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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Individualanträge auf Aufhebung der §§1 und 2 der Wr. LadenschlußVSpruch
1. Der Antrag der Zweitantragstellerin, Dr. G
T Gesellschaft m.b.H., wird zur Gänze zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Drittantragstellerin, Dr. G T, wird, soweit er sich auf §2 der Wiener Ladenschlußverordnung, LGBl. Nr. 21/1965, bezieht, zurückgewiesen.
3.a) Gemäß Art140 B-VG wird die Verfassungsmäßigkeit der Absätze 1 und 3 des §3 des Ladenschlußgesetzes, BGBl. Nr. 156/1958, von Amts wegen geprüft.
b) Das Verordnungsprüfungsverfahren wird nach Fällung der Entscheidung im Gesetzesprüfungsverfahren fortgesetzt werden.
4. Die Entscheidung über die Anträge der Erst- und der Drittantragstellerin betreffend §1 der V des Landeshauptmannes von Wien über den Ladenschluß an Werktagen bleibt vorbehalten.
Begründung
Begründung:
I. 1.a) Mit einem beim VfGH am 10. August 1987 eingelangten Schriftsatz begehren die Antragsteller die Aufhebung des §2 des Ladenschlußgesetzes - das Verfahren zu diesen Anträgen ist beim VfGH zu G153/87 protokolliert und wird getrennt geführt - sowie die Aufhebung der §§1 und 2 der V des Landeshauptmanns von Wien über den Ladenschluß an Werktagen (Wiener Ladenschlußverordnung), LGBl. 21/1965.
Diese Bestimmungen stehen unter der Rubrik "Allgemeine Ladenschlußzeiten" und lauten:
"§1
Alle ständigen und nichtständigen für den Kleinverkauf von Waren bestimmten Betriebseinrichtungen (Verkaufsstellen) sind, soweit sich nach den folgenden Bestimmungen nichts anderes ergibt, an Werktagen von 18 Uhr bis 8 Uhr, beim Kleinverkauf von Lebensmitteln von 18.30 Uhr bis 7 Uhr geschlossen zu halten.
§2
An Samstagen sind die Verkaufsstellen ab 13 Uhr, beim Kleinverkauf von Lebensmitteln bis 6.30 Uhr und ab 14 Uhr geschlossen zu halten."
b) Die Antragstellerinnen bringen vor, sie würden durch die angefochtenen Bestimmungen der Wiener Ladenschlußverordnung unmittelbar in ihren Rechten verletzt.
Die Erstantragstellerin, T & Co KG, sei Trägerin eines Handelsgewerbes in Wien. Die Zweitantragstellerin, Dr. G T Ges.m.b.H., sei persönlich haftender Gesellschafter der erstantragstellenden Ges.m.b.H. & Co KG. Die Drittantragstellerin, Dr. G T, sei alleinige Gesellschafterin der Zweitantragstellerin sowie Kommanditistin der Erstantragstellerin und überdies handelsrechtliche und gewerberechtliche Geschäftsführerin der T & Co KG und der Dr. G T Ges.m.b.H.
Die Erstantragstellerin, die T & Co KG, sei auf Grund ihrer Eigenschaft als Unternehmensträgerin unmittelbarer Normadressat der angefochtenen V, die ohne weitere Konkretisierung ihre durch Art6 StGG definierte Rechtssphäre verändere. Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die angefochtenen Bestimmungen der Wiener Ladenschlußverordnung sei die in §20 dieser V iVm §368 Z17 GewO normierte
Strafbarkeit.
Die Drittantragstellerin sei als Geschäftsführerin den Behörden gegenüber für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften durch die von ihr vertretenen Unternehmungen auch verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich. Sie sei infolge dieser Verantwortlichkeit von den angefochtenen Bestimmungen unmittelbar betroffen. Die Erst- und Zweitantragstellerin wären es aber, die - jedenfalls der Drittantragstellerin gegenüber - mit ihrem Vermögen für die zu verhängenden Geldstrafen haften würden.
Der Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen sei aktuell und auch direkt wirksam. Die angefochtenen Normen seien keiner weiteren Konkretisierung zugänglich; auch stehe den Antragstellerinnen kein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung ihrer Bedenken gegen die angefochtenen Normen zur Verfügung. Insbesondere sei es den Antragstellerinnen nicht zumutbar, ein Verwaltungsstrafverfahren in Kauf zu nehmen. Auch sehe die Wiener Ladenschlußverordnung keine durch Antrag eines einzelnen Unternehmers zu erwirkenden individuellen Ausnahmeregelungen vor. Die Erwirkung eines Feststellungsbescheides sei weder in der Ladenschlußverordnung noch im Ladenschlußgesetz vorgesehen und wäre überdies sinnlos, da bereits die angefochtenen Normen den Antragstellerinnen ein bestimmtes Verhalten vorschrieben, nämlich zu gewissen Stunden ihren Laden geschlossen zu halten.
c) Über Aufforderung durch den VfGH haben die antragstellenden Parteien bekannt gegeben, daß zum Zeitpunkt der Einbringung des vorliegenden Individualantrages fünf Strafverfahren gegen die Drittantragstellerin anhängig waren. Die erstinstanzlichen - infolge erhobener Berufungen noch nicht rechtskräftigen - Straferkenntnisse des Magistrats der Stadt Wien stützen sich nach Angabe der Antragsteller auf §368 Z17 GewO iVm §§2 und 20 der Wiener Ladenschlußverordnung.
d) In der Sache behaupten die Antragstellerinnen einen Widerspruch der angefochtenen Verordnungsstellen zu der durch Art6 StGG gewährleisteten Freiheit der Erwerbsbetätigung. Durch die angefochtenen Normen würden die Antragstellerinnen in ihrer Erwerbsausübung in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt. Diese Einschränkung sei durch keines der Ziele, dem das Ladenschlußgesetz diene - Sicherung der Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften; Gewährleistung angemessener Einkaufszeiten und Verhinderung überlanger Öffnungszeiten gerechtfertigt. Die Antragstellerinnen meinen - zum Teil unter Verwendung der Überlegungen, die der VfGH in seinem Beschluß vom 1. Juli 1987, G132,133/87, zur Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Absätze 1 und 3 des §3 LSchG aus Anlaß eines Verfahrens zur Prüfung von Bestimmungen der Tiroler Ladenschlußverordnung über Antrag des VwGH angestellt hat -, daß die angefochtenen Regelungen teilweise zur Zielerreichung völlig ungeeignet, teilweise unsachlich und nicht angemessen und überdies wirtschaftspolitisch verfehlt seien.
2. Der Landeshauptmann von Wien hat eine Äußerung erstattet, in der er sich mit der Frage der Zulässigkeit der Anträge beschäftigt, die Verfassungsmäßigkeit der Regelung verteidigt und beantragt, der VfGH wolle die Anträge, sofern er sie für zulässig erachtet, abweisen. Auch der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat eine Äußerung erstattet, sich aber einer meritorischen Stellungnahme enthalten.
II. 1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der VfGH über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die V ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der VfGH in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß die V in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der VfGH vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985).
Diese Voraussetzung liegt für die zweitantragstellende Dr. G T Ges.m.b.H. nicht vor. Im Antrag wird dargelegt, daß die für die erstantragstellende T Ges.m.b.H & Co KG unmittelbar wirksame zeitliche Beschränkung der Offenhaltezeiten die Zweitantragstellerin als die persönlich haftende Gesellschafterin der Erstantragstellerin treffe. Damit wird zwar eine wirtschaftliche, aber keine unmittelbar sich aus der angefochtenen Bestimmung ergebende rechtliche Betroffenheit dargelegt. Weiters wird im Antrag ausgeführt, daß die Zweitantragstellerin für allfällige Geldstrafen der Drittantragstellerin, Dr. G T, die als handelsrechtliche und gewerberechtliche Geschäftsführerin den Behörden gegenüber u.a. für die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschriften verantwortlich sei, mit ihrem Vermögen hafte. Auch mit diesem Vorbringen wird eine unmittelbare, sich aus den bekämpften Rechtsvorschriften ergebende rechtliche Betroffenheit nicht dargelegt.
Da der Antrag daher eine unmittelbare rechtliche Betroffenheit der zweitantragstellenden Partei nicht dartut, war deren Verordnungsprüfungsantrag zurückzuweisen.
2. Die Drittantragstellerin ist, da sie als handelsrechtlicher und gewerberechtlicher Geschäftsführer der gewerbeausübungsberechtigten erstantragstellenden T Ges.m.b.H. & Co KG für die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften durch dieses Unternehmen nach den Vorschriften der GewO und des §9 VStG verantwortlich ist, durch die angefochtenen Vorschriften unmittelbar und aktuell in ihrer Rechtssphäre betroffen.
Nicht jedem von einer Rechtsvorschrift solcherart betroffenen Normadressaten kommt aber die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (vgl. zB VfSlg. 10511/1985).
Die Antragstellerinnen meinen, daß der Drittantragstellerin bei einem Fehlverhalten ein Verwaltungsstrafverfahren drohe, nach der Judikatur aber "ein Verwaltungsstrafverfahren keinen zumutbaren Umweg darstellt".
Dem ist nur insofern zuzustimmen, als es nach der Rechtsprechung des VfGH einem Normadressaten nicht zumutbar ist, sich durch Provozierung eines Strafbescheides einen Weg zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung der den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften zu eröffnen (vgl. etwa VfSlg. 8396/1978, 9245/1981, 10755/1986). Unzumutbar ist es daher, eine strafbare Handlung begehen zu müssen, um die offene Rechtsfrage an den VfGH heranzutragen.
Hat der Normadressat aber bereits eine Handlung gesetzt, auf Grund derer ein Strafverfahren eingeleitet wurde, so ist es ihm in der Regel durchaus zumutbar, durch Bekämpfung des Strafbescheides die verfassungsrechtliche Frage der Überprüfung der präjudiziellen Norm an den VfGH heranzutragen. Wurde nämlich ein Verwaltungsstrafverfahren bereits eingeleitet, in dem Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Prüfung besteht, so ist - jedenfalls dann, wenn, wie im gegebenen Fall, das Verwaltungsstrafverfahren noch anhängig ist - ein Individualantrag nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zulässig. Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter eines Individualantrags als eines subsidiären Rechtsbehelfs nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 9939/1984, 10958/1986). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall weder von der Antragstellerin geltend gemacht worden, noch sind sie dem VfGH erkennbar, zumal es ein positiver Ausgang des mit dem Individualantrag eingeleiteten Verfahrens im Regelfall inhibieren würde, daß die anhängigen Strafverfahren zu Anlaßfällen in amtswegig eingeleiteten Normprüfungsverfahren würden.
Im Hinblick auf die gegen sie wegen Übertretung des §2 WrLSchVO anhängigen Verwaltungsstrafverfahren ist daher der Antrag der Drittantragstellerin, Dr. G T, soweit er sich auf eben diese Verordnungsstelle bezieht, zurückzuweisen.
III. Aus Anlaß der Verfahren zur Prüfung der §§1 und 2 der Wiener Ladenschlußverordnung über Antrag der Erstantragstellerin hat der VfGH beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der Absätze 1 und 3 des §3 des Ladenschlußgesetzes, BGBl. Nr. 156/1958, von Amts wegen zu prüfen. Dazu haben ihn folgende Erwägungen bestimmt: ...
1. Der Antrag scheint zulässig zu sein:
Die Bestimmungen des Ladenschlußgesetzes und der Durchführungsverordnungen der Landeshauptmänner zum Ladenschlußgesetz gelten für die für den Kleinverkauf von Waren bestehenden Betriebseinrichtungen von Unternehmen, die der Gewerbeordnung unterliegen (§1 Abs1 LSchG). Da die Erstantragstellerin Trägerin eines Handelsgewerbes ist, dürfte ihre Rechtssphäre durch die durch das Ladenschlußrecht verfügten Beschränkungen der möglichen Offenhaltezeiten direkt betroffen sein. Auch dürfte der Eingriff in die Rechtssphäre nach Art und Ausmaß durch die V selbst eindeutig bestimmt sein und die Interessen der Antragstellerin aktuell berühren.
Weiters nimmmt der VfGH vorläufig an, daß der Antragstellerin kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffs in ihre Rechtsposition zur Verfügung steht.
2. Mit Beschluß vom 1. Juli 1987, G132,133/87, hat der VfGH - aus Anlaß zweier Anträge des VwGH auf Aufhebung des Abs2 des §2 der Tiroler Ladenschlußverordnung, der Bestimmungen über den sogenannten Sperrhalbtag enthält beschlossen, die Absätze 1 und 3 des §3 LSchG auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Er nahm an, daß der in Prüfung stehende §2 Abs2 TirLSchVO in dieser Bestimmung des Ladenschlußgesetzes seine gesetzliche Grundlage hat und äußerte Bedenken ob deren Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf Art18 B-VG und Art6 StGG.
Gleiche Erwägungen bestimmen den VfGH dazu, auch aus Anlaß des vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahrens ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Absätze 1 und 3 des §3 LSchG einzuleiten. Die angefochtene Bestimmung des §2 der Wiener Ladenschlußverordnung scheint ihre gesetzliche Grundlage ebenfalls in der genannten Gesetzesbestimmung zu haben, gegen die der VfGH in dem schon zitierten Beschluß vom 1. Juli 1987 - auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen sei - Bedenken geäußert hat.
3. Ob die Prozeßvoraussetzungen gegeben sind und die angeführten Bedenken zutreffen, wird im Gesetzesprüfungsverfahren zu klären sein.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Zivilrecht, Gesellschaftsrecht, Gewerberecht, LadenschlußEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1987:V82.1987Dokumentnummer
JFT_10129072_87V00082_3_00