TE Vfgh Erkenntnis 1987/9/25 B47/87, B48/87

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Veröffentlicht am 25.09.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
MRK Art3
Vlbg SittenpolizeiG §4
VStG §35 litc
VfGG §88

Leitsatz

Vertretbare Annahme von Verwaltungsübertretungen nach §4 Vbg. SittenpolizeiG; Festnahmen jedoch ohne erforderliche Abmahnung - einige Tage vorher vorgenommene Abmahnung keine Abmahnung iSd §35 VStG; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahmen und darauffolgende Anhaltung; kein Verstoß gegen Art3 MRK durch Personendurchsuchungen; Zuspruch der ganzen Kosten

Spruch

Die Bf. ist dadurch, daß sie von Gendarmeriebeamten am 4. Dezember 1986 um etwa 0,20 Uhr und am 14. Dezember 1986 um etwa 01,05 Uhr in Höchst auf der Bruggerstraße festgenommen und anschließend bis etwa 06,00 Uhr jeweils desselben Tages in Haft gehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Hingegen ist die Bf. durch die anläßlich dieser Anhaltungen vorgenommenen Personsdurchsuchungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden. In diesem Umfang wird die Beschwerde abgewiesen.

Das Land Vorarlberg ist schuldig, der Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bf. begehrt in ihrer unter Berufung auf Art. 144 B-VG an den VfGH gerichteten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß sie durch (der Bezirkshauptmannschaft Bregenz als bel. Beh. zuzurechnende) Amtshandlungen, nämlich durch ihre in den Nächten vom 3. auf 4. Dezember 1986 und vom 13. auf 14. Dezember 1986 von Gendarmeriebeamten vorgenommenen Festnahmen und die jeweils darauffolgende bis in die frühen Morgenstunden währende Verwahrung im Arrestlokal des Gendarmerieposten (GP) Vorkloster, sowie durch die Durchsuchung ihrer Person - demnach durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz als bel. Beh. legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

Darauf replizierte die Bf.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Aufgrund des Parteienvorbringes und des Inhaltes der vorgelegten Administrativakten (insbesondere der Anzeige des GP Vorkloster vom 6. Dezember 1986, GZ P 5286/86, und der Anzeige des GP Hard vom 15. Dezember 1986, GZ P 3891/86) steht - soweit dies für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Beschwerde von Belang ist - folgendes fest:

Die Bf. hielt sich in der Nacht vom 3. auf 4. Dezember 1986 in Höchst auf der Bruggerstraße auf. Durch ihre Kleidung erregte sie die Aufmerksamkeit einer Gendarmeriestreife. Sie gab den Beamten gegenüber zu, sich hier zur Anbahnung der Prostitution aufzuhalten. Da sie bereits einige Tage vorher, nämlich am 30. November 1986, um 03,00 Uhr am selben Ort von den Beamten bei der Anbahnung der Gewerbsunzucht betreten und abgemahnt worden war, wurde sie um etwa 0,20 Uhr - ohne daß eine neuerliche Abmahnung erfolgte - festgenommen und zunächst zum GP Höchst gebracht. Dort wurde sie von einer Frau durchsucht. Die Visitation erfolgte in einem separaten Raum, ohne daß eine andere Person anwesend war. In der Folge wurde die Bf. beim GP Vorkloster bis 06,00 Uhr angehalten.

Ein gleicher Vorgang ereignete sich in der Nacht vom 13. auf 14. Dezember 1986. Die Festnahme erfolgte um 01,05 Uhr, die Entlassung um 06,00 Uhr. Die Beamten beriefen sich in der Anzeige auf die am 12. Dezember 1986 um 23,30 Uhr erfolgte Abmahnung. Eine neuerliche Abmahnung unterblieb auch in diesem Fall.

2.a) Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 MRK (s. zB VfSlg. 10441/1985) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung":

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz, doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten (Anwendungs-)Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird. Sie muß sich also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung zuschulden kommen lassen und bei Begehung dieser Tat angetroffen werden, wobei die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann erfüllt ist, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (s. zB VfSlg. 10441/1985).

Gemäß §35 litc VStG ist eine Festnahme unter den schon umschriebenen Bedingungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann statthaft, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

Dieser hier allein in Frage kommende Festnehmungsgrund setzt somit voraus, daß das die Festnahme aussprechende Sicherheitsorgan mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen durfte, daß die Bf. (wie zur Anzeige gebracht) jeweils eine Übertretung nach §4 des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes, LGBl. 6/1976 (SPG) begangen habe.

b) Angesichts der hier maßgebenden Sach- und Rechtslage konnten die die Festnahmen der Bf. aussprechenden Gendarmeriebeamten zwar mit gutem Grund annehmen, daß sich die Bf. - entgegen dem §4 SPG - in beiden Fällen zur gewerbsmäßigen Unzucht angeboten habe.

Es mangelte jedoch in beiden Fällen an der für die Rechtmäßigkeit einer Festnahme nach §35 litc VStG erforderlichen Abmahnung (vgl. VfSlg. 10376/1985). Die jeweils einige Tage vorher wegen eines ähnlichen Verhaltens vorgenommene Abmahnung kann nicht als solche iS der zitierten Gesetzesbestimmung angesehen werden; die Abmahnung muß sich nämlich unmittelbar auf das von den einschreitenden Beamten wahrgenommene strafbare Verhalten beziehen und darauf abzielen, eben dieses zu beenden. Erst dann, wenn die Bf. dieser Abmahnung nicht Folge geleistet hätte, wäre ihre Festnahme nach § 35 litc VStG gerechtfertigt gewesen (vgl. zB VfSlg. 10376/1985; VfGH 27.2.1986 B45/85).

Es ist daher auszusprechen, daß die Bf. durch die bekämpften Festnahmen und die darauffolgenden Anhaltungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

3. Die Bf. erachtet sich durch die vorgenommenen Personsdurchsuchungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden (Art3 MRK), verletzt.

Eine Verletzung dieses Grundrechtes würde voraussetzen, daß die bekämpfte Maßnahme unter gröblicher Mißachtung des Betroffenen als Person erfolgt ist (vgl. zB VfSlg. 10321/1985, 10378/1985, 10427/1985, 10662/1985).

Die Bf. selbst schildert die Art und Weise der Personsdurchsuchungen nicht derart, daß sie dabei gedemütigt, geschweige denn, daß ihre Person gröblich mißachtet worden wäre.

Die Beschwerde war daher in diesem Umfang abzuweisen.

4. Zur Widerlegung des Vorwurfes, die hier maßgebenden Bestimmungen des Vlbg. SPG seien verfassungswidrig, genügt es, auf die Vorjudikatur (zB VfSlg. 8445/1978, 11371/1987) hinzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Da die Bf. in der Hauptsache durchgedrungen ist, waren ihr die ganzen pauschalmäßig gebührenden Kosten zuzuerkennen (vgl. zB VfGH 17.6.1986 B19/86).

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Prostitution, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B47.1987

Dokumentnummer

JFT_10129075_87B00047_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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