Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 3. November 1989, Zl. VerkR-11.199/16-1989-I/Au, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppe B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm "bis zur amtsärztlichen Feststellung der körperlichen und geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf".
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die belangte Behörde stützte den angefochtenen Bescheid auf das Gutachten ihres ärztlichen Amtssachverständigen vom 29. März 1989 und seine Ergänzung vom 14. Juli 1989. Darin wurden insgesamt sieben bei dem - im Jahre 1909 geborenen - Beschwerdeführer festgestellte Gebrechen (1. insulinpflichtiger Diabetes mellitus, 2. Bluthochdruck, 3. latente Herzinsuffizienz mit Atemnot, Beinödemen, Zyanose, Stauungsleber, 4. Altersschwerhörigkeit, 5. Zustand nach Oberschenkelschußbruch links mit deutlicher Bewegungseinschränkung im linken Knie, 6. chronisches Glaukom (grüner Star) am linken Auge mit geringfügiger Einengung der Gesichtsfeldaußengrenzen und glaukomatösen Gesichtsfeldausfällen, 7. beidseitig beginnender grauer Star (Cataract), außerdem besteht eine Dunkeladaptationsstörung) aufgezählt und dazu ausgeführt, daß jede Erkrankung für sich in einer Ausprägung vorliege, die alleine allenfalls eine bedingte Eignung, aber keine Nichteignung nach sich ziehen würde. Alle Erkrankungen zusammen aber führten zu einem bedenklichen Gesundheitszustand, sodaß das sichere Beherrschen von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht gewährleistet sei. Der Beschwerdeführer besitze weder die nötige Gesundheit noch sei er ausreichend frei von Gebrechen. Es sei schlüssig und nachvollziehbar, wenn bei einer Vielzahl der Leiden von einem bedenklichen Gesundheitszustand gesprochen werde. Zum Lenken von Kraftfahrzeugen seien nach § 34 Abs. 1 lit. a KDV 1967 auch Personen nicht geeignet, bei denen schwere Allgemeinerkrankungen (in diesem Fall Polymorbidität) vorlägen, die das sichere Beherrschen von Fahrzeugen beeinträchtigen könnten.
Der Beschwerdeführer bezeichnet dies als unschlüssig. Er ist damit im Ergebnis im Recht. Wenngleich es nicht unschlüssig ist, daß mehrere Gebrechen erst in ihrer Gesamtheit die körperliche Nichteignung der betreffenden Person nach sich ziehen können, trifft dies aber nicht unbesehen auf Gebrechen jeglicher Art zu. Die einzelnen Gebrechen müssen vielmehr in einem relevanten Zusammenhang zueinander stehen, etwa dergestalt, daß sie wechselweise die mit dem jeweiligen Gebrechen verbundene Beeinträchtigung der Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen verstärken oder die Kompensierbarkeit der anderen Gebrechen ausschließen. Voneinander in ihren Auswirkungen völlig unabhängige Gebrechen können nicht gesamthaft gewertet werden. So scheint etwa im Beschwerdefall die Bewegungseinschränkung im linken Bein durch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges mit automatischem Getriebe ausgleichbar zu sein und es ist nicht erkennbar, welche Zusammenhänge Zuckerkrankheit, hoher Blutdruck, Schwerhörigkeit oder Augenleiden damit haben könnten. Einen solchen Zusammenhang darzutun, wäre Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen gewesen. Es wäre konkret auszuführen gewesen, welche(s) Gebrechen mit welchem oder welchen anderen Gebrechen welche Auswirkungen auf die Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu lenken, hat (haben). Die pauschale Auflistung von Erkrankungen und Gebrechen der vorliegenden Art ist mangels jeglicher weiterer Begründung nicht schlüssig.
Die vom Sachverständigen im ergänzenden Gutachten genannte "Polymorbidität" (= "Vielfacherkrankung") ist für sich allein nicht aussagekräftig. Ein derartiger Gesundheitszustand kann nicht in jedem Fall dem Tatbestand des § 34 Abs. 1 lit. a KDV 1967 ("schwere Allgemeinerkrankungen oder schwere lokale Erkrankungen, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten") unterstellt werden; darunter sind schwere Erkrankungen zu verstehen, die - für sich gesehen - die körperliche Nichteignung nach sich ziehen.
Daß der Beschwerdeführer den Äußerungen des Amtssachverständigen nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist, schadet ihm nicht, weil er nicht die (bloße) Unrichtigkeit des Gutachtens, sondern - bereits im Verwaltungsverfahren - dessen Unschlüssigkeit geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1974, Slg. Nr. 8556/A).
Die belangte Behörde hat dieses Gutachten des Amtssachverständigen in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich wiedergegeben. Sie stützt sich damit in Ansehung der körperlichen Eignung des Beschwerdeführers auf ein unvollständiges, in dieser Form unschlüssiges Gutachten. Der angefochtene Bescheid leidet diesbezüglich an einem Begründungsmangel.
2. Der Amtssachverständige verwies weiters darauf, daß für die Nichteignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen, selbst wenn seine Erkrankungen unberücksichtigt blieben, seine äußerst mangelhafte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit entscheidend sei. Er nahm damit Bezug auf das Ergebnis einer verkehrspsychologischen Untersuchung des Beschwerdeführers vom 17. August 1988, nach der die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers hochgradig eingeschränkt sei. Auch dies vermag aber die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht zu begründen. Dieser Befund war im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits älter als ein Jahr. Er hätte daher gemäß dem zweiten Satz des § 67 Abs. 2 KFG 1967 nicht mehr verwendet werden dürfen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. September 1986, Zl. 86/11/0001).
Dadurch, daß sich die belangte Behörde auf ein in Ansehung der körperlichen Nichteignung des Beschwerdeführers unvollständiges und damit unschlüssiges ärztliches Gutachten bezieht und sich dieses Gutachten seinerseits in Ansehung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit auf einen Befund stützt, der auf Grund seines Alters nicht mehr hätte verwendet werden dürfen, hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf den letzten Satz des § 59 Abs. 3, in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
Gutachten Parteiengehör ParteieneinwendungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989110300.X00Im RIS seit
12.06.2001