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L10011 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Burgenland;Norm
AVG §56;Betreff
1) Marktgemeinde A und 2) B gegen Bezirkshauptmannschaft Oberpullendorf vom 9. März 1989, Zl. II-H-4/2-1989, betreffend Aufsichtsbeschwerde
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 10.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 14. November 1988 führten der Vizebürgermeister der Erstbeschwerdeführerin und acht Gemeinderäte gegen den Zweitbeschwerdeführer Beschwerde wegen Verletzung der Burgenländischen Gemeindeordnung und der Geschäftsordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde A.
Mit dem angefochtenen Bescheid fällte die belangte Behörde als Aufsichtsbehörde folgenden Spruch:
"Gemäß § 87 Abs. 1 der Bgld. Gemeindeordnung, LGBl. 37/1965, i.d.g.F., in Verbindung mit § 79 Abs. 3 leg. cit. wird festgestellt, daß Herr Bürgermeister B, gegen die Bestimmung des § 39 a Abs. 2 leg. cit. verstoßen hat."
In der Begründung vertrat die belangte Behörde nach Wiedergabe von § 87 Abs. 1, § 79 Abs. 3 Satz 1 und § 39 a Abs. 2 der Bgld. Gemeindeordnung (im folgenden: Gemeindeordnung) folgende Auffassung:
Das Recht der Akteneinsicht für Mitglieder des Gemeinderates sei zwar in zweierlei Hinsicht beschränkt, da es einerseits eine inhaltliche, andererseits eine zeitliche Einschränkung gebe, doch dürfe das grundsätzliche Recht zur Akteneinsicht zufolge der vorzitierten Gesetzesbestimmung nicht einfach unmöglich gemacht werden. Der Lauf von Fristen, die Betrauung eines Rechtsanwaltes mit einer Angelegenheit - ganz abgesehen davon, daß diesbezüglich ein gesonderter Gemeinderatsbeschluß erforderlich wäre - sowie "Zeitprobleme", welche seitens des Zweitbeschwerdeführers geltend gemacht worden seien, könnten keinesfalls dem Recht auf Akteneinsicht entgegenstehen. Bei einer einigermaßen verantwortungsvollen Vorgangsweise des Zweitbeschwerdeführers hätte für den Tagesordnungspunkt 1 der Gemeinderatssitzung vom 4. November 1988 "Amtshaftungsklage der Ersten Burgenländischen Gemeinnützigen Siedlungsgenossenschaft" ohne Aufwand und auch ohne Fristversäumnis eine Kopie der Klageschrift des Landesgerichtes Eisenstadt angefertigt werden können, um dem Recht der Akteneinsicht Rechnung zu tragen. Es werde angemerkt, daß zwar nur in solche Akten Einsicht genommen werden dürfe, die Inhalt eines Verhandlungsgegenstandes seien, hiebei sei aber der Begriff "Akt" nicht zu eng zu sehen. Unter "Akten von Verhandlungsgegenständen" seien alle jene schriftlichen Unterlagen, die für die Beratung und Beschlußfassung über einen Verhandlungsgegenstand maßgeblich seien, zu verstehen.
Entgegen der Darstellung des Zweitbeschwerdeführers, wonach Gegenstand des betreffenden Tagesordnungspunktes nicht die Beantwortung der einzelnen Klagepunkte, sondern lediglich die Bestellung eines Rechtsanwaltes zur Klagebeantwortung gewesen sei, sei festzustellen, daß der Tagesordnungspunkt 1 der Gemeinderatssitzung "Amtshaftungsklage der Ersten Burgenländischen Gemeinnützigen Siedlungsgenossenschaft" gelautet habe. Es bedürfe daher auf Grund der obigen Ausführungen keiner weiteren Erläuterungen, daß natürlich zu diesem Verhandlungsgegenstand die Klageschrift des Landesgerichtes Eisenstadt als fundamentaler Aktenbestandteil gehört hätte, der der Einsicht im Sinne des § 39 a Abs. 2 der Gemeindeordnung unterlegen sei.
Die Vorgangsweise des Zweitbeschwerdeführers, welcher somit die Akteneinsicht zum Tagesordnungspunkt der Gemeinderatssitzung vom 4. November 1988 den Mitgliedern des Gemeinderates verweigert habe, könne daher neuerlich (wobei die belangte Behörde auf die Erledigung der Aufsichtsbeschwerde vom 20. September 1988, Zl. II-H-3/2-1988, verwies) als grober Verstoß gegen die Bestimmungen der Gemeindeordnung sowie der Geschäftsordnung des Gemeinderates von A gewertet werden. Der Zweitbeschwerdeführer werde daher eindringlichst aufgefordert, künftig derartige oder sonstige Gesetzesverletzungen hintanzuhalten, um eine im Sinne der rechtsstaatlichen Grundprinzipien erforderliche Ausübung des Amtes eines Bürgermeisters zu gewährleisten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die beiden Beschwerdeführer erachten sich insoweit beschwert, als in rechtsirriger Auslegung der Gemeindeordnung, insbesondere deren § 39 a Abs. 2 festgestellt wird, "daß Herr Bürgermeister B gegen die zitierte Gesetzesbestimmung verstoßen hat, und zwar dadurch, daß während einiger Tage vor der Gemeinderatssitzung vom 4. November 1988 nicht die gesamte Klage der Ersten Bgld. Siedlungsgenossenschaft gegen die Gemeinde A, sondern nur die erste Seite im Gemeindeamt zur Einsicht aufgelegen ist".
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 79 Abs. 1 der Gemeindeordnung LGBl. 37/1965 in der Fassung BGBl. Nr. 47/1970 lautet:
"Das Land übt das Aufsichtsrecht über die Gemeinde dahin aus, daß diese bei Besorgung des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung die Gesetze und Verordnungen des Bundes oder Landes nicht verletzt, insbesondere ihren Wirkungsbereich nicht überschreitet und die ihr gesetzlich obliegenden Aufgaben erfüllt. Das gleiche gilt auch bezüglich der gemäß § 22 gebildeten Gemeindeverbände."
§ 87 Abs. 1 Gemeindeordnung, LGBl. 37/1965 normiert:
"Alle in Handhabung des Aufsichtsrechtes des Landes ergehenden Maßnahmen mit Ausnahme jener gegen von der Gemeinde erlassene Verordnungen sind durch Bescheid zu treffen. Für das Verfahren vor der Aufsichtsbehörde sind die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG 1950) anzuwenden."
Gemäß Abs. 3 leg. cit. in der Fassung LGBl. 47/1970 ist die Gemeinde berechtigt, gegen die Aufsichtsbehörde vor dem Verwaltungsgerichtshof (Art. 131 und 132 B-VG)... Beschwerde zu führen.
§ 39 a Abs. 2 leg. cit. in der Fassung LGBl. 58/1987 bestimmt:
"Die Mitglieder des Gemeinderates sind berechtigt, in den Gemeinderatssitzungen zu den einzelnen Verhandlungsgegenständen das Wort zu ergreifen, Anträge zu stellen und das Stimmrecht auszuüben. Sie haben ferner das Recht, nach Bekanntgabe der Tagesordnung während der Amtsstunden bis zur Sitzung und während der Sitzung in die Akten von Verhandlungsgegenständen Einsicht zu nehmen."
Gemäß § 59 Abs. 1 AVG 1950 hat der Spruch eines Bescheides die in Verhandlung stehende Angelegenheit und alle die Hauptfrage betreffenden Parteienanträge, ferner die allfällige Kostenfrage in möglichst gedrängter, deutlicher Fassung und unter Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmungen, und zwar in der Regel zur Gänze, zu erledigen...
Zunächst stellt sich die Frage, ob der im vorliegenden Fall ergangene Feststellungsbescheid überhaupt zulässig ist. Abgesehen davon, daß nach der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ohnehin eine weitgehende Zulässigkeit derartiger Bescheide anerkannt wird (vgl. dazu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes4 Rz 406), ist diese Frage im gegebenen Fall jedenfalls mit Rücksicht auf die Vorschriften der §§ 79 Abs. 1 und 87 Abs. 1 der Gemeindeordnung zu bejahen.
Ausgehend davon stellt sich aber das Problem, ob der angefochtene Bescheid in seinem Spruch den Kriterien des § 59 Abs. 1 AVG 1950 gerecht wird, und zwar insbesondere wegen der Frage, welches Verhalten des Zweitbeschwerdeführers, an den sich der Bescheid ausdrücklich richtet, von der Rechtskraftwirkung des Bescheides umfaßt wird. Der Spruch eines Bescheides hat sich nämlich auf denjenigen SACHVERHALT zu beziehen, der zur Zeit seiner Erlassung bestand (vgl. Walter-Mayer aaO. Rz 413).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dem Problem des bestimmten Inhaltes eines Feststellungsbescheides in seinem (zu § 121 WRG 1959) ergangenen Erkenntnis vom 26. April 1988, Zl. 87/07/0062, die Rechtsansicht zum Ausdruck gebracht, daß ein Feststellungsbescheid eine möglichst genaue Beschreibung der maßgeblichen Fakten enthalten muß. Diesem Erfordernis werden im vorliegenden Fall weder der Spruch des angefochtenen Bescheides (der auf Fakten überhaupt keinen Bezug nimmt) noch die Begründung gerecht, weil auch der Begründung (die zur Deutung des Spruches herangezogen werden kann; vgl. z.B. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3 Seite 520 Abs. 1 bis 3 referierte Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes) nicht zu entnehmen ist, wann konkret der Zweitbeschwerdeführer wem gegenüber die Akteneinsicht verweigert hat. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß der Bescheid auch die Frage vollkommen offen läßt, ob diejenigen Gemeinderatsmitglieder, welche Akteneinsicht begehrt hatten, überhaupt konkret an der Einsichtnahme in die vorliegenden Akten gehindert oder nur darauf verwiesen wurden, daß sich das in Rede stehende Schriftstück (nämlich die Klagsschrift der gegen die Erstbeschwerdeführerin erhobenen Amtshaftungsklage) nicht bei den Akten befinde, welcher Vorgang einer Verweigerung der Akteneinsicht nicht ohne weiteres gleichgehalten werden muß.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Bescheidcharakter Bescheidbegriff Sachverhaltsermittlung Spruch und BegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1990:1989010156.X00Im RIS seit
06.08.2001