TE Vwgh Erkenntnis 1990/2/20 89/01/0260

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Veröffentlicht am 20.02.1990
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA;

Betreff

N gegen Bundesminister für Inneres vom 24. April 1989, Zl. 228.010/4-II/9/88, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 28. Jänner 1988 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab und stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes ist. Begründend ging die belangte Behörde im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, sei am 23. Oktober 1986 legal in das Bundesgebiet eingereist. Am 20. Mai 1987 sei ihm vom Fremdenpolizeilichen Referat der Bundespolizeidirektion St. Pölten niederschriftlich zur Kenntnis gebracht worden, daß er im Juli 1987 das Bundesgebiet zu verlassen hätte, weil ihm seine Aufenthaltsberechtigung nicht mehr verlängert würde. Mit Eingabe vom 22. Juni 1987 habe der Beschwerdeführer bei der genannten Behörde beantragt, ihm Asyl zu gewähren. Dazu sei er am 30. Juni 1987 niederschriftlich vernommen worden und habe im wesentlichen angegeben, er hätte nach seiner Einreise in Österreich vorerst bei Verwandten Aufenthalt genommen. Er habe vorgebracht, in der Türkei sei es unmöglich, seine Meinung frei zu äußern oder auch nur eine Zeitung eigener Wahl zu lesen. Wegen des "politischen Drucks" sei die "körperliche und geistige Existenz" des Beschwerdeführers gefährdet. Außerdem sei geplant, Bevölkerungsgruppen der Heimatregion des Beschwerdeführers mutwillig und ohne Grund in den westlichen Teil der Türkei zu deportieren.

Bei einer ergänzenden Einvernahme habe der Beschwerdeführer am 5. August 1987 erklärt, daß er in den Jahren 1976 bis 1980 das Gymnasium in Izmir besucht hätte. In den folgenden Jahren bis 1986 sei er als technischer Zeichner in Istanbul beschäftigt gewesen. Seinen Militärdienst habe er in den Jahren 1982/1983 bei einer Pioniereinheit in Istanbul geleistet. Der Beschwerdeführer sei in seiner Heimat als Kurde verfolgt und politisch unterdrückt worden. Konkret sei er einer Verfolgung ausgesetzt gewesen, als er, wie auch andere Jugendliche, von der Gendarmerie festgenommen und unter Schlägen verhört worden sei, ob er politisch tätig gewesen oder etwa Flugschriften verteilt habe. Dem Beschwerdeführer sei die Unterstützung der "TKP" und der "PKK" angelastet worden. Dies sei jedoch unrichtig, denn der Beschwerdeführer hätte lediglich Flugblätter verbreitet. Der Beschwerdeführer habe sich ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland besorgt und sei über Bulgarien und Jugoslawien nach Österreich gereist. Die Situation in der Heimat des Beschwerdeführers habe sich derart verschlechtert, daß er nicht mehr in die Türkei zurückkehren könne.

Nachdem die Behörde erster Instanz zur Auffassung gelangt sei, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention zu gewärtigen, habe sie festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

In der deshalb erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer erneut auf die Schwierigkeiten als Angehöriger der kurdischen Minderheit und die beabsichtigte Umsiedlungsaktion hingewiesen, jedoch keine weiteren Asylgründe vorgebracht. Bei einer weiteren Einvernahme am 6. April 1988 habe der Beschwerdeführer vorgebracht, er sei erstmals im Jahre 1983 von der türkischen Gendarmerie festgenommen verhört und geschlagen worden. Bis 1985 sei er jedes Jahr ein- bis zweimal festgenommen, verhört und geschlagen worden. Zwischen Jänner und September 1986 sei er einmal im Monat festgenommen worden. Diese Vorfälle hätten sich im Heimatdorf des Beschwerdeführers ereignet. Der Grund der Verhaftungen sei in der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur kurdischen Minderheit sowie in der Zusammenarbeit mit den bereits genannten Organisationen gelegen, die darin bestanden habe, Flugblätter zu verteilen. In diesen Flugblättern sei auf die schlechte Situation der Kurden in der Türkei hingewiesen und zu Demonstrationen aufgerufen worden. Wenn der Beschwerdeführer bei der Verteilung von Flugblättern aufgegriffen worden sei, sei er zwischen zwei und vier Tagen in Haft gewesen. Bei "sonstigen" Festnahmen sei er zumindest nach einem Tag freigelassen worden.

Die belangte Behörde führte aus, die Situation der Kurden in der Türkei sei bekannt. Diese stelle jedoch ein "allgemeines Problem" dar und könne nicht als individuelle konkrete Verfolgungshandlung des Beschwerdeführers verstanden werden. Amtsbekannt sei, daß von einer Verfolgung von Kurden allein auf Grund ihrer ethnischen Abstammung nicht gesprochen werden könne. Die Angaben des Beschwerdeführers über konkrete Verfolgungen allein aus diesem Grund seien daher nicht glaubhaft. Zur Zwangsumsiedlung von kurdischen Dörfern wurde ausgeführt, daß nach den Erkenntnissen der belangten Behörde, von einer zwangsweisen Umsiedlung keine Rede sei. Es erfolge lediglich eine Umfrageaktion des Landwirtschaftsministeriums, wodurch einerseits die ökologischen Gegebenheiten und andererseits die Lebensbedingungen der Bevölkerung erfaßt werden sollten. Hiedurch sollten Gegenden lokalisiert werden, die sich für eine Neuansiedlung von Bewohnern aus unterentwickelten Gebieten eignen. Diese Aktion stelle ein langfristiges Projekt dar, um das Los der Bewohner der ärmsten und unterentwickelten Gebiete des Landes zu verbessern. Persönliche und konkrete Verfolgungen aus Konventionsgründen könnten aus diesen Umständen nicht abgeleitet werden. Zu den vom Beschwerdeführer behaupteten mehrmaligen Festnahmen in der Zeit von 1983 bis September 1986 führte die belangte Behörde aus, diese Verhaftungen seien jeweils kurzfristig erfolgt. Nach den Angaben vom 5. August 1987 habe der Beschwerdeführer in der Zeit von 1981 bis 1986 seinen Arbeitsplatz als technischer Zeichner in Istanbul "aufrechterhalten". Als Grund der Anhaltung des Beschwerdeführers sei dessen Zusammenarbeit mit der "PKK" ersichtlich. Diese stelle eine terroristische Organisation dar, weshalb Maßnahmen wegen der Zusammenarbeit mit dieser Organisation nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention gewertet werden könnten. Im übrigen sei der Beschwerdeführer bereits am 23. Oktober 1986 nach Österreich eingereist, habe jedoch erst nach der Mitteilung vom 20. Mai 1987, daß seine Aufenthaltsberechtigung nicht mehr verlängert werde, am 30. Juni 1987 um Asyl angesucht. Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich einer Verfolgung im Sinne der Konvention ausgesetzt gewesen, so hätte er sicherlich den Antrag unmittelbar nach seiner Einreise eingebracht. Die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Sinne der Konvention sei daher nicht glaubhaft. Aus dem Sachverhalt sei ersichtlich, daß der Beschwerdeführer den Asylantrag nur eingebracht habe, um unter Umgehung der fremdenpolizeilichen Vorschriften eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zu erhalten. Außerdem sei er über Jugoslawien, das ein Mitglied der Genfer Konvention sei, in das Bundesgebiet eingereist, sodaß es ihm möglich gewesen wäre, schon dort um Asyl anzusuchen. Da er dies nicht getan habe, erscheine es nicht glaubwürdig, daß er gravierenden Eingriffen in seine Grundrechte ausgesetzt gewesen sei.

Die belangte Behörde sei nach sorgfältiger Prüfung des Vorbringens des Beschwerdeführers zur Ansicht gelangt, daß der Beschwerdeführer durch den Asylantrag lediglich eine Erstreckung der Aufenthaltsberechtigung gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz erreichen habe wollen. Der erstinstanzliche Bescheid sei daher zu Recht ergangen. Der Hochkommissär für die Vereinten Nationen sei gemäß § 9 Abs. 3 Asylgesetz gehört worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Gesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner ersten Vernehmung am 30. Juni 1987 als Fluchtgrund nur geltend gemacht, in der Türkei sei es unmöglich, eine freie Meinung zu äußern. Desgleichen stehe es einem nicht frei, eine Zeitung der eigenen Wahl zu lesen. Im schriftlichen Asylantrag vom 22. Juni 1987, auf den er sich bei seiner Vernehmung hinsichtlich der weiteren Fluchtgründe berief, hatte er nur ausgeführt, er sei wegen des politischen Druckes des Regimes nicht in der Lage gewesen, in seinem Heimatland weiterzuleben, da seine "körperliche und geistige Existenz" gefährdet worden sei. Es sei geplant, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus seiner Heimat mutwillig und ohne jeglichen Grund in westliche Teile der Türkei zu deportieren.

Demgegenüber hat der Beschwerdeführer bei den folgenden Vernehmungen im Verfahren das Vorbringen zu den Fluchtgründen immer weiter gesteigert, sich dabei jedoch, wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides richtig festgestellt hat, in Widersprüche verwickelt. Insbesondere hat der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung am 5. August 1987 angegeben, er sei in der Zeit von 1981 bis 1986 als technischer Zeichner bei verschiedenen namentlich genannten Fabriken in Istanbul beschäftigt gewesen. Das ist mit seinen Angaben bei der Vernehmung vom 6. April 1988 unvereinbar, er sei seit 1983 bis 1985 jedes Jahr ein- bis zweimal festgenommen, verhört und geschlagen worden, zwischen Jänner und September 1986 sei er monatlich einmal festgenommen worden, wobei sich diese Vorfälle bzw. Verhaftungen in seinem Heimatdorf in der Provinz Tunceli ereignet hätten. Der belangten Behörde kann daher nicht als unschlüssig vorgeworfen werden, daß sie die späteren Behauptungen des Beschwerdeführers über angebliche Verfolgungen durch die türkischen Behörden als unglaubwürdig erkannt hat.

Die Zugehörigkeit zur kurdischen Minderheit in der Türkei allein kann als wohlbegründete Furcht vor Verfolgung des Beschwerdeführers nicht gewertet werden (vgl. etwa Erkenntnis vom 28. Juni 1989, Zl. 89/01/0182, und die dort zitierte Judikatur).

Da somit auf Grund der eigenen Angaben des Beschwerdeführers, die im Asylverfahren das zentrale Erkenntnismittel sind, eine wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgungen nicht als bescheinigt angesehen werden konnte, hat die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneint. Auf die Fragen, inwieweit Umsiedlungsaktionen in der Türkei im Einzelfall konkrete Verfolgungshandlungen für Angehörige der kurdischen Minderheit darstellen können, braucht im Beschwerdefall nicht eingegangen zu werden, weil der Beschwerdeführer selbst bei seinen Einvernahmen solche konkrete Maßnahmen der türkischen Behörden in bezug auf seine Person, nicht vorgebracht hat. Ebensowenig spielt die Frage, ob die vom Beschwerdeführer genannten Organisationen, für die er angeblich durch Verteilung von Flugblättern tätig geworden ist, terroristische Organisationen darstellen, im Beschwerdefall eine entscheidungswesentliche Rolle, weil - wie bereits ausgeführt - das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers von der belangten Behörde jedenfalls zutreffend als nicht bescheinigt angesehen worden ist.

Wenn auch dem Beschwerdeführer insoweit beizupflichten ist, als die Argumenation der belangten Behörde, hinsichtlich der Lage der Kurden in der Türkei in einem mangelhaften Verfahren ergangen ist, weil dem Beschwerdeführer nicht Gelegenheit geboten wurde, dazu Stellung zu nehmen, so kann dieser Mangel beim Vorliegen der dem Bescheidspruch tragenden schlüssigen Begründungselemente den Bescheid insgesamt dennoch nicht mit einer zu seiner Aufhebung führenden Rechtswidrigkeit belasten.

Da die Beschwerde sich sohin als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989010260.X00

Im RIS seit

20.02.1990

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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