TE Vwgh Erkenntnis 1990/2/23 85/18/0185

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Veröffentlicht am 23.02.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §4 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs5;
VStG §31 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a litb;
VStG §44a Z2 impl;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Schmidt, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 27. April 1984, Zl. VI/2-795/2-1984, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit der Beschwerdeführer im Instanzenzug einer Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 schuldig erkannt worden ist, einschließlich des damit verbundenen Ausspruches über die Strafe und die Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.535,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 11. Oktober 1983 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe am 19. März 1983 gegen 1.00 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw auf der Landesstraße 3003, von Zurndorf kommend in Richtung Mönchhof gelenkt. Beim Straßenkilometer 6,9 habe er einen Verkehrsunfall mit Sach- und Personenschaden verursacht, von welchem er es unterlassen habe

1.) die nächste Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub von dem Verkehrsunfall in Kenntnis zu setzen und 2.) an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken. Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach 1.) § 4 Abs. 2 StVO 1960 und 2.) § 4 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begangen. Gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO wurde gegen ihn eine Geldstrafe, im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzarreststrafe verhängt. In der Begründung des Straferkenntnisses wurde u.a. ausgeführt, der Beschwerdeführer habe ohne vom Verkehrsunfall die nächste Gendarmeriedienststelle verständigt zu haben, gemeinsam mit seinem ebenfalls verletzten Beifahrer den praktischen Arzt Dr. A in Halbturn aufgesucht. Danach habe er beim Gendarmerieposten Halbturn eine Meldung vom Verkehrsunfall erstatten wollen, er habe diesen Gendarmerieposten jedoch unbesetzt gefunden und so sein Vorhaben aufgegeben. Der Gendarmerieposten Halbturn sei zwar zu dieser Zeit nur fallweise mit einem Beamten besetzt gewesen, jedoch sei an der Eingangstür des Gendarmeriepostens ein gelbes Hinweisschild deutlich sichtbar angebracht gewesen, daß bei Unerreichbarkeit der Hauptposten Neusiedl am See zuständig sei. Der Beschwerdeführer habe aber auch die Möglichkeit gehabt, den nächsten Gendarmerieposten bzw. den Hauptposten Neusiedl am See telefonisch vom Verkehrsunfall verständigen zu können; in unmittelbarer Nähe des Gendarmeriepostens Halbturn habe sich eine Telefonzelle befunden und auch die Familie des Beschwerdeführers besitze ein Telefon.

Aufgrund der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung bestätigte die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 27. April 1984 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 und § 51 Abs. 1 VStG 1950 das erstinstanzliche Straferkenntnis hinsichtlich Schuld und Strafe betreffend der dem Beschwerdeführer unter Punkt 1.) angelasteten Übertretung nach § 4 Abs. 2 StVO, behob diesen Bescheid jedoch hinsichtlich der unter Punkt 2.) angeführten Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 lit. c leg. cit. und stellte das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich gemäß § 45 Abs. 1 VStG ein. Die belangte Behörde begründete ihren Schuldspruch wegen Übertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 im wesentlichen damit, sie habe ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und ein amtsärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Dem eingeholten Gutachten des medizinischen Sachverständigen vom 25. Jänner 1984 sei zu entnehmen, es sei dem Beschwerdeführer nach dem Unfall jederzeit möglich gewesen, ein Telefongespräch zu führen. Denn sowohl das Wählen als auch das Halten eines Telefonhörers, auch mit der verletzten Hand, sei ohne besondere Schmerzverursachung möglich gewesen. Auch habe auf Grund der Aktenlage kein Anlaß zur Annahme gefunden werden können, daß verminderte Zurechnungsfähigkeit oder Bewußtseinsstörung im Sinne des § 3 VStG 1950 vorgelegen seien. Weiters habe der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 7. März 1984 zum vorzitierten amtsärztlichen Gutachten auch zugegeben, daß seine Verletzung sicherlich nicht so schwer gewesen sei, daß er aktionsunfähig und hilflos gewesen wäre. So habe der Beschwerdeführer ausgeführt, "er sei eben der Ansicht gewesen, daß er verpflichtet wäre, die "nächste Gendarmeriedienststelle" eben so bald wie es möglich war zu verständigen". Gerade dies habe der Beschwerdeführer nicht getan. Denn er hätte ohne Schwierigkeit die Möglichkeit gehabt, von zu Hause, bevor er am nächsten Tag in der Früh zum Arzt gebracht worden sei, selber oder durch seine Eltern auch den nächsten Gendarmerieposten von seinem Unfall telefonisch verständigen zu können.

Gegen den bestätigenden Teil des Bescheides richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 2 StVO 1960 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der 10. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 174/1983, haben die im § 4 Abs. 1 leg. cit. genannten Personen - das sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht - Hilfe zu leisten, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Ferner haben sie die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen. Zufolge § 4 Abs. 5 erster Satz leg. cit. haben die im Abs. 1 genannten Personen, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen.

In der vorliegenden Beschwerdesache hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe es als mit einem Verkehrsunfall mit "Sach- und Personenschaden" in ursächlichem Zusammenhang stehender Fahrzeuglenker unterlassen, die nächste Gendarmeriedienststelle "ohne unnötigen Aufschub" vom Verkehrsunfall zu verständigen. Sie hat dieses dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten als Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 qualifiziert.

Eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale einer Verwaltungsübertretung nach dieser Gesetzesstelle ist, daß die mit einem Verkehrsunfall, bei dem eine Person verletzt worden ist, in ursächlichem Zusammenhang stehenden Personen ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sind, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle von diesem Verkehrsunfall "sofort" zu verständigen. Demgegenüber sind die an einem Verkehrsunfall mit bloßem Sachschaden im ursächlichen Zusammenhang stehenden Personen gemäß § 4 Abs. 5 leg. cit. (lediglich) verpflichtet, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall "ohne unnötigen Aufschub" zu verständigen. Während die sofortige Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 unmittelbar auf die ebenfalls in dieser Gesetzesstelle normierte, zeitlich jedoch Vorrang genießende Verpflichung, Hilfe zu leisten oder unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen, zu folgen hat, räumt der Gesetzgeber bei Verkehrsunfällen mit bloßem Sachschaden den zur Meldung Verpflichteten einen gewissen, wenn auch sehr streng auszulegenden Spielraum ein. Der Begriff "sofort" stellt sich somit als der engere gegenüber dem Begriff "ohne unnötigen Aufschub" dar. Die Subsumtion des dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltens unter § 4 Abs. 2 StVO erweist sich daher als rechtsirrig, weshalb der angefochtene Bescheid, soweit der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach dieser Gesetzesstelle schuldig erkannt worden ist, mit einer zu seiner Aufhebung nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG führenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist. Zu den Ausführungen des Beschwerdeführers ist jedoch noch folgendes zu bemerken:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine erst ca. eine halbe Stunde nach dem Unfall erfolgte Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle weder als "sofort" im Sinne des § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO 1960 (vgl. dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 15. Jänner 1986, Zl. 85/03/0133, und 19. März 1986, Zl. 85/03/0164), noch als "ohne unnötigen Aufschub" im Sinne des § 4 Abs. 5 leg. cit. (vgl. dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 13. November 1981, Zl. 81/02/0131, und 19. September 1984, Zl. 84/03/0051) anzusehen. Erstattet eine an einem Verkehrsunfall ursächlich beteiligte Person überhaupt keine Meldung vom Verkehrsunfall an die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle, so ist sie dieser Verpflichtung jeweils weder im Sinne des einen Begriffes noch des anderen nachgekommen.

Der Beschwerdeführer hat weder im Verwaltungsverfahren noch in seiner Beschwerde behauptet, er hätte zu irgendeiner Zeit bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle Meldung vom Verkehrsunfall erstattet, bei dem eine andere Person, nämlich sein Beifahrer, verletzt worden ist. Auch die Aktenlage bietet keinen Anhaltspunkt dafür, der Beschwerdeführer hätte irgendwann - wenn auch verspätet - seiner Meldepflicht entsprochen.

Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde habe die ihm zur Last gelegte Tat ausgewechselt. Er begründet dies im wesentlichen damit, die Erstbehörde habe ihm vorgeworfen, daß er nicht in der Nacht - nachdem er festgestellt habe, daß der Gendarmerieposten Halbturn nicht besetzt gewesen sei - um etwa 2:00 Uhr telefonisch den nächsten Gendarmeriedienstposten in Neusiedl am See vom Verkehrsunfall verständigt habe, während ihm die belangte Behörde dagegen angelastet habe, daß er nicht am darauffolgenden Morgen um ca. 9:00 Uhr persönlich oder durch seine Eltern dem Gendarmerieposten Halbturn telefonisch den Unfall gemeldet habe. Der Beschwerdeführer übersieht, daß ihm sowohl die Erstbehörde als auch die belange Behörde durch Bestätigung des Spruches des erstinstanzlichen Straferkenntnisses dasselbe Verhalten zur Last gelegt hat. Von einer Auswechslung der Tat kann keine Rede sein. Keine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers kann auch darin erblickt werden, daß die belangte Berufungsbehörde in der Begründung des Bescheides zu Gunsten des Beschwerdeführers einen späteren Zeitpunkt als die Erstbehörde für richtig gehalten hat, zu welchem der Beschwerdeführer spätestens seiner Meldepflicht nachkommen hätte müssen. Daß die Erwägungen der belangten Behörde über diesen Zeitpunkt unzutreffend wären, hat der Beschwerdeführer selbst in seiner Beschwerde nicht behauptet; er hat vielmehr in der Beschwerde selbst eingeräumt, daß er um neun Uhr am Morgen nach dem Unfall aus medizinischer Sicht entweder selbst telefonieren oder seine Eltern um einen Anruf ersuchen hätte können.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei Verfolgungsverjährung deshalb eingetreten, weil die Berufungsbehörde von einem anderen Sachverhalt ausgegangen sei, ist zunächst auf die obigen Erwägungen zu verweisen, daß von einer unzulässigen Auswechslung der Tat keine Rede sein kann.

Dem Beschwerdeführer wurde schon in der Verkehrsunfallanzeige vom 1. Mai 1983 vorgeworfen, er habe als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem sein Beifahrer verletzt worden sei. Ferner wurde in dieser Anzeige ausgeführt, der Beschwerdeführer habe es unterlassen, unverzüglich - dieser Begriff ist wohl identisch mit "sofort" - die nächste Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall in Kenntnis zu setzen. Damit enthielt die Verkehrsunfallsanzeige bereits den alle Tatbestandselemente umfassenden Vorwurf einer Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960. Am 30. August 1983 wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Kopie des kompletten Aktes einschließlich der Verkehrsunfallsanzeige, verbunden mit der Aufforderung zur Rechtfertigung, zugestellt. Das Zurkenntnisbringen einer Anzeige, in der die Tat hinsichtlich aller, der späteren Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente eindeutig umschrieben ist, verbunden mit der Aufforderung zur Rechtfertigung, stellt eine den Eintritt der Verjährung unterbrechende Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG 1950 dar (siehe dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. N.F. Nr. 11.525/A). Im übrigen hat der Beschwerdeführer auch in seiner Stellungnahme vom 26. August 1983 sehr wohl zu der ihm im Instanzenzug angelasteten Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 Stellung genommen. Der Einwand des Beschwerdeführers, es sei bereits Verfolgungsverjährung eingetreten, erweist sich daher als unzutreffend.

Hinsichtlich der zitierten nicht veröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Meldepflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1985180185.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

27.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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