TE Vwgh Erkenntnis 1990/3/12 90/19/0122

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Veröffentlicht am 12.03.1990
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Stoll, Dr. Zeizinger und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 10. Jänner 1990, Zl. III 93/89, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 10. Jänner 1990 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 8. November 1989 als unbegründet abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, "daß im Spruch auch § 3 Abs. 3 des Fremdenpolizeigesetzes i.d.g.F. zitiert wird". Mit dem zuletzt genannten Bescheid war gegen den Beschwerdeführer, einen italienischen Staatsangehörigen, "gemäß § 3 Abs. 1 und 2 Z. 1 und Z. 2 in Verbindung mit § 4 des Fremdenpolizeigesetzes" ein bis 8. November 1999 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen worden.

Der Begründung des angefochtenen Bescheides und dem Beschwerdevorbringen läßt sich übereinstimmend (und somit unstrittig) entnehmen, daß der Beschwerdeführer in den Jahren 1982 bis 1989 in Österreich wie folgt gerichtlich bestraft wurde:

Dreimal wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 83 StGB), jeweils mit einer Geldstrafe; einmal wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 StGB) mit einer Geldstrafe; einmal wegen Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 198 StGB) mit einer Freiheitsstrafe von zwei Wochen, Probezeit drei Jahre; einmal wegen Übertretung des Urheberrechtsgesetzes mit einer Geldstrafe; einmal wegen fahrlässiger Krida und Übertretung des ASVG mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, Probezeit drei Jahre.

Darüber hinaus verwies die belangte Behörde auf eine Reihe von Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Verwaltungsübertretungen. Auch diese Bestrafungen wurden in der Beschwerde ausdrücklich zugestanden.

Die gerichtlichen Verurteilungen und die Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen (darunter viermal wegen Übertretung des § 64 Abs. 1 KFG und einmal wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO) insgesamt wertete die belangte Behörde dahin, daß der Beschwerdeführer ein Mensch sei, der zur Begehung von Straftaten neige und daher eine Gefahr für die in Österreich aufhältigen Menschen darstelle. Fremde, die auch durch beträchtliche Strafen nicht dazu gebracht werden könnten, die Vorschriften des Gastlandes zu beachten, stellten zweifellos eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer entspreche zwingenden öffentlichen Interessen, weil das Fernhalten rückfälliger Straftäter, die andere in ihrer körperlichen Sicherheit gefährdeten bzw. tatsächlich verletzten sowie am Vermögen schädigten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dringend geboten sei.

In Würdigung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers (Aufenthalt in Österreich seit ca. zehn Jahren und damit verbundene Integration; Bindung an seine Lebensgefährtin, eine österreichische Staatsangehörige, und das gemeinsame minderjährige Kind; hohe Intensität dieser Bindung; Beeinträchtigung des beruflichen und persönlichen Fortkommens des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen, wenn er das Bundesgebiet verlassen müsse) räumte die belangte Behörde ausdrücklich ein, daß das Aufenthaltsverbot einen beträchtlichen Eingriff in das Leben des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen darstelle, hielt aber dessen ungeachtet diesen Eingriff zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung - für "unbedingt geboten", weil die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme vom Aufenthaltsverbot als unverhältnismäßig schwerer einzustufen seien als die nicht unbeträchtlichen Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen (Lebensgefährtin und Kind). Die Intensität und die Häufung der vom Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Österreich gesetzten Delikte zeige eindeutig, daß gerade bei einer Täterpersönlichkeit wie dem Beschwerdeführer die genannten öffentlichen Interessen ungleich schwerer wiegen als die gebotene Rücksichtnahme auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde, wobei sich der Beschwerdeführer dem ganzen Beschwerdevorbringen zufolge in dem Recht verletzt erachtet, daß gegen ihn kein Aufenthaltsverbot erlassen werde.

II. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987 (FrPolG), kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958 (MRK), genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Gemäß § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Abs. 3 der zitierten Gesetzesstelle bestimmt folgendes:

"Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1) die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen:

2)

die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;

3)

die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen."

Gemäß Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2.1. Die Beschwerde - die, wie erwähnt, auch ihrerseits von den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen gerichtlicher Verurteilungen und Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Verwaltungsübertretungen ausgeht - bestreitet zum einen, daß die "zugegebenermaßen vorliegenden Vorstrafen" eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellten, und bekämpft zum anderen das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung.

2.2. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß eine mehr als einmalige gerichtliche Verurteilung eines Fremden wegen des Deliktes der vorsätzlichen Körperverletzung, also wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlung (vgl. § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG), als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" zu gelten hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. September 1989, Zl. 89/01/0232, mit weiteren Judikaturnachweisen). Daran, daß als derartige Tatsache auch eine gerichtliche Verurteilung wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida mit einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr, Probezeit drei Jahre, zu werten ist, läßt der Wortlaut des § 3 Abs. 2 Z. 1 FrPolG keinen Zweifel aufkommen.

Zu prüfen bleibt sohin die Beurteilung der persönlichen und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde. Diese ist davon ausgegangen, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer in dessen Privat- und Familienleben eingreifen würde. Sie ist dennoch zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer zur Erreichung bestimmter (im einzelnen genannter) Ziele des Art. 8 Abs. 2 MRK dringend geboten sei, und daß die Abwägung der im Beschwerdefall maßgebenden öffentlichen Interessen gegen die relevanten privaten Interessen des Beschwerdeführers - Bedacht genommen wurde auf sämtliche, nunmehr auch in der Beschwerde vorgebrachten, die Lebenssituation des Beschwerdeführers, seiner Lebensgefährtin und des gemeinsamen Kindes kennzeichnenden, den Z. 1 bis 3 des § 3 Abs. 3 FrPolG subsumierbaren Aspekte - zugunsten der öffentlichen Interessen ausgehe. Der Gerichtshof kann angesichts der zahlreichen, in einem relativ kurzen Zeitraum vom Beschwerdeführer begangenen gerichtlich strafbaren Handlungen, die jeweils zu Verurteilungen führten, insbesondere der darin zum Ausdruck kommenden Geringschätzung der körperlichen Integrität seiner Mitmenschen, nicht finden, daß die Annahme der belangten Behörde, es sei die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer zur Sicherung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung von (weiteren) strafbaren Handlungen dringend geboten, durch das Gesetz nicht gedeckt wäre. Desgleichen bestehen keine Bedenken gegen die von der belangten Behörde im Rahmen der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 FrPolG vorgenommene Wertung, daß im Hinblick auf die Häufung der vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Delikte und der Täterpersönlichkeit des Beschwerdeführers, die sich durch die Neigung auszeichne, andere in ihrer körperlichen Sicherheit zu gefährden und am Vermögen zu schädigen, die bezeichneten öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ungleich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers.

3. Da bereits der Beschwerdeinhalt erkennen ließ, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

4. Im Hinblick auf die Entscheidung in der Hauptsache erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190122.X00

Im RIS seit

12.03.1990
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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