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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ARG 1984 §27 Abs1;Betreff
N gegen Landeshauptmann von Oberösterreich vom 18. April 1989, Zl. Ge-37.730/6-1989/Pan/Ho, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitsruhegesetzes
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.410,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Unter dem Datum 18. April 1988 erließ der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz gegenüber dem nunmehrigen Beschwerdeführer ein Straferkenntnis, dessen Spruch wie folgt lautet:
"Sie haben es als der im vorliegenden Fall gem. § 28 Abs. 1 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl. Nr. 461/1969 i.d.g.F. (kurz: AZG) bzw. § 27 Abs. 1 des Arbeitsruhegesetzes, BGBl. Nr. 144/1983 (kurz. ARG) haftbare Arbeitgeber der Fa. 'R-GmbH', Linz, X-Straße (handelsrechtlicher Geschäftsführer gem. § 9 Abs. 1 VStG i.d.F. BGBl. Nr. 176/1983), zu verantworten, daß ebendort die Arbeitnehmer H und S im Tatzeitraum September 1987 wie folgt entgegen den Bestimmungen des AZG und des ARG beschäftigt wurden:
Über die höchstzulässige Tagesarbeitszeit von 10 Stunden hinaus
1. S: am 1.9.1987 mit 12 Stunden und 20 Minuten (kurz: 1 /12.20), 2(12.19), 3(12.57), 4(11.27), 8(15.25), 9(14.48), 10(12.33), 21(15.58), 22(13.52), 23(14.48), 24(16.19) und 25(12.19).
2. H: 1(11.10), 2(14.08), 7(16.34), 8(11.17), 9(13.28), 14(13.07), 15(15.14), 16(14.55), 17(15.01), 18(11.33) und 10(13.20).
Bei Nichtgewährung einer mindestens 11-stündigen Ruhezeit
3. S: vom 1. auf den 2.9.1987 mit lediglich 10 Stunden und 5 Minuten (kurz: 1/2(10.05) ), 2/3(09.57), 3/4(09.46), 8/9(07.58), 9/10(09.15), 10/11(10.23), 21/22(07.18), 22/23(09.22), 23/24(08.35) und 24/25(06.17).
4. H: 1/2(10.53), 2/3(09.07), 7/8(07.17), 9/10(09.01) und 10/11(09.24).
Bei Mißachtung der gesetzlichen Wochenendruhe nach dem ARG durch Beschäftigung samstags nach 13.00 Uhr
5. H: am 12.9.1987 bis 19.52 Uhr.
Sie haben dadurch Verwaltungsübertretungen zu 1. und 2. nach § 9 AZG in Verbindung mit (kurz: i.V.) § 3 Abs. 1, zu 3. und 4. nach § 12 Abs. 1 AZG, JEWEILS i.V. § 28 Abs. 1 AZG, sowie zu 5. nach § 3 Abs. 2 ARG i.V. § 27 Abs. 1 ARG, begangen.
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie gemäß § 28 Abs. 1 AZG bzw. § 27 Abs. 1 ARG Geldstrafen zu 1. und 2. von 4.000,-- und zu 3. bis 5. von S 2.000,--, zusammen eine Geldstrafe von S 14.000,-- verhängt.
Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafen tritt an deren Stelle Ersatzarrest von insgesamt 28 Tagen (ein Tag für S 500,--).
Ferner haben Sie gemäß § 64 VStG die Verfahrenskosten von S 1.400,-- (10 % der Geldstrafe) zu bezahlen.
Der zu zahlende Gesamtbetrag beträgt daher S 15.400."
2. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wies der Landeshauptmann von Oberösterreich (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 18. April 1989 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 sowie § 28 AZG und § 27 Abs. 1 ARG als unbegründet ab und bestätigte das Straferkenntnis.
Begründend führte die belangte Behörde zur objektiven Tatseite der dem Beschwerdeführer angelasteten Übertretungen - nur insoweit ist die Bescheidbegründung für die Erledigung der Beschwerde von Belang - folgendes aus: Eine Stempeluhr stelle erfahrungsgemäß eine Möglichkeit zur Feststellung der geleisteten Arbeitszeit dar. Der Beschwerdeführer behaupte jedoch, daß durch die Stempeluhren nicht die tatsächlich geleistete Arbeitszeit aufgezeichnet werde; hiefür würden vielmehr andere Aufzeichnungen verwendet. Diese Behauptung sei auch von den einvernommenen Zeugen bestätigt worden. Trotz Aufforderung habe aber der Beschwerdeführer die Aufzeichnungen über die tatsächliche Arbeitszeit der belangten Behörde nicht vorgelegt; er habe auch nicht erklärt, weshalb diese Unterlagen nicht vorgelegt würden. Durch die mangelnde Mitwirkung des Beschwerdeführers sei der objektive Nachweis der Behauptung des Beschwerdeführers nicht möglich, sodaß die Tat ausschließlich durch Würdigung der diesbezüglich erhobenen Beweise zu beurteilen gewesen sei. Aus dem Verhalten des Berufungswerbers sei zu schließen, daß die Behauptung betreffend die Existenz von anderen Arbeitszeitaufzeichnungen als Schutzbehauptung vorgebracht worden sei. Diese Qualifikation als Schutzbehauptung bleibe auch trotz der entgegenstehenden Zeugenaussagen der Arbeitnehmer aufrecht, da der Wahrheitsgehalt derselben infolge des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses zum Berufungswerber als Arbeitgeber eher in Zweifel zu ziehen sei. Da die tatsächlichen Arbeitszeitaufzeichnungen nicht vorgelegt worden seien, sei als erwiesen anzusehen, daß die durch die Stempeluhr festgestellten Zeiten als tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu werten sei.
Da die Stempelkarte als Grundlage für den Nachweis der objektiven Tatseite angenommen worden sei, erübrige sich auch für Punkt 5. des Straferkenntnisses eine weitere Begründung, zumal durch die Stempelkarten die Tat eindeutig erwiesen sei.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AZG darf die Tagesarbeitszeit acht Stunden, die Wochenarbeitszeit vierzig Stunden nicht überschreiten, soweit im folgenden nicht anderes bestimmt wird. Nach § 9 erster Satz leg. cit. darf, abgesehen von den Bestimmungen der §§ 4 Abs. 10 zweiter Satz, 5, 7 Abs. 2 bis 5, 8 Abs. 2, 16, 18 bis 20 und 23, die Arbeitszeit zehn Stunden täglich nicht überschreiten und die sich aus § 3 ergebende Wochenarbeitszeit um nicht mehr als zehn Stunden wöchentlich überschreiten.
Gemäß § 12 Abs. 1 erster Satz AZG ist den Arbeitnehmern nach Beendigung der Tagesarbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren.
Zufolge § 28 Abs. 1 leg. cit. sind Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zuwiderhandeln, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Bergbau von der Berghauptmannschaft, mit einer Geldstrafe von S 300,-- bis S 6.000,-- oder mit Arrest von drei Tagen bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
1.2. Gemäß § 3 Abs. 2 ARG hat die Wochenendruhe für alle Arbeitnehmer spätestens Samstag um 13 Uhr, für Arbeitnehmer, die mit unbedingt notwendigen Abschluß-, Reinigungs-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten beschäftigt sind, spätestens Samstag um 15 Uhr zu beginnen.
Zufolge § 27 Abs. 1 leg. cit. sind Arbeitgeber oder deren gesetzliche Vertreter, die u.a. dem § 3 zuwiderhandeln, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde, soweit es sich um Betriebe handelt, die der bergbehördlichen Aufsicht unterstehen, von der Berghauptmannschaft mit einer Geldstrafe von S 500,-- bis S 30.000,-- zu bestrafen.
2.1. Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerde, daß die der Entlastung des Beschwerdeführers dienenden Zeugenaussagen in der Begründung des bekämpften Bescheides "abqualifiziert" worden seien. Diese Aussagen seien von der belangten Behörde so weit in Zweifel gezogen worden, daß ihnen überhaupt nicht geglaubt worden sei. Der Hinweis in der Bescheidbegründung auf ein "Abhängigkeitsverhältnis" der Zeugen zum Beschwerdeführer sei im gegebenen Zusammenhang unlogisch; die Aussagen seien vielmehr in bezug auf die Person des Beschwerdeführers völlig neutral und wertfrei - nämlich daß die effektive Arbeitszeit in ein "Tagesberichtsbuch" fortlaufend eingetragen werde - gewesen. Es sei unerfindlich, inwiefern die Zeugenaussagen zu diesem Punkt von einem "Abhängigkeitsverhältnis" beeinflußt sein sollten. Was den Punkt 5. des Straferkenntnisses (Übertretung des ARG) betreffe, so stelle die Ansicht der belangten Behörde, daß eine weitere Begründung nicht erforderlich sei, weil durch die Stempelkarte die Tat eindeutig erwiesen sei, einen "geradezu klassischen Fall antizipativer Beweiswürdigung" dar. Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
2.2.1. Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides den Aussagen der vom Beschwerdeführer zu seiner Entlastung namhaft gemachten Zeugen S. und H. deshalb keinen Glauben geschenkt - und aufgrund dessen den Hinweis des Beschwerdeführers auf die Existenz von anderen Arbeitszeitaufzeichnungen als bloße Schutzbehauptung gewertet -, "da der Wahrheitsgehalt dieser Zeugenaussagen infolge des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses zum Berufungswerber als Arbeitgeber eher in Zweifel zu ziehen ist".
Laut der von der Erstbehörde angefertigten Niederschrift über die am 17. März 1989 erfolgte Vernehmung des Johann S. als Zeuge hat dieser über Befragen und "UNTER AUSDRÜCKLICHER WAHRHEITSVERPFLICHTUNG" (Unterstreichung im Original) u.a. ausgesagt, es entspreche den Tatsachen, daß die nach den Stempelkarten ausgewiesenen Zeiten nicht seine tatsächliche Arbeitszeit wiedergäben und diese nicht Grundlage der Lohnberechnung seien; die tatsächlichen Arbeitszeiten würden vielmehr in einem "Tagesberichtsbuch" fortlaufend eingetragen (effektive Arbeitszeit = Arbeitszeitaufzeichnungen i.S. des § 26 AZG); die exakten Zeiten müßten diesen Unterlagen entnommen werden. Der gleichfalls "UNTER AUSDRÜCKLICHER WAHRHEITSVERPFLICHTUNG" einvernommene Zeuge Friedrich H. verwies der Niederschrift vom 17. März 1989 zufolge "der Wahrheit entsprechend vollinhaltlich" auf die Aussage des Zeugen Johann S., wobei als "Anmerkung der Behörde" angefügt wurde, daß Friedrich H. ohne Vorinformation über aktenkundige Sachverhalte (insbesondere Zeugenaussage S.) befragt worden sei, und daß im Hinblick auf gleichlautende Angaben auf das "Erstprotokoll" habe verwiesen werden können.
Die belangte Behörde hat es verabsäumt, nachvollziehbar darzutun, weshalb diesen beiden übereinstimmenden, den Standpunkt des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Behauptung, es sei die objektive Tatseite der ihm zur Last gelegten Übertretungen des AZG nicht erfüllt, stützenden Zeugenaussagen kein Glauben zu schenken sei. Folgte man der Argumentation der belangten Behörde, daß die Tatsache des spezifischen Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer allein dazu führe, daß den Aussagen der im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens betreffend Übertretung des AZG als Zeugen einvernommenen Arbeitnehmer der Wahrheitsgehalt abzusprechen sei, so bedeutete dies ein vorweg feststehendes, den Einzelfall in keiner Weise berücksichtigendes Pauschalurteil, das im Ergebnis in solchen Verfahren einen Arbeitnehmer von vornherein als Zeugen ausschließen würde. Demgegenüber vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, daß hier nicht anders als sonst auch die Behörde im Rahmen einer auf den konkreten Einzelfall abgestellten Beweiswürdigung ihre Erwägungen offen zu legen hat, weswegen sie einem Zeugen nicht glaubt. Im vorliegenden Fall wäre dies umsomehr geboten gewesen, als einerseits bei beiden Zeugen anläßlich ihrer Vernehmung mit besonderem Nachdruck auf die sie treffende Pflicht zu wahrheitsgemäßer Aussage hingewiesen wurden und anderseits nicht der geringste Anhaltspunkt dafür zu erkennen ist, daß die Zeugen ungeachtet dieser nachdrücklichen Wahrheitserinnerung - etwa, weil sie seitens des Beschwerdeführers unter besonderen Druck gesetzt worden wären - eine falsche Aussage getätigt und damit die entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen auf sich genommen hätten.
2.2.2. Was die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Übertretung des ARG anlangt, so hat sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit dem Hinweis begnügt, die Tat sei "durch die Stempelkarten eindeutig erwiesen", weshalb "keine weitere Begründung erforderlich" sei. Dazu hat der Beschwerdeführer bereits in seiner "Stellungnahme" vom 18. März 1988 an die Erstbehörde zum Beweis dafür, daß sich der Arbeitnehmer H. am 12. September 1987 bis 19.52 Uhr in der Betriebsstätte nicht zur Arbeitsleistung, sondern in seiner Freizeit zur Vorbereitung auf einen Fortbildungskurs aufgehalten habe, und durch die Stempelkarte die Anwesenheit des Genannten nur aus administrativen Gründen erfaßt worden sei, den Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme des H. gestellt. Trotz Wiederholung dieses Beweisantrages in der an die belangte Behörde gerichteten Eingabe vom 11. April 1989 hat auch diese Behörde von der beantragten Beweisaufnahme abgesehen. Sie hat aber auch keine schlüssige Begründung für deren Entbehrlichkeit gegeben, sollte doch damit gerade der Nachweis geführt werden, daß die Tat nicht "durch die Stempelkarten eindeutig erwiesen" sei.
Durch das dargestellte Versäumnis - das angebotene Beweismittel kann nach der Aktenlage keineswegs als von vornherein zur Erbringung des beabsichtigten Nachweises ungeeignet angesehen werden - blieb der Sachverhalt auch in Ansehung der als Übertretung des ARG qualifizierten Tat in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig.
3. Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid als mit der behaupteten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.
Schlagworte
freie BeweiswürdigungBeweismittel ZeugenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1990190056.X00Im RIS seit
23.04.1990Zuletzt aktualisiert am
01.10.2013