TE Vwgh Erkenntnis 1990/4/2 90/19/0028

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Veröffentlicht am 02.04.1990
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Index

L92101 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Burgenland;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §44;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
BAO §167 Abs2;
BehindertenG Bgld 1966 §1 Abs2;
BehindertenG Bgld 1966 §3 Abs1;
BehindertenG Bgld 1966 §5;
BehindertenG Bgld 1966 §8;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

N gegen Burgenländische Landesregierung vom 15. April 1989, Zl. VIII/1-410/2-7-1989, betreffend Eingliederungshilfe nach dem Burgenländischen Behindertengesetz

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Burgenland Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 15. April 1989 hat die Burgenländische Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag der B vom 21. Juni 1988 auf Gewährung einer Eingliederungshilfe nach dem Burgenländischen Behindertengesetz, LGBl. Nr. 20/1966 i.d.g.F., (in der Folge: BBehG) für ihren Sohn N, geb. am 27. Mai 1979, in Form der Übernahme der Verpflegskosten für seine Unterbringung im "Haus A" des Caritasheimes L zum Zweck des Besuches der Sehbehindertenschule Wien, X-Gasse, ab dem Schuljahr 1988/89 gemäß § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 8 leg. cit. abgewiesen.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde nach Zitierung der von ihr angewendeten gesetzlichen Bestimmungen sowie nach (teilweise wörtlicher) Wiedergabe der von ihr eingeholten Sachverständigengutachten und Bezugnahme auf die von der Partei beigebrachten Gutachten einer Psychologin und eines Augenfacharztes im wesentlichen folgendes aus: Die maßgeblichen Gründe für die Abweisung des Antrages lägen darin, daß das schulpsychologische Gutachten eine Überstellung des Kindes in die Allgemeine Sonderschule empfohlen habe, da es nur dort seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert werden könne. Das von der belangten Behörde eingeholte augenfachärztliche Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, daß das derzeitige Sehvermögen des Kindes zum Besuch einer Normalschule völlig ausreichend sei. In den von der Partei beigebrachten "Gegengutachten" sei auf die für die belangte Behörde entscheidende Frage, nämlich des Erfordernisses eines Schulwechsels bzw. der Unterbringung in einer adäquaten Behinderteneinrichtung, überhaupt nicht eingegangen worden. Da somit N die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 BBehG nicht erfülle und deshalb für seine Schulbildung keine gesonderte Behinderteneinrichtung benötige, sei der Antrag abzuweisen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde, verbunden mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 1 Abs. 2 BBehG gilt als Behinderter, wer infolge eines Leidens oder Gebrechens (§ 2) - dazu zählen u.a. Funktionsstörungen des Sehorganes - in seiner Fähigkeit, eine dem Leiden oder Gebrechen angemessene Erziehung und Schulbildung zu erhalten, .... dauernd wesentlich beeinträchtigt ist. Nach § 3 Abs. 1 leg. cit. kommt als Hilfeleistung für einen Behinderten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen u.a. in Betracht: (lit. a) Eingliederungshilfe. Zufolge des § 5 leg. cit. kann im Rahmen der Eingliederungshilfe nach den Bedürfnissen des einzelnen Falles u. a. gewährt werden: (lit. c) Hilfe zur Schulbildung und Erziehung. Nach § 8 leg. cit. umfaßt die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung und Erziehung die Übernahme der durch die Behinderung bedingten Mehrkosten für alle jene Maßnahmen, die notwendig sind, um den Behinderten in die Lage zu versetzen, eine der Behinderung angemessene Schulbildung und Erziehung zu erlangen.

Gemäß § 44 BBehG ist zur Durchführung der Maßnahmen nach diesem Gesetz die Landesregierung berufen.

2.1. Als Verfahrensmängel rügt die Beschwerde zum einen, daß die belangte Behörde das Privatgutachten der Psychologin Dr. Gisela M. - S. "einfach übergangen" habe, zum anderen, daß "daher" das Parteiengehör verletzt worden sei.

2.2. Abgesehen davon, daß durch das Versäumnis einer Behörde, sich mit einem ihr vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen, das Recht auf Parteiengehör nicht verletzt werden kann, hat sich die belangte Behörde - wie der Begründung des angefochtenen Bescheides (S. 5) unschwer zu entnehmen ist - durchaus mit dem vorgenannten Gutachten befaßt; daß sie diesem im Rahmen ihrer Beweiswürdigung nicht gefolgt ist, liegt auf einer anderen Ebene (s. dazu unten 3.2.2.). Im übrigen ist aus dem dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakt ersichtlich, daß die belangte Behörde der Mutter des Beschwerdeführers im Wege der Wohnsitzgemeinde die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens unter ausdrücklichem Hinweis auf § 45 Abs. 3 AVG 1950 zur Kenntnis gebracht hat. Mit ihrer dazu abgegebenen Stellungnahme (vom 28. März 1989) hat sie der belangten Behörde dann u.a. auch das besagte Privatgutachten (im Wege der Wohnsitzgemeinde) übermittelt. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen demnach nicht vor.

3.1. Unter Bezugnahme auf das Gutachten der Psychologin Dr. Gisela M.-S. (vom 26. Mai 1988) vertritt die Beschwerde den Standpunkt, daß der Beschwerdeführer unter entsprechenden Bedingungen dem Volksschulniveau "sehr wohl gewachsen ist"; seine Fähigkeiten könnten also außerhalb der Allgemeinen Sonderschule gefördert werden. Mit diesem Vorbringen bekämpft die Beschwerde die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung.

3.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beweiswürdigung der Behörde der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (nur) insoweit zugänglich, als es sich um die Beurteilung handelt, ob der Sachverhalt ausreichend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h. ob sie u.a. den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen; wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung führen demnach zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. Nr. 11.894/A).

3.2.2. Der Gerichtshof kann nicht finden, daß die Beweiswürdigung der belangten Behörde unter den genannten Gesichtspunkten mangelhaft wäre: Nach der Begründung der angefochtenen Entscheidung waren für diese in sachverhaltsmäßiger Hinsicht das im Rahmen der "Schulbahnberatung" von der Schulpsychologin des Landesschulrates für Burgenland erstellte Gutachten vom 13. Mai 1988 und das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten des Facharztes für Augenheilkunde, Univ.-Prof. Dr. Heinz Sch., vom 18. August 1988 ausschlaggebend.

Nach dem Gutachten der Schulpsychologin Dr. Angelika K. bestehen beim Beschwerdeführer Funktionsschwächen in folgenden Bereichen: Raumlage-Orientierung; akustische Auffassung von Zahlen, Zahlengedächtnis; Figurengedächtnis, Beobachtungsfähigkeit, Gestaltauffassung; visuo-motorische Koordination; akustische Auffassungs- und Speicherfähigkeit; konkretes und abstraktes Zeitgedächtnis; kritische Urteilsfähigkeit, kausales Denken. Funktionsschwächen - so die Gutachterin - "bestehen also nicht nur im optischen Bereich (SehbehinderungÜ), sondern auch im akusto-sprachlichen Bereich der Intellegenz". Unter Bezugnahme auf ein von ihr am 4. Oktober 1985 erstelltes, den Beschwerdeführer betreffendes Gutachten wird weiters ausgeführt: Während vor zwei Jahren beim Beschwerdeführer ein massiver Entwicklungsrückstand von 16 Monaten bestanden habe, betrage dieser nunmehr 30 Monate. Vor zwei Jahren habe noch nicht abgeschätzt werden können, ob dieser Entwicklungsstand nur dadurch bedingt gewesen sei, daß die Sehbehinderung des Beschwerdeführers erst im Alter von sechs Jahren entdeckt worden sei. Die Überprüfung zum jetzigen Zeitpunkt lasse darauf schließen, daß die Sehbehinderung nur teilweise die Lernbehinderung des Beschwerdeführers erkläre. Seine Sehschwäche sei so weit korrigiert, daß er Normal-Druckbücher lesen könne und optische Details erfasse. Aufgrund des erhobenen Befundes werde empfohlen, daß der Beschwerdeführer ab Herbst 1988 in die Allgemeine Sonderschule überstellt werde. Nur dort könne er seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert werden. Demgegenüber kam die Psychologin Dr. Gisela M.-S. in ihrem Gutachten vom 26. Mai 1988 zu dem eher vagen Schluß, daß die Schwierigkeiten des Beschwerdeführers in den Kulturtechniken größtenteils durch den im Bereich der visuellen Wahrnehmung festzustellenden Entwicklungsrückstand bedingt sein "dürften". Die Prognose für ein weiteres Aufholen in dem genannten Entwicklungsbereich und im Zusammenhang damit bessere Leistungen im Rechtschreiben und Grundrechnen dürften aufgrund des Leistungswillens des Beschwerdeführers und der Anstrengungen der Mutter günstig sein.

Was das Sehvermögen des Beschwerdeführers anlangt, kam der von der belangten Behörde herangezogene Gutachter Univ.-Prof. Dr. Heinz Sch. zu dem Ergebnis, daß beim Beschwerdeführer eine anlagebedingte höhere Übersichtigkeit und Stabsichtigkeit beider Augen bestehe, die mit eigener Brille voll auskorrigiert sei. Es bestehe keinerlei organisches Augenleiden. Bei Bestimmung der Sehprobe falle eine deutliche Konzentrationsschwäche auf; mit Geduld lasse sich jedoch ein relativ sehr gutes Sehvermögen erzielen, "das zum Besuch der Normalschule völlig ausreichend ist, zumal sogar kleinste Testschrift gelesen werden kann". Das vom Beschwerdeführer vorgelegte, an den "zuständigen Schularzt" gerichtete Schreiben des Facharztes für Augenheilkunde, Dr. Fritz S., vom 10. Juni 1988 beschränkt sich demgegenüber auf die Feststellung, daß der Beschwerdeführer wegen seiner beidseitigen hochgradigen Amblyopie schon wiederholt an der Schielambulanz der I. Univ. Augenklinik in Wien gewesen sei. Eine Besserung des jetzigen Sehvermögens sei leider nicht mehr zu erwarten. Vom Lehrpersonal sollte darauf auch Rücksicht genommen werden.

Ein Vergleich der vorstehend im wesentlichen wiedergegebenen Inhalte der der belangten Behörde vorgelegenen Sachverständigengutachten läßt die im bekämpften Bescheid getroffene Feststellung der belangten Behörde, es seien die vom Beschwerdeführer beigebrachten "Gegengutachten" auf die entscheidende Frage überhaupt nicht eingegangen, als zutreffend erscheinen. Weder das Gutachten der Psychologin Dr. Gisela M.-S. noch das Schreiben des Augenfacharztes Dr. Fritz S. enthält eine fachlich begründete Aussage darüber, ob der Besuch einer Sonderschule für sehbehinderte Kinder eine notwendige Maßnahme sei, um dem Beschwerdeführer eine seiner Behinderung angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Im Unterschied dazu ist dem Gutachten der Schulpsychologin wie auch dem Gutachten des Univ.-Prof. Dr. Heinz Sch. das klare - auf hinreichenden Tatsachenfeststellungen beruhende - fachliche Urteil zu entnehmen, daß dem Beschwerdeführer die seinen Fähigkeiten (seinen mehrfachen Funktionsschwächen) adäquate Förderung nur in einer Allgemeinen Sonderschule zuteil werden könne bzw. daß der Besuch der "Normalschule" völlig ausreiche.

Es begegnet daher keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung den beiden zuletzt genannten Gutachten gefolgt und auf dieser Grundlage in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß der Beschwerdeführer zu seiner angemessenen Schulbildung nicht des Besuches einer Schule für Sehbehinderte bedürfe.

4.1. In der Beschwerde wird weiters darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer in der Sehbehindertenschule - er besucht diese seit September 1988 - ein positives Jahreszeugnis erhalten habe, was zeige, daß er von der belangten Behörde selbst nach Einholung mehrerer Gutachten unrichtig beurteilt worden sei.

4.2. Auch damit kann der Beschwerdeführer für seinen Standpunkt nichts gewinnen. Wie immer man ein positives Jahreszeugnis des Beschwerdeführers in der von ihm besuchten Sonderschule beurteilt, es führt jedenfalls nicht dazu, daß deshalb die von der belangten Behörde zur Stützung ihrer abweislichen Entscheidung herangezogenen und als schlüssig erkannten Gutachten nunmehr als unschlüssig anzusehen wären. Abgesehen davon kommt dem besagten Jahreszeugnis im Hinblick darauf keine Beweiskraft zu, daß die belangte Behörde auf die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung maßgebliche Sachlage abzustellen hatte.

5.1. Die Beschwerde bringt noch vor, daß im angefochtenen Bescheid eine Heimunterbringung des Beschwerdeführers empfohlen worden sei und er dieser Empfehlung nachgekommen sei.

5.2. Bei dieser "Empfehlung", die sich im übrigen nicht auf eine Unterbringung in einem Heim, sondern um eine solche "außerhalb der Familie" bezog, handelt es sich um eine im Bescheid wiedergegebene Meinungsäußerung des Psychologischen Dienstes der belangten Behörde, die in sachverhaltsmäßiger Hinsicht an die häusliche Erziehungssituation anknüpfte und als solche zu Recht nicht dem für die abweisliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zugerechnet wurde.

6. Was schließlich den Beschwerdehinweis auf das sogenannte Gutachten der Leiterin der Volksschule Z und das Jahreszeugnis für den Beschwerdeführer über die zweite Schulstufe (Schuljahr 1987/88) anlangt, so erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der daraus gezogenen Schußfolgerung schon deshalb, weil dieser eine unrichtige Prämisse zugrunde liegt. (Der Beschwerdeführer wurde - im Gegensatz zur Beschwerdebehauptung - als zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt erklärt.)

7. Da nach dem Gesagten die belangte Behörde unter Zugrundelegung der Ergebnisse eines mängelfreien Ermittlungsverfahrens die Notwendigkeit des Besuches einer Sonderschule für sehbehinderte Kinder durch den Beschwerdeführer zur Erlangung einer seiner Behinderung angemessenen Schulbildung verneinte, steht die Abweisung des Antrages auf Gewährung einer Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Unterbringung des Beschwerdeführers in dem im Spruch des bekämpften Bescheides bezeichneten Heim zum Zweck des Besuches der dort bezeichneten Sonderschule ab dem Schuljahr 1988/89 mit dem Gesetz in Einklang. Die Beschwerde war sohin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer Sachverständiger Parteiengehör Sachverständigengutachten Sachverhalt Beweiswürdigung Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1990190028.X00

Im RIS seit

01.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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