TE Vwgh Erkenntnis 1990/4/4 89/13/0190

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.04.1990
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §250 Abs1 lita;
BAO §273 Abs2;
BAO §275;
VwGG §42 Abs2 Z2;

Beachte

Besprechung in:ÖStZB 1991, 64;

Betreff

N gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 20. Juli 1989, Zl. GA 5-271/1/89, betreffend Jahresausgleich für das Kalenderjahr 1988:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.560,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der beschwerdeführende Arbeitnehmer brachte beim Finanzamt am 7. April 1989 einen Antrag auf Durchführung eines Jahresausgleiches für das Kalenderjahr 1988 ein. Aus dem Lohnzettel für das Jahr 1988, auf dessen Rückseite der Jahresausgleichsantrag gestellt wurde, geht hervor, daß der Arbeitgeber bei der Lohnsteuerberechnung für die Monate Jänner bis September 1988 den Hinzurechnungsbetrag gemäß § 75 Abs. 1 EStG 1972, der unter anderem bei schuldhafter Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte vorgesehen ist, zur Anwendung brachte.

Am 26. MAI 1989 richtete der Beschwerdeführer an die Finanzlandesdirektion (belangte Behörde) ein nicht näher, jedenfalls nicht als Berufung bezeichnetes Schreiben, in dem er zunächst im wesentlichen vorbrachte, daß eine schuldhafte Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte an den Arbeitgeber nicht anzunehmen sei. Wörtlich heißt es sodann:

"Ich ersuche daher als Familienvater mit vier unmündigen Kindern und als Alleinverdiener um Berichtigung der Lohnsteuerkarte und Rückverrechnung der zuviel einbehobenen Lohnsteuerbeträge gemäß § 18 EStG, da dieser Zustand, wie exekutiert, für mich eine unbillige Härte darstellt. Da persönliche Vorsprachen am Finanzamt für den 21./22. Bezirk keinerlei Ergebnis brachten, wende ich mich als übergeordnete Behörde an Sie, die Finanzlandesdirektion. Bitte stellen Sie den richtigen Rechtssteuerzustand her, veranlagen Sie mein Jahreseinkommen pro 1988 in einem amtswegigen Jahresausgleich

und überwiesen Sie mir den Überhangbetrag auf mein Konto ... .

Ich bitte um Disposition innert einer angemessenen Frist, da der Einkommensverlust für mich erheblich ist. Bitte auch um Erstellung eines schriftlichen Bescheides."

Unter dem Datum 27. JUNI 1989, also mehr als einen Monat später, erließ das Finanzamt einen Bescheid, mit dem es die Durchführung des beantragten Jahresausgleiches auf Grund einer unter anderem auf § 75 Abs. 1 EStG 1972 gestützten Berechnung ablehnte.

    Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde

"die Berufung vom 26. Mai 1989 ... gegen den Bescheid des

Finanzamtes ... vom 27. Juni 1989" als unbegründet ab. § 75

Abs. 1 EStG 1972 wäre der Entscheidung des Finanzamtes über den beantragten Jahresausgleich zu Recht zugrunde gelegt worden.

Vorliegende Beschwerde macht sowohl inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides als auch dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde unter anderem vor, über eine "Berufung" gegen einen noch nicht ergangenen Bescheid entschieden zu haben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Aus der Gegenschrift ergibt sich, daß die belangte Behörde bewußt und nicht bloß aus Versehen über die "Berufung vom 26. Mai 1989" (statt über ein späteres Schreiben des Beschwerdeführers an den Vizepräsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland) absprach.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 273 Abs. 2 BAO, auf den die Gegenschrift auch Bezug nimmt, darf eine Berufung nicht deshalb als unzulässig zurückgewiesen werden, weil sie vor Beginn der Berufungsfrist eingebracht wurde oder weil sie unrichtig bezeichnet ist.

Zu dieser Gesetzesstelle führt Stoll, BAO-Handbuch, auf Seite 657 erläuternd aus, während im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechtes vor Beginn des Laufes der Berufungsfrist eingebrachte Berufungen als unzulässig angesehen würden, komme einem solchen vorbeugenden Parteischritt (etwa weil ein Bescheid bestimmten Inhaltes, z.B. auf Grund einer Betriebsprüfung, zu erwarten sei) im Abgabenverfahren zufolge der Anordnung des § 273 Abs. 2 BAO nicht die Bedeutung einer unzulässigen Verfahrenshandlung zu; nach Zustellung des vorweg angefochtenen Bescheides sei erforderlichenfalls nach § 275 BAO vorzugehen, keinesfalls von vornherein zurückzuweisen.

Es kann somit auch eine Sachentscheidung über eine vor Erlassung des Finanzamtsbescheides erhobene Berufung getroffen werden. Voraussetzung für eine solche Berufungsentscheidung ist aber in jedem Fall, daß tatsächlich eine Berufung vorliegt. Dabei kommt es zwar nicht auf die Bezeichnung, sondern auf den Inhalt eines Schriftsatzes an. Der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 26. Mai 1989 läßt jedoch auch dann, wenn man ihn an seinem Inhalt mißt, nicht erkennen, daß mit ihm ein noch zu erlassender Bescheid angefochten werden sollte. Der über das Abgabenrecht und auch über die Zuständigkeiten der Abgabenbehörden erkennbar nicht informierte Beschwerdeführer strebte mit seinem Schreiben vom 26. Mai 1989 (erst) die "Erstellung eines schriftlichen Bescheides" an, wie dies im letzten Satz des Schreibens zum Ausdruck kommt. Daß er gegen einen schriftlichen Bescheid, um dessen Erstellung er im Schreiben vom 26. Mai 1989 bat, auch schon Berufung erheben wollte, geht aus diesem Schreiben nicht hervor. Die belangte Behörde hat daher eine Berufungsentscheidung erlassen, obwohl keine Berufung vorlag. Dies bewirkte eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde (siehe Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 584 f, und die dort angeführte Rechtsprechung).

Für die belangte Behörde wäre selbst dann nichts gewonnen, wenn man dem Schreiben vom 26. Mai 1989 die Absicht des Beschwerdeführers unterstellen wollte, Berufung gegen einen noch zu erlassenden Bescheid zu erheben. MUSS doch gemäß § 250 Abs. 1 (lit. a) die Berufung jedenfalls auch die Bezeichnung des Bescheides enthalten, gegen den sie sich richtet. Davon ist eine Berufung gegen einen erst zu erlassenden Bescheid nicht ausgenommen, wie auch Stoll, aaO, darlegt. In einem solchen Fall ist nach Zustellung des vorweg angefochtenen Bescheides dem Berufungswerber gemäß § 275 BAO aufzutragen, dem zwingenden Erfordernis des § 250 Abs. 1 lit. a BAO zu entsprechen und den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sich die Berufung richtet (siehe nochmals Stoll, aaO), wobei auch die Mängelbehebung nach

§ 275 BAO zwingend angeordnet ist ("... so HAT die

Abgabenbehörde ... die Behebung dieser INHALTLICHEN Mängel ...

aufzutragen ..."). Die Berufungsbehörde, der keine den Erfordernissen des § 250 BAO entsprechende Berufung vorliegt, ist zu einer Sachentscheidung nicht zuständig. Trifft sie eine solche dennoch, so belastet sie den angefochtenen Bescheid (ebenfalls) mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1977, Zl. 148/76, Slg. Nr. 5078/F). Eine solche Unzuständigkeit hat der Verwaltungsgerichtshof auch dann aufzugreifen, wenn sie (als solche) vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht wurde (siehe Dolp, aaO, Seite 581). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG und die Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989130190.X00

Im RIS seit

04.04.1990

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten