TE Vwgh Erkenntnis 1990/4/5 89/09/0141

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Veröffentlicht am 05.04.1990
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §58;
AVG §60;
B-VG Art132;
KOVG 1957 §52 Abs2;
KOVG 1957 §7;
KOVG 1957 §8;
VwGG §27;

Betreff

N gegen Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Tirol vom 10. Oktober 1989, Zl. OB. 910-005.141-008, betreffend Kriegsopferversorgung (Beschädigtenrente)

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahre 1922 geborene Beschwerdeführer steht auf Grund des Bescheides des Landesinvalidenamtes für Vorarlberg vom 6. April 1970 im Bezug einer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG 1957) entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 50 %. Als Dienstbeschädigungen, jeweils mit einer Kausalkomponente von 1/1, wurden damals

1.

Verlust des Zeigefingers rechts

2.

Verlust des Mittelfingers links mit Teilverlust des Mittelhandknochens

3.

Versteifung des Mittelfingers rechtes

4.

Versteifung des Zeigefingers links in Streckstellung

5.

Funktionsbehinderung des Ringfingers links

6.

mehrere reaktionslose Narben an beiden Händen und

7.

reaktionslos eingeheilter Stecksplitter im linken Oberarm

anerkannt, welche in medizinischer Sicht eine Gesamt-MdE von 40 % ergaben. Diese MdE erhöhte sich gemäß § 8 KOVG 1957 auf 50 %.

Mit Antrag vom 7. Mai 1987 begehrte der Beschwerdeführer die Anerkennung der Arthritis der kleinen Gelenke seiner beiden Hände als Dienstbeschädigung sowie die Neubemessung seiner Beschädigtenrente.

Da der Beschwerdeführer u.a. als Beisitzer in der beim Landesinvalidenamt für Vorarlberg eingerichteten Schiedskommission tätig ist, wurde die weitere Bearbeitung seines Antrages dem Landesinvalidenamt für Tirol (LIA) übertragen. Dieses holte ein ärztliches Gutachten des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Dr. A ein, welcher feststellte, daß seit der letzten Rentenbemessung insoweit eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten sei, als die durch die Verletzungsfolgen bedingte Funktionseinschränkung im Bereiche beider Hände zu einer Überbelastung der Daumensattelgelenke beiderseits und damit zu einer Arthrose dieser Gelenke geführt habe. Diese Verschlimmerung sei teilweise (1/2) kausal und demnach gemäß Richtsatzposition 418 mit 20 % MdE einzuschätzen. Als weitere Dienstbeschädigung sei daher die "Arthrose Daumensattelgelenk bds." anzuerkennen, wodurch sich die Gesamt-MdE aus medizinischer Sicht von 40 auf 50 % erhöhe. Berufskundlich ergab sich, daß berufliche Sonderverhältnisse für die Annahme einer MdE nach § 8 KOVG 1957 nicht vorlägen; die Berufsbehinderung des Beschwerdeführers im allgemeinen Erwerbsleben sei bereits durch die richtsatzmäßig ermittelte MdE nach § 7 KOVG 1957 erfaßt.

In einer Stellungnahme zu diesem ihm im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebrachten Gutachten führte der Beschwerdeführer aus, gegen die Richtsatzeinschätzung gemäß § 7 KOVG 1957 würden keine Einwendungen erhoben, wohl aber gehe die berufskundliche Einschätzung von falschen Voraussetzungen aus. Dazu ergänzte der berufskundliche Sachverständige sein Gutachten dahin, daß nicht von den persönlichen Verhältnissen des Beschädigten, sondern von den objektiven beruflichen Anforderungen eines leitenden kaufmännischen Angestellten auszugehen sei, weshalb eine Änderung in der getroffenen Einschätzung nicht Platz zu greifen habe.

Auf Grund der eingeholten Gutachten wies das LIA mit Bescheid vom 3. Juni 1988 den Antrag des Beschwerdeführers auf Erhöhung der ihm gewährten Grundrente unter Berufung auf die §§ 4, 7, 8 und 52 Abs. 2 KOVG 1957 ab. Gleichzeitig wurde die "Arthrose Daumensattelgelenk bds." mit einem ursächlichen Anteil von 1/2 als weitere Dienstbeschädigung anerkannt. Der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Leidenszustand auf Grund der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers rechtfertige nach § 3 der Richtsatzverordnung die Einschätzung der MdE des Beschwerdeführers mit 50 %; diese MdE erfahre keine weitere Erhöhung gemäß § 8 KOVG 1957.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die Einschätzung seiner MdE entspreche nicht der Richtsatzverordnung zu § 7 KOVG 1957; auch die berufskundliche Beurteilung nach § 8 KOVG 1957 sei von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen; der Beschwerdeführer habe dauernd Rechen- und Schreibmaschinen zu bedienen. Dazu wurde eine Dienst- und Arbeitsplatzbeschreibung der Stadtwerke S, bei denen der Beschwerdeführer tätig ist, beigebracht.

Die belangte Behörde führte ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durch, in dem sie ein Gutachten der leitenden Ärztin sowie ein ergänzendes beurfskundliches Gutachten einholte. Ärztlicherseits blieb es bei der Gesamteinschätzung der MdE mit 50 %, und zwar auch bei einer getrennten Beurteilung der Behinderung der rechten und der linken Hand (Richtsatzposition 87). Bei der Beurteilung der Berufszumutbarkeit sei von der vom Beschädigten in seiner Berufslaufbahn erreichten günstigsten sozialen Höhenlage, beim Beschwerdeführer somit von seiner Tätigkeit als kaufmännischer Stellvertreter des Direktors, auszugehen. Ausgehend davon habe es dabei zu bleiben, daß "berufliche Sonderverhältnisse" für die Annahme einer MdE nach § 8 KOVG 1957 beim Beschwerdeführer nicht vorlägen.

Zu diesen Ermittlungsergebnissen nahm der Beschwerdeführer am 15. November 1988 ausführlich Stellung, worauf die belangte Behörde neuerlich ergänzende Äußerungen der leitenden Ärztin und des berufskundlichen Sachverständigen einholte. Ärztlicherseits blieb es bei der Einschätzung der neuen Dienstbeschädigung als halbkausal (weil die Arthrose teils altersbedingt und teils durch die Amputation bzw. Fingerversteifungen hervorgerufen sei) und bei der Gesamteinschätzung mit einer MdE von 50 %; auch der berufskundliche Sachverständige hielt seine Beurteilung weiterhin aufrecht.

Mit diesen ergänzenden Ermittlungen erklärte sich der Beschwerdeführer in weiteren Stellungnahmen vom 17. März 1989 und vom 14. April 1989 nicht einverstanden, weshalb seitens der belangten Behörde eine weitere Stellungnahme der leitenden Ärztin eingeholt wurde, welche jedoch an ihrer bisherigen Einschätzung der einzelnen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers, aber auch der Gesamteinschätzung der MdE mit 50 %, festhielt. Die Fehl- und Überbelastung beider Hände des Beschwerdeführers sei ausreichend berücksichtigt worden, zumal dieser Leidenszustand sicherlich nicht höher zu bewerten sei als ein Handverlust oder eine hochgradige Funktionsbehinderung.

In einer weiteren Stellungnahme vom 30. Juni 1989 erklärte der Beschwerdeführer das Verfahren hinsichtlich der medizinischen Beurteilung als mangelhaft, wozu die leitende Ärztin erneut auf die bereits eingeholten Stellungnahmen verwies, an welchen die Äußerung des Beschwerdeführers nichts zu ändern vermöge.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und der Bescheid des LIA bestätigt. Begründend stellte die belangte Behörde den bisherigen Verfahrensverlauf dar und zitierte die einschlägigen Vorschriften (§§ 4 und 7 Abs. 2 KOVG 1957 sowie § 3 der Richtsatzverordnug, BGBl. Nr. 150/1965). In der weiteren Begründung ging die belangte Behörde von den eingeholten Gutachten aus. Gemäß der letzten Äußerung der leitenden Ärztin wurden als weitere Dienstbeschädigungen des Beschwerdeführers

8.

Arthrose im Daumensattelgelenk links und

9.

Arthrose im Daumensattelgelenk rechts

festgestellt und jeweils nach Richtsatzposition 87 als halbkausal mit 10 % MdE eingestuft. Die Gesamt-MdE gemäß § 7 KOVG 1957 betrage 50 %. Die belangte Behörde habe sich der im Verfahren erster und zweiter Instanz durchgeführten medizinischen Beweisführung vollinhaltlich anschließen können, weil sich die beigezogenen Sachverständigen mit den Befund- und Kausalitätsverhältnissen ausreichend auseinandergesetzt hätten und die medizinische Beurteilung stichhältig begründet sei. Von der Einholung weiterer Gutachten habe die belangte Behörde vor allem auch mit Rücksicht darauf absehen können, daß die in den Stellungnahmen des Beschwerdeführers vorgebrachten Einwendungen keine neuen Beweise oder Tatsachen erbracht hätten. Es liege im übrigen im Wesen der freien Beweiswürdigung, daß weitere Beweisaufnahmen unterbleiben könnten, wenn der Sachverhalt genügend geklärt sei. Auch was das Einschätzungsverfahren nach § 8 KOVG 1957 betreffe, könne die belangte Behörde dieses nach eingehender Prüfung und Beratung für schlüssig und den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend befinden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten auf angemessene Versorgung nach dem KOVG 1957 und auf ein ordentliches Verfahren nach dem AVG 1950 verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde habe es unterlassen, gemäß § 37 AVG 1950 den für die Erledigung maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Insbesondere habe sie "es unterlassen, eine ärztliche Begutachtung zu veranlassen, in welcher zu allen geltend gemachten Gesundheitsschädigungen (linker Kleinfinger, Narbenzüge, Fingerverkürzung, Schädigung Mittelhandknochen) ein Gutachten einzuholen".

Dieser Vorwurf ist unzutreffend und geradezu aktenwidrig; wurden doch in beiden Instanzen des Verwaltungsverfahrens ärztliche Gutachten eingeholt, die sich mit sämtlichen geltend gemachten Dienstbeschädigungen des Beschwerdeführers sowie mit deren Einschätzung im einzelnen und mit ihrer Gesamteinschätzung befaßt haben.

Der angefochtene Bescheid entspricht auch entgegen dem Beschwerdevorbringen den Vorschriften der §§ 58 und 60 AVG 1950. Zu welchen Berufungsanträgen und Einwendungen die belangte Behörde keine Rechtsmeinung geäußert habe, wird in der Beschwerde nicht näher dargestellt. Der pauschale Vorwurf, der angefochtene Bescheid enthalte Begründungsmängel, ist nicht geeignet, eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun. Die belangte Behörde konnte im Wege der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung auf Grund der durchgeführten Ermittlungen durchaus zu dem Ergebnis gelangen, daß weitere Beweisaufnahmen entbehrlich seien. Daran vermag das Beschwerdevorbringen nichts zu ändern, wonach nicht begründet worden sei, "weshalb keine weitere Untersuchung und Begutachtung veranlaßt worden ist zur Klärung aller wehrdienstbedingten Körperschäden". Der Beschwerdeführer übersieht dabei, daß er eine Neubemessung seiner Grundrente nur als Folge der "Arthritis der kleinen Gelenke seiner beiden Hände" beantragt hat, und daß diese Gesundheitsschädigung im angefochtenen Bescheid ohnehin mit einem Kausalanteil von 1/2 festgestellt wurde und eine Erhöhung der Gesamt-MdE des Beschwerdeführers aus medizinischer Sicht von 40 auf 50 % nach sich gezogen hat. Die Feststellung und Einschätzung dieser zusätzlichen Dienstbeschädigung ist im übrigen auch gemäß der Richtsatzverordnung für die rechte und die linke Hand getrennt vorgenommen worden, sodaß die Einschätzung auch aus dieser Sicht nicht mit der behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet ist.

In der Beschwerde wird ferner zu Unrecht behauptet, eine Einschätzung der Narbenzüge sei nicht erfolgt, denn diese in der Richtsatzverordnung vorgesehene getrennte Einschätzung ist tatsächlich in Pkt. 6 der bereits vor dem nunmehrigen Verfahren anerkannten Dienstbeschädigungen des Beschwerdeführers vorgenommen worden.

Aus welchen Gründen demnach die belangte Behörde "unter Berücksichtigung der Verfahrensvorschriften und der Richtsätze zu § 7 KOVG ... zur weiteren Anerkennung von Dienstbeschädigungen, zu einer anderen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit und entsprechender Rentenzuerkennung sowie einer ausreichenden Begründung" hätte kommen müssen, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich.

Auch mit dem Hinweis auf eine lange Verzögerung des Verfahrens kann der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht dartun. Hiezu ist auf die Möglichkeit eines Devolutionsantrages an den Bundesminister für Arbeit und Soziales und letztlich auf die Einrichtung der Säumnisbeschwerde (Art. 132 B-VG, § 27 VwGG) zu verweisen.

Gemäß § 52 Abs. 2 KOVG 1957 ist die Rente neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe der Leistung maßgebende Veränderung eintritt; der Eintritt einer für die Höhe der Beschädigtenrente maßgebenden Veränderung ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Im Beschwerdefall ist es auf Grund des Neubemessungsantrages des Beschwerdeführers zur Feststellung weiterer Dienstbeschädigungen und zu einem Anheben der aus medizinischer Sicht angemessenen Gesamt-MdE von 40 auf 50 % gekommen; daß dieser Umstand im Ergebnis zu keiner Neubemessung der Rente geführt hat, geht ausschließlich darauf zurück, daß der Beschwerdeführer schon bisher eine Beschädigtenrente auf der Basis einer MdE von 50 % bezogen hat, deren Höhe allerdings bisher auf einer die medizinische Einschätzung übersteigenden Beurteilung der MdE nach § 8 KOVG 1957 beruht hat.

Der Verwaltungsgerichtshof vermochte bei der gegebenen Sach- und Rechtslage die im Instanzenzug bestätigte Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers nicht als rechtswidrig zu erkennen. Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 205/1989.

Schlagworte

Einschätzungsverfahren Leidenszustand Maßgebende Veränderung Allgemein Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1990:1989090141.X00

Im RIS seit

27.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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