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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FürsorgeAbk BRD 1969 Jugendwohlfahrtspflege Art8 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des A gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Februar 1989, Zl. SD 67/88, betreffend Sichtvermerk, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Vorgeschichte auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1987, Zl. 86/01/0004, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 22. November 1985, mit dem dem Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsbürgers der Bundesrepublik Deutschland, vom 2. Mai 1985 auf Erteilung eines befristeten Sichtvermerkes für die mehrmalige Wiedereinreise nach Österreich gemäß § 25 Abs. 1 und 3 lit. e des Paßgesetzes 1969 keine Folge gegeben worden war, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof führte in den Entscheidungsgründen dieses Erkenntnisses aus, daß unbestritten feststehe, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des (dort) angefochtenen Bescheides über keinerlei Einkommen, Vermögen oder
sonstige Barmittel verfügt habe und somit als hilfsbedürftig anzusehen gewesen sei. Dieser Sachverhalt wäre bei isolierter Betrachtung zunächst einer Subsumtion unter den Versagungstatbestand des § 25 Abs. 3 lit. e Paßgesetz 1969 zugänglich. Auf den vorliegenden Fall sei aber auch das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege, BGBl. Nr. 258/1969, anzuwenden, welches im Wege des Art. 8 Abs. 1 und des Art. 9 Abs. 2 und 3 den erwähnten Versagungstatbestand des Paßgesetzes in einer für den Beschwerdefall relevanten Weise modifiziere. Danach komme es darauf an, ob sich der Beschwerdeführer einerseits bereits ein Jahr lang ununterbrochen in Österreich aufgehalten habe und weiters darauf, ob und allenfalls wie lange dem Beschwerdeführer der Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus Fürsorgemittel gewährt worden sei bzw. wie lange allfällige Aufenthaltsunterbrechungen jeweils gedauert haben. Die belangte Behörde habe bei ihrer Entscheidung die aufgezeigten Kriterien der zitierten Bestimmungen des Abkommens inhaltlich zum überwiegenden Teil nicht berücksichtigt, weil sie lediglich die Frage für relevant erachtet habe, daß der Beschwerdeführer keine Fürsorgeleistungen beziehe. Gerade dies würde aber gemäß Art. 9 Abs. 3 des Abkommens - entsprechend erlaubte Aufenthaltsdauer vorausgesetzt - nur für den Standpunkt des Beschwerdeführers sprechen.
Auf Grund eines vom Beschwerdeführer - fristgerecht - gestellten Devolutionsantrages erließ die belangte Behörde gemäß § 73 AVG 1950 als die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde den angefochtenen (Ersatz-)Bescheid, mit dem dem Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Sichtvermerkes für die Dauer von zwei Jahren vom 2. Mai 1985 gemäß § 25 Abs. 3 lit. e des Paßgesetzes 1969 keine Folge gegeben wurde. Nach der Begründung sei es unbestritten, daß sich der Beschwerdeführer am 7. März 1986 in Wien polizeilich angemeldet und daher hier auch Aufenthalt genommen habe. Er sei auf Grund des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über den Personenverkehr, BGBl. Nr. 329/1969, berechtigt gewesen, sich drei Monate, also bis zum 7. Juni 1986, in Österreich aufzuhalten. Ein (allfälliger) Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich nach diesem Zeitpunkt sei nicht erlaubt gewesen. Auch der Umstand, daß der die Erteilung eines Sichtvermerkes versagende Bescheid vom 22. November 1985 mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1987 aufgehoben worden sei, vermöge nichts daran zu ändern, daß ein (ununterbrochener) Aufenthalt in Österreich nach diesem Zeitpunkt nicht erlaubt gewesen sei. Der Beschwerdeführer könne sich also nicht ununterbrochen ein Jahr lang ERLAUBT im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten haben, sodaß das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege, BGBl. Nr. 258/1969, nicht zur Geltung und das darin statuierte Verbot einer Ausweisung aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit nicht zum Tragen komme. Dieser Umstand sei dem Beschwerdeführer nachweislich zur Kenntnis gebracht worden, doch sei er in seiner Stellungnahme darauf nicht eingegangen. Die Mittel zur Finanzierung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet der Republik Österreich habe der Beschwerdeführer jedenfalls nicht nachgewiesen. Sein Antrag auf Erteilung des (für zwei Jahre befristeten) Sichtvermerkes sei daher abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluß vom 21. Juni 1989 lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 25 Abs. 3 lit. e Paßgesetz 1969, BGBl. Nr. 422, ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.
Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 und 3 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (in der Folge: Abkommen), BGBl. Nr. 258/1969, normieren:
"Art. 8 Abs. 1: Der Aufenthaltsstaat darf einem Staatsangehörigen der anderen Vertragspartei nicht allein aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit den weiteren Aufenthalt versagen oder ihn rückschaffen, es sei denn, daß er sich noch nicht ein Jahr ununterbrochen erlaubt in seinem Hoheitsgebiet aufhält.
Sprechen Gründe der Menschlichkeit gegen eine solche Maßnahme, so hat sie ohne Rücksicht auf die Dauer der Anwesenheit im Aufenthaltsstaat zu unterbleiben.
Art. 9 Abs. 2: Der Aufenthalt im Sinne des Art. 8 Abs. 1 gilt bei Abwesenheit bis zur Dauer eines Monates nicht als unterbrochen.
Art. 9 Abs. 3: Bei Berechnung der Aufenthaltsdauer nach Art. 8 Abs. 1 werden Zeiträume, in denen der Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus Mitteln der Fürsorge des Aufenthaltsstaates gewährt worden ist, nicht berücksichtigt."
Der Beschwerdeführer macht der belangten Behörde zum Vorwurf, daß sie es unterlassen habe, die nach der im oben angeführten Vorerkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1987 geäußerten Rechtsansicht erforderlichen Feststellungen darüber zu treffen, welche Zeiträume er sich überhaupt in Österreich aufgehalten habe, ob und allenfalls wie lange ihm der Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus Fürsorgemitteln gewährt worden sei und wie lange allenfalls Aufenthaltsunterbrechungen jeweils gedauert haben. Ferner habe die belangte Behörde nicht geprüft, ob Gründe der Menschlichkeit dagegen sprechen, dem Beschwerdeführer aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit den weiteren Aufenthalt in Österreich zu versagen. Aus seinem bisherigen Vorbringen sei jedenfalls zu entnehmen, daß er sich einer ungesetzlichen Verfolgung durch deutsche Behörden ausgesetzt fühle. Bei der gegebenen Sachlage verstoße es aber gegen die Grundsätze der Menschlichkeit, ihm den weiteren Aufenthalt in Österreich zu versagen und ihn dadurch zu zwingen, sich wieder einer neuen Verfolgung durch deutsche Behörden auszusetzen.
Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Die belangte Behörde holte im Verwaltungsverfahren eine Meldeauskunft ein, aus der sich ergab, daß der Beschwerdeführer (nach einer letzten vorausgegangenen Meldung vom 2. Mai 1985 bis 18. Juli 1985) seit 7. März 1986 in Wien polizeilich gemeldet ist. Mit Schreiben vom 29. Dezember 1988 teilte sie dem Beschwerdeführer unter Einräumung einer Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen folgendes Ergebnis der Beweisaufnahme mit:
"Sie haben sich am 7.3.1986 in Wien polizeilich angemeldet und durften sich, zumal sie damals nicht im Besitze eines gültigen Sichtvermerkes waren, aufgrund des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland drei Monate in Österreich aufhalten. Ein mindestens einjähriger ERLAUBTER Aufenthalt in Österreich ist daher nicht nachweisbar. Das von ihnen zitierte Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Fürsorge- und Jugendwohlfahrtspflege kommt daher nicht zum Tragen."
Der Beschwerdeführer erstattete wohl innerhalb der ihm gesetzten Frist eine Stellungnahme, ging darin jedoch mit keinem Wort auf die Frage der Dauer seines erlaubten Aufenthaltes in Österreich ein. Bei dieser Sachlage ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde davon ausging, daß sich der Beschwerdeführer ununterbrochen (im Sinne des Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 des Abkommens) seit 7. März 1986 in Österreich aufhält. Nach Art. 2 Abs. 1 des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über den Personenverkehr, BGBl. Nr. 329/1969, dürfen Deutsche, die Inhaber bestimmter Ausweispapiere sind, ohne Sichtvermerk in die Republik Österreich einreisen und sich dort drei Monate aufhalten. Deutsche, die sich länger als drei Monate in der Republik Österreich aufhalten oder dort eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen, benötigen nach Abs. 2 des genannten Artikels neben bestimmten Ausweispapieren einen Sichtvermerk. Mit Rücksicht auf diese Rechtslage und in Anbetracht der Tatsache, daß der Beschwerdeführer über keinen Sichtvermerk verfügte, durfte die belangte Behörde ferner von einer ERLAUBTEN Dauer des ununterbrochenen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich von drei Monaten ab dem 7. März 1986 ausgehen. Damit erübrigten sich aber auch Feststellungen darüber, ob und wie lange dem Beschwerdeführer der Lebensunterhalt aus Fürsorgemitteln gewährt wurde, weil die nach Art. 9 Abs. 3 des Abkommens gebotene Nichtberücksichtigung solcher Zeiträume bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer nach Art. 8 Abs. 1 des Abkommens keinesfalls zur Annahme eines ununterbrochenen erlaubten Aufenthaltes in Österreich in der Dauer eines Jahres führen kann.
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, daß Gründe der Menschlichkeit gegen die Versagung des Sichtvermerkes sprächen, handelt es sich um ein in dieser Bedeutung erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragenes Vorbringen, welches schon zufolge des nach § 41 Abs. 1 VwGG geltenden Neuerungsverbotes unberücksichtigt bleiben muß.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990190134.X00Im RIS seit
06.08.2001