TE Vwgh Erkenntnis 1990/3/13 89/08/0161

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Veröffentlicht am 13.03.1990
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
22/01 Jurisdiktionsnorm;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §67 Abs6 Z1;
ASVG §67 Abs6;
ASVG §67 Abs7 Z6;
ASVG §67 Abs8;
ASVG §67;
AVG §1;
JN §1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 27. April 1989,

MA 14 - L 40/88, betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 67 Abs. 6 ASVG (mitbeteiligte Partei: N-GmbH), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht über folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt kein Streit: Über die J. GmbH) wurde am 26. Mai 1987 zu 4 Sa 19/87 des Handelsgerichtes Wien das Ausgleichsverfahren eröffnet; der Ausgleichsantrag wurde am 20. Juli 1987 vom Geschäftsführer A wieder zurückgezogen; daraufhin erfolgte mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 27. August 1987 (GZ 4 S 135/87) die Eröffnung des Anschlußkonkurses. Gesellschafter der J. GmbH zwischen 1980 und 1983 waren A mit (zuletzt) 18 Prozent, sowie B mit (zuletzt) 82 Prozent der Stammeinlagen.

Am 17. Juni 1987 gründeten B mit einer Stammeinlage von S 498.000,-- und N mit einer Stammeinlage von S 2.000,-- die N-GmbH, deren alleinige Geschäftsführerin B ist. Am 31. August 1987 hat die mitbeteiligte N-GmbH nach den Feststellungen der belangten Behörde (im Einklang mit dem Beschwerdevorbringen) den Betrieb der J. GmbH "übernommen und auf eigene Gefahr und Rechnung weitergeführt". Die mitbeteiligte Partei hat bestritten, daß das Unternehmen der J. GmbH auf sie übergegangen sei.

Mit Bescheid vom 22. November 1988 hat die Beschwerdeführerin ausgesprochen, daß die mitbeteiligte Partei als Betriebsnachfolger gemäß §§ 67 Abs. 6 und Abs. 8 und 83 ASVG verpflichtet sei, die auf dem Beitragskonto der Firma J. GmbH rückständigen Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen.

Die Beschwerdeführerin begründete ihren Bescheid damit, daß die Mehrheitsgesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin der mitbeteiligten Partei auch Mehrheitsgesellschafterin der Firma J. GmbH und somit eine am Betrieb des Vorgängers wesentlich beteiligte Person im Sinne des § 67 Abs. 8 ASVG gewesen sei. Die Bestimmung des § 67 Abs. 6 ASVG sei analog auf jene Fälle anzuwenden, in denen bei einer juristischen Person die vertretungsbefugten Organe dem Personenkreis des § 67 Abs. 6 ASVG angehören.

Die belangte Behörde hat dem von der mitbeteiligten Partei dagegen erhobenen Einspruch mit dem angefochtenen Bescheid stattgegeben und die Haftung der mitbeteiligten Partei gem. § 67 Abs. 6 und 8 ASVG für die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge der Firma J. GmbH verneint.

Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, daß die Bestimmungen des § 67 Abs. 6 und 8 ASVG schon aufgrund des Wortlautes auf eine natürliche Person abstellten. Im vorliegenden Fall würde jedoch eine juristische Person, nämlich die mitbeteiligte Partei, als Betriebsnachfolger zur Haftung herangezogen. Da eine solche Haftung nach dem Wortlaut der soeben zitierten Bestimmungen nicht vorgesehen sei, müsse dem Einspruch stattgegeben werden. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, daß der Gesetzestext auch auf eine juristische Person anzuwenden wäre, stünde fest, daß die mitbeteiligte Partei weder wesentlich an der Firma J. GmbH beteiligt gewesen sei noch wesentlichen Einfluß auf die Geschäftsführung gehabt habe, weshalb eine Haftung auch aus diesem Grunde zu verneinen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht und dessen kostenpflichtige Aufhebung beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier maßgebenden Gesetzesbestimmungen des § 67 Abs. 4 bis 6 und 8 ASVG lauten:

"(4) Wird ein Betrieb übereignet, so haftet der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 des Handelsgesetzbuches für die Zeit von höchstens 12 Monaten vom Tag des Erwerbes zurückgerechnet. Im Fall einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.

(5) Abs. 4 gilt nicht bei einem Erwerb aus einer Konkursmasse oder im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens.

(6) Geht der Betrieb auf

1.

einen Angehörigen des Betriebsvorgängers gemäß Abs. 7,

2.

eine am Betrieb des Vorgängers wesentlich beteiligte Person gemäß Abs. 8 oder

              3.              eine Person mit wesentlichem Einfluß auf die Geschäftsführung des Betriebsvorgängers (z.B. Geschäftsführer, leitender Angestellter, Prokurist) über, so haftet dieser Betriebsnachfolger ohne Rücksicht auf das dem Betriebsübergang zugrunde liegende Rechtsgeschäft wie ein Erwerber gemäß Abs. 4, solange er nicht nachweist, daß er die Beitragschulden nicht kannte bzw. trotz seiner Stellung im Betrieb des Vorgängers nicht kennen konnte.

(8) Eine Person ist an einem Betrieb wesentlich beteiligt, wenn sie zu mehr als einem Viertel Anteil am Betriebskapital hat. Bei der Beurteilung des Anteils am Betriebskapital ist der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes maßgebend. Die §§ 22 bis 24 der Bundesabgabenordnung sind sinngemäß anzuwenden."

Obgleich der Vorgang und die Umstände, unter denen die mitbeteiligte Partei den Betrieb der insolventen GmbH übernommen haben soll, von den Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht im Detail festgestellt wurden, stimmen alle Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens offenkundig darin überein, daß ein derartiger allfälliger Erwerb jedenfalls aus der Konkursmasse erfolgte, weshalb eine Haftung der mitbeteiligten Partei gemäß § 67 Abs. 4 ASVG zufolge § 67 Abs. 5 ASVG von keiner Seite behauptet wird.

Die Haftung der mitbeteiligten Partei hängt vielmehr davon ab, ob einer der Tatbestände des oben zitierten Abs. 6 Z. 1 bis 3 auf sie anzuwenden ist.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist keiner der drei Tatbestände auf die mitbeteiligte Partei anzuwenden:

Gemäß § 67 Abs. 6 Z. 1 ASVG haften als Angehörige des Betriebsvorgängers die im Abs. 7 genannten Personen. Abgesehen von den dort in Z. 1 bis 5 genannten natürlichen Personen sind Angehörige gemäß Abs. 7 Z. 6 unbeschadet der Z. 2 die im § 32 Abs. 2 der Konkursordnung genannten Personen.

§ 32 Abs. 2 Konkursordnung lautet:

"(2) Ist der Gemeinschuldner eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, so gelten die Gesellschafter und frühere Gesellschafter, die im letzten Jahre vor der Konkurseröffnung aus der Gesellschaft ausgeschieden sind, als nahe Angehörige der Gesellschaft. Das gleiche gilt für die nahen Angehörigen der im ersten Satz bezeichneten Gesellschafter".

Eine Haftung nach § 67 Abs. 6 Z. 1 iVm § 67 Abs. 7 Z. 6 ASVG würde also voraussetzen, daß das Unternehmen a) auf eine natürliche Person übergegangen ist, die b) ihrerseits Gesellschafter des Gemeinschuldners oder naher Angehöriger eines Gesellschafters des Gemeinschuldners ist. Eine solche Haftung könnte daher nur die Gesellschafterin der mitbeteiligten Partei treffen, wäre der Betrieb auf sie übergegangen, worauf nach der Aktenlage bislang nichts hindeutet. Eine Haftung der Gesellschafterin ist auch nicht Gegenstand dieses Verfahrens, zumal die Beschwerdeführerin die Gesellschaft und nicht die Gesellschafterin in Anspruch genommen hat.

Die mitbeteiligte Partei ist aber auch keine am Betrieb des Vorgängers wesentlich beteiligte Person gemäß Abs. 8 des § 67 ASVG, und zwar unabhängig davon, ob man unter dem Begriff der "Person" nur natürliche oder auch juristische Personen verstehen wollte. Es ist nämlich unbestritten, daß die mitbeteiligte Partei an der insolventen Gesellschaft nicht beteiligt gewesen ist; deren Gesellschafter waren vielmehr die Hauptgesellschafterin der mitbeteiligten Partei und deren Ehegatte.

Aus den gleichen Gründen kann die mitbeteiligte Partei, die im übrigen nach dem übereinstimmenden Vorbringen aller Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erst am 26. Mai 1987 gegründet wurde, auch keine Person mit wesentlichem Einfluß auf die Geschäftsführung der insolventen Gesellschaft gewesen sein.

An diesem Ergebnis vermag auch die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte "wirtschaftliche Betrachtungsweise" im Sinne des § 67 Abs. 8 ASVG nichts zu ändern; insbesondere vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, wie man selbst unter der Annahme eines Umgehungsgeschäftes zu anderen Schlußfolgerungen kommen sollte. Sollte nämlich in Wahrheit nicht die mitbeteiligte Partei, sondern jemand anderer Betriebsnachfolger der insolventen Gesellschaft sein, so käme eine Inanspruchnahme der mitbeteiligten Partei umso weniger in Betracht. Es scheidet auch die theoretische Möglichkeit aus, daß die mitbeteiligte Partei in Wahrheit (etwa über eine Treuhandschaft) Gesellschafter der insolventen Gesellschaft gewesen wäre, zumal die mitbeteiligte Partei erst im Zuge des Insolvenzverfahrens der Betriebsvorgängerin gegründet wurde. Soweit die Beschwerdeführerin aber Vorwürfe gegen die Gesellschafterin und deren Ehegatten erhebt, ist darauf zu verweisen, daß allfällige Haftungen der Gesellschafter der insolventen Gesellschaft aufgrund von rechtswidrigen und schuldhaften, zum Nachteil der Gläubiger gesetzten Handlungen nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind. Für Haftungen außerhalb der Bestimmungen des § 67 ASVG steht überdies nicht der Verwaltungsrechtsweg offen; die Inanspruchnahme derartiger Haftungen durch die Beschwerdeführerin hätte im Wege der ordentlichen Gerichte zu erfolgen.

Wenn die Beschwerdeführerin schließlich vorbringt, die Hauptgesellschafterin der mitbeteiligten Partei sei (neben ihrer Gesellschafterstellung) auch faktisch die Geschäftsführerin der insolventen Gesellschaft gewesen, dann kann auch daraus keine Haftung der mitbeteiligten Partei abgeleitet werden. Ob aber die Hauptgesellschafterin der mitbeteiligten Partei aus einer derartigen "faktischen Geschäftsführung" eine Haftung im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG treffen könnte, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.

Der angefochtene Bescheid ist somit weder mit der von der Beschwerde behaupteten, noch sonst mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit behaftet. Die Beschwerde mußte daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

Schlagworte

Organisationsrecht Justiz - Verwaltung Verweisung auf den Zivilrechtsweg VwRallg5/1 sachliche Zuständigkeit in einzelnen Angelegenheiten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989080161.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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