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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AtemalkoholmeßgeräteV 1961 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 6. Juli 1989, Zl. MA 70-11/859/89/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ergangenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 6. Juli 1989 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, er habe am 7. November 1986 um 22.26 Uhr in Wien 10, Triesterstraße, Kreuzung Computerstraße, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges sich geweigert, sich dem Polizeiarzt zwecks Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung vorführen zu lassen, obwohl eine von einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht vorgenommene Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt den Verdacht der Beeinträchtigung durch Alkohol ergeben habe. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 4 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; es wurde eine Geld- und Ersatzarreststrafe verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof gab mit Beschluß vom 19. Jänner 1990 den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens seine vorläufige Rechtsansicht wie folgt bekannt:
Aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsstrafakten ergibt sich im Zusammenhalt mit dem Beschwerdevorbringen unter anderem folgendes:
Die am 7. November 1986 gegen 22.25 Uhr durchgeführte Atemluftprobe beim Beschwerdeführer ergab, daß die "Markierung des Teströhrchens" (Aktenseite 1 verso, Aktenseite 16 unten) um ca. 1 mm überschritten wurde.
Mit Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 10. Mai 1988 wurde das erstinstanzliche Straferkenntnis vom 20. Mai 1987, womit der Beschwerdeführer der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 4 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) schuldig erkannt wurde, gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 behoben und die Sache zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwiesen. In der Begründung dieses Bescheides hieß es unter anderem, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens berechtige die Berufungsbehörde dann zur Behebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich auf Grund des Mangels die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erweise. Dies sei im gegenständlichen Fall gegeben, weil im Rahmen einer mündlichen Verhandlung die Zeugin XY noch einzuvernehmen sei und anschließend in dieser mündlichen Verhandlung dem Beschwerdeführer Parteiengehör zu gewähren sein werde. In der Folge wurde die Zeugin XY zwar im Rechtshilfeweg vernommen, aber nicht in einer mündlichen Verhandlung, daher in Abwesenheit des Beschwerdeführers oder seines Vertreters. Ihre am 9. Jänner 1989 abgelegte Zeugenaussage bestand darin, sich noch erinnern zu können, mit dem Beschwerdeführer im Jahre 1986 eine Geschäftsreise nach Wien gemacht zu haben. Sie könne sich jedoch nach so langer Zeit - der gegenständliche Verkehrsunfall war am 7. November 1986 - an einzelne Details nicht mehr erinnern, demnach könne sie auch keine genauen Auskünfte mehr geben.
In der Folge wurde der Beschwerdeführer neuerlich der oben genannten Verwaltungsübertretung schuldig erkannt; mit dem angefochtenen Bescheid wurde das erstinstanzliche Straferkenntnis mit einer Anpassung in der Tatumschreibung und unter Herabsetzung der verhängten Geld- und Ersatzarreststrafe bestätigt.
Nach vorläufiger Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes könnte der angefochtene Bescheid mit folgenden, bisher von den Verfahrensparteien nicht geltend gemachten Rechtswidrigkeiten belastet sein:
Die Verfärbung des Teströhrchens ca. 1 mm über den Markierungsring muß noch nicht den Verdacht einer Alkoholbeeinträchtigung infolge eines Blutalkoholgehaltes von mindestens 0,8 Promille ergeben (Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 87/02/0042). War aber ein solcher Verdacht nicht gegeben, so könnte die Weigerung, sich dem Amtsarzt vorführen zu lassen, nicht strafbar gewesen sein.
Entgegen dem behebenden Berufungsbescheid vom 10. Mai 1988 wurde keine mündliche Verhandlung in Gegenwart des Beschwerdeführers (seines Vertreters) zum Zwecke der Vernehmung der Zeugin XY durchgeführt. Dieser Verstoß gegen den Auftrag der Berufungsbehörde könnte aus folgenden Gründen für den Inhalt des nunmehr angefochtenen Bescheides kausal gewesen sein: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnisse vom 20. September 1985, Zl. 85/18/0291, vom 3. Oktober 1986, Zlen. 86/18/0121, 0126, 0147, vom 9. Jänner 1987, Zl. 86/18/0223) entspricht es der Lebenserfahrung, daß man sich an einen nur nach dem Datum angegebenen und länger zurückliegenden Vorfall nicht ohne weiteres erinnern kann. Daher seien die behaupteten Umstände einem Zeugen in einer Weise vorzuhalten, die eine konkrete Erinnerung ermöglichten. An einem solchen Vorhalt und an einer solchen Befragung mangelte es im Falle der Vernehmung der Zeugin XY; in einer mündlichen Verhandlung wäre dieser Verfahrensfehler allenfalls vermieden worden.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes könnten für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Bescheides obige Gründe maßgebend sein, die den Parteien bisher nicht bekanntgegeben wurden.
Der Beschwerdeführer hat sich dahin geäußert, daß beide vom Verwaltungsgerichtshof genannten Gründe für die Aufhebung des angefochtenen Bescheides gegeben seien.
Die belangte Behörde hat sich dahin geäußert, daß sich aus dem Akt kein Hinweis ergebe, daß der im Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 87/02/0042 genannte Typus eines Alkoholteströhrchens auch im vorliegenden Fall verwendet worden sei. Wenn die Markierung des Teströhrchens überschritten wurde und der Lenker Symptome der Alkoholbeeinträchtigung aufgewiesen habe, könne er rechtens aufgefordert werden, sich dem Amtsarzt zwecks Bestimmung des Grades seiner Alkoholisierung vorführen zu lassen. Überdies sei der Beschwerdeführer verdächtig gewesen, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verschuldet zu haben, weshalb "inhaltlich ebensogut" die Voraussetzungen einer Vorführung zum Amtsarzt gemäß § 5 Abs. 4 lit. c StVO vorgelegen seien.
Im behebenden Berufungsbescheid vom 10. Mai 1988 sei eine mündliche Verhandlung zum Zwecke der Vernehmung der Zeugin XY in Gegenwart des Beschwerdeführers nicht angeordnet worden. Angeordnet worden sei nur die Gewährung des Parteiengehörs in mündlicher Verhandlung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Da über die Art des verwendeten Alkoteströhrchens sich im Verwaltungsstrafakt keine Feststellungen finden, ist es durchaus denkbar, daß ein Teströhrchen samt Gebrauchsanweisung verwendet wurde, wie es im Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 87/03/0042, erwähnt wurde. In einem solchen Fall hätte die bloße Überschreitung der Markierung um ca. 1 mm die Organe der Straßenaufsicht noch nicht berechtigt, den Beschwerdeführer dem Amtsarzt zwecks Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung vorzuführen. Die belangte Behörde hat es unterlassen, die Tatfrage nach der Art und der Gebrauchsanweisung des verwendeten Teströhrchens zu klären.
Rechtlich unentscheidend ist die in der Äußerung vom 19. Jänner 1990 durch die belangte Behörde ausgedrückte Meinung, es seien "inhaltlich ebensogut" die Voraussetzungen einer Vorführung vor dem Amtsarzt gemäß § 5 Abs. 4 lit. c StVO vorgelegen; im vorliegenden Beschwerdeverfahren ist nämlich allein zu prüfen, ob die Verurteilung und Bestrafung des Beschwerdeführers nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 4 lit. a StVO rechtmäßig war oder nicht. Da die belangte Behörde sich darauf gestützt hat, die Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO liege deshalb vor, weil der Beschwerdeführer sich bei Vorliegen der im § 5 Abs. 4 lit. a StVO gekennzeichneten Voraussetzungen geweigert habe, sich einem Arzt vorführen zu lassen, wäre es unzulässig, im Berufungsverfahren die Sache dahin auszuwechseln, daß nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 lit. a, sondern jene des § 5 Abs. 4 lit. c StVO vorgelegen seien (vgl. Erkenntnis vom 6. Juli 1984, Zl. 83/02A/0544).
Schließlich ist die Behauptung der belangten Behörde in ihrer Äußerung, im behebenden Berufungsbescheid vom 10. Mai 1988 sei eine mündliche Verhandlung zum Zwecke der Vernehmung der Zeugin XY nicht angeordnet worden,
aktenwidrig, wie ein Blick auf die Seite 2, letzter und vorletzter Absatz des genannten Berufungsbescheides ergibt.
Dort heißt es wörtlich:
"Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens berechtigt die Berufungsbehörde jedoch nur dann zur Behebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich auf Grund des Mangels die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erweist.
Dies ist im gegenständlichen Fall gegeben, da im Rahmen einer mündlichen Verhandlung eben die genannte Zeugin noch einzuvernehmen ist und anschließend in dieser mündlichen Verhandlung dem Berufungswerber Parteiengehör zu gewähren sein wird."
Der Sachverhalt bedarf somit in der wesentlichen Frage, welches Alkotestgerät mit welcher Gebrauchsanweisung verwendet wurde, einer Ergänzung. Darüberhinaus hat die belangte Behörde die von ihr selbst im behebenden Berufungsbescheid zutreffend genannten Verfahrensvorschriften - es wird diesbezüglich auf die Ausführungen des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Jänner 1990 verwiesen - außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlichen Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren in der Beschwerdeschrift nach Stempelgebühren war abzuweisen, weil Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung einzubringen war. Die Umsatzsteuer ist bereits im Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand enthalten. Für die Äußerung vom 20. Februar 1990 war kein Schriftsatzaufwand zuzusprechen, weil § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG als Schriftsatzaufwand nur den mit der Einbringung der Beschwerde verbundenen nennt.
Schlagworte
Alkotest Voraussetzung Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Änderung von Anträgen und Ansuchen im Berufungsverfahren Diverses Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung AlkotestEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989180143.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
26.09.2008