TE Vfgh Erkenntnis 1987/9/25 B276/87

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Veröffentlicht am 25.09.1987
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

VStG 1950 §35 litb
VfGG §88

Leitsatz

Durch keine konkreten Umstände gerechtfertigte Annahme, der Bf. werde sich der Strafverfolgung entziehen; keine Wirksame Zustellung des Schubhaftbescheides durch Übergabe einer Ausfertigung an den rechtsfreundlich vertretenen Bf.; Festnahme weder in §35 litb VStG 1950 noch im FrPG gedeckt; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme und nachfolgende Anhaltung

Spruch

Der Bf. ist durch die am 10. Feber 1987 um 11,00 Uhr von Gendarmeriebeamten in Frastanz vorgenommene Festnahme und die folgende Anhaltung im Landesarrest in Bludenz, soweit sie bis 11. Feber 1987, 10,00 Uhr währte, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg verhängte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 1. September 1986 gemäß §3 Abs1 und 2 lita iVm §4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954, (FrPG) über den Bf. einen türkischen Staatsangehörigen - ein bis 31. Dezember 1991 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet.

Dagegen erhob der Bf. Beschwerde an den VfGH. Der Beschwerde wurde zunächst die aufschiebende Wirkung zuerkannt, ihre Behandlung aber in der Folge mit hg. Beschluß 10. Dezember 1986, Zl. B888/86, (zugestellt am 2. Feber 1987) abgelehnt.

Der Bf. verblieb weiterhin in Österreich. Die BH Bregenz ordnete daraufhin mit Bescheid vom 9. Feber 1987 gemäß § 5 Abs1 FrPG in Anwendung des §57 Abs1 AVG 1950 zur Sicherung der Abschiebung die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) an.

Über Auftrag der BH Bregenz nahmen Gendarmeriebeamte dem Bf. am 10. Feber 1987 um 11,00 Uhr in seiner Wohnung in Frastanz fest und überstellten ihn zunächst der BH Bregenz. Dort wurde ihm um etwa 11,30 Uhr eine Ausfertigung des erwähnten Schubhaftbescheides persönlich übergeben. Eine weitere Ausfertigung wurde im Wege der Post dem Rechtsanwalt des Bf. am 11. Feber 1987 um 10,00 Uhr zugestellt.

Der festgenommene Bf. wurde in der Folge in den Landesarrest in Bludenz eingeliefert und dort angehalten. Am 11. Feber 1987 wurde er (über Weisung des Bundesministeriums für Inneres) um 14,30 Uhr aus der Haft entlassen.

2. Die vorliegende, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am 10. Feber 1987 um 11,00 Uhr erfolgte Festnahme des Bf. und seine Anhaltung bis 11. Feber 1987, 10,00 Uhr (Zeitpunkt der Zustellung des Schubhaftbescheides an den Rechtsvertreter des Bf.).

Der Bf. behauptet, durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein. Er beantragt, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

3. Die BH Feldkirch als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Die BH Feldkirch behauptet, der Bf. sei ihr zur Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens gemäß §35 VStG 1950 vorgeführt worden; er habe sich nämlich illegal in Österreich aufgehalten und sich daher einer Übertretung nach dem FrPG schuldig gemacht; er sei von den Gendarmeriebeamten auf frischer Tat betreten worden. Wegen des rechtskräftigen und vollstreckbaren Aufenthaltsverbotes habe die Gefahr bestanden, daß sich der Fremde dem Verwaltungsstrafverfahren entziehen werde.

b) Der damit von der bel. Beh. angezogene §35 litb VStG 1950 deckt die Festnahme und die Anhaltung des Bf. nicht. Es lagen nämlich keine konkreten Umstände vor, die den behaupteten Verdacht, der Bf. werde sich die Strafverfolgung zu entziehen suchen, rechtfertigen könnten (vgl. hiezu die ständige Judikatur des VfGH, zB VfSlg. 9916/1984). Weder werden solche Umstände in der Gegenschrift vorgebracht, noch ergeben sie sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

2. Zu untersuchen bleibt, ob die angefochtenen Maßnahmen durch den Schubhaftbescheid gedeckt sind:

a) Gemäß §5 Abs1 FrPG kann ein Fremder unter anderem zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Verwahrung genommen werden (Schubhaft), wenn dies im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder aus dem Grunde notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern. Die Schubhaft ist, wie sich aus §11 Abs2 FrPG ergibt, mit Bescheid anzuordnen. Die Verhängung der Schubhaft schließt auch die Festnahme ein (vgl. zB VfSlg. 9323/1982 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen, darf also nur erfolgen, wenn sie durch einen Bescheid verfügt worden ist. Ein schriftlicher Bescheid gilt erst dann als erlassen, wenn er wirksam zugestellt wurde.

b) Die Voraussetzung wurde hier nicht erfüllt: Der Bf. wurde am 10. Feber 1987 um 11,00 Uhr von Gendarmeriebeamten festgenommen, ohne daß zuvor ein Schubhaftbescheid erlassen worden wäre. Der Schubhaftbescheid wurde dem Bf. persönlich erst am 10. Feber 1987 um 11,30 Uhr nach seiner Überstellung zur BH Feldkirch ausgefolgt. Er war - wie der Behörde bekannt war in dieser Sache rechtsfreundlich vertreten. Dies ergibt sich aus der Beschwerdebehauptung, der Bf. habe einem Rechtsanwalt Vollmacht erteilt, der Bescheid sei daher diesem zuzustellen; die Richtigkeit dieser Angaben wurde in der von der Behörde erstatteten Gegenschrift nicht bestritten, sondern angeführt, der Bf. habe in der Person eines bestimmten Rechtsanwaltes einen Vertreter gehabt, weshalb die Behörde (auch) ihm eine Bescheidausfertigung zustellte. Das Bestehen eines Vertretungsverhältnisses im Schubhaftverfahren hatte aber zur Folge, daß die Übergabe einer Ausfertigung des Schubhaftbescheides keine wirksame Zustellung bewirkte (siehe §9 Abs1 Zustellgesetz; vgl. VfSlg. 10978/1986 und die dort zitierte Judikatur und Literatur). Vielmehr gilt der Schubhaftbescheid erst am 11. Feber 1987, 10,00 Uhr, dadurch als erlassen, daß er dem Rechtsvertreter des Bf. zugestellt wurde.

c) Nach §4 des im Verfassungsrang stehenden Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt (nur) in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Ein solcher Fall lag hier nicht vor: Wie in der vorstehenden litb dargetan wurde, konnte die Festnahme des Bf. mangels eines vorangegangenen förmlichen Schubhaftbescheides nicht auf das FrPG gestützt werden (vgl. zB VfSlg. 9323/1982, 10978/1986); gleiches gilt für die Anhaltung bis zur wirksamen Zustellung des Schubhaftbescheides an den Rechtsvertreter des Bf. am 11. Feber 1987.

Eine andere gesetzliche Grundlage (etwa §35 VStG) war nicht gegeben (s.o. II.1.).

3. Es war sohin festzustellen, daß der Bf. durch die am 10. Feber 1987, 11,00 Uhr, vorgenommene Festnahme und durch die darauf folgende Anhaltung bis 11. Feber 1987, 10,00 Uhr (durch Maßnahmen, die als in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte individuelle Verwaltungsakte iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG zu qualifizieren sind) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden ist.

4. Diese Feststellung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Wenngleich in der Beschwerde die Ausführungen zur Festnahme und zur Anhaltung bis zur Ausfolgung des Schubhaftbescheides einerseits und zur Anhaltung ab diesem Zeitpunkt andererseits getrennt sind, handelt es sich doch um eine einzige Beschwerde, für die die üblichen Kosten (und nicht - wie begehrt - der doppelte Satz) zuzusprechen waren.

In den Kosten ist ein Betrag von 1.000 S für Umsatzsteuer inkludiert.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Fluchtgefahr, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1987:B276.1987

Dokumentnummer

JFT_10129075_87B00276_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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