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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §20;Betreff
N GesmbH gegen Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat) vom 6. Oktober 1988, Zl. 31.324-3/88, betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 1979 und 1980.
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In ihren Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1979 und 1980 wies die Beschwerdeführerin steuerpflichtige Umsätze im Gesamtbetrag von S 1,495.189,87 (1979) und S 5,038.814,16 (1980) aus. In den jeweils u.a. angeschlossenen Gewinn- und Verlustrechnungen führte die Beschwerdeführerin unter den Erträgen die Position "Weiterverrechnung Personalkosten" im Betrag von S 691.772,10 (1979) und S 254.488,-- (1980) an.
Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer jeweils auf der Grundlage der erklärten steuerpflichtigen Umsätze fest.
Nach den Feststellungen einer im Jahr 1984 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung hatte die Beschwerdeführerin der X Gesellschaft m.b.H. & Co KG Personal zur Arbeitsleistung im Inland gegen Entgelt von S 691.772,10 im Jahr 1979 und von S 254.488,-- im Jahr 1980 überlassen. Am 9. Mai 1985 nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend die Umsatzsteuer für die Jahre 1979 und 1980 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ geänderte Umsatzsteuerbescheide.
Gegen die die amtswegige Wiederaufnahme verfügenden Bescheide erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Sie führte aus, die Voraussetzungen der Wiederaufnahme seien nicht gegeben, da bei der abgabenbehördlichen Prüfung keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen seien. Die "weiterverrechneten Personalkosten" seien als gesonderte Ertragspositionen in den Gewinn- und Verlustrechnungen ausgewiesen gewesen; aus den Umsatzsteuererklärungen habe der Abgabenbehörde bekannt sein müssen, daß die Beschwerdeführerin für diese Beträge keine Umsatzsteuer entrichtet habe. Im übrigen habe die Schwesterfirma der Beschwerdeführerin, die X Gesellschaft m.b.H. & Co KG, der die strittigen Entgelte verrechnet worden seien, keinen Vorsteuerabzug durchgeführt. Trotz identen Sachverhaltes sei das Verfahren dieses Unternehmen betreffend nicht wiederaufgenommen worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie führte begründend aus, auch ein Verschulden der Behörde an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel schließe die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht aus. Erst im Zuge der Betriebsprüfung sei hervorgekommen, welcher Sachverhalt den in den Gewinn- und Verlustrechnungen ausgewiesenen Positionen "weiterverrechnete Personalkosten" zu Grunde liege. Damit sei neu hervorgekommen, daß ein Leistungsaustausch im Inland vorliege. Der Einwand, daß im Zuge der Betriebsprüfung zwar bei der Beschwerdeführerin ein steuerpflichtiger Umsatz erfaßt, dem Leistungsempfänger hingegen der Vorsteuerabzug aus diesen Leistungen nicht gewährt worden sei, sei nicht stichhältig, weil die Beschwerdeführerin unbestritten keine Rechnungen über die Arbeitsleistungen ausgestellt habe; das Vorliegen ordnungsgemäßer Rechnungen sei jedoch gemäß § 12 Abs. 1 UStG materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Beschwerdeführerin gründet ihre Auffassung, es seien keine neuen Tatsachen hervorgekommen, auf die Behauptung, der Abgabenbehörde sei einerseits aus den den Umsatzsteuererklärungen beigelegten Gewinn- und Verlustrechnungen die Tatsache der "Weiterverrechnung von Personalkosten" bekannt gewesen; andererseits sei aus den Umsatzsteuererklärungen ersichtlich gewesen, daß diese Personalkosten "nicht der Umsatzsteuer unterworfen" worden seien.
Damit verkennt die Beschwerdeführerin, daß die Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, daß sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 1987, Zl. 85/15/0372).
Davon kann aber im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Selbst wenn man unterstellt, die Abgabenbehörde hätte an Hand der Beilagen zu den Umsatzsteuererklärungen erkennen können, daß "weiterverrechnete Personalkosten" nicht im erklärten Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Umsätze enthalten seien, enthielt die Erklärung der Beschwerdeführerin samt ihren Beilagen nicht alle jene Angaben, welchen der entscheidungswesentliche Sachverhalt in seiner Gesamtheit hätte entnommen werden können. Dies wäre dann der Fall gewesen, wenn schon aus der Erklärung und ihren Beilagen sich ergeben hätte, daß es sich bei den "weiterverrechneten Personalkosten" um Entgelte für im Inland erbrachte Leistungen handelte. Dies ist aber, wie die belangte Behörde zutreffend hervorhebt, nicht der Fall.
Auch der von der Beschwerdeführerin aufgezeigte Umstand, daß die Abgabenbehörde bei Vorliegen von Zweifeln die Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhaltes getroffen hätte, vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil die Wiederaufnahme von Amts wegen auch nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß die Abgabenbehörde an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen durch das Unterlassen entsprechender Ermittlungen ein Verschulden trifft (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. September 1989, Zl. 88/13/0072).
Die Beschwerdeführerin vertritt weiters die Auffassung, die belangte Behörde habe das bei der Entscheidung über die amtswegige Wiederaufnahme eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Bei der X Gesellschaft m.b.H. & Co KG hätten nämlich jene Umsatzsteuern, die die Beschwerdeführerin zu entrichten gehabt hätte, Vorsteuern dargestellt. Dennoch habe die Abgabenbehörde eine Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens der X Gesellschaft m.b.H. & Co KG abgelehnt.
Die Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens hat die Behörde an dem der amtswegigen Wiederaufnahme zu Grunde liegenden und dieses Rechtsinstitut rechtfertigenden Ziel, ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen, zu orientieren (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. März 1988, B 70/87; Stoll, BAO - Handbuch 712). Der Abgabenpflichtige hat zwar nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1988, Zl. 87/15/0075) kein subjektives Recht auf Wiederaufnahme von Amts wegen; nimmt die Behörde aber wahr, daß die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme gegeben sind, hat sie die Wiederaufnahme nicht nur zum Nachteil, sondern auch zum Vorteil des Abgabenpflichtigen zu verfügen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, Slg. 5429/1966). Im vorliegenden Fall würde dies bedeuten, daß bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen eines erhöhten Vorsteuerabzuges grundsätzlich auch gegenüber dem Leistungsempfänger das Umsatzsteuerverfahren (auch von Amts wegen) wieder aufgenommen werden könnte.
Im vorliegenden Fall kann sich die Beschwerdeführerin aber nicht darauf berufen, daß die Behörde gegen das Gebot, bei Wahrnehmung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen der amtswegigen Wiederaufnahme diese auch zum Vorteil des Abgabenpflichtigen zu verfügen, ihr gegenüber verstoßen hätte. Mit ihrem Vorbringen, gegenüber der X Gesellschaft m. b.H. & Co KG wäre das Umsatzsteuerverfahren nicht wieder aufgenommen worden, macht sie vielmehr in der Rechtsphäre eines Dritten gelegene Umstände geltend, die mit der Festsetzung der Abgaben ihr gegenüber nicht im Zusammenhang stehen. Damit kann aber eine in der Verfügung der Wiederaufnahme liegende Unbilligkeit nicht aufgezeigt werden. Es bedarf daher keiner Erörterung, ob die - im Hinblick auf das Fehlen von Rechnungen (§ 12 Abs. 1 Z. 1 UStG) - von der belangten Behörde bestrittenen Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens gegenüber der X Gesellschaft m.b.H. & Co KG vorliegen oder nicht.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989150005.X00Im RIS seit
02.04.1990