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55 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die vier Beschwerdeführer betreiben unter der Bezeichnung "Biohofgemeinschaft Halbmayer-Ratzberger GesnbR" als Gesellschaft nach bürgerlichem Recht einen Milch erzeugenden Betrieb mit einer Haupt- und einer Teilbetriebsstätte.
Am 30. Dezember 1997 wurde der Antrag auf Zuteilung einer Direktverkaufs-Referenzmenge für die Betriebsnummern (im Folgenden: "BN") 1131648 und 1456181 in der Höhe von 100.000 kg an die Agrarmarkt Austria (im Folgenden: "AMA") gestellt.
Die AMA teilte mit Bescheid vom 30. Mai 1998 dem Betrieb mit der BN 1456181 eine provisorische Direktverkaufs-Referenzmenge (D-Quote) in Höhe von 100.000 Milch-kg für den Zwölfmonatszeitraum 1998/99 zu.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2005 wurde von der AMA gemäß §28 Abs5 und 6 und §33 Abs2 MGV 1999 idgF für die Hauptbetriebsstätte mit der BN 1131648 sowie für die Teilbetriebsstätte BN 1456181 eine endgültig zugeteilte Direktverkaufs-Referenzmenge in einer bestimmten Höhe festgesetzt. Mit Schreiben vom 28. Februar 2005 wurde "Einspruch" gegen diesen Bescheid erhoben.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 wies der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft die Berufung (= Einspruch vom 28. Februar 2005) gemäß §289 BAO iVm §33 Abs2 MGV 1999, BGBl. II Nr. 28/1999, ab und korrigierte die Höhe der in den Spruchpunkten 3 und 4 angeführten Mengen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Erwerbsfreiheit) wegen Anwendungen einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet und angeregt wird, hinsichtlich des §101, in eventu auch hinsichtlich der §§105, 108, 113 und 117 Abs1 Z2 Marktordnungsgesetz 1985 von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 11. Oktober 2006, G50/06, V28/06; G51-53/06, V29-31/06, die Milch-Garantiemengen-Verordnung 1999 in ihrer Stammfassung BGBl. II Nr. 28/1999 zur Gänze als gesetzwidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986). Im Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfGH 15.10.2005, B844/05). Der Antrag wurde bereits lange vor der Fassung des Prüfungsbeschlusses gestellt.
3. Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren begann am 11. Oktober 2006. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 8. Februar 2006 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig aufgehobene Verordnung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass dadurch die Rechtssphäre der Beschwerdeführer nachteilig beeinflusst wurde. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
III. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den antragsgemäß zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2006:B232.2006Dokumentnummer
JFT_09938989_06B00232_00