, nachdem ihre Bemühungen, in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen, gescheitert waren. Dies läßt keine Zweifel daran aufkommen, daß der Ausreise der Beschwerdeführer aus ihrem Heimatland keine Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Konvention vorausgegangen waren.

Schließlich vermag auch der Umstand, daß der Zweitbeschwerdeführer nach seiner Rückkehr in seinem Heimatland mit einer Bestrafung wegen Desertion zu rechnen hätte, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ihm nicht die Eigenschaft eines Konventionsflüchtlings zu verschaffen. Die Militärdienstpflicht des Zweitbeschwerdeführers trifft alle afghanischen Staatsbüger gleichermaßen und ohne Rücksicht auf sonstige nach der Konvention bedeutsame Umstände (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Februar 1988, Zl. 86/01/0155 und die dort genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Die Erstbeschwerdeführerin hat im Verfahren keine sie selbst betreffenden Verfolgungshandlungen oder anderen Fluchtgründe im Sinne der Konvention angegeben, sondern sich im wesentlichen darauf berufen, mit ihrem Mann und ihrer Familie zusammen ihr Heimatland verlassen zu wollen. Darin liegt aber kein Fluchtgrund im Sinne der Flüchtlingskonvention.

Der Verwaltungsgerichtshof kann somit hinsichtlich beider Beschwerdeführer die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide nicht erkennen. Die Beschwerden mußten deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

SachverhaltsermittlungSachverhalt SachverhaltsfeststellungVerfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989010372.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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