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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §7;Betreff
N gegen Landesarbeitsamt Salzburg vom 18. November 1988, Zl. IV-7022 B, betreffend Einstellung des Notstandshilfebezuges
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Die Beschwerdeführerin stand seit März 1987 mit Unterbrechungen im Bezug der Notstandshilfe.
Da das Arbeitsamt X Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin hatte, veranlaßte es eine amtsärztliche Untersuchung.
Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. F erstatte dabei am 4. August 1988 folgendes Sachverständigengutachten:
"Frau N kam am 3.8.1988 zu einem ambulanten Gespräch über Veranlassung durch das Arbeitsamt X.
In der Exploration fällt ein sehr verwaschener Gedankengang auf, ebenso verwaschene Begriffe, zum Teil Neologismen, Phrasen, die Fragen werden praktisch nie sinngemäß beantwortet, die Patientin erzählt schon nach einigen Sekunden die für sie wichtigeren Geschichten. Es fällt weiter doch ein gewisses Grimassieren auf mit insgesamt steifen und manieristischen Bewegungen. Zum Teil wirkt das Gesprochene beinahe verworren. Auffällig sind auch sensitive Beziehungsideen, die sich zum Teil zu Gedankenkomplexen ordnen die an eine Paranoia erinnern.
Diagnostisch gesehen habe ich das vorliegende Zustandsbild letztlich nur im Zusammenhang einer schizophrenen Psychose vom Typ einer paranoiden Schizophrenie gesehen. Die Symptomatik ist allerdings noch etwas unauffällig, bzgl. Gedankengang zwar schon unmißverständlich, bzgl. Paranoia etwas dezenter.
Es ist selbstverständlich sehr problematisch bei der vorliegenden relativ dezenten Symptomatik die Diagnose paranoide Schizophrenie auszusprechen, oft schadet die Diagnose mehr wie eine dezente Symptomatik dieser Erkrankung. Allerdings muß in diesem Falle schon an eine schwere psychische Erkrankung gedacht werden. Als weiteres Kriterium ist eine Projektionsneigung festzustellen die an Wertigkeit einem Identitätsverlust nahe steht, die Patientin erlebt mehr oder weniger alles nur als von außen in die Wege geleitet und erlebt sich selbst kaum mehr als handelndes Subjekt.
Meiner Meinung nach ist die Symptomatik gewiß so gravierend, daß man wegen der Grunderkrankung eine Arbeitsunfähigkeit aussprechen kann. Allerdings wehrt sich die Patientin vehement dagegen und betont immer wieder, sie würde sehr gerne arbeiten. Hier kollidieren also persönliche und soziale Werte mit rein diagnostischen Kategorien.
Zusammenfassend liegt also eine psychische Störung vor, mit der sich eine Arbeitsunfähigkeit zur Zeit begründen läßt."
Auf Grund dieses Gutachtens kam der Amtsarzt Obersanitätsrat Dr. H zum Ergebnis, daß die Beschwerdeführerin vorübergehend keinerlei Erwerbsverrichtungen ausführen könne.
Die Beschwerdeführerin erhielt im Rahmen des Parteiengehörs vom Ergebnis ihrer Untersuchung Kenntnis und erklärte in einer Niederschrift vom 26. August 1988, sie nehme zur Kenntnis, daß ihre Untersuchung ergeben habe, daß sie nicht arbeitsfähig sei. Dazu habe sie keine weiteren Angaben zu machen.
1.2. Mit Bescheid vom 19. September 1988 stellte das Arbeitsamt X den Bezug der Notstandshilfe gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 33 Abs. 2 lit. b und 38 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) ab 26. August 1988 ein.
Nach der Begründung sei die für den Bezug der Notstandshilfe zwingend vorgeschriebene Anspruchsvoraussetzung der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht gegeben.
1.3. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin in einem umfangreichen Schriftsatz Berufung erhoben.
1.4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid des Arbeitsamtes bestätigt.
Nach der Begründung sei das Arbeitsamt X trotz intensivster Vermittlungsbemühungen nicht im Stande gewesen, die Beschwerdeführerin am Arbeitsmarkt unterzubringen. Auf Grund ihrer psychischen Verfassung hätten sich erhebliche Zweifel an ihrer Arbeitsfähigkeit ergeben, weshalb eine amtsärztliche Befundaufnahme und Begutachtung veranlaßt worden sei. Dabei sei festzustellen gewesen, welche Verrichtungen die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer geistigen Verfassung überhaupt noch ausüben könne. Der Amtssachverständige Dr. H sei nach Einholung eines fachärztlichen Gutachtens von Dr. F zum Schluß gekommen, daß auf Grund schwerer psychischer Störungen aus medizinischer Sicht Arbeitsfähigkeit nicht vorliege. Wie aus dem Inhalt dieses Gutachtens hervorgehe, leide die Beschwerdeführerin an einer schweren psychischen Erkrankung, die in ihrer Symptomatik auf eine paranoide Schizophrenie hindeute. Als diagnostisches Kriterium werde auf ihre Projektionsneigung, die an Wertigkeit einem Identitätsverlust nahestehe verwiesen, was dazu führe, daß sich die Beschwerdeführerin selbst nicht mehr als handelndes Subjekt erlebe, sondern als Objekt, das von außen manipuliert und verfolgt werde. Der völlige Realitätsverlust, der auch durch den Inhalt ihres Berufungsschreibens in ausreichendem Maße dokumentiert werde, führe im Arbeitsleben zu permanenten Konflikten und zum Scheitern, ebenso wie die Verworrenheit der Gedankengänge und die Unfähigkeit, auf Gesprächspartner einzugehen. Versuche, einer geregelten Arbeit nachzugehen, seien ohne Erfolg geblieben, weil eine Integration in den Arbeitsprozeß auf Grund des Absolutheitsanspruches der Beschwerdeführerin, den sie in ihren Vorstellungen bezüglich Ethik, Religion und Gesundheit vertrete, nicht möglich sei. Der Gutachter sei zu dem Schluß gelangt, daß es derzeit keine Tätigkeiten gebe, die die Beschwerdeführerin im Sinne einer verwertbaren Arbeitsleistung noch ausüben könne. Dieses Gutachten sei als schlüssig, vollständig und auch sonst nicht fehlerhaft anerkannt worden. Wegen der in Folge der schweren psychischen Erkrankung entstandenen Unfähigkeit, einer auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren geregelten Beschäftigung nachzugehen, sei die Beschwerdeführerin auch nicht mehr in der Lage, mindestens die Hälfte der Leistung eines geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu erbringen, sodaß mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitsfähigkeit gemäß § 8 Abs. 1 AlVG die Notstandshilfe einzustellen gewesen sei.
1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
1.6. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
2.1. Gemäß § 7 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer unter anderem arbeitsfähig ist.
Nach § 8 Abs. 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid bzw. nicht berufsunfähig im Sinn der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 bzw. 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) ist.
Nach der im Beschwerdefall zur Anwendung gelangten Bestimmung des § 273 ASVG gilt der Versicherte als berufsunfähig, dessen Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.
2.2.1. Die Beschwerdeführerin bringt dazu vor, die belangte Behörde habe es gänzlich unterlassen festzustellen, welche Ausbildung und welche Kenntnisse und Fähigkeiten sie habe. Es sei auch nicht festgestellt worden, welche Leistungen ein geistig gesunder Versicherter mit ihren vergleichbaren Kenntnissen, Fähigkeiten und mit ihrer Ausbildung erbringen könnte.
2.2.2. Was dieses Vorbringen anlangt, so ist der Beschwerdeführerin zu erwidern, daß das Arbeitsamt X im Antragsformular auf ärztliche Untersuchung (vgl. Blatt 66 des Verwaltungsaktes) darauf hingewiesen hat, daß die Beschwerdeführerin den Beruf eines Bürokaufmannes (mit Lehrabschlußprüfung) erlernt habe, derzeit ein Psychologiestudium betreibe und zuletzt als Büroangestellte tätig gewesen sei. Der Vorwurf, die belangte Behörde habe sich im Zusammenhang mit ihrer Untersuchung nicht mit ihrer Ausbildung und ihren Kenntnissen und Fähigkeiten auseinandergesetzt, geht somit ins Leere.
Der Beschwerdeführerin ist zuzugestehen, daß dem angefochtenen Bescheid ein Vergleich zwischen der Arbeitsfähigkeit eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten, wie sie die Beschwerdeführerin aufweist, und deren tatsächlichen Arbeitsfähigkeit fehlt. Kommt die Behörde auf der Grundlage eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis, daß einem Versicherten jegliche Arbeitsfähigkeit fehlt, so erübrigt sich jedoch eine solche Vergleichsberechnung. Zutreffend verweist die belangte Behörde in diesem Zusammenhang darauf, daß die Beschwerdeführerin wegen der infolge ihrer schweren psychischen Erkrankung entstandenen Unfähigkeit, einer auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren geregelten Beschäftigung nachzugehen, auch nicht mehr in der Lage sei, mindestens die Hälfte der Leistung eines geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten zu erbringen.
Der Verwaltungsgerichtshof kann auch nicht finden, daß die belangte Behörde rechtswidrig gehandelt hat, wenn sie auf Grund der dem § 273 ASVG zu Grunde liegenden Durchschnittsbetrachtung auf die Erbringung GEREGELTER Beschäftigungsleistungen abstellt.
2.3. Was den Vorwurf der Beschwerdeführerin anlangt, der angefochtene Bescheid baue auf einem fachärztlichen Gutachten auf, welches jedoch keineswegs schlüssig, vollständig und fehlerfrei sei, so ist die Beschwerdeführerin darauf zu verweisen, daß sie im Rahmen des Parteiengehörs dieses Gutachten ohne weitere Angaben zur Kenntnis genommen hat. Auch in ihrer Berufung hat sie dagegen keinerlei sachverhaltsbezogene Einwendungen vorgebracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Verfahrensrüge einer Partei abzulehnen, die im Verwaltungsverfahren untätig geblieben ist, um erst vor dem Verwaltungsgerichtshof ihre Zurückhaltung abzulegen und das Verfahren als mangelhaft zu bekämpfen, an dem sie trotz gebotener Gelegenheit nicht genügend mitgewirkt hat (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 26. Juni 1959, Zl. 2.496/56, VwSlg. 5.007/A und vom 24. Juni 1985, Zl. 84/12/0212).
2.4. Auf Grund dieser Erwägungen ist die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Gutachten ParteiengehörVerfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht ManuduktionspflichtSachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989080036.X00Im RIS seit
18.10.2001Zuletzt aktualisiert am
12.05.2009