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63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;Norm
BDG 1979 §110 Abs1 Z2;Betreff
N gegen Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 8. September 1989, GZ. 11.054-DK/89, betreffend Einleitungsbeschluß in einer Disziplinarsache
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Revierinspektor der Zollwache in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist das Zollamt X.
Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die belangte Behörde auf Grund der vom Dienstvorgesetzten am 28. Juli 1989 an die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland erstatteten Disziplinaranzeige am 8. September 1989 beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979), das Disziplinarverfahren einzuleiten. Der Beschwerdeführer stehe im Verdacht, die ihm gemäß § 44 Abs. 1 erster Satz und § 48 Abs. 1 BDG 1979 obliegenden Dienstpflichten, nämlich, seinen Vorgesetzten zu unterstützen und dessen Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt sei, zu befolgen sowie die im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden einzuhalten, wenn er nicht vom Dienst befreit oder enthoben oder gerechtfertigt vom Dienst abwesend sei, dadurch verletzt zu haben, daß er am 16. März 1989 entgegen den Weisungen des Dienstvorgesetzten während der von ihm im Dienstbuch ausgewiesenen Dienstzeit von 14.00 bis 17.00 Uhr den angeordneten Kanzleidienst in seiner Dienststelle, dem Zollamt X, ab ca. 15.00 Uhr nicht vollzogen und sich zu außerdienstlichen Zwecken in das Kaffeehaus B in 1020 Wien, im Bereiche des T-Platzes, begeben habe. Zur näheren Begründung dieses Bescheides waren die vom Dienstvorgesetzten in der Disziplinaranzeige vom 28. Juli 1989 dargelegten Gründe wörtlich übernommen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen hat, hat die Disziplinarakten vorgelegt.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf, daß ein Disziplinarverfahren gegen ihn nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 91, 94 und 123 BDG 1979 eingeleitet werde, durch unrichtige Anwendung dieser Normen sowie der Vorschriften über die Bescheidbegründung und das Parteiengehör verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zunächst vor, die Einleitung des Disziplinarverfahrens hätte, weil ihm der angefochtene Bescheid am 22. September 1989 zugestellt worden sei, nur dann verfügt werden dürfen, wenn seine Dienstbehörde, die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland bis zum 22. März 1989 noch keine Kenntnis von dem Vorfall am 16. März 1989 gehabt hätte. Das sei nicht ohne weiteres als gegeben anzusehen und es wäre daher darauf in der Bescheidbegründung einzugehen gewesen.
Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.
Nach § 94 Abs. 1 BDG 1979 darf der Beamte wegen einer Dienstpflichtverletzung nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem der Disziplinarbehörde die Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist, oder innerhalb von drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt der Beendigung der Dienstpflichtverletzung, eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde.
Disziplinarbehörden sind nach § 96 BDG 1979 die Dienstbehörden, die Disziplinarkommission und die Disziplinaroberkommission. Welche Behörden Dienstbehörden sind, bestimmt § 2 DVG, welcher als Zuständigkeitsnorm auch im
9. Abschnitt des BDG 1979 anwendbar ist. Gemäß § 1 Abs. 1 Z. 22 DVV 1981 sind die Feststellungen und Verfügungen in Disziplinarangelegenheiten nachgeordneten Dienstbehörden übertragen. Im Grunde des § 2 Z. 4 lit. a DVV 1981 sind im Bereich des Bundesministeriums für Finanzen die Finanzlandesdirektionen nachgeordnete Dienststellen in diesem Sinne (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 1987, Zl. 87/09/0193).
Die gesetzliche Bezeichnung "Dienstpflichtverletzung" in der oben wiedergegebenen Bestimmung ist irreführend, weil eine solche erst nach abschließender und verbindlicher Sachaufklärung vorliegen kann. § 94 Abs. 1 BDG 1979 stellt vielmehr auf die "Kenntnis" eines Verhaltens des Beamten ab, das den Verdacht einer schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten nahelegt.
Erlangt die Dienstbehörde, die nach § 96 BDG 1979 zu den Disziplinarbehörden zählt, von einer Dienstpflichtverletzung "Kenntnis", so muß sie entweder binnen sechs Monaten eine Disziplinarverfügung erlassen oder die Anzeige an die Disziplinarkommission so rechtzeitig weiterleiten, daß binnen dieser Frist noch ein Einleitungsbeschluß (§ 123 Abs. 2 BDG 1979) gefaßt werden kann. Tut sie dies nicht, so ist die Tat nach Ablauf dieser Frist verjährt soweit nicht § 94 Abs. 2 BDG 1979 in Betracht kommt. Macht sie dies bzw. wird der Einleitungsbeschluß rechtzeitig von der Disziplinarkommission erlassen, so kann die Tat nicht mehr verjähren. Unabhängig von der Kenntnis durch die Dienstbehörde ist die Tat jedenfalls dann verjährt, wenn seit dem Zeitpunkt ihrer Beendigung drei Jahre vergangen sind (absolute Verjährungsfrist), soweit nicht § 94 Abs. 3 BDG 1979 in Betracht kommt.
Maßgebend für den Beginn der sechsmonatigen Verjährungsfrist ist im Beschwerdefall die KENNTNIS - nicht das Kennenmüssen - der Dienstbehörde von Tatsachen, die zur Annahme berechtigen, ein konkretes Verhalten eines Beamten falle unter einen disziplinär zu ahndenden Tatbestand. "Kenntnis erlangt" die Dienstbehörde in einer die Frist des § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 in Lauf setzenden Weise, wenn ihr - von dem später als Dienstpflichtverletzung gewürdigten Verhalten des Beamten - ausreichend Mitteilung gemacht worden ist. In Betracht kommt nur das auf sicheren Grundlagen beruhende Wissen über bestimmte Tatsachen, nicht also das bloße Erfahren eines Gerüchts. Dagegen kommt es nicht auf die zutreffende rechtliche Subsumtion, also die Kenntnis davon an, daß die bekannt gewordenen Tatsachen einen disziplinär zu ahndenden Tatbestand erfüllen. Bei der Kenntnis von solchen Umständen kann es keinesfalls darauf ankommen, daß die Dienstbehörde bereits mit Sicherheit vom Vorliegen aller dieser Tatsachen ausgeht; ist doch die Dienstbehörde gar nicht zur Durchführung eines umfassenden Beweisverfahrens berufen. Es kann somit nur auf die Kenntnis jener Umstände abgestellt werden, die für die Dienstbehörde gemäß § 110 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979 die Pflicht zur Weiterleitung der Disziplinaranzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission und an den Disziplinaranwalt begründen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. November 1989, Zl. 89/09/0112).
Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens (vgl. das im Disziplinarakt erliegende Schreiben der die Fach- und Dienstaufsicht über die Mobile Einsatzgruppe, welcher der Beschwerdeführer bis zu der am 16. März 1989 erfolgten Auflösung angehörte, wahrnehmenden Geschäftsabteilung 14 der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 17. März 1989 an den Vorstand des Zollamtes X) war der zu den Disziplinarbehörden zählenden Dienstbehörde zu diesem Zeitpunkt die dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung im vollen Ausmaß bekannt. Dazu kommt noch, daß sowohl in dem Schreiben der Dienstbehörde vom 9. August 1989, mit welchem gemäß § 110 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979 die Disziplinaranzeige an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen weitergeleitet worden war, als auch in der Niederschrift über die Sitzung bei der belangten Behörde vom 8. Setpember 1989, welche die Erlassung des angefochtenen Bescheides zum Gegenstand hatte, auf die "drohende Verjährung
(14. September 1989)" hingewiesen worden war.
Auf Grund dieser Fakten hegt der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, daß der vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtene Einleitungsbeschluß gegen den Beschwerdeführer nicht innerhalb der in § 94 Abs. 1 Z. 1 BDG 1979 normierten Sechsmonatsfrist erlassen worden ist.
Da der Eintritt der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsverjährung von Amts wegen wahrzunehmen ist, wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, in einer der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über den Zeitpunkt des Kenntniserlangens von der Dienstpflichtverletzung zu treffen, und zwar auch dann, wenn im Administrativverfahren vom Beschwerdeführer keine Verjährungseinrede erhoben wurde.
Weil dieser Mangel den Verwaltungsgerichtshof daran hindert, die inhaltliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides im Sinne des § 41 Abs. 1 VwGG auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes zu überprüfen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Diese Entscheidung konnte gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG im Dreiersenat erfolgen.
Die Entscheidung über den Anspruch auf Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989090136.X00Im RIS seit
22.02.2002