TE Vfgh Erkenntnis 1987/9/24 B275/87

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Veröffentlicht am 24.09.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
PersFrSchG §4
FinStrG §175

Leitsatz

Im Auftrag des Finanzamtes von Sicherheitsorgangen durchgeführte Vorführung zum Strafantritt gem. §175 Abs2 Satz 3 FinStrG; Festnahme und nachfolgende - Anhaltung ohen die zwingend vorgeschriebene schriftliche Aufforderung zum Antritt der (Ersatz-)Freiheitsstrafe - Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

Spruch

Der Bf. ist dadurch, daß er im Auftrag des Finanzamts Wien-Umgebung von Sicherheitsorganen am 27. Februar 1987 nachmittags festgenommen und anschließend bis zu seiner Einlieferung in das Gefangenenhaus II des Landesgerichts für Strafsachen Wien angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Bf. zu Handen seines Vertreters die mit 11.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. P A begehrte in einer auf Art144 Abs1 B-VG gegründeten Beschwerde an den VfGH - sinngemäß - die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch seine vom Finanzamt Wien-Umgebung am 26. Jänner 1987 verfügte und am 27. Februar 1987 vollzogene Festnahme sowie seine anschließende Anhaltung nur bis zur Einlieferung in das Gefangenenhaus II des Landesgerichts für Strafsachen Wien zur Verbüßung der mit dem - rechtskräftigen Straferkenntnis des Finanzamts Wien-Umgebung vom 28. Dezember 1982, Straflisten-Nr. 64/81, verhängten Ersatzfreiheitsstrafe (so jedenfalls ist das in diesem Punkt widersprüchliche Beschwerdevorbringen - vor dem Hintergrund des §175 Abs3 FinStrG - zu deuten) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Person (Art8 StGG) verletzt worden sei.

1.1.2. Das Finanzamt Wien-Umgebung als bel. Beh. erstattete unter Vorlage der Administrativakten eine Gegenschrift, in der es ua. folgendes ausführte:

"Die bel. Beh. hat bei der Anordnung der Vorführung zum Strafantritt übersehen, den Bf. zuerst zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe gemäß §175 Abs2 FinStrG aufzufordern."

1.2. Aus den Verwaltungsakten geht folgender Sachverhalt hervor:

Mit dem - infolge sofortigen Rechtsmittelverzichts rechtskräftig gewordenen - Straferkenntnis des Finanzamts Wien-Umgebung vom 28. Dezember 1982, Straflisten-Nr. 64/81, wurde über P A wegen des Finanzvergehens nach §33 Abs1 und 3 lita FinStrG iVm §13 FinStrG gemäß §33 Abs5 FinStrG eine Geldstrafe von 50.000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen verhängt.

Da die Geldstrafe trotz gewährter Zahlungserleichterung nicht bezahlt wurde und wiederholte Vollstreckungsversuche erfolglos blieben, verfügte das Finanzamt Wien-Umgebung am 26. Jänner 1987 die Vorführung des Bf. zum Strafantritt gemäß §175 Abs2 Satz 3 FinStrG. Dementsprechend wurde der Bf. am 27. Februar 1987 von Sicherheitsorganen der Bundespolizeidirektion Schwechat - deren Unterstützung die bel. Beh. in Anspruch nahm (§175 Abs2 Satz 3, 2. Halbsatz FinStrG) - festgenommen und um 16 Uhr dem Gefangenenhaus II des Landesgerichts für Strafsachen Wien - zur Strafverbüßung eingeliefert, wo er sich bis 10. April 1987, 10 Uhr, in Haft befand.

2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, das gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die hier von der bel. Beh. herangezogene Bestimmung des §175 FinStrG über den Vollzug der Freiheitsstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen): Der Bf. wurde daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) verletzt, wenn seine Anhaltung in Verwaltungsstrafhaft in der Vorschrift des §175 FinStrG keine Deckung fand.

2.2. Die Gesetzmäßigkeit eines solchen Vollzuges ist zunächst davon abhängig, daß die Freiheitsstrafe rechtskräftig verhängt wurde. Das war hier unbestritten der Fall.

Eine weitere Voraussetzung hiefür bildet die in §175 Abs2 FinStrG zwingend vorgeschriebene schriftliche Aufforderung zum Antritt der (Ersatz-)Freiheitsstrafe (vgl. VfGH 27.9.1985 B175/85 zu §53 Abs1 VStG 1950). Da dem Bf. - wie die bel. Beh. im Einklang mit der Aktenlage selbst einräumt (s. Punkt 1.1.2.) - eine derartige Aufforderung nicht zugegangen war, erweisen sich seine Festnahme und die - hier allein relevante Anhaltung bis zur Einlieferung in das Gefangenenhaus II des Landesgerichts für Strafsachen Wien schon deshalb als rechtswidrig, zumal die bel. Beh. auch nicht dartat, daß sie die sofortige Vorführung wegen Fluchtgefahr zu veranlassen hatte (§175 Abs2 letzter Satz FinStrG).

Auf das weitere Beschwerdevorbringen war darum nicht mehr weiter einzugehen.

2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß der Bf., wie er zutreffend geltend macht, durch seine Festnahme und Anhaltung in Haft im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG) verletzt wurde.

Es mußte somit spruchgemäß entschieden werden.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. Im zuerkannten Kostenbetrag sind 1.000 S Umsatzsteuer enthalten.

4. Da die in dieser Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits genügend klargestellt sind, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Freiheitsstrafen, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B275.1987

Dokumentnummer

JFT_10129076_87B00275_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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