Index
19/16 Berechnung von Fristen;Norm
FristberechnungsÜbk Eur Art5;Betreff
S gegen Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 6. Juli 1989, Zl. III-14715/5, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 15. Februar 1989 sichtvermerksfrei nach Österreich ein. Am 16. Mai 1989 langte bei der belangten Behörde sein mit 11. Mai 1989 datierter Antrag auf Erteilung eines auf zwei Jahre befristeten Wiedereinreise-Sichtvermerkes ein. Diesen Antrag wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid "gemäß § 25 Abs. 1 und 2 Paßgesetz, BGBl. Nr. 422/69 i.d.g.Fassung" ab. In der Begründung wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer verheiratet sei. Seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder lebten in der Türkei. Die einzigen in Österreich lebenden näheren Verwandten des Beschwerdeführers seien seine beiden Brüder. Das im österreichisch-türkischen Sichtvermerksabkommen, BGBl. Nr. 194/1955, vorgesehene Höchstausmaß des sichtvermerksfreien Aufenthaltes von drei Monaten reiche aus, um nähere Beziehungen zu in Österreich lebenden Verwandten aufzubauen, ohne daß dadurch die familiären Bindungen im Heimatland geschmälert würden. Der vom Beschwerdeführer weiter vorgebrachte Grund, die deutsche Sprache in Österreich erlernen zu wollen, könne nicht als ein solches persönliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet gesehen werden, welches die Erteilung eines Sichtvermerkes rechtfertige, da die Erlernung der deutschen Sprache nicht notwendig an einen Aufenthalt in Österreich gebunden sei. Diesen nach Ansicht der belangten Behörde "sohin nicht vorhandenen" persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich stünden folgende öffentliche Interessen entgegen:
Der Beschwerdeführer sei am 15. Februar 1989 ohne Sichtvermerk nach Österreich eingereist und habe am 11. Mai 1989, also kurz vor Ablauf der dreimonatigen Frist, bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes eingebracht. Der Antrag sei bei der Behörde am 16. Mai 1989 eingelangt. Durch dieses Vorgehen - der Behörde sei keine Gelegenheit gegeben worden, innerhalb der erlaubten Höchstaufenthaltsdauer von drei Monaten zu entscheiden - scheine der Verdacht einer Umgehung des oben genannten Sichtvermerksabkommens gegeben. Der Beschwerdeführer beziehe kein Einkommen. Er lebe laut seinen Angaben von Unterstützungen seiner Brüder. Der eine Bruder beziehe laut Lohnzettel einen Normallohn von ca. S 10.215,-- und habe für seine Gattin und drei Kinder zu sorgen. Der andere Bruder beziehe laut Lohnzettel einen Normallohn von ca. S 16.394,-- und habe ebenfalls für seine Gattin sowie für vier Kinder zu sorgen. Obwohl sohin beide Brüder in der Lage seien, die normalen Lebenshaltungskosten, wie Verpflegung und Unterkunft, zu tragen, erscheine der Behörde das Einkommen zu gering, "als daß eventuell auftretende Krankheitskosten oder Unfallbehandlungen bezahlt werden könnten". Es sei somit die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß der Beschwerdeführer bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet der Republik Österreich zur Last fallen könnte. In Abwägung aller Gesichtspunkte, insbesondere der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und der öffentlichen Interessen, sei im Rahmen des der Behörde eingeräumten freien Ermessens der Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes abzulehnen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 23 Abs. 1 des Paßgesetzes 1969 bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument eines österreichischen Sichtvermerkes, soweit nicht durch zwischenstaatliche Vereinbarungen etwas anderes bestimmt wird. Gemäß Art. 1 Abs. 3 des im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zur Gänze in Kraft gestandenen österreichisch-türkischen Sichtvermerksabkommens, BGBl. Nr. 194/1955, müssen die Staatsangehörigen jedes der beiden Vertragsstaaten, welche wünschen, sich in der Türkei bzw. in Österreich niederzulassen oder dort länger als drei Monate Aufenthalt zu nehmen, noch vor ihrer Einreise von den in Betracht kommenden diplomatischen oder konsularischen Vertretungsbehörden den erforderlichen Sichtvermerk einholen. Nach Art. 1 Abs. 4 des Abkommens müssen die österreichischen und türkischen Staatsangehörigen, die ohne Sichtvermerk nach der Türkei oder nach Österreich eingereist und die aus berechtigten Gründen genötigt sind, ihren Aufenthalt zu verlängern, von den örtlichen Behörden die erforderliche Bewilligung erlangen, wobei es den besagten Behörden freisteht, diese zu erteilen oder zu verweigern.
Der Regelung des § 25 Abs. 1 des Paßgesetzes 1969 zufolge kann ein Sichtvermerk einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß § 25 Abs. 3 des Gesetzes vorliegt. Nach § 25 Abs. 2 hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen. Gemäß § 25 Abs. 3 lit. e leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.
Bei dieser Rechtslage hat die Behörde, der die Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes obliegt, zunächst festzustellen, ob und inwieweit einer der angeführten gesetzlichen Versagungsgründe vorliegt. Erst dann und nur dann, wenn die Behörde auf Grund ihrer Sachverhaltsannahme zu dem Schluß gelangt, daß keiner der Versagungsgründe des § 25 Abs. 3 des Paßgesetzes 1969 gegeben ist, ist es unter Bindung an die im § 25 Abs. 2 vorgezeichneten materiell-gesetzlichen Richtlinien der Behörde überantwortet, durch einen Akt freien Ermessens über das Ansuchen um Erteilung eines Sichtvermerkes verbindlich abzusprechen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. November 1975, Zlen. 1137, 1139 und 1141/75).
Im Beschwerdefall stützte die belangte Behörde ihren Bescheid im Spruch ausdrücklich nur auf § 25 Abs. 1 und 2 des Paßgesetzes 1969. Sie ging also davon aus, daß kein Versagungsgrund gemäß § 25 Abs. 3 leg. cit., also insbesondere auch nicht der der lit. e dieser Bestimmung, vorliege (vgl. etwa auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 1982, Zl. 82/01/0116). Damit steht aber in Widerspruch, daß sie ihre negative Ermessensausübung auch damit begründete, daß die Wahrscheinlichkeit gegeben sei, daß der Beschwerdeführer bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet der Republik Österreich zur Last fallen könnte, weil das Einkommen seiner Brüder zu gering erscheine, "als daß eventuell auftretende Krankheitskosten oder Unfallbehandlungen bezahlt werden könnten". Diese Ausführungen bringen zum Ausdruck, daß die belangte Behörde offenbar doch den Versagungsgrund des § 25 Abs. 3 lit. e des Paßgesetzes 1969 als gegeben erachtete. In einem solchen Fall bleibt aber für eine Ermessensentscheidung gemäß § 25 Abs. 1 und 2 leg. cit., wie sie die belangte Behörde getroffen hat, kein Raum.
Diese rechtswidrige Vorgangsweise der belangten Behörde würde den Beschwerdeführer allerdings dann nicht in dem von ihm als Beschwerdepunkt geltend gemachten Recht auf Erteilung des beantragten Sichtvermerkes verletzen, wenn das Vorliegen des in der Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Versagungsgrundes des § 25 Abs. 3 lit. e des Paßgesetzes 1969 auf Grund des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes tatsächlich zu bejahen wäre oder wenn die Ermessensübung nach § 25 Abs. 1 und 2 leg. cit. auch ohne Berücksichtigung des als Begründungselement für die Ermessensentscheidung untauglichen Tatbestandes nach § 25 Abs. 3 lit. e leg. cit. zu keinem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. März 1972, Slg. Nr. 8189/A). Beides trifft hier nicht zu:
Die Beurteilung, ob die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte, darf nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht durch Einbeziehung aller nur denkmöglichen finanziellen Risken überspannt werden. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, daß dem Sichtvermerkswerber in absehbarer Zeit für ihn unerschwingliche Kosten an krankheits- oder unfallsbedingter Heilbehandlung erwachsen könnten, dann wird zumindest die Erteilung eines - den Umständen angepaßten - befristeten Sichtvermerkes nicht unter Berufung auf § 25 Abs. 3 lit. e des Paßgesetzes 1969 versagt werden dürfen, wenn sich ein naher Angehöriger verpflichtet hat, für den Unterhalt des Sichtvermerkswerbers zu sorgen, sofern dieser Angehörige auf Grund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch tatsächlich zur Bestreitung der dem Sichtvermerkswerber unter gewöhnlichen Verhältnissen entstehenden Unterhaltskosten in der Lage ist (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Mai 1989, Zl. 88/01/0234). Auf dem Boden dieser Rechtslage ist jedoch die Schlußfolgerung der belangten Behörde, daß das Einkommen der Brüder des Beschwerdeführers zwar zur Deckung der "normalen Lebenshaltungskosten, wie Verpflegung und Unterhalt", nicht aber zur Bezahlung von "eventuell auftretenden Krankheitskosten oder Unfallbehandlungen" ausreiche, nicht geeignet, den genannten Versagungstatbestand zu begründen, läßt sich doch aus den Feststellungen der belangten Behörde nicht entnehmen, auf welcher Grundlage sie von welcher Höhe der von ihr angeführten Kosten ausging. Dazu kommt, daß die belangte Behörde bei der Feststellung des Einkommens der Brüder des Beschwerdeführers nicht die tatsächlichen Nettobezüge, sondern bloß den nach den vorgelegten Lohnzetteln nur einen Teil der Bezüge bildenden "Normallohn" berücksichtigte und sich nicht mit dem im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzte, daß den Brüdern von ihren durchschnittlichen Monatseinkommen nach Abzug der Lebenshaltungskosten für sie und ihre Angehörigen noch beträchtliche Beträge verblieben.
Der belangten Behörde kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie die dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich entgegenstehenden öffentlichen Interessen mit dem Verdacht einer Umgehung des österreichisch-türkischen Sichtvermerksabkommens begründete. Daß der Beschwerdeführer schon im Zeitpunkt der Einreise nach Österreich beabsichtigt hätte, länger als drei Monate im Bundesgebiet Aufenthalt zu nehmen, stellte die belangte Behörde nicht fest. Der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Sichtvermerkes langte am 16. Mai 1989, also unter Bedachtnahme auf Art. 5 des Europäischen Übereinkommens über die Berechnung von Fristen, BGBl. Nr. 254/1983, (der 15. Mai 1989 war der Pfingstmontag) noch innerhalb der dreimonatigen Frist des Art. 1 Abs. 3 des österreichisch-türkischen Sichtvermerksabkommens bei der belangten Behörde ein. Eine Rechtsvorschrift, daß der Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes so rechtzeitig eingebracht werden müßte, daß der Behörde die Möglichkeit gewahrt bleibt, innerhalb der "Höchstaufenthaltsdauer von drei Monaten" zu entscheiden, besteht nicht. Unter diesen Umständen entbehrt der im Rahmen der Ermessensentscheidung erhobene Vorwurf einer Umgehung des genannten Sichtvermerksabkommens jeder Berechtigung. Damit ist aber ein weiteres wesentliches Begründungselement dieser Ermessensentscheidung weggefallen.
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde erübrigte sich.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990190135.X00Im RIS seit
06.08.2001