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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
KFG 1967 §66 Abs2 litf;Betreff
N gegen Landeshauptmann von Steiermark vom 19. Mai 1989, Zl. 11-39 Ka 37-1988, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Weiz vom 29. September 1988 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, E, F und G gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 vorübergehend entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß diese Maßnahme für die Dauer eines Jahres, vom Tag der Zustellung dieses Bescheides (dem 7. Oktober 1988) an gerechnet, gelte.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 19. Mai 1989 teilweise Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid "dahingehend abgeändert, daß die nach § 74 Abs. 1 KFG 1967 verfügte Entziehungsdauer von einem Jahr mit 9 Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides (das ist vom 7. Oktober 1988 bis einschließlich 7. Juli 1989), festgesetzt wird".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Laut ihrem Vorlagebericht vom 28. Oktober 1988 nahm die Erstbehörde von dem zunächst vorgesehen gewesenen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung Abstand. Dies hatte zur Folge, daß der erstinstanzliche Ausspruch über die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers zwar dem Rechtsbestand angehörte, die Lenkerberechtigung aber zufolge der (gemäß § 64 Abs. 1 AVG 1950) aufschiebenden Wirkung der Berufung zunächst aufrecht blieb und erst mit der Erlassung des die Entziehungsmaßnahme bestätigenden angefochtenen Bescheides am 1. Juni 1989 - durch seine Zustellung an den nunmehrigen Beschwerdevertreter - (vorübergehend) unterging.
Mit diesem Bescheid wurde nicht etwa eine unzulässige rückwirkende Entziehung der Lenkerberechtigung (siehe dazu näher das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A) ausgesprochen. Die Wendung im Spruch des angefochtenen Bescheides "die nach § 74 Abs. 1 KFG 1967 verfügte Entziehungsdauer" ist nämlich so verstehen, daß die belangte Behörde damit nur den erstinstanzlichen Ausspruch über die Entziehungsmaßnahme hinsichtlich des Endes dieser Maßnahme geändert (verkürzt) hat.
2. Bei ihrer Annahme, der Beschwerdeführer sei verkehrsunzuverlässig, ging die belangte Behörde davon aus, daß er am 11. Jänner 1988 als Lenker eines Sattelkraftfahrzeuges einen Lkw-Zug unter schwerwiegender Gefährdung des Gegenverkehrs - und damit mit besonderer Rücksichtslosigkeit diesem gegenüber - überholt habe. Er habe dieses Überholmanöver trotz Vorliegens ungünstiger Fahrbahnverhältnisse (Schneematsch) und ungeachtet des Umstandes durchgeführt, daß ihm zwei Pkws entgegengekommen seien, die nur durch eine Notbremsung und das Auslenken auf das Straßenbankett einem Zusammenstoß mit dem vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeug mit erhöhter Betriebsgefahr entgangen seien. Die Ansicht der Erstbehörde, der Beschwerdeführer habe entgegen dem Verbot des § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 überholt, hat die belangte Behörde - wie das Fehlen gegenteiliger Ausführungen im angefochtenen Bescheid erkennen läßt - auch zu der ihren gemacht. In dem geschilderten Verhalten des Beschwerdeführers erblickte die belangte Behörde eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967.
Nach dieser Gesetzesstelle hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat. Die besondere Rücksichtslosigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur gleichlautenden Wendung im § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 im Verhalten des Täters gegenüber anderen Straßenbenützern begründet und liegt dann vor, wenn zu einem Tatbestand der StVO 1960, der eine mangelnde Rücksichtnahme gegenüber anderen Straßenbenützern beinhaltet, ein besonderes Übermaß mangelnder Rücksichtnahme hinzutritt (vgl. die Erkenntnisse vom 9. Juli 1964, Slg. Nr. 6409/A, und vom 25. September 1986, Zl. 86/02/0058).
Der Beschwerdeführer meint, nach der Aktenlage sei kein einziger objektiver Anhaltspunkt dafür gegeben, daß er "tatsächlich trotz Erkennens des Gegenverkehrs (sozusagen geradezu bewußt) gefährlich" überholt habe. Selbst wenn er sich hinsichtlich der Entfernungen, der Überholstrecke und der Geschwindigkeit des entgegenkommenden Verkehrs verschätzt haben sollte, so könne "darin wohl keine besonders rücksichtslose Fahrweise erblickt werden". Darauf, ob sich andere Fahrzeuglenker subjektiv besonders stark gefährdet fühlen, könne es bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit einer Person nicht ankommen.
Mit diesem Vorbringen bekämpft der Beschwerdeführer der Sache nach die Annahme der belangten Behörde, er habe am 11. Jänner 1988 mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber den Lenkern der entgegenkommenden Fahrzeuge verbotswidrig überholt und es liege damit eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 vor. Diese Frage hatte die belangte Behörde als Vorfrage mangels einer sie bindenden Entscheidung durch die zuständige Verwaltungsstrafbehörde aus eigenem zu beantworten.
Was den Verstoß gegen das Überholverbot nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 anlangt, so hatte die belangte Behörde davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer mit dem unbekämpft gebliebenen Schuldspruch des Straferkenntnisses der Erstbehörde vom 3. August 1988 rechtskräftig schuldig erkannt wurde, am 11. Jänner 1988 gegen die genannte Bestimmung dadurch verstoßen zu haben, daß er auf der B 113 bei Strkm. 21,00 als Lenker eines Sattelkraftfahrzeuges trotz Gegenverkehrs einen Sattelzug (richtig: LKW-Zug) überholt habe, weshalb die entgegenkommende Autofahrerin, um einen Frontalzusammenstoß zu verhindern, zu einem plötzlichen Bremsmanöver gezwungen gewesen sei. Aufgrund dieses rechtskräftigen Schuldspruches stand für die belangte Behörde die Übertretung des Überholverbotes gemäß § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 bindend fest. Dieser Tatbestand besteht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darin, daß der Lenker eines Kraftfahrzeuges einen Überholvorgang ungeachtet dessen, daß andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten, durchführt, d.h. mit dem Überholen beginnt oder dieses nicht abbricht, solange dies noch möglich ist. Der Inhalt der Bestimmung des § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 bezieht sich tatbestandsmäßig nicht auf eine am Ende eines Überholvorganges eintretende Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer, sondern auf ein dem überholenden Fahrzeuglenker erkennbares Gefährden- oder Behindernkönnen bzw. einen Platzmangel (Erkenntnis vom 9. Oktober 1985, Zl. 84/03/0106, mit weiteren Judikaturhinweisen). Im Hinblick auf die besagte Bindung der belangten Behörde gehen die Verfahrensrügen des Beschwerdeführers betreffend den angenommenen Verstoß gegen das Überholverbot nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 ins Leere.
Ihre Annahme, der Beschwerdeführer habe mit besonderer Rücksichtslosigkeit verbotswidrig überholt, stützte die belangte Behörde vor allem auf die Aussagen der als Zeugen vernommenen Lenker des ersten entgegenkommenden Fahrzeuges und des überholten Lkw-Zuges. Der letztere bezeichnete das Überholmanöver des Beschwerdeführers als "von Anfang an besonders rücksichtslos". Noch am Vorfallstag gab dieser Zeuge dem erhebenden Straßenaufsichtsorgan gegenüber an, der Beschwerdeführer habe "ganz kriminell überholt" und den entgegenkommenden Pkw "rechts von der Fahrbahn abgedrängt, sonst wäre es zu einem Zusammenstoß gekommen". Insbesondere der Aussage dieses Lenkers konnte die belangte Behörde - wie dies, was das Straferkenntnis zeigt, auch die Strafbehörde getan hat - Glauben schenken, war er doch nicht in dem Maße wie die Lenker der entgegenkommenden Fahrzeuge durch den Überholvorgang unmittelbar gefährdet. Berücksichtigt man hiebei außerdem, daß der Verstoß gegen das Überholverbot vom Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges mit erhöhter Betriebsgefahr und bei ungünstigen Fahrbahnverhältnissen (Schneematsch) begangen wurde - diese beiden vom Beschwerdeführer gar nicht in Abrede gestellten Umstände hätten ihn angesichts des entgegenkommenden Verkehrs zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen -, so erscheint der rechtliche Schluß der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Überholen maßgebenden Vorschriften verstoßen, berechtigt. Damit lag eine die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers indizierende bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f zweiter Fall KFG 1967 vor.
Das Vorliegen dieser bestimmten Tatsache allein rechtfertigte aber noch nicht die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers. Gemäß § 66 Abs. 1 KFG 1967 gilt nämlich eine Person dann als verkehrsunzuverlässig, wenn auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen UND IHRER WERTUNG angenommen werden muß, daß sie auf Grund ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen der in Betracht kommenden Gruppe unter anderem die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden wird. Gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 sind für die Wertung bestimmter Tatsachen im Sinne des Abs. 1 bei strafbaren Handlungen ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
Was die Gefährlichkeit der Verhältnisse anlangt, hat die belangte Behörde mit Recht besonderes Gewicht dem Vorhandensein von Schneematsch auf der Fahrbahn und der Art des vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeuges beigemessen, wurde doch dadurch das Risiko eines Verkehrsunfalles mit schwerwiegenden Folgen erheblich gesteigert. Unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit der Tat sind die (in der Beschwerde bekämpften) Ausführungen zu sehen, der Beschwerdeführer habe "offensichtlich vorsätzlich überholt, obwohl dies angesichts der erkennbaren Umstände besonders gefährlich war". Damit bringt die belangte Behörde im gegebenen Zusammenhang zum Ausdruck, daß der Beschwerdeführer trotz Kenntnis der Gefährlichkeit der Verhältnisse und der unter den gegebenen Umständen hohen Wahrscheinlichkeit eines Unfalles mit schwerwiegenden Folgen überholt hat, sein Verhalten also in hohem Maße verwerflich war. Zugunsten des Beschwerdeführers ist hiebei allerdings seine von der belangten Behörde angenommene "sonstige Unbescholtenheit" zu berücksichtigen. Demnach handelt es sich bei dem gegenständlichen Vorfall um den ersten dieser Art und ist der Beschwerdeführer, obwohl er nach der Aktenlage bereits seit 1981 im Besitze der Lenkerberechtigung und Berufskraftfahrer ist, auch sonst im Straßenverkehr nicht nachteilig in Erscheinung getreten. Dazu kommt, daß seit dem Vorfall vom 11. Jänner 1988 bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides fast neun Monate verstrichen waren, in denen sich der Beschwerdeführer nach der Aktenlage wohlverhalten hatte. Wenngleich diesem Wohlverhalten im Hinblick auf die gegen ihn anhängig gewesenen (Straf- und Entziehungs-)Verfahren nur minderes Gewicht zukommt, lassen die aufgezählten, im Rahmen der Wertung zu beachtenden Umstände nicht auf ein derart ungünstiges Charakterbild des Beschwerdeführers schließen, daß auch noch für zumindest drei Monate ab Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides befürchtet werden mußte, er werde die Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden (siehe zu dieser Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Entziehungsmaßnahme das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. 11237/A). Damit fehlte es an einer wesentlichen Voraussetzung für die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Entziehungsmaßnahme, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren für Stempelgebühren war abzuweisen, weil im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine eigene Vollmachtsurkunde vorgelegt wurde. Die Bevollmächtigung des Beschwerdevertreters erscheint durch die in den Verwaltungsakten erliegende Urkunde ausgewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989110183.X00Im RIS seit
03.08.2001Zuletzt aktualisiert am
16.06.2009