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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §12 Abs1;Betreff
A gegen Landesarbeitsamt Wien vom 12. April 1989, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Widerruf von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gemäß § 24 Abs. 2 AlVG und Rückforderung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG
Spruch
Der Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 12. April 1989 wird im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- (darin enthalten S 540,-- Stempelgebührenersatz) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 12. April 1989 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste vom 28. Juli 1988, betreffend Widerruf und Rückforderung unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes und Notstandshilfe, insoweit keine Folge gegeben, als die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom 1. Oktober 1986 bis 11. Jänner 1987 und der Notstandshilfe vom 12. Jänner 1987 bis 1. März 1987 gemäß § 38 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und ein Betrag von S 22.359,-- gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zum Rückersatz vorgeschrieben wurde.
In der Begründung dieses Bescheides führt die belangte Behörde aus, daß jede Art einer Erwerbstätigkeit den Verlust des Anspruchs auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nach sich ziehe, wenn das daraus erzielte Einkommen einen gewissen Betrag (sogenannte Geringfügigkeitsgrenze) übersteige. Die belangte Behörde sei zu der Ansicht gekommen, daß den Ausführungen des als Zeugen vernommenen Geschäftsführers der "X-Bar", wonach die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 1. Oktober 1986 bis März 1987 ca. vier bis fünfmal pro Monat dort beschäftigt gewesen sei und aus dieser Tätigkeit ein Einkommen von (nach Schätzungen des Zeugen) S 3.000,-- bis
S 4.000,-- pro Monat erzielt habe, im Gegensatz zu den Ausführungen der Beschwerdeführerin zu folgen sei. Die Angaben des Zeugen über das von der Beschwerdeführerin erzielte Einkommen seien glaubwürdig; da dieses Einkommen die "Geringfügigkeitsgrenze" von monatlich S 2.354,-- für 1986 bzw. S 2.451,-- für 1987 übersteige, sei das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe für den Zeitraum vom 1. Oktober 1986 bis 1. März 1987 mangels Arbeitslosigkeit zu widerrufen und die für diesen Zeitraum unberechtigt bezogenen Leistungen rückzufordern gewesen.
2. Mit der vorliegenden, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerde wird der Bescheid der belangten Behörde vom 12. April 1989 der Sache nach insoweit angefochten, als die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid nicht zur Gänze (sondern nur teilweise) gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 aufgehoben, und den Widerruf und die Rückforderung von Geldleistungen nach dem AlVG im eingangs dargestellten Umfang aufrechterhalten hat.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der gegenständlichen Beschwerde beantragt.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
3.1. Die im Beschwerdefall anzuwendenden Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. 609, die in dem für den Beschwerdefall relevanten Teilen auf der Stammfassung beruhen, lauten:
"§ 12. (1) Arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.
(3) Als arbeitslos im Sinne der Absätze 1 und 2 gilt insbesondere nicht:
a)
wer in einem Dienstverhältnis steht;
b)
wer selbständig erwerbstätig ist;
.....
(6) Als arbeitslos gilt jedoch:
a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, daß die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt;
.....
c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist und daraus ein Einkommen erzielt, daß die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt."
Die in der genannten Bestimmung verwiesene Regelung des § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der 32. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 704/1976, lautet:
"(2) Eine Beschäftigung gilt als geringfügig .....
a) wenn sie für eine kürzere Zeit als eine Woche vereinbart ist und dem Dienstnehmer für einen Arbeitstag im Durchschnitt ein Entgelt von höchstens S 180,-- gebührt,
b) wenn sie für mindestens eine Woche oder auf unbestimmte Zeit vereinbart ist und dem Dienstnehmer ohne Rücksicht auf die Zahl der Arbeitstage als wöchentliches Entgelt höchstens
S 541,-- oder als monatliches Entgelt höchstens S 2.354,-- gebührt.
.....
Als geringfügig gilt ferner nicht eine auf unbestimmte Zeit vereinbarte Beschäftigung, wenn das daraus gebührende Entgelt nur deshalb nicht mehr als S 2.354,-- in einem Monat oder S 541,-- in einer Woche beträgt, weil die Beschäftigung im Laufe des betreffenden Monates oder der betreffenden Woche begonnen hat, geendet hat oder unterbrochen wurde."
Die Grenzbeträge beruhen jeweils auf den für das Kalenderjahr 1986 durch die Verordnung BGBl. Nr. 5/1986 festgelegten Werten; für das Kalenderjahr 1987 wurden durch die Verordnung BGBl. Nr. 633/86 statt S 180,-- S 187,--, statt S 541,-- S 563,-- und statt S 2.354,-- S 2.451,-- festgelegt.
3.2. Die in der Beschwerde enthaltene Wendung, bei richtiger Anwendung des Gesetzes hätte die belangte Behörde feststellen müssen, daß das seinerzeit gewährte Arbeitslosengeld als auch die gewährte Notstandshilfe zu Recht gewährt worden seien und daher für eine Rückforderung kein Raum bleibe, ist eine gerade noch ausreichende Geltendmachung einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, vor allem in Verbindung mit der Rüge, die belangte Behörde hätte nicht objektivieren können, "wieviel die Beschwerdeführerin tatsächlich verdient" habe.
Für die Frage, ob die von der Beschwerdeführerin im Zeitraum vom 1. Oktober 1986 bis 1. März 1987 bezogenen Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu Recht widerrufen wurden, ist zunächst maßgebend, ob und in welchem Umfang im fraglichen Zeitraum eine Beschäftigung der Beschwerdeführerin im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG bestanden hat, wobei die bisherigen - wenn auch unzureichenden - Feststellungen der belangten Behörde in Richtung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin hindeuten. Entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung, es komme nur auf die Höhe des von der Beschwerdeführerin erzielten Einkommens an, zeigt die Verweisung des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG auf § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG, daß eine derartige Beschäftigung dann, wenn sie für eine kürzere Zeit als eine Woche VEREINBART WURDE für die übrige im Kalendermonat liegende ZEIT DER BESCHÄFTIGUNGSLOSIGKEIT auch dann unschädlich ist, wenn das auf einen Arbeitstag entfallende Durchschnittsentgelt die tägliche Geringfügigkeitsgrenze im Beschäftigungszeitraum überschreitet, wohingegen für die DAUER DER BESCHÄFTIGUNG die Gewährung von Arbeitslosengeld davon abhängt, ob die jeweils anzuwendenden Geringfügigkeitsgrenzen überschritten werden oder nicht.
Ob bei Beschäftigungen, die an einzelnen Tagen ausgeübt werden, ein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis oder mehrere, unter Umständen auf den einzelnen Tag beschränkte Beschäftigungsverhältnisse anzunehmen sind, ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nach jenen Kriterien zu beurteilen, die der Gerichtshof bei der Abgrenzung von Vollversicherungs- und Teilversicherungspflicht im Zusammenhang mit der Anwendung der Grenzbeträge des § 5 Abs. 2 ASVG entwickelt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 23. September 1970, Slg. N.F. 7859/A, sowie in den Erkenntnissen vom 16. Jänner 1990, Zl. 88/08/0260, und vom 27. März 1990, Zl. 89/08/0204, ausgesprochen, daß bei Beschäftigungsverhältnissen, die nur an einzelnen Tagen zur Verrichtung von Arbeitsleistungen führen, zu prüfen ist, ob die Arbeitsleistung im Sinne einer periodisch wiederkehrenden Leistungspflicht aufgrund einer ausdrücklichen oder doch schlüssigen Vereinbarung im voraus bestimmt ist; diesfalls ist ein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis anzunehmen und das erzielte Entgelt der Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 lit. b, zweiter Fall ASVG gegenüberzustellen. Liegt eine derartige Vereinbarung nicht vor, so sind nur die reinen Beschäftigungszeiten als Beschäftigungsverhältnisse anzusehen und die Frage der Geringfügigkeit des Entgeltes ist nach § 5 Abs. 2 lit. a oder b, erster Fall ASVG (bzw. bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 471 b ASVG hingegen nach § 471 c ASVG) zu beurteilen. Eine nachträglich feststellbare, tatsächlich periodisch wiederkehrende Leistung ist allerdings ein Indiz für eine im vorhinein zumindest schlüssig getroffene Vereinbarung.
3.3. Die belangte Behörde hat schon dadurch, daß sie aus der Überschreitung der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin erzielten Entgelts auf ein durchlaufendes Beschäftigungsverhältnis für den gesamten Zeitraum vom 1. Oktober 1986 bis 1. März 1987 geschlossen hat, ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Sollte im fortgesetzten Verfahren eine im vorhinein getroffene Vereinbarung, nach der jene Tage bestimmt oder doch bestimmbar gemacht wurden, an denen eine Dienstleistung der Beschwerdeführerin zu erbringen bzw. vom Dienstgeber entgegenzunehmen war, nicht vorliegen oder erweislich sein, so wäre zumindest festzustellen, an welchen Tagen die Beschwerdeführerin Arbeitsleistungen erbracht hat, um einen Anhaltspunkt für eine Indizwirkung in obigem Sinne daraus zu gewinnen. Je nachdem, ob danach nur einzelne (tägliche oder wöchentliche) Beschäftigungsverhältnisse oder ein durchlaufendes Beschäftigungsverhältnis anzunehmen sein sollten, dürfte das Arbeitslosengeld im entsprechenden Umfang tage- oder wochenweise, bzw. für den ganzen Zeitraum widerrufen werden. Für den Zeitraum des Bezuges von Notstandshilfe wäre gegebenenfalls auf die Einkommensanrechnung iS des § 36 Abs. 3 lit. A AlVG Bedacht zu nehmen.
3.4. Entgegen dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen hegt hingegen der Verwaltungsgerichtshof an den Feststellungen der belangten Behörde, wonach das von der Beschwerdeführerin erzielte Entgelt die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschritten habe, für den Fall eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses keine Bedenken.
Den in diesem Zusammenhang erhobenen Einwendungen ist entgegenzuhalten, daß die Beweiswürdigung der belangten Behörde nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit des Denkvorganges als solchen handelt - d.i. vornehmlich die Übereinstimmung mit der Erfahrung des Lebens und mit den Denkgesetzen - sowie darum, ob das Verfahren, welches die Grundlagen für die Schlußfolgerungen der belangten Behörde geliefert hat, in gesetzmäßiger Weise abgewickelt wurde (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, VwSlg. N.F. 8619/A uva.). Wenn in der Beschwerde daran Kritik geübt wird, daß die belangte Behörde nach der Begründung des angefochtenen Bescheides den Angaben des Geschäftsführers der "X-Bar", soweit sie mit den Angaben der Beschwerdeführerin in Widerspruch stehen, deshalb Glauben geschenkt hat, weil dem Zeugen ein unmittelbares Interesse am Ausgang des Verfahrens fehlt, so wird damit weder ein Verstoß gegen die Denkgesetze noch eine sonstige Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung dargetan. Dies auch nicht unter Berücksichtigung des weiteren in der Beschwerde hervorgehobenen Umstandes, daß dieser Zeuge das von der Beschwerdeführerin erzielte Entgelt mit S 3.000,-- bis S 4.000,-- pro Monat lediglich schätzen habe können: Die Beschwerdeführerin ist nämlich weder im Verwaltungsverfahren (hier insbesondere nicht in ihrer im Berufungsverfahren zu diesem Fragenkomplex erstatteten Stellungnahme vom 2. März 1989) noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren diesen Angaben durch konkrete ziffernmäßige Behauptungen über das von ihr tatsächlich erzielte Einkommen entgegengetreten; sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Angaben des Zeugen zu bezweifeln. Dem Geschäftsführer einer Bar kann aber durchaus zugebilligt werden, daß er aufgrund seiner Sachnähe über die Untergrenze der Einkünfte seiner Mitarbeiterinnen Bescheid weiß. In Ermangelung von konkreten, gegenteiligen Angaben der Beschwerdeführerin hatte die belangte Behörde auch keine Veranlassung zu der Annahme, daß sich der Zeuge zu Ungunsten der Beschwerdeführerin um S 1.000,-- pro Monat verschätzt haben könnte, wie dies erstmals in der Beschwerde unterstellt wird.
3.5. Da die belangte Behörde bei Beurteilung des Tatbestandes der Arbeitslosigkeit von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war der Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 12. April 1989 im angefochtenen Umfang schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206. Die Umsatzsteuer ist in den in dieser Verordnung festgesetzten Pauschbeträgen bereits enthalten und konnte daher nicht im verzeichneten Umfang zusätzlich zugesprochen werden.
5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Allgemein Sachverhalt Beweiswürdigung Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989080142.X00Im RIS seit
18.10.2001