TE Vfgh Erkenntnis 1987/9/25 B221/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.1987
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
DSt 1872 §12 Abs2
DSt 1872 §17 Abs3 Z1 litb
DSt 1872 §17 Abs6
DSt 1872 §51 Abs4

Leitsatz

Zeitlich begrenzte Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft wegen Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (strafgerichtliche Verurteilung wegen Hehlerei); kein Gleichheitsbedenken gegen §17 Abs6 Disziplinarstatut, wonach nicht auch die Beschränkung des Vertretungsrechtes auf die Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft anzurechnen ist; keine denkunmögliche Anwendung des §12 Abs2; keine Rechtsverletzung

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Landesgericht für Strafsachen Wien erkannte den Bf. - einen Rechtsanwalt - mit Urteil vom 23. November 1984 des Vergehens der Hehlerei nach §164 Abs1 Z2, Abs2 StGB als Beteiligten nach §12 StGB schuldig, weil er im Feber 1984 in Wien einen Dritten bei der Verwertung 21 Stück angekaufter Videokassetten in einem 5.000 S übersteigenden Wert, deren Herkunft aus einem Diebstahl ihm bekannt war, dadurch unterstützte, daß er in zwei Telefongesprächen dem Geschädigten mitteilte, ein Klient biete ihm die gestohlenen Videokassetten zum Rückkauf an und mit jenem einen Rückkaufspreis einschließlich Prämie aushandelte. Über den Bf. wurde eine Freiheitsstrafe verhängt, deren Vollzug unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Mit Urteil vom 21. März 1985 entschied das Oberlandesgericht Wien über die vom Bf. erhobene Berufung; es gab der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge, der Strafberufung jedoch dahin, daß anstelle der Freiheitsstrafe unter Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht eine Geldstrafe von 200 Tagessätzen (wobei der Tagessatz mit 600 S bestimmt wurde) sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurden.

2. Nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens faßte der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland am 28. November 1984 den Beschluß, dem Bf. als einstweilige Maßnahme die Ausübung der Rechtsanwaltschaft bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem gegen ihn anhängigen Disziplinarverfahren (oder einem vorherigen rechtskräftigen Freispruch im gerichtlichen Strafverfahren) vorläufig einzustellen. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) gab der dagegen vom Bf. erhobenen (Administrativ-)Beschwerde teilweise Folge, hob den Beschluß des Disziplinarrates auf und entzog dem Bf. als einstweilige Maßnahme das Vertretungsrecht vor allen Strafgerichten bis zur rechtskräftigen Entscheidung im anhängigen Disziplinarverfahren (oder einem vorherigen rechtskräftigen Freispruch im gerichtlichen Strafverfahren).

3. In der Disziplinarsache erkannte der Disziplinarrat den Bf. wegen der zur strafgerichtlichen Verurteilung führenden Tat der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig und verurteilte ihn zur Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft auf die Dauer von neun Monaten; die Zeit, während der dem Bf. die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorläufig eingestellt war (6. Dezember 1984 bis 18. Feber 1985), wurde auf die Dauer der Suspension angerechnet. In der Begründung dieser Entscheidung führte der Disziplinarrat insbesondere aus, daß das Verhalten des Bf. als ein besonders schwer zu ahndendes Standesvergehen zu qualifizieren sei, das nicht nur eine Verletzung der Berufspflichten, sondern auch eine schwere Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes erfülle. Obwohl der Bf. in der Verhandlung nur ein bedingtes Schuldanerkenntnis abgelegt habe, sei der Milderungsgrund der Schuldeinsicht angewendet worden. Als mildernd seien weiters die Sorgepflichten sowie die Jugend und Berufsunerfahrenheit des Bf. (- der dem Jahrgang 1950 angehört -) berücksichtigt worden, weiters, daß er in seiner Berufstätigkeit seit dem 19. Feber 1985 teilweise eingeschränkt sei und bis zur Rechtskraft des Erkenntnisses eingeschränkt bleibe. Als erschwerend seien die doppelte Qualifikation, die enorme Publizität, die die ganze Angelegenheit in den Medien gehabt habe, und das doch sehr sorglose Vorgehen des Bf. zu werten.

Gegen dieses Disziplinarerkenntnis ergriff der Bf. Berufung wegen Schuld und Strafe an die OBDK, zog die Schuldberufung jedoch in der Berufungsverhandlung zurück. Mit Erkenntnis vom 2. Dezember 1985 gab die OBDK diesem Rechtsmittel dahin Folge, daß die Dauer der verhängten Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft auf sechs Monate herabgesetzt wurde. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen folgendermaßen begründet: Durch die Zurückziehung der Schuldberufung habe der Bf. zu erkennen gegeben, daß er volle Einsicht in die Strafbarkeit seines disziplinären Verhaltens habe. Die besondere Schwere der disziplinären Verfehlung und die arge Beeinträchtigung des Ansehens des Rechtsanwaltsstandes in weiten Kreisen der Bevölkerung, die durch die Tagespresse über diesen Fall informiert worden sei, sei nicht zu verkennen. Dennoch sei die OBDK zu einer Herabsetzung der Dauer der verhängten Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft gelangt. Der Bf. habe als junger Rechtsanwalt, der erst am Beginn seiner beruflichen Laufbahn stehe und offenbar in seiner Ausbildungszeit mit Strafsachen wenig befaßt gewesen sei, ein Fehlverhalten gesetzt. Wie die Begleitumstände des Falles zeigten, habe der Bf. unüberlegt gehandelt. Hätte sich der Bf. vor dem Telefongespräch in der Literatur und den Kommentaren zum Strafgesetzbuch über das Begehren seines Klienten näher informiert, so hätte er das Fehlverhalten sicher unterlassen. Die OBDK übernehme die Strafzumessungsgründe der ersten Instanz, wobei noch die besondere Schuldeinsicht durch Rückziehung der Schuldberufung zu berücksichtigen sei. Zur Herabsetzung der Dauer der Suspension habe die OBDK auch der Umstand veranlaßt, daß über den Bf. gemäß §17 DSt vom Disziplinarrat als einstweilige Maßnahme die gänzliche Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verhängt wurde, diese Maßnahme jedoch von der OBDK mit Beschluß vom 18. Feber 1985 aufgehoben und dem Bf. lediglich das Vertretungsrecht vor allen Strafgerichten in Österreich als einstweilige Maßnahme vorläufig entzogen worden sei. Während die gänzliche Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft als einstweilige Maßnahme gemäß §17 Abs6 DSt auf die verhängte Disziplinarstrafe anzurechnen sei - was vom 6. Dezember 1984 bis zum 18. Feber 1985 der Fall sei - könne dies mangels einer ähnlichen gesetzlichen Bestimmung für die Entziehung des Vertretungsrechts nicht geschehen. In Berücksichtigung dieses immerhin über einige Zeit in Kraft gestandenen Vertretungsverbotes vermeine die OBDK, daß doch mit einer Herabsetzung der Suspensionsdauer auf sechs Monate vorzugehen sei.

4. Die Berufungsentscheidung der OBDK ist Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde, mit welcher der Bf. eine Verletzung des Gleichheitsrechtes und des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsbetätigung sowie eine Rechtsverletzung infolge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich einer Bestimmung des Disziplinarstatutes, geltend macht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt. Die Beschwerde wendet sich sowohl gegen den disziplinarrechtlichen Schuldspruch als auch gegen die Verhängung der Disziplinarstrafe.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Zunächst muß der Gerichtshof darauf hinweisen, daß der Bf. offenkundig den normativen Inhalt der angefochtenen Disziplinarentscheidung unrichtig annimmt. Da die Schuldberufung in der mündlichen Verhandlung von ihm zurückgezogen worden war, beschränkte sich die OBDK unter Bedachtnahme auf §51 Abs4 DSt zu Recht auf den Abspruch über die Strafberufung; demgemäß enthält der angefochtene Bescheid - abgesehen von der Kostenentscheidung - auch nur eine Entscheidung über die infolge des rechtskräftigen disziplinarrechtlichen Schuldspruchs verwirkte Disziplinarstrafe. Soweit sich das Beschwerdevorbringen mit dem Schuldspruch befaßt, geht es sohin ins Leere und ist daher unbeachtlich.

2. §17 Abs6 DSt legt (ua.) fest, daß die Zeit, während der die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorläufig eingestellt war, auf die Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft anzurechnen ist. Der Bf. hält diese Regelung - und zwar ersichtlich unter dem Aspekt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebotes - für verfassungswidrig, weil sie nicht auch den Fall umfaßt, daß dem Rechtsanwalt das Vertretungsrecht (vor bestimmten oder allen Gerichten oder Verwaltungsbehörden) nach §17 Abs3 Z1 litb entzogen wurde.

Der VfGH hegt jedoch in dieser Richtung keine Bedenken, weil das Gleichheitsgebot dem Gesetzgeber bloß sachlich nicht begründbare Differenzierungen verwehrt (zB VfSlg. 8073/1977), darüberhinaus jedoch dessen rechtspolitische Gestaltungsfreiheit nicht einschränkt. Es kann nun keineswegs als sachfremd bezeichnet werden, wenn der Gesetzgeber nur solche einstweilige Maßnahmen der Disziplinarstrafe der Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft - durch die Anrechenbarkeit auf die Strafe - gleichstellt, die tatsächlich eine gleichzuhaltende wirtschaftliche Auswirkung haben. Daß dies aber bloß für die vorläufige Einstellung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft zutrifft, nicht aber für Beschränkungen des Vertretungsrechtes, bedarf keines weiteren Nachweises.

Der Vorwurf einer Rechtsverletzung infolge Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesvorschrift ist sohin nicht gerechtfertigt.

3. Der Bf. lastet der bel. Beh. weiters eine denkunmögliche Handhabung des §12 Abs2 DSt an, demzufolge die Disziplinarbehörde nach der Größe des Verschuldens und der daraus entstandenen Nachteile zu beurteilen hat, welche der im Abs1 dieses Paragraphen angeführten Disziplinarstrafen zu verhängen ist. Träfe dieser Vorwurf zu, so verletzte der angefochtene Bescheid, welcher die Ausübung einer bestimmten Erwerbstätigkeit (für einen bestimmten Zeitraum) untersagt, im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 10413/1985) das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung.

Der Bf. erhebt jedoch auch diesen Vorwurf nicht zu Recht.

Wie der Gerichtshof in anderem Zusammenhang schon ausgesprochen hat (zB VfSlg. 10482/1985), läge eine denkunmögliche Gesetzesanwendung nur dann vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre. Vergegenwärtigt man sich nun, daß der disziplinären Verurteilung des Bf. eine von ihm in Ausübung des Rechtsanwaltsberufs begangene Tat zugrundeliegt, die strafgerichtlich als Hehlerei, mithin als eine strafbare Handlung gegen fremdes Vermögen, qualifiziert und mit einer hohen Geldstrafe geahndet worden war, so kann jedenfalls von Gesetzlosigkeit nicht die Rede sein, wenn das Verschulden des Bf. und die Nachteile aus der Tat für das Standesansehen als so erheblich bewertet wurden, daß die zweitstrengste Disziplinarstrafe gewählt und die verwirkte Strafe mit der Hälfte des Höchstmaßes bestimmt wurde.

4. Das Beschwerdeverfahren erbrachte auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Bf. aus von ihm nicht geltend gemachten Gründen in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre oder daß eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm stattgefunden habe.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z1 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B221.1986

Dokumentnummer

JFT_10129075_86B00221_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten